Mit jedem weiteren neu erscheinendem Comic aus der „ignatz“-Reihe wird deutlich, was für ein herber Verlust es für die deutsche Comicszene ist, dass der avant-Verlag diese Reihe nach nur neun erschienenen Bänden einstellen musste. Zum Glück leben wir in einer globalen Welt und können auf den amerikanischen Markt zurückgreifen, wo letzten Monat Kevin Huizengas Ganges #2 bei Fantagraphics erschienen ist. Dieser zweite Band steht ganz im Zeichen von virtuellen Computerspielwelten.
Auf den ersten elf Seiten führt Huizenga seine Leser in ein etwas grotesk wirkendes Computerspiel ein, das wie eine skurrile Verbindung aus Lewis Trondheims Monsieur I und Videospielen wie Beautiful Katamari wirkt. Obwohl sich die dargestellte Handlung auf einen zweidimensionalen Kampf zwischen zwei knuddeligen Monster-Avataren beschränkt, zelebriert Huizenga die Freude, die man an solchen simplen Spielen haben kann. Über die ersten zwei Seiten hinweg folgt man einem an ein Pokemon erinnerndes Wesen, das über eine menschenleere Ebene läuft, nur um nach einigen panels auf ein ähnliches Geschöpf zu treffen.
Zwischen den beiden entbrennt ein Kampf. Huizenga ergänzt dieses simple Setting durch die obligatorische Lebensanzeige am unteren Bildrand und lässt anschließend seine Kreationen aufeinander losgehen. Doch das Gefecht wird nicht durch Brutalität, sondern durch ein Freudenfest für Metamorphosenfreunde entschieden. Auf den folgenden zehn Seiten liefern sich die Wesen eine erbitterte Schlacht der Verwandlungen, die sogar den Bildaufbau des Comics bestimmen; Arme verdoppeln sich, Beine lösen sich vom Körper, ein Eigenleben beginnend, nur um sich nach ein paar Panels wieder zum Wesen hinzuzufügen. Der Leser wird erst entlassen, als nach einer Vielzahl von Verwandlungen einer der beiden Protagonisten zu Boden fällt. Huizenga schafft auf diese simple Art und Weise ein großartiges Plädoyer für die Freude am Verwandeln, an den Modifikationen, die auch unsere heutige Videospielwelt beherrschen, in der man wie z.B. in Flower gleich eine ganze Blumenwiese spielen kann. Diese Art der Narration steht ganz im Gegensatz zu der folgenden Geschichte „pulverize“.
Von diesen abstrakten Darstellungen noch leicht verzaubert, gelangt man zu Glenn Ganges, Huizengas viel verwendetem Protagonisten, der immer wieder in verschiedene Rollen schlüpft, dabei aber den Anschein einer continuity erzeugt, die auch ihn als Spieler des oben beschrieben Videospiels ausweist. Doch nutzt Huizenga in dieser Episode eine ganz klassische Comic-Narration. Mittels einfacher Panel–Strukturen erzählt Huizenga die Geschichte von Glenns Job bei Requestra.com, einer kleinen Online-Start-up-Firma. Sehr einfühlsam führt Huizenga in der dritten Person mittels Captions die Abendbeschäftigung der Angestellten von Requestra.com ein: pulverize. Das Computerspiel basiert auf den bekannten und als Killerspielen verrufenen Titeln wie Counterstrike oder auch Doom. Obwohl sein Protagonist sich schnell in die Welt von pulverize einreiht, bleibt der Erzähler auf Distanz und bietet ein neutrales Bild, das sowohl die Freude am Computerspielen zelebriert als auch auf die Risiken des Realitätsverlusts hinweist.
Im Gegensatz zu Video- und Computerspieladaptionen wie der Halo Graphic Novel bemüht sich Huizenga erst gar nicht um eine versionsgetreue Abbildung des Spiels. Immer wieder springt die Erzählung von Sequenzen aus pulverize in Glenns Realität und wieder zurück ins Computerspiel, was zu einer Vermischung aus den beiden führt. Mit dem ihm ganz eigenen Charme demaskiert Huizenga dabei die scheinbare Endlosigkeit der Computerwelt als Pixelwelt, welche die Spieler nach ein paar Sekunden an anderer Stelle wieder ausspuckt. Auch wird mit viel Liebe fürs Detail die Benutzung von Pseudonymen beschrieben, die eben nicht als Identitätsverlust gedeutet wird: So trifft Glenns Figur auf dem virtuellen Dach eines virtuellen Schlosses auf Monica Lewinsky, die mit einer Panzerfaust auf ihn feuert. Bei jedem tödlichen Treffer arbeitet Huizenga kleine schwarze Totenköpfe ein, um das virtuelle Ableben der Figur darzustellen. Durch diese Symbolhaftigkeit nimmt Huizenga den Killerspielen das „Killer“-Präfix und lässt sie als bloße „Spiele“ stehen, denen man verfallen kann oder auch nicht. So verbringt Glenn seine Abende mit seinen Arbeitskollegen nach Feierabend in der Firma und frönt seiner Obsession.
Wie im wirklichen Leben scheint neben pulverize die eigentliche Handlung der Geschichte in den Hintergrund zu treten. Doch gerade diese zeigt Huizengas Liebe zum Detail, denn während Glenns Firma zu Beginn expandiert, obwohl keiner eigentlich weiß, was dort gearbeitet wird, zeigt sich das Ende des IT-Booms schneller als gedacht. Ergänzt wird der Abgesang auf eine vergangene Zeit im Comic durch die Figur des Steve Stane. Glenns Boss erinnert nicht nur wegen seiner Badelatschen und seinem legeren Kleidungsstil an seinem Namensvetter Steve Jobs, sondern auch durch seine Dialoge mit den Angestellten. So wird aus jedem „Steve chat“ nach nur zwei Sätzen ein Wust von „blablablas“ und „etcs.“. Huizenga schafft es auch hier den eigentlichen Grund für den Zusammenhalt der Belegschaft zu zeigen: das gemeinsame Computerspielen, die verspielte Freude des eigentlichen Firmengründers.
Mit Ganges #2 sagt sich Kevin Huizenga von langweiligen Computer- und Videospieladaptionen los und erschafft so eine wirkliche Basis, auf der man sich diesen Spielen nähern kann. Der Comic lohnt sich also nicht nur als „Ego-Shooter for Dummies“, sondern auch als ganz persönliche Hommage an eine Zeit, in der man noch ganz ungezwungen Computerspiele spielen konnte.
Ganges 2
Fantagraphics and Coconino Press, März 2008
Szenario und Zeichnungen: Kevin Huizenga
Softcover; blaugrau-weiß; 32 Seiten; 7,95 US-Dollar
ISBN 13: 978-1-56097-942-5
Huizengas Blog: The Balloonist
Bildquelle: fantagraphics.com, usscatastrophe.com