Der Knesebeck Verlag hat sich in seinem Comicprogramm auf Literaturadaptionen konzentriert und bietet nach Die Verwandlung mit In der Strafkolonie eine weitere Bearbeitung einer Kafka-Geschichte als Graphic Novel an.
Ein Reisender besucht eine Strafkolonie und bekommt von einem Offizier eine Hinrichtungsmaschine präsentiert, die mit spitzen Nadeln das Urteil in den Körper des Verurteilten hineinschreibt, der letztendlich daran sterben wird. Die Bewunderung des Offiziers seinem verstorbenen Kommandanten und Erfinder der Maschine gegenüber befremdet den Reisenden immer stärker, während der Offizier das praktizierte Justizsystem anpreist.
In der Strafkolonie ist eine strenge Adaption der Novelle von Franz Kafka. Da sie sich sehr eng an die Vorlage hält, deutet sie nicht oder will ihr keine neuen Aspekte abgewinnen, was beispielsweise durch Einsatz von Off-Kommentaren möglich wäre. Indem Szenarist Ricard und Zeichner Mael komplett auf einen solchen verzichten, zeigen sie nicht nur ihre gestalterische Meisterschaft, da allein die Bilder, der Dialog und die Mimik der Protagonisten für sich sprechen, sondern setzen eben auch keinen irgendwie gearteten erzählerischen Schwerpunkt. Sie machen es sich aber auch nicht einfach und verzichten darauf, Kafkas Erzähltext direkt zu übernehmen, wie es ansonsten oft bei Lieraturadaptionen der Fall ist. Stattdessen gehen sie einen schwereren Weg und legen den Fokus auf die Bilder. Nur der Dialog ist Kafka entnommen, alle Beschreibungen und emotionalen Zustände sind dagegen allein in den Bildern zu finden.
Ricard und Mael halten sich zwar an Kafkas bedrückende und grausame Novelle, die erschreckend hellsichtig war (geschrieben wurde sie 1914) und das maschinelle Töten der zwei Weltkriege vorwegnahm, aber irgendetwas Neues gewinnen sie daraus nicht. Gerade eine Versetzung in die Zeit der Weltkriege oder in die Gegenwart mit Phänomenen wie Abu Ghraib hätte dem Stoff seine Zeitlosigkeit wiedergegeben und aufgezeigt, wie aktuell das Geschilderte noch ist. Dennoch wird deutlich, dass bereits eine Anklage in gewissem Sinne eine Verurteilung darstellt. Denn allein eine Anklage impliziert eine mögliche Schuld und demnach ein gesellschaftliches Stigma. Schließlich wird dem vermeintlich Schuldigen die Möglichkeit zur Tat und eine gewisse psychische Disposition dazu unterstellt. In der Geschichte erfährt der Verurteilte sein Urteil erst bei der Bestrafung, womit beide Aspekte untrennbar ineinander fallen. Doch Kafkas Stoff ist vielschichtig genug, dass jeder Leser andere inhaltliche Schwerpunkte setzen kann, wie etwa der fatale Gehorsam des Offiziers.
Die Zeichnungen der Gesichter sind schon fast expressionistisch und man hat das Gefühl, dass sie manches Mal in Linien zerfallen könnten. Doch Mael gelingt es hervorragend, Emotionen rein durch seine Zeichnungen auszudrücken. Ist aber eine Adaption, die lediglich nacherzählt und keine Wertung, keine Sichtung, keine Aktualisierung und Gewichtung vornimmt, wirklich nötig? Könnte man da nicht einfach erneut die Novelle lesen?
Wertung:
Strenge Adaption, die keine Fokussierung vornimmt, sondern nur bildlich nacherzählt: zwar gekonnt, aber nicht unbedingt nötig.
In der Strafkolonie
Knesebeck Verlag, Januar 2012
Text: Sylvain Ricard
Zeichnungen: Mael
Übersetzung: Anja Kootz
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 19,95 Euro
ISBN: 978-3-86873-459-1
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Knesebeck