Mit Fables bringt Panini die erste neue VERTIGO-Serie heraus, seitdem sie die exklusiven Lizenzrechte für Deutschland des Unterverlags von DC besitzen.
Diese Wahl kommt nicht von ungefähr – Fables ist eine der meistgelobten US-Serien der letzten Jahre und mit fünf Eisner-Awards gesegnet.
Christopher und Frauke unterhalten sich über den 1. Band, „Legenden im Exil“.
Dem Titel kann man es schon entnehmen: Märchenfiguren spielen die Hauptrolle. Allerdings werden keine alten Kamellen nacherzählt, sondern von den Sorgen und Nöten von allseits bekannten Figuren wie Schneeweißchen und Rosenrot oder dem bösen Wolf im heutigen New York berichtet. Dorthin mussten sie nämlich fliehen, als ihre Welt von einer bösen Macht nach und nach zerstört wurde. Durch eine Generalamnestie starten alle am Punkt Null. Alte Feindschaften werden ignoriert, jetzt geht es nur noch um das Überleben.
So stellt der böse Wolf (“Bigby“) den Ordnungshüter der Gemeinschaft, während Schneeweißchen (auf Englisch und damit im Comic „Snow White“) die 2. Bürgermeisterin ist und den Laden schmeißt. Die toughe Dame hat sich schon vor langem von ihrem Prince Charming scheiden lassen und greift auch sonst knallhart durch. Nun aber ist ihre Schwester Rosenrot (“Rose Red“) verschwunden, und es sieht alles nach Mord aus. Zusammen mit dem Wolf in Menschengestalt macht sie sich auf, um ihre Schwester wiederzufinden. Eine klassische Suche nach dem potenziellen Mörder beginnt …
Frauke: Die Idee der Serie, Märchenfiguren ins heutige New York zu holen, hörte sich für mich erstmal ziemlich schwachsinnig und schwierig umzusetzen an. Erstaunlicherweise gewöhnt man sicher aber schnell an den Gedanken und es funktioniert beim Lesen ganz gut. Das mag auch daran liegen, dass nur menschlich aussehende Figuren in die Stadt ziehen durften, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Alle anders Aussehenden müssen auf einer Farm außerhalb von New York ihr Leben fristen. Auf diesen Aspekt wird, zumindest hier im ersten Band, nur kurz eingegangen, aber die Farmbewohner scheinen nicht unglücklich zu sein. Eigentlich sehe ich dort aber ein viel größeres Konfliktpotential, denn so viel Gegensätze auf einer einzigen Farm, das kann doch nicht gut gehen. Im Comic wird nicht explizit deutlich, warum genau die anderen in die Großstadt gezogen sind, wenn sie doch unbemerkt bleiben wollen. Aber eine interessante These wäre: man fällt in einer anonymen Stadt wie New York unter lauter Menschen weniger auf, als wenn alle auf der Farm leben würden. Könnte an meiner Idee was dran sein – hat Bill Willingham hier einen sozialkritischen Aspekt verpackt?
Christopher: Ich würde nicht so weit gehen und Willingham Sozialkritik unterstellen. Dafür fühlt sich Fables für mich zu sehr nach Mainstream an. Klar, ich habe auch als erstes an Animal Farm gedacht, aber ich glaube, das ist hier falsch. Die Grundidee – Märchenfiguren in New York – hat mir von Anfang an ganz gut gefallen. Gehört für mich in die inzwischen doch recht populäre Schublade Urban Fantasy. Halt ein Mix aus Magie und großstädtischem Alltag, in diesem Fall eben: Grimms Märchen in New York. Nicht umsonst ziehen die Herausgeber ja wohl auf dem Cover Sandman heran, um einen Kontext herzustellen. Die Bücher der Magie oder Courtney Crumrin gehören für mich auch irgendwie in diese Sparte. Allerdings fällt für mich das Ergebnis ein bisschen schwach aus. Aber bevor ich mich hier überschlage: Wie hat Dir denn die Handlung gefallen?
Frauke: Hm, vielleicht interpretiere ich da tatsächlich zu viel herein. Aber ich suche nach einer Antwort, was die in der Stadt wollen, während die komischen Gestalten draußen auf der Farm ihre Ruhe, zumindest vor den Menschen, haben. So richtig glücklich wirken sie in New York nämlich nicht.
Die Handlung hat mich größtenteils irgendwie … kalt gelassen. Das Einzige, bei dem ich dachte „na endlich geht's los“, war die Stelle, an der sich Bigby in seine ursprüngliche Wolfsform verwandelt. Das Suchspiel nach dem Täter fand ich etwas ermüdend und die Ermittlungsmethoden mindestens mal fragwürdig. Zum Beispiel an der Stelle, an der im Appartment unter Rose Reds Wohnung mittels Blutkonserven genau der Tatort mitsamt den verspritzten Blutmengen nachgestellt wurde, um zu ermitteln, ob die verschwundene Frau noch genug Blut im Körper hatte, um überleben zu können. Da stellen sich bei mir die Nackenhaare auf, das ist doch wissenschaftlich total schwachsinnig. Und dann kann mich so etwas auch nicht in einer fiktiven Geschichte über Märchenfiguren überzeugen.
