Rezensionen

Plaque 2

 Nach fünfjährigem Warten erscheint nun endlich der zweite Band von Plaque dem Magazin für Wort und Bild aus dem avant-Verlag. Die Herausgeber, Johann Ulrich und Kai Pfeiffer, haben sich für Ihre Plaque 2 Zeit gelassen. Während dieser Zeit haben sich einige der im Band enthalten deutschen Erstveröffentlichungen den Status „mystischen Klassikern“ erworben. Es ist aber nicht nur der Status einzelner Geschichten, sondern die gut überlegte Auswahl die Plaque 2 zu einem gereiften Unikat machen.

Frisch aus meinem Schottlandurlaub zu Hause eingetroffen, entdecke ich einen zusammengeschichteten Stapel, der sich bei genauerem Hinsehen als meine Post herausstellt. Bevor ich jedoch diesen Haufen loser Briefe, Rechnungen und Päckchen sondiere, räume ich als erstes in Ruhe meinen Rucksack aus. Nachdem sich der gesamte Inhalt meines Rucksacks vom Boden in die jeweiligen Schränke verteilt hat, bleibt nur noch eine Flasche Whisky auf dem Schreibtisch neben der Post stehen, ein 17jähriger Glengoyne, Single Malt. Unentschlossen wo ich dieses Souvenir unterbringen soll, bemühe ich mich erst einmal um die Post. Nach einer Vielzahl von Rechnungen bleibt nur noch ein Paket ungeöffnet. Nach einigem ungestümen Zerren und Schneiden kommt ein blaues Buch zum Vorschein, Plaque 2, Magazin für Wort und Bild. Unschlüssig welchem der beiden Gegenstände ich mich zuerst widmen soll, bleiben beide vor mir stehen.

Auf meinem Schreibtisch liegen jetzt zwei Gegenstände, die auf den ersten Blick relativ wenig gemein zu haben scheinen: zum einen ein Single Malt aus den schottischen Highlands, der 17 Jahre in einem Sherryfass gereift ist, und zum anderen ein Comicmagazin aus dem Berliner avant-Verlag, das auch bereits fünf Jahre auf sein Erscheinen warten ließ. Einmal abgesehen von dem unterschiedlichen Alter der beiden Produkte lassen bereits die gewählten Bezeichnungen gewisse Differenzen erahnen. Während man einen Whisky als Single Malt bezeichnet, wenn dieser an ein und derselben Produktionsstelle hergestellt wurde, lässt der Titel „Magazin“ eine Anthologie, also eine Sammlung von Comics erwarten. Im Fall vom Whisky wäre eine eben solche Vermischung von verschiedenen Whiskys, ein blending, eine Todsünde. Inwieweit diese Comicsammlung aber Qualitätsunterschiede zum Whisky aufweist, wird erst bei der Lektüre deutlich. Seite für Seite, die ich in das Magazin vordringe, wird mir die Analogie zum Whisky einleuchtender, denn bei Plaque 2 handelt es sich eben nicht um eine Ansammlung von verschiedenen Comics, die zu einem Band vermischt wurden, sondern um eine handverlesene Auswahl an Zutaten, die zusammen ein sehr beachtliches Endprodukt ergeben. Betrachten wir das Magazin also mit den Sinnen eines Whiskyverköstigers.

Für das erste Aroma des Magazins sind der deutsche Comickünstler Horus und sein österreichischer Kollege Nicolas Mahler verantwortlich. Horus, der vor allem durch seine recht textlastigen Comics wie Wüstensöhne und Schattenreich bekannt ist, leitet das Magazin mit einem Essay zur allgemeinen Erläuterung des Comicbegriffs ein. Dabei beginnt er zunächst recht versöhnlich mit der Benutzung von Scott McClouds Tanzpaar-Analogie von Wort und Bild. Im Laufe des Artikels jedoch wirft Horus dem amerikanischen Comic-Theoretiker nicht nur einen polemischen Stil vor, sondern versucht auch noch zu beweisen, dass McClouds Definition vom Comic das Medium einengen würde anstatt es zu befreien. Betrachtet man die letzten Seiten von Understanding Comics einmal genau, wird ziemlich schnell deutlich, dass dies in keinem Fall die Absicht McClouds ist. Die Frage, ob die Kritik von Horus gerechtfertigt ist, bleibt im Raum stehen. Viel interessanter an dieser Debatte ist aber die Art und Weise, wie sie einleitend die Weichen für alle Beiträge in Plaque 2 stellt.

