Rezensionen

Die Sache mit Sorge

 Richard Sorge gehört eher zu den Randfiguren der deutschen Geschichte. Obwohl er als KGB-Spion in Japan durchaus Einfluss auf den Verlauf des Zweiten Weltkriegs hatte, ist sein Name nicht sonderlich bekannt. Im Geschichtsunterricht kommt Sorge praktisch nicht vor (zumindest im Westen, in der DDR mag das anders gewesen sein), seine Vita bietet jedoch genug interessanten Stoff für biographische Literatur. Isabel Kreitz hat sich dieses Stoffes angenommen und ihn in Form eines umfangreichen, 240 Seiten starken Comic-Romans aufbereitet.

Sorge war überzeugter Kommunist und Gegner des Nazi-Regimes. Seit 1929 lebte er, offizell als Journalist, in China und später in Japan, wo er das Vertrauen des deutschen Botschafters genoss und Zugang zum engsten Zirkel der Botschaft und zu geheimen Informationen aus Deutschland hatte. Mit Hilfe mehrerer Mittelsmänner übermittelte er diese Informationen nach Moskau. Unter anderem erfuhr er vom bevorstehenden deutschen Überraschungsangriff auf die Sowjetunion (“Unternehmen Barbarossa“, 1941) – eine Information, der Stalin jedoch nicht ausreichend Glauben schenkte, was Sorge zutiefst verbitterte. Später gelang es ihm doch noch, mit einer Information kriegsentscheidenen Einfluss zu nehmen. Moskau erfuhr von Sorge, dass Japan die UdSSR nicht angreifen würde und konnte deshalb seine Truppen von Sibirien an die Westfront schicken, wo es ihnen gelang, den Vorstoß von Hitlers Wehrmacht auf Moskau zu stoppen.

 Diese politischen Fakten behandelt Isabel Kreitz eher am Rande. Sie konzentriert sich auf die Person Richard Sorge und seinen Charakter. Dieser war ein einnehmender Mensch, der viele Freunde und etliche Affären hatte, Autos und Motorräder liebte und gerne dem Alkohol zusprach, der aber auch cholerisch und überheblich sein konnte – keine besonders sympathische Figur. Die Sache mit Sorge beginnt Anfang der 30er Jahre in China und behandelt dann vor allem Sorges Zeