Rezensionen

Laika

Beim Schweizer Verlag Atrium erscheint nach Logicomix und Waltz With Bashir ein weiterer Comic: Der britische Autor und Zeichner Nick Abadzis zeichnet in Laika die wahre Geschichte der Hündin nach, die 1958 im Rahmen des sowjetischen Raumfahrtprogramms als erstes Säugetier ins Weltall geschossen wurde. Basierend auf akribischen Recherchen hat der Comic den Anspruch, eine wahre Geschichte nachzuerzählen. Abadzis tut dies jedoch nicht streng dokumentarisch, sondern erlaubt sich auch fiktionale Elemente und Dramatisierungen. Laika gehört also einem Genre an, das man in Film und Fernsehen als „Doku-Drama“ bezeichnet.

Die Hündin Laika ging als erstes Lebewesen in die Geschichte ein, das in den Weltraum befördert wurde. Dies geschah im November 1957 bei der Mission Sputnik 2, die nur wenige Wochen nach der ersten Sputnik-Mission stattfand: Der UdSSR gelang es mit Sputnik noch vor den USA, einen Satelliten ins All zu schießen, was in der westlichen Welt den sogenannten „Sputnik-Schock“ auslöste und zum jahrzehntelangen „Space Race“ zwischen den USA und der Sowjetunion führte. Jene erbitterte Konkurrenz vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ist in dem Comic deutlich präsent, allerdings nur im Hintergrund. Die Story konzentriert sich auf die Mission Sputnik 2 und auf ihre tierische Pilotin, deren Leben von der Geburt bis zum Tod im Orbit nacherzählt wird.

Laika hieß eigentlich Kudrjawka, wurde als streunende Hündin in Moskau eingefangen und der sowjetischen Luftwaffe als Testhund übergeben. Die genaue Herkunft der Hündin ist zwar unbekannt, Nick Abadzis ersinnt jedoch eine fiktive Herkunftsgeschichte: Wir sehen, wie sie zur Welt kommt, wie sie als Welpe einem Jungen geschenkt wird, der gar kein Interesse an einem Haustier hat und sie entsprechend behandelt, wie sie von dem Jungen in den Fluss geworfen wird, sich als Streunerin durchschlägt und schließlich Opfer des Hundefängers wird. All das ist nicht belegt, dient aber dazu, dass der Leser eine empathische Bindung zu der tierischen Hauptfigur aufbaut.

Das Medium Comic böte theoretisch die Möglichkeit, die Hündin Laika als Erzählerin auftreten zu lassen oder ihr die Fähigkeit zu sprechen zu verleihen. Dies würde aber wiederum den dokumentarischen Ansatz zerstören, weshalb Nick Abadzis glücklicherweise darauf verzichtet. Stattdessen wählt er mehrere Protagonisten, aus deren unterschiedlichen Blickwinkeln er die Geschichte erzählt: Die beiden wichtigsten sind Sergei Koroljow, der Chefingenieur und Leiter der sowjetischen Weltraumforschungsprojekte, und die fiktive Figur der Jelena Dubrowskaja, die als Hundetrainerin die Hunde am Moskauer Institut für Flugmedizin betreut.

Sowohl diesen beiden als auch einigen Nebenfiguren wird viel charakterliche und emotionale Tiefe verliehen, so dass Laika mehr ist als nur die Wiedergabe eines historischen Geschehens. Abadzis macht klar, dass die Beteiligten der Sputnik-Missionen unter großem Druck standen und ihre Arbeit vor allem als Erfüllung einer patriotischen Pflicht verstanden. Vor allem bei der Hundetrainerin Jelena wird das große Dilemma deutlich, in dem sie steckt: Sie will gute Arbeit leisten und den Erwartungen ihrer Vorgesetzten gerecht werden, es geht ihr aber auch um das Wohl ihrer Tiere. Doch die Supermacht im Hintergrund sitzt am längeren Hebel. Letztlich gibt es für sie keinen Weg zu verhindern, dass Laika in eine Raumkapsel gesteckt und damit in den sicheren Tod geschickt wird. Denn eine heile Rückkehr zur Erde war für das Tier nie vorgesehen.

Das zentrale Motiv, das sich durch den Comic zieht, ist das Gefühl von Mitleid mit den als Versuchsobjekt missbrauchten Tieren. Abadzis bezieht klar Position und beendet sein Werk mit einem Zitat des Wissenschaftlers Oleg Gasenko, der Jelenas direkter Vorgesetzter war: „Wir haben zu wenig aus dieser Mission gelernt, um den Tod des Hundes zu rechtfertigen.“ Mit diesem moralischen, tierschützerischen Ansatz bewegt sich der Comic auf einem schmalen Grat, denn allzu leicht könnte die Geschichte sentimental, gefühlsduselig oder gar kitschig werden. Abadzis schrammt hier manchmal haarscharf an der Grenze entlang, etwa wenn er den Hund in Traumsequenzen in Richtung Mond fliegen lässt.

Dass Laika aber nie zu sehr in sentimentale Gefilde abdriftet, verdankt sich einerseits dem dokumentarischen Stil, der immer die Oberhand über die fiktionalen Elemente behält, zum anderen den Zeichnungen von Nick Abadzis. Diese sind weder süßlich-verniedlichend noch fotorealistisch – sie sind ziemlich unspektakulär, handwerklich solide und funktional. Hier geht es nicht um zeichnerische Virtuosität – die Bilder haben der Geschichte zu dienen. Die meisten Seiten sind vollgepackt mit Panels (15 bis 20 Einzelbilder auf einer Seite sind keine Seltenheit) – da ist es umso sinnvoller und wichtiger, dass die einzelnen Bilder nicht auch noch mit Details überladen sind. Das Storytelling in Laika funktioniert trotz der vielen kleinen Panels bestens. Man merkt, dass Abadzis ein alter Hase ist, der schon seit Ende der 80er Jahre Comics macht (auch wenn sein Name hierzulande bisher völlig unbekannt war).

Laika, 2008 mit dem Eisner Award als „Best Publication for Teens“ ausgezeichnet, ist eine interessante Lektüre, die dem Leser ein wichtiges Kapitel in der Geschichte der Raumfahrt und des Kalten Krieges nahebringt. Gelegentlich wirkt der Comic etwas zu didaktisch, zu sehr auf Schullektüre getrimmt. Aber alles in allem gelingt Nick Abadzis ein sehr gutes Beispiel dafür, dass Comics auch bestens dazu geeignet sind, das Feld zwischen Dokumentation und Drama zu besetzen.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Doku-Drama über ein spannendes Stück Zeitgeschichte, das die Balance zwischen Fakten und Gefühl zu halten versteht


Laika
Atrium Verlag, März 2011
Text und Zeichnungen: Nick Abadzis
208 Seiten, farbig, Softcover mit Klappenbroschur
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-85535-002-5 
Leseprobe

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Abbildungen: ©  Nick Abadzis, der dt. Ausgabe: Atrium Verlag