So ist es als erstes an Nicolas Mahler mit seinem Comic A King's Tale, die Aussagen von Horus zu negieren. Folgen aus sechs, acht oder auch neun Bildern, die ganz ohne Worte auskommen, ja deren Humor Worte im Weg stehen würden, erzählen bei Mahler die Abenteuer eines tyrannischen Königs, der außer der Exekution seiner Untertanen nicht sonderlich viel unternimmt. Bei näherem Hinsehen fällt auf, dass es keine zufällige Auswahl ist, die rein textliche Besprechung der Welt der Comics von Horus neben Mahlers Comic, der ganz ohne Worte auskommt, zu platzieren. Die Verleger Ulrich und Pfeiffer präsentieren eben durch diesen Kunstgriff die komplette Spannbreite des Comics, die ein „Magazin für Wort und Bild“ verspricht.

Der eigentliche Geschmack von Plaque 2 aber – die Grundnote des Magazins – geben ihm erst die Comics von David B. und Anke Feuchtenberger, gefolgt von einem ausführlichen Interview mit letzterer. Erst diese Arbeiten scheinen das von Horus erwähnte Potential von Wort und Bild in Vollendung ausnutzen. Auch diese beiden Künstler erzeugen im direkten Vergleich miteinander einen harschen Kontrast, der die Vielfalt der Comics aber erst bestätigt.

Die Ereignisse der Nacht David B. ist Mitbegründer des französischen Comic-Verlags L'Association und bekannt geworden durch seinen autobiografischen Comic Die heilige Krankheit, der von seinem an Epilepsie erkrankten Bruder berichtet. In Plaque 2 durchstreift der Protagonist in Die Ereignisse der Nacht Buchladen- und Buchstabenlabyrinthe. Wie alle der im Band vertreten Comics, so handelt es sich auch bei Die Ereignisse der Nacht um die deutsche Erstveröffentlichung. Es ist wirklich interessant zu beobachten, wie David B. mit seiner Schwarz-Weiß-Technik den Leser in eine Welt voll von magischem Realismus führt, die man sich nach den Erzählungen von Gabriel Garcia Marquez (Hundert Jahre Einsamkeit) immer in allen Regenbogenfarben vorgestellt hatte. Dabei sind es die von Horus gepriesenen Worte, die bei David B. immer wieder drohen in die Bilder einzudringen und diese zu überlagern. Doch gerade an dieser Schnittstelle zwischen Wort und Bild steht David B. als Comickünstler, als Aufseher über alle Zeichen, der dafür sorgt, dass beide Künste gleichberechtigt nebeneinander stehen dürfen. Es ist also genau das von Horus und McCloud beschriebene Tanzpaar, dessen Choreographie David B. ausarbeitet. Gerade als man als Leser an dem Punkt angekommen ist und Horus beipflichten möchte, wird man durch die Zeichnungen von Anke Feuchtenberger sehr gewaltsam aus diesem harmonischen Verhältnis herausgerissen.

Die Überfahrt Von einer Seite auf die nächste muss sich der Leser von Die Überfahrt von dem zuvor etablierten Fluss der Bilder lossagen, um Feuchtenbergers Arbeit eine Chance zu geben. Wer Feuchtenbergers Comics noch nicht kennt, wird sich fragen, inwieweit sich diese überhaupt als solche titulieren lassen. Auch hier muss man erst wieder zu dem Essay von Horus zurückkehren, um zu erkennen, dass sich vor dem Comicschöpfenden ein „Meer der Möglichkeiten“ auftut. So sind es vor allem die Brüche zwischen den Bildern, die den Leser vor die Aufgabe stellen, größere Sinnsprünge zwischen den einzelnen Sequenzen zu vollziehen. Feuchtenberger enthält dem Leser absichtlich die Induktion als Mittel für Sinnproduktion vor. Ihre Werke ähneln so immer mehr einer Reihe von Emblemen. Diese Analogie lässt sich vor allem durch die spärlichen mit Unterschrift versehenen Einzelbilder belegen. Es wäre bei dieser Geschichte nicht von Nutzen, ihre Handlung zu beschreiben, da sie nur wie zwingendes Beiwerk wirkt. Während Feuchtenberger ihrer Linie treu bleibt, zu bewundern in Werken wie Die Hure H oder auch Der Tempel, ist das Interview zwar informativ, aber enthält nicht wie die Zeichnungen den Stellenwert einer deutschen Erstpublikation. Nicht, dass diese Unterhaltung bereits zuvor abgedruckt wurde, aber die Fakten und Anekdoten, die hier ausgetauscht werden, scheinen alle schon bekannt zu sein, wenn man schon einmal von Anke Feuchtenberger gehört hat. An dieser Stelle wäre ein frischer Zugang zu der Comickünstlerin schön gewesen, wie man ihn von Kramer's Ergot kennt.

