Als ich das Cover von Lescheks Flug das erste Mal in all seiner pulpigen, detaillreichen Pracht in einer Vorschau sah, stand schon fest: „Muss ich haben“. Und nach der Lektüre die gute Nachricht: Innen drin sieht es erfreulicher Weise genauso aus, wie es der auf Retro-Optik getrimmte Einband verheißt: Eine schmuddelige Science-Fiction-Welt, bewohnt von eigensinnigen Robotern in allen möglichen Formen und Designs sowie anderen schrägen Wesen. Wenn die Universen von Star Wars und Firefly einen „used look“ haben, so ist der von Leschecks Flug mindestens „extremely used“. Fast alles scheint hier alt, schmutzig und abgeschrammelt, so auch Titelfigur Leschek selbst, ein sympathisch-rundlicher Roboter mit naivem Gemüt.
Lescheks Fantasie und Kreativität passen eher suboptimal zu seinem Job, als einer von vielen Robotarbeitern im Akkord und unter der Fuchtel böswilliger Aufseherinnen hässliche Spielzeugfiguren für den interstellaren Horima-Konzern zusammenzusetzen. Als er überraschend in den Besitz eines Raumschiffs kommt, will der von Fernweh geplagte Außenseiter den industriellen Albtraumplaneten Neulins so schnell wie möglich hinter sich lassen. Aber um seinem trüben Schicksal zu entkommen und zu den Sternen zu fliegen, benötigt er einen menschlichen Piloten und eine schier unerreichbare Summe an Würfeln, der herrschenden Währungseinheit …
Sebastian Stamm, der hier als Autor, Zeichner, Tuscher und Kolorist in Personalunion firmiert, ist in der Indiegamer-Szene als Teil des Black Pants Studios bekannt, das für das originelle Puzzle-Plattformer-Spiel Tiny & Big eine Menge Lob und Auszeichnungen einheimsen konnte. Lescheks Flug ist seine Abschlussarbeit an der Kunsthochschule Kassel und erschien folgerichtig beim Verlag Rotopolpress, der einst von anderen Absolventen seiner Uni gegründet wurde und mittlerweile eine beachtliche Zahl grafisch ausgefallener Comicbücher im Portfolio hat. Stamms Stil erinnert in seinem organischen Look leicht an jenen des mexikanischen Ausnahmekünstlers Ladrönn; in Deutschland kommt er wohl dem, was die Herren Wittek und Ralph Niese fabrizieren, am nächsten. Wunderbar eigenwillige Designs und ein teils fast erschlagender Detailreichtum, dazu ein guter Blick für Bildsprache und Farben machen seinen ersten Langcomic optisch aus und zur visuellen Entdeckungsreise. Auch bemerkenswert: der schöne Einsatz von Soundwörtern und die vielfältigen Symbole und Piktogramme, die teils an Stelle der Dialoge treten.
Erzähltechnisch kann der Comic leider nicht so ganz mit der äußerst gelungenen grafischen Umsetzung mithalten. Einigen der allzu gemütlich ausgewalzten Szenen hätten Kürzungen und ein höheres Tempo gut getan. Die Ausgangslage wird derart ausführlich geschildert, dass man im letzten Drittel, wenn die Erzählung in Fahrt kommt, das Gefühl hat, Lescheks Abenteuer hätte gerade erst richtig angefangen – und dann ist es auch schon wieder vorbei. Zudem hat es sich der Autor mit der Bewältigung einer nicht unwichtigen Hürde für die Hauptfigur (Wie kommt Leschek an den Bauplan für den Safeschlüssel?) allzu leicht gemacht und liefert auch keine Erklärung für diese aus dem Rest der Geschichte unangenehm herausstechende „magische“ Lösung nach. Abgesehen davon ist die Story aber durchweg solide, die Hauptfigur sympathisch, die Nebenfiguren schön exzentrisch und auf emotionaler Ebene knistert es auch: Man leidet mit dem allzu menschlichen Robot-Träumer, fiebert zum dramatischen Finale mit ihm und wünscht sich, dass die Geschichte weitergehen möge. Und das ist etwas, was vielen altgedienten Comicprofis mit ihren Werken nicht immer gelingt.
Wertung:
Visuell ungemein spannende und erzählerisch solide Entdeckungsreise durch eine herrlich rostige Roboterwelt
Lescheks Flug
Rotopolpress
Text & Zeichnungen: Sebastian Stamm
120 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 19 Euro
ISBN: 978-3-940304-86-5
Leseprobe
Abbildungen © Sebastian Stamm