Dazu kommt, dass mir die Personen immer fern bleiben. Man erfährt nichts Wesentliches über sie, baut dadurch weder Sympathie noch Abneigung auf. Und das ist immer Gift für eine Erzählung.
Christopher: Jepp, ging mir fast genauso. Die Figuren sind irgendwie unnahbar. Ich finde die Geschichte gut gebaut, aber irgendwie fehlte mir ein Kick, ein Punkt, an dem ich neugierig wurde und aufhorchte. Gerade weil Fables groß als die erste deutsche VERTIGO-Neuheit (nach Tilsner) angekündigt wurde, war ich dann beim Lesen etwas enttäuscht. Ein großer Wurf war das nicht, eher solides Mittelmaß. Die Idee, das Appartment mit Blut nachzustellen, fand ich ganz witzig. Es gäbe sicherlich einfachere Methoden, klar. Aber Du kannst Dich nicht ernsthaft darüber beschweren, dass man in einem Fantasy-Comic etwas „total Unwissenschaftliches“ liest, oder? Was diese Farm-Großstadt-Aufteilung angeht, habe ich das so verstanden: Einige Fabelwesen haben die Fähigkeit, sich eine menschliche Gestalt zu geben, andere nicht. Wer sich nicht verwandeln kann, muss draußen bleiben, der Unauffälligkeit wegen. Dass der Rest sich lieber ein schönes Leben in New York macht anstatt auf dem Land, kann ich gut nachvollziehen. Bars, Kino, Theater, noch mehr Bars…
Was sagst Du zu den Zeichnungen?
Frauke: Ei ja, natürlich kann ich mich darüber beschweren! 😉 Wenn's gut geschrieben ist, dann nehme ich einem Autor einen mit Elektronikgeräten kommunizierenden Bürgermeister (Brian K. Vaughans Ex Machina) eher ab als diese Blutabmessmethode hier.
Die Zeichnungen sind solide, aber auch hier wieder nichts, was mir im Gedächtnis bleibt. Sympathisch sind die Märchenzugeständnisse wie hier und da ein Kringelchen am Panel, was sich aber ziemlich in Grenzen hält. Zusammen mit den plakativen Farben kommen die Zeichnungen ein wenig altmodisch rüber. Sowieso sind die Farben von Sherilyn van Valkenburgh nicht mein Fall. Sehr wenig Schattierung, viele gedeckte Töne (Braun, Grau, Grün), dafür dann die Rückblendung umso knalliger in Pink. Pui …
Christopher: *gähn* Altmodisch, ja. Ich sehe da eigentlich nur langweilige Puppengesichter. Schade. Hätte ein großer Wurf sein können. So aber ist die erste Ausgabe von Fables für mich höchstens Durchschnitt. Die Cover der Einzelbände, die hier mit abgedruckt wurden, sind geil, aber sonst … Wahrscheinlich legt die Serie in den späteren Ausgaben noch einen Zahn zu. Die Eisner-Awards sind ja wohl auch nicht für die ersten Bände rausgegangen. Irgendwoher muss die Lobhudelei ja kommen.
Frauke: Wobei die Farben und die Zeichnungen vielleicht Leute mit anderem Geschmack Freudenschreie ausstoßen lassen …
Kommen wir doch zum Schluss noch zu der Übersetzung. Vom Grunde her gefällt sie mir sehr gut, weil sie nicht auffällt als Übersetzung. Ich nehme mal an, Gerlinde Althoff hat lange überlegt, ob sie die deutschen oder die englischen Namen der Märchenfiguren nimmt. Sie hat sich für die englische Variante entschieden, die, gut mitgedacht, auf der letzten Seite des Comics kurz erklärt werden.
Was hältst Du von ihrer Wahl?
Christopher: Beim Lesen ging der deutsche Text glatt durch. So sollte es sein. Ist schließlich nicht unwichtig bei einem Plot, der sich auf das Erzählen einer Geschichte konzentriert (und nicht auf das Aneinanderreihen von Action-Szenen mit bloß „Bam“ und „Pow“). Die englischen Namen gefielen mir auch, insbesondere Bigby Wolf alias Big B(ad) Wolf fand ich super. Und die kurze Aufschlüsselung am Ende hilft, auch die hierzulande weniger bekannten Märchenfiguren einzuordnen. Ich jedenfalls hätte mit Bluebeard und King Cole Probleme gehabt.
Frauke: Bei einigen Figuren kann ich es verstehen, bei Schneeweißchen und Rosenrot war mir aber schon etwas mulmig. Klar, „Snow“ als Vorname lässt sich eher entsetzt hinterherrufen denn „Schnee“, aber da man sie ursprünglich aus Grimms Märchensammlung kennt, wäre es doch eigentlich dem Ursprung angemessen gewesen, ihnen die deutschen Namen (wieder) zu geben.
Abschließend lässt sich wohl zusammenfassen: die Idee ist interessant, die Umsetzung dürfte aber gerne etwas flotter geraten.
Fables – Legenden im Exil
Panini, November 2006
Text: Bill Willingham
Zeichnungen: Lan Medina
144 Seiten, Softcover, farbig; 14,95 Euro
ISBN: 3866072694
Bildquelle: Comiccombo.de