David Schraven und Vincent Burmeister nahmen ein reales Geschehen als Aufhänger für ihren Comic. Am 27. März 1980 kenterte die norwegische Bohrinsel Alexander Kielland und riss 123 der 212 Besatzungsmitglieder in den Tod. Als Unfallursache galten damals Ermüdungserscheinungen der Stützstreben, die brachen und damit eine fatale Kettenreaktion auslösten. Die beiden deutschen Comicschöpfer nehmen aber eine menschliche Ursache an und spinnen ein Garn von Einsamkeit und Verzweiflung.
Der Ich-Erzähler des Bandes ist ein Besatzungsmitglied der Bohrinsel und zuständig für den Bohrkopf. Seine Tätigkeit lässt ihn oft allein in seiner Kabine sitzen. Dementsprechend hat er unter der Besatzung so gut wie keine Freunde. Eines Tages kommt ein neuer Ingenieur auf die Alexander Kielland. Zu seiner größten Überraschung ist er weiblich. Nach einiger Zeit verlieben sich der Erzähler und die Frau und gehen eine Beziehung ein. Nach einer Weihnachtsfeier, an welcher der Erzähler nicht teilnehmen kann, kommt es zu einer verhängnisvollen Begebenheit, die tödliche Konsequenzen nach sich zieht.
Es ist schon oft reizvoll, eine reale Begebenheit zu nehmen und sie auszuschmücken. So kann man Mythen erschaffen oder mit einem realen Hintergrund spielen, gesellschaftliche Strömungen einbauen und das Geschehen als Metapher benutzen (wie es etwa vor allem mit der „Titanic“ gemacht wurde). Der Autor Schraven bezieht sich im vorliegenden Band zwar auf ein reales Geschehen und postuliert eine andere Unglücksursache, aber das allein reicht nicht aus, um eine Mythifizierung zu erreichen. Durch die Verschiebung des Fokus könnte daraus eine Liebesgeschichte und ein Drama auf einem beengten Raum entstehen, das eine klaustrophobische Stimmung zu erzeugen vermag. Aber ach, es sollte nicht sein. Vielleicht kam Schraven da sein Hintergrund als Journalist in die Quere. Vielleicht war er zu sehr auf (vermeintliche?) Fakten erpicht und ließ alle Emotionalität beiseite. Der Funke will nicht zünden, die Figuren bleiben einem fern und eine spannende Handlung kommt so nur begrenzt in Gang. Zudem ahnt man aufgrund des Titels viel zu schnell, was noch kommen wird. Die Handlung steigert sich zwar mehr und mehr, entwickelt aber keine richtige Dynamik, da kein großer Wert auf eine ausgefeilte Dramaturgie gelegt wird. Die an sich vielversprechende Story ist viel zu unterkühlt erzählt und lässt beim Leser leider keine Empathie für die Figuren und die Geschehnisse aufkommen.
Der größte Reiz des Comics besteht in seinen Zeichnungen, die in dem Querformat auch gut zur Geltung kommen. Die Beklemmung im abgeschotteten Kosmos der Bohrinsel kommt, wenn nicht schon in der Story, so doch in den Zeichnungen gut zum Ausdruck. Es ist sehr geschickt, dass Vincent Burmeister keine freien Räume zulässt. Die Panels, die im Inneren der Plattform spielen, sind auf der gesamten Seite wieder von einer Meereszeichnung eingebettet, was die Isolation, die Einsamkeit und die Unentrinnbarkeit schön verdeutlicht. Die Mimik gerade der männlichen Hauptfigur ist bisweilen zwar sehr übertrieben und plakativ, aber die Geschichte ist generell sehr gut umgesetzt. Vor allem das Meer zeichnet Burmeister sehr beeindruckend und stimmungsvoll. Leider wird die Bohrinsel allzu oft abgebildet. Man weiß doch, wo die Handlung spielt und die Totalansichten der Alexander Kielland ermüden auf Dauer etwas.
Außerdem muss man sich Gedanken über das Preis-Leistungs-Verhältnis machen. Ob der recht schmale Band von 64 Seiten wirklich als Hardcover veröffentlicht werden musste, zu einem damit recht happigen Preis, sei mal dahin gestellt. Aber Fans von Meeresansichten und Seegeschichten werden durchaus auf ihre Kosten kommen. Auch wenn hier eindeutig mehr drin gewesen wäre.
Wertung:
Vielversprechende Story, die nicht richtig zünden will
Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland
Carlsen Verlag, November 2011
Text: David Schraven
Zeichnungen: Vincent Burmeister
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 19,90 Euro
ISBN: 978-3-551-73052-7c
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