Rezensionen

Hurengeschichten #1

altEin Comic, zwei Besprechungen. Sowohl Ben als auch Thomas haben sich die „Hurengeschichten“ angesehen. Und beide waren überrascht.

Thomas‘ Rezension:
Bei der ersten Ankündigung dieses Projektes habe ich Schlimmes befürchtet. Das Rotlichtmilieu als Schauplatz eines Softpornocomics oder billiger Altherrenwitze („Kommt’n Mann in’n Puff…“)? Doch die „Hurengeschichten“ sind angenehmerweise ganz anders: beruhend auf Erfahrungsberichten von Prostituierten schrieb Rochus „Robi“ Hahn realistische Kurzgeschichten, die sich zwischen Tragik und Komik bewegen. Erzählt werden die fünf Episoden aus dem  Blickwinkel der Frauen. Dabei geht es nicht darum, beim Leser Mitleid über deren Lebenssituation zu erwecken. Wenn hier Mitleid auftaucht, dann eher mit den Freiern, über die hier berichtet wird – die meisten sind ziemlich bedauernswerte Würstchen.

Den besonderen Reiz des Heftes machen aber letztlich die Zeichnungen aus. Jede Geschichte wird von einem anderen Künstler in dessen persönlichem Stil umgesetzt und bekommt so ihre ganz eigene Atmosphäre. Mich faszinierten vor allem die weniger realistischen, sehr individuellen Bilder von Christian Partl und Regina Hapel sowie der hübsche klare Strich von Tobi Dahmen, der ein bisschen an Steve Rolston oder Philip Bond erinnert.

Hahn und seine Mitstreiter schaffen hiermit den Drahtseilakt, der beim Thema Sexualität immer besteht: die „Hurengeschichten“ sind weder betulich-prüde-moralisch noch reißerisch-pornographisch. Wer keine Angst vor nackten Körpern hat, findet hier eine Sammlung skurriler Szenen aus dem wahren Leben, präsentiert in einer außergewöhnlichen grafischen Vielfalt.
überraschend, originell, abwechslungsreich

Bens Rezension:
Wer diese neu gestartete Heftserie vom Schwarzen Turm anhand des eindeutig wirkenden Titels in die ähnliche Porno-Schmuddelecke des Verlages (Alraune, Arsinöe) stellen will, der wird beim Lesen überrascht sein.

Klar gibt es nackte Haut zu sehen, klar geht es um Geschichten von Prostituierten, und deren Beruf ist nun mal Sex und alles was damit zu tun hat. Aber ähnlich wie beim Comic-Klassiker „Horst“ übertreibt man es mit der expliziten Darstellung nicht, sondern gibt auch dieser Reihe eine eigene Identität und geht mit einem ganz anderen Hintergedanken an die Sache ran.

Hurengeschichten, das sind Kurzstories, grafisch umgesetzt von einigen sehr guten und unterschiedlichen Künstlern (Robert Drude, Tobias Dahmen, Regina Hapel u.a.), die aus Interviews entstanden, die Autor Rochus „Rob“ Hahn mit betroffenen Prostituierten geführt hat. Diese realen „Protokolle aus dem Milieu“ schneidert Robi gekonnt auf den jeweiligen Stil des Zeichners bzw. der Zeichnerin zu. Mal wirken die Episoden traurig, mal lustig oder auch mal so bizarr, dass man fast versucht ist, den Glauben an die Wahrhaftigkeit so mancher Szenerie zu verlieren. Auf jeden Fall scheint dem Verlag wichtig zu sein, dass man den Respekt vor den betroffen Frauen und vor deren Anonymität nicht verliert oder der Comic gar billig wirkt.

Apropos billig. Leider ist das diese Erstausgabe von „Hurengeschichten“ mit 7,50€ preislich nicht unbedingt, außerdem ist die Serie ab 16 Jahren empfohlen, was den Käuferkreis zwangsläufig auch einschnüren könnte. Trotzdem bin ich insgesamt erstaunt gewesen, am Konzept interessiert und von der Gesamtqualität (Aufmachung + Inhalt) mehr als überzeugt. Ich hoffe, man wird noch einige Ausgaben davon zu sehen bekommen.
interessantes Projekt

Hurengeschichten 1
Schwarzer Turm
Autor: Rochus Hahn
Zeichner:
Renke Karow, Andi Drude, Tobi Dahmen, Clemens Kügler, Christian Partl
40 Seiten; 7,50€