Nach einem gelungenen Einstand mit dem Zweiteiler Touna Mara legt der noch junge All Verlag nun den Auftaktband seiner zweiten Serie vor. Himmel in Trümmern macht zunächst den Eindruck eines typischen Fliegercomics, wie man ihn etwa von den Klassikern Buck Danny oder Tanguy und Laverdure kennt. Und doch ist diese Reihe in mancherlei Hinsicht anders: Zum einen kommen genrefremde Elemente zum Einsatz, zum anderen sind die Helden am Anfang recht dubios.
Kann es gut gehen, dass der Held ein Pilot der deutschen Luftwaffe während des Zweiten Weltkrieges ist? Droht da nicht die Gefahr, dass der ganze Band in eine gefährliche politische Richtung driftet? Kann man das vermeiden, allein dadurch, dass die Autoren Franzosen sind und nicht schon per se des Revisionismus verdächtigt werden können, wie es schnell der Fall gewesen wäre, wenn es sich um deutsche Autoren handelte?
Zum Glück ist eine Verherrlichung des „Dritten Reichs“ hier nicht zu finden. Denn der jugendliche Held Nikolaus Wedekind, ein Pilot der Luftwaffe, ist der Bruder eines Offiziers, der nach dem Scheitern des versuchten Hitler-Attentats von Stauffenberg Selbstmord begangen hat, folglich dem Widerstand angehörte. Auch gehört der Pilot zum Freundeskreis von Sophie Scholl und ihrer Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“. Dass er bei seinem ersten wesentlichen Einsatz sofort an Fahnenflucht denkt, macht ihn zwar nicht zu einem aktiven Widerstandskämpfer, positioniert ihn aber als kritischen Geist, der dem Nazi-Regime zumindest skeptisch gegenübersteht.
1945 liegt das „Deutsche Reich“ in den letzten Zügen. Nikolaus Wedekind soll an dem neuen Düsenjäger ME 262 zum Piloten ausgebildet werden. Doch schon der erste Flug droht zu einer Katastrophe zu werden. Zudem plagen den jungen Offizier starke Gewissensnöte, was mit dem politischen Widerstand seines Bruders und seiner Freundin Sophie Scholl zu tun hat.
Die Story verzichtet im Gegensatz zu anderen Fliegerserien auf die Anhäufung vieler technischer Einzelheiten, die nur Fans des Genres ansprechen würde. Eine Szene gerät dann allerdings doch zu einer Vorlesung über die technischen Aspekte der ME 262 – nicht nur für den Protagonisten, sondern auch für den Leser. Das hätte Autor Philippe Pinard etwas eleganter lösen können.
Der Plot ist bislang recht übersichtlich, ein direkter Handlungsablauf ist noch nicht abzusehen, aber als Einstiegsband ist „Über den Wolken“ dennoch gelungen. Die Hauptfigur wird gut eingeführt und Pinard spinnt einige Fäden, die sich noch entwickeln müssen und auf die man gespannt ist. Dafür sorgt nicht zuletzt ein sprechender Hund – so eine metaphysische Figur ist in diesem von Technik dominierten Genre der Fliegercomics zuerst überraschend, dann befremdlich und schlussendlich neugierig machend. Der Hund trägt nicht umsonst den Namen Fisto, was ein geradezu genialer Einfall ist. Nicht nur ist das ein glaubwürdiger Hundename, sondern eine schöne Verbindung von Mephisto und Faust. Der Comic verweist mehrfach auf Faust, zum Beispiel bei einer Theateraufführung mit dem legendären Gustav Gründgens, oder auch dadurch, dass Nikolaus und zuvor schon sein Bruder einen faustischen Pakt mit diesem dämonischen Vierbeiner eingehen. Wozu und warum und was hat dieser Hund (respektive der Teufel) vor? Keine Ahnung, das wird sich frühestens im zweiten von insgesamt fünf Bänden zeigen.
Um dem Revisionismusverdacht entgegenzutreten, wird noch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sogar der Teufel seine liebe Not mit den Nazis hat. Selbst ihm sind sie zu fanatisch und böse, als dass er sie lenken könne – zugegeben eine etwas platte Distanzierung, aber doch eine schöne Idee. Graphisch reiht sich der Band ganz klassisch ein: Olivier Dauger setzt auf die Ligne Claire und nutzt sie souverän, wobei vor allem die Perspektivenauswahl (etwa bei den Badewannenszenen) besonders erwähnenswert ist.
Wertung:
Klassischer Fliegercomic in gefährlichen historischen Fahrwassern, die er mit paranormalen Elementen erfolgreich umschifft.
Himmel in Trümmern 1 – Über den Wolken
All Verlag, September 2012
Text: Philippe Pinard
Zeichnungen: Olivier Dauger
Übersetzung: Dr. Marcus Schweizer
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,80 Euro
ISBN: 978-3-926970-12-1
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: All Verlag