Die Gorillafrau Um dem Comicmagazin einen lieblichen Abgang zu verschaffen, hat man sich für die eher einfachen Geschichten von Ulli Lust und Matt Broersma entschieden. „Einfach“ darf an dieser Stelle aber nicht als „simpel“ oder gar „schlecht“ verstanden werden. Nur fällt es schwer, sich nach den Comicexperimenten auf den vorangegangenen Seiten auf zwei relativ konventionelle Geschichten einzulassen. Obwohl die Geschichten, die beide erzählen, wirklich unterhaltsam und spannend zugleich sind, lassen sie die Prämisse von Horus, „neues Land“ zu entdecken, vermissen. Wahrscheinlich liegt es nur an der Tatsache, dass die vier Vorgänger bereits eine Vielzahl von Extremen ausgeschöpft haben, so dass die Freakshowgeschichte der Österreicherin Ulli Lust zwar gut unterhält, aber nicht zu mehr einlädt.

Bei dem Amerikaner Matt Broersma, den Paul Gravett in seinem Vorwort zu der Geschichte nur allzu gern für Großbritannien beanspruchen möchte, sieht der Sachverhalt etwas anders aus: Hier sind die Geschichte, die eine Spur zu viel Hunter S. Thompson beinhaltet, oder gar die Technik, die stark an Charles Bukowski erinnert, nicht wirklich innovativ. Nachdem sich alle anderen Künstler in Plaque 2 über die Erzählweise und die Handlung hergemacht haben, zeichnet und textet Broersma mit Hawaii eine Film Noir-Adaption par excellence. Er schaut also über den Tellerrand seines Mediums hinaus und entdeckt die amerikanischen Groschenromane der 20er und die Filme der 40er und 50er Jahre. Broersma folgt dem Ruf von Horus, der in seinem Essay einleitend verkündet: „Draußen dämmert es. Die Horizonte sind weit! Da draußen liegt eine schlafende Welt. Der wache Blick kann sie erwecken.“

Der avant-Verlag hat mit Plaque 2 ein Magazin, wenn man es denn so nennen will, herausgegeben, dass sehr wohl gleichberechtigt neben dem Single Malt stehen darf. Obwohl, wie im Vorwort der Publikation erwähnt, eine thematische Geschlossenheit (in Plaque 1 hatte man sich für Italien als Länderschwerpunkt und Thema des Magazins entschieden) auf den ersten Blick nicht zu existieren scheint, wird bei der Lektüre deutlich, dass man den Untertitel „Magazin für Wort und Bild“ diesmal wesentlich ernster genommen hat als noch bei dem Prototypen.

Abschließend lässt sich Plaque 2, Magazin für Wort und Bild, wie folgt bewerten: Auf ein sehr frisches Aroma, das Lust auf eine Auseinandersetzung mit Comics macht, folgt ein recht kräftiger Grundton, der die ganze Lektüre über andauert und auch den etwas zu lieblichen Abgang noch überlagert. Zu bemängeln ist lediglich der Druck, da auf ein paar Seiten die Texte, aber auch die Zeichnungen etwas zu verschwimmen drohen. Abschließend kann ich nur raten, sich einen guten Whisky zu besorgen, sich Plaque 2 zu beschaffen und einfach mal still zwei handverlesene Selektionen zu genießen. Mein Rat: Anstatt irgendwelche zusammengemischte Verschnitte zu lesen, nehmt Euch mehr Zeit für das Lesen von guten Comics. Auf solche werden wir in Zukunft vielleicht so lange warten müssen, wie die Männer, die ihren Whisky Jahrzehnte lang in Sherryfässern lagern. Aber es wird sich lohnen!

Plaque 2 – Magazin für Wort und Bild
avant-Verlag, September 2007
Herausgeber: Johann Ulrich, Kai Pfeiffer
Künstler: Horus, Nicolas Mahler, David B., Anke Feuchtenberger, Ulli Lust, Matt Broersma
160 Seiten, schwarz-weiß, Softcover; 16,95 Euro
ISBN 9783980772594

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Bildquelle: avant-verlag.de