Rezensionen

Elender Krieg: 1914 – 1915 – 1916

 Jacques Tardi ist vor allem für seine Kriminalgeschichten bekannt. Daneben hat er sich aber auch immer wieder historischen Themen gewidmet. Zuletzt hat er in seiner vierbändigen Arbeit über den Aufstand der Pariser Kommunarden von 1871 (Die Macht des Volkes) die Genres Detektivgeschichte und Historie in kunstvoller Art und Weise verbunden. Außerdem hat Tardi in seinen Arbeiten Soldat Verlot (zusammen mit Didier Daeninckx) und Grabenkrieg bereits Antikriegscomics vorgelegt, in denen er die Erlebnisse seines Großvaters in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs verarbeitete. Auch die auf zwei Alben angelegte Zusammenarbeit mit dem Historiker Jean-Pierre Verney stellt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg dar: Elender Krieg 1 befasst sich mit den Kriegsjahren 1914 – 1915 – 1916 und der zweite Band, der 2010 erscheinen soll, wird die Jahre 1917 – 1918 – 1919 abdecken.

Elender Krieg 1 ist in drei Abschnitte unterteilt, die den bereits angegeben drei Kriegsjahren Rechnung tragen. Anders als seine vorangegangenen Antikriegscomics ist dieser von Tardi überraschenderweise farbig gestaltet worden. Überraschend deshalb, weil der Comickünstler in der Regel schwarzweiß bevorzugt oder nur akzentuiert Farbe einsetzt. In seinem gewohnt skizzenhaften, reduktionistischem Strich präsentiert Tardi in einer einfachen, fast primitiv anmutenden Kolorierung die Erlebnisse eines einfachen französischen Soldaten. Die Bilder wirken starr, was eine gewisse Distanz zum Geschehen aufbaut. Die eingangs nationalistischen, euphorischen Jubelszenen und Aufmärsche erinnern stark an die entsprechenden Kriegsbilderbögen aus dieser Epoche, die vor allem aus der berühmten Lithografischen Anstalt in Neuruppin stammen. Die Kriegsbilder ähneln wiederum den Fotografien, die aus dem Ersten Weltkrieg erhalten sind.

 Erzählt wird die Geschichte vom Protagonisten selbst aus der Egoperspektive. In Textkästen beschreibt er den Verlauf der Kriegsjahre und seine persönlichen Erlebnisse. Tardi verzichtet vollkommen auf den Einsatz von Sprechblasen, was einen Vergleich mit den Vorgängerbildgeschichten des 19. Jahrhunderts aufwirft, die noch keine Sprechblasen verwendeten. Auch dieses Stilmittel schafft eine distanzierte Haltung gegenüber dem Dargestellten. Das kommt dem Antikriegsbuch insofern zugute als, dass das abgebildete Grauen dadurch leichter ertragen werden kann. Das Fehlen von Sprech- und Gedankenblasen verhindert eine zu starke Identifizierung mit dem Protagonisten. Dieser zunächst unbekannte Soldat entpuppt sich nach mehreren Panels als „Schlosser aus der Biscourne, aus der Rue des Panoyaux, Paris“. Dessen fehlendes Selbstbewusstsein und mangelndes Selbstvertrauen sorgen in narrativer Hinsicht für erheiternde und ironische Momente, die in einer Umgangssprache den ungeschminkten Schrecken des Krieges verdaulicher gestalten. Er skizziert schonungslos die Psyche der Soldaten, die anfangs zwischen Angst und Zuversicht taumelt, und mit dem Fortschreiten des Krieges in einer Verrohung und Entmenschlichung mündet.

Auffallend ist, dass Tardi fast ausnahmslos pro Seite drei gleichgroße, rechteckige Panels verwendet. Auch dieses Stilmittel führt zu einer starren Ästhetik, die zu einer nüchternen Betrachtung des Kriegsgeschehens führt. Nur vereinzelt bricht Tardi diese Panelanordnung zugunsten von nebeneinander stehenden, hohen Panels auf und ganz selten fügt er kleine, runde Splashpanels in die breiten Einzelbilder ein, so dass genügend Abwechslung vorhanden ist, damit nicht doch noch Langeweile entsteht. Zudem fällt auf, dass Tardi gerne Kontraste aufbaut. Auf zwei Seiten stellt er beispielsweise die Sichtweise der französischen Armee der Perspektive der deutschen Armee entgegen, die sich bis auf wenige Unterschiede fast symmetrisch gleichen. Diese Ähnlichkeit unterstreicht das Schicksal der Soldaten unabhängig von der nationalen Zugehörigkeit und zeigt darüberhinaus die Absurdität beziehungsweise den Wahnsinn von Kriegen generell.

 Abgerundet wird die schonungslose, aber durchaus in den Zwischentönen des Protagonisten auch erheiternde Darstellung der ersten drei Jahre des Ersten Weltkriegs durch einen 18-seitigen historischen Anhang von Jean-Pierre Verney. Der Historiker arbeitete bereits für das Verteidigungsministerium und an mehreren Ausstellungen zum Thema „Weltkrieg“. Der Verlag Edition Moderne wirbt damit, dass sich durch den Anhang Elender Krieg für einen Schuleinsatz eigne. Tatsächlich wird durch den Zusatz der historischen Fakten eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Thema des Comics ermöglicht. Außerdem bewirken die Fotografien im Anhang, dass die Zeichnungen von Tardi im Nachhinein – in Bezug auf ihre Authentizität – aufgewertet werden. Schließlich beinhaltet der Anhang auch noch eine West-Front-Karte, die den Frontverlauf während der Kriegsjahre veranschaulicht, und ein spezieller Ausschnitt zeigt den Verlauf der berühmten Schlacht um Verdun.

Der erste Band von Elender Krieg ist eine gelungene Auseinandersetzung mit dem Ersten Weltkrieg. Tardi passt das Medium Comic kunstvoll an die zeithistorischen Vorläufer an, was aufgrund des Inhalts Sinn ergibt. Atmosphärisch ist eine Verwandtschaft zu Erich Maria Remarques klassischem Antikriegsroman Im Westen nichts Neues (1928/29) und zur gleichnamigen Verfilmung von Lewis Milestone (1930) unverkennbar. Die direkten Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs werden gekonnt durch spitzzüngige, kritische und geistreiche Einwürfe des Ich-Erzählers aufgelockert. Tardi schafft somit den schwierigen akrobatischen Seiltanz zwischen Unterhaltung und Wissensvermittlung. Die abstrakte und komplexe Geschichte des Ersten Weltkriegs wird durch die Erlebnisse des „Schlossers“ konkretisiert. Die unvorstellbar hohe Todeszahl – 17 Millionen – wird durch einzelne Kriegssituationen sowie den Fortschritt des Krieges erfahrbar und nachvollziehbar.

Elender Krieg
Edition Moderne, Oktober 2009
Text: Jacques Tardi, Jean-Pierre Verney
Zeichnungen: Jaques Tardi
Hardcover, 72 Seiten, farbig, 19,80 Euro
ISBN: 978-3-03731-049-6

Aufklärerischer Historiencomic, der unterhaltsam zum Nachdenken anregt

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Abbildungen: © Edition Moderne