Rezensionen

Olaf G.

 Was passiert, wenn man zwei wild gewordene, norwegische Comic-Zeichner mit ein paar Stiften und einer Flasche Calvados bewaffnet auf unsere liebliche, bayerische Provinz loslässt? Genau diese ungewöhnliche Konstellation ergab sich nämlich 2004, als die beiden Zeichner Lars Friske und Steffen Kverneland von ihrem Heimatland Norwegen aus nach Tegernsee und München fuhren. Dort lustwandelten die beiden auf den Spuren ihres Landsmanns, des legendären Simplicissimus-Zeichners Olaf Gulbransson, und porträtierten ihre etwas abstruse Odyssee in dem 183 Seiten starken Comicalbum Olaf G., das Dank dem Berliner avant-Verlag seit Anfang 2008 auch auf deutsch erhältlich ist.

Noch bevor die Bilderreise richtig losgehen kann, zeichnen sich bereits die ersten Probleme ab. Auf den ersten Seiten des Comics folgt einem Selbstporträt von Gulbransson, aus dessen sehr reichhaltigem Fundus sich die beiden für Olaf G. bedient haben, eine Zeichnung von Fiske und Kverneland, die diesem nachempfunden ist. Natürlich ist es nur gut und recht, sich für solch ein Projekt bei den Werken des zu betrachtenden Künstlers zu bedienen. Niemand würde es für verwerflich halten, wenn die Schüler dazu die Bilder des Meisters abkupferten. Doch ist es die Ähnlichkeit dieser Bilder, die sich im Laufe der Geschichte eben nicht bestätigt. Während Gulbransson von seinen Kollegen beim Simplicissimus, wie Fiske und Kverneland zu recht andeuten, als der größte Minimalist gefeiert wurde, versuchen die Werke seiner norwegischen Nachfahren durch Bild- und Farbgewalt zu überzeugen. Es sind genau die graphischen Unterschiede, die Olaf G. zu einem interessanten Comic machen.

Original von Gulbransson Variation von Fiske und Kverneland

 Selbstverständlich wirken die Bilder der beiden Norweger im Vergleich zu Gulbranssons feiner Feder etwas überladen. Fiske und Kverneland bedienen sich jeweils einer ganz eigenen Technik: Fiske nutzt Geraden, die wie mit dem Lineal gezogen wirken, und lässt diese an rechtwinkligen Kanten enden, die aus Menschen groteske Robotmenschen werden lassen. Das Resultat dieser Darstellungsweise ist eine Welt voll von geordneter Unordnung, die eine Gegenposition zu Gulbranssons einfachen, weichen Bleistiftzeichnungen darstellt. Sein Kollege Kverneland kontrastiert andererseits die Einfachheit des Simplicissimus-Zeichners durch eine fast fotorealistische Welt, deren Farben aber jeden Moment zu explodieren drohen. Im Gegenzug dazu werden Rückblicke in Gulbranssons Vergangenheit durch die minimalistische Farbwahl (schwarz-weiß) verdeutlicht. Ein Vergleich mit oder gar eine Übersetzung von Gulbranssons Leben war nie Ziel dieses Comics, deshalb soll es sich nicht an Gulbranssons Stil anlehnen. Die graphische Darstellung von Kverneland und Fiske steht also gleichberechtigt neben der Gulbranssons und macht die gesamte Geschichte zu einer wunderbaren Bilderreise.

Die Narration der Geschichte profitiert ebenso von den unterschiedlichen Stilen der Künstler. Immer wieder springt die Erzählung in Olaf G. vom erfüllten Leben Gulbranssons hin ins bayerische Wirtshaus, vor deren Gästen Fiske und Kverneland aus Angst vor perversen Orgien fliehen. Während zu Beginn der Geschichte Entdeckungen auf ihrer Reise noch als Anreize genutzt werden, um einen Blick in Gulbranssons Vergangenheit zu werfen, so dreht sich diese Kausalkette im Laufe der Handlung in ihr Gegenteil um:  Oft sind es gerade die Abstrusitäten aus Gulbranssons Anekdoten, die auch Fiske und Kverneland dazu bewegen, sich z.B. bayerische Hüte mit Gamsbart zu kaufen oder sich in Tracht zu zeichnen. Ähnlich wie bereits in der graphischen Darstellung zu sehen, entzieht sich der Comic absichtlich jeder Einteilung in bestimmte Segmente der Narration. Immer wenn man denkt, dass es sich eigentlich um einen reinen Reisebericht handelt, wechseln Fikse und Kverneland zur Biographie. Gerade dieses Wechselspiel ist es, das dem Comic seine Lust am Erzählen und Bebildern verleiht.

Der avant-Verlag, präsentiert ja inzwischen (zusammen mit ein paar anderen Verlagen) seine Werke offiziell als „Graphic Novels“. Diese Genre-Betitelung soll den Leser überzeugen, einen anspruchvollen Comic, also ein hochwertiges Produkt zu kaufen. Solange uns aber europäische Comickultur auf diesem hohen Niveau präsentiert wird, muss man sich gar nicht den amorphen, amerikanischen „Graphic Novel“-Stempel aufdrücken lassen, der in Wirklichkeit nichts über einen Comic aussagt. Hoch anrechnen muss man es da Andreas Platthaus von der FAZ , der das Problem unsanft umschifft und Fiskes und Kvernelands Comic simpel, aber treffend als „Sachcomic“ bezeichnet.

Am Ende des Comics angekommen, wird man feststellen, dass Olaf G. trotz einiger Eingewöhnungszeit hinsichtlich der graphischen Mischform ein hochkomplexer Sachcomic ist, der Lust macht, mehr in der Geschichte des Simplicissimus und auch der von Gulbransson zu forschen. Außerdem richtet der avant-Verlag unsere Aufmerksamkeit für europäische Comics weg von den franko-belgischen Alben hin auf unbekannte Gefilde: Comics aus Norwegen.


Olaf G.

avant-Verlag, Dezember 2007
Text und Zeichnungen: Lars Fiske, Steffen Kverneland und Olaf Gulbransson
Hardcover; farbig und schwarz-weiß; 183 Seiten; 24,95 Euro
ISBN: 978-3-938511-37-4

Norwegischer „Sachcomic“ vom Feinsten!


Bei ComicCombo anschauen und bestellen

Bei amazon.de anschauen und bestellen


Coconino Classics
Simplicissimus Online-Edition
Gulbransson-Museum Tegernsee
Wikipedia: Gulbransson , Simplicissimus

Bildquelle: avant-Verlag.de