Ralf König erzählt in Prototyp die Schöpfungsgeschichte frech und respektlos neu. Der Prototyp der Menschheit ist Adam, die Hauptrolle kommt jedoch einer Schlange zu, dem guten alten „Luz“, wie sie genannt wird. Der Leser wird durch die von König inszenierten Dialoge – vornehmlich zwischen Luz und Gott, der nur als Stimme in Fraktur in Erscheinung tritt – in eine ganze Reihe von Erwägungen zur Schöpfung und dem Menschsein verwickelt. Und diese zeichnen sich durch ein Maximum an Wort- und Bildwitz aus, der aufs Königlichste zu amüsieren weiß und manchmal zum Nachdenken verführt.
Der Humor lebt vor allem von der Konfrontation aus modernen Gedanken und altbackenen Kirchenklischees und von allgemeinmenschlich skurrilen Szenen, etwa wenn den Tieren ihre Stimmen zugeordnet werden und Luz seitenweise inspiziert, was zwischen Adams Beinen baumelt. Allerdings kam König nicht umhin, hier ein Feigenblatt einzufügen, das sich in der biblischen Schöpfungsgeschichte nicht dort befindet – manchmal ist die Gegenwart eben prüder als religiöse Literatur … Aber wie man das von Königs Knollennasenmännchen kennt, wird das Feigenblatt auch mal beiseite genommen, dann geht es gar nicht mehr prüde zu, ist aber nur ein Experiment der göttlichen Frakturstimme. Eine Reihe von Andeutungen im Wortwitz setzen allerdings eine ganz ordentliche Allgemeinbildung voraus, um die Anspielungen auf Kreationismus, Albert Einsteins Relativitätstheorie, Martin Heideggers Philosophie, Platons Höhlengleichnis und anderes richtig einordnen zu können. Die biblischen Aussagen sind vor allem da treffend in Szene gesetzt, wo der Mensch beim Durchspielen verschiedener Entwürfe Adams zu einem verstandesbegabten und eigenverantwortlichen Menschen wird; streng genommen dürfte man erst dann vom Ebenbild Gottes sprechen.
Sehr fein ist Luz charakterisiert, der mal argumentiert, mal verzweifelt, mal ganz modern daher kommt, aber immer den Schalk im Nacken sitzen hat. Die Frakturstimme ist durch Kirchenklischees charakterisiert, weniger durch den alttestamentlichen Gott: Wo der biblische Gott der Propheten Gerechtigkeit statt Loblieder einfordert (z.B. beim Propheten Amos: „Weg mit dem Lärm euerer Loblieder, vielmehr sei die Gerechtigkeit ein nie versiegender Bach in eurem Land.“), da findet die Frakturstimme demütigen Lobgesang unterhaltsam. Wo das Alte Testament die Sexualität und Fruchtbarkeit als Gabe Gottes sieht, da reagiert Königs Frakturstimme fast immer verschämt auf Sexuelles (s. Bildbeispiele), so wie die griechische Leibfeindlichkeit ins frühe Christentum eingesickert ist. Die Sinnen- und Leibfreundlichkeit des „Hohenlieds“ (in unübertroffener Poesie seitenlang im Alten Testament) findet kurz vor Schluss Eingang in den Prototyp – und zwar als Kompliment von Adam an Eva: „Deine Brüste sind zwei Kitzlein, die unter Lilien weiden“. – „Pffh … Wo hast du das her?“ entgegnet Eva apfelkauend. Für Kenner der biblischen Materie ergeben sich aus solchen Diskrepanzen nette Gelegenheiten zum Schmunzeln.
Prototyp ist Ralf Königs Beweis, dass er sich nicht auf Schwulencomics festlegen lassen muss, und eine treffliche Erweiterung seines künstlerischen Themenspektrums. Prototyp ist Ralf König gut gelungen, überaus köstlich und stellenweise auf hohem Niveau. Derzeit läuft in der FAZ, in der 2007 zunächst zehn Strips von Prototyp als Urlaubsvertretung von Volker Reiches Strizz abgedruckt wurde, seine Nachfolgereihe Archetyp als reguläre Nachfolgeserie von Strizz, die die biblische Erzählung von Noah und der Arche in neuen Worten und Bildern nachzeichnet.
Prototyp
Rowohlt, November 2008
Text/Zeichnungen: Ralf König
110 Seiten, Hardcover, Farbe; 14,90 Euro
ISBN 978-3498035426
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Prototyp © Ralf König