Rezensionen

Herr der Affen 1

Cover Herr der Affen 1Bei dem Titel „Herr der Affen“ und dem Cover denkt man natürlich an Tarzan und wundert sich zunächst, das der Dschungelheld nun bei Splitter herauskommt, da sich der Verlag hauptsächlich auf franko-belgische Serien konzentriert und Tarzan unter amerikanischem Copyright steht. Doch die Überschrift bezeichnet nicht den bekannten Lord Greystoke, der als Kind von Affen aufgezogen worden ist, sondern einen gewissen John Arthur Livingstone und bezieht sich damit explizit auf einen der berühmtesten Afrikaforscher der Kolonialgeschichte.

Nun ist der potentielle Leser zu Recht etwas verwirrt. Ist die nun eine Tarzan-Geschichte oder nicht? Ja und Nein. Ja, die Bezüge zu dem bekannten Helden sind überdeutlich und nein, Tarzan an sich tritt nicht auf, wobei wohl auch Copyrightgründe dies verhindert haben. Ansonsten sind thematische Ähnlichkeiten unübersehbar: Ein Junge wird auf Sumatra (nicht in Afrika) von Affen groß gezogen (diesmal von Orang-Utans), von weißen Seefahrern entdeckt und nach Afrika gebracht, wo der junge Arthur trotz erzieherischen Bemühungen zusehends in alte Verhaltensmuster zurückfällt, bis er letztlich in das viktorianische London verfrachtet wird, wo er von seinen Erlebnissen berichtet, während die Straßen von Jack the Ripper unsicher gemacht werden.

Wenn man nun die Geschichte liest, wird deutlich, dass Autor Philippe Bonifay sich zwar an Tarzan orientiert, die konkrete Figur aber bewusst nicht nutzen wollte, da sie schon zu präsent im öffentlichen Geiste und gar zum Mythos geworden ist. Das verstellt bisweilen den Blick auf etwas Neues. Bonifay will sich von diesem Mythos lösen, aber konzentriert sich wie bei Tarzan auf das zentrale Thema der Zivilisation.

Seite aus Herr der Affen 1Dieser Comic erzählt keine Dschungelabenteuer, sondern der Großteil der Handlung spielt im viktorianischen London, was zudem eine schöne historische Verbindung herstellt. Denn diese Epoche war zum einen durch eine sehr restriktive, konservative und traditionsbewusste Gesellschaftshaltung geprägt, aber gleichzeitig sehr zukunftsorientiert und der Technik und paradoxerweise auch dem Spiritismus zugeneigt. Was der ganzen Epoche eine ungeheure Dynamik verlieh. Dracula von Bram Stoker und vor allem auch Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson brachten diese Zerrissenheit auf den Punkt. Und der reale Mörder Jack the Ripper machte erst durch seine Taten auf das Elend in der Stadt aufmerksam und brachte einiges ans Licht, was gerne ignoriert worden war. Infolge der Verbrechen wurde etwa das Polizeisystem reformiert und die Lebensumstände in der Stadt gebessert.

Und so untersucht Bonifay hier das animalische Treiben im Menschen und die menschlichen Triebe, welche von restriktiven moralischen Regeln unterdrückt werden. Livingstone wirkt animalisch anziehend auf andere und kann selbst seine Impulsivität kaum unterdrücken. Die erste Seite ist dafür ein wunderschönes Beispiel, wenn die Stadtansicht mit Dschungelmotiven verschmolzen wird, denn London ist nur eine andere Art von Dschungel. Dr. Jekyll wird im Übrigen deutlich zitiert und Jack the Ripper hat ebenso wie Tarzan, Verzeihung: Livingstone, seine Zivilisationsschicht abgelegt.

So ist alles durch äußere Schichten überdeckt, aber zum richtigen Kern dringt man in diesem ersten Band noch nicht vor. Noch hapert es ein bisschen an einer richtigen, stringenten Dramaturgie, weil zunächst Hintergründe und Figuren eingeführt werden. So plätschert die Story bisweilen etwas vor sich hin, anstatt den Leser mitzureißen. Doch nicht nur der Subtext ist so interessant, das man weiterlesen möchte, man kann auch gespannt sein, wie sich das inhaltlich alles zusammenfügen wird.

 

Wertung: 8 von 10 Punkten

Unterhaltsames Spiel mit dem Tarzan-Mythos, das die Schichten der Zivilisation untersucht.

 

 

Herr der Affen 1
Splitter Verlag, April 2014
Text: Philippe Bonifay
Zeichnungen: Fabrice Meddour
Übersetzung: Swantje Baumgart
56 Seiten, farbig, Hardcover
ISBN: 978-3-86869-662-2
Euro: 14,80
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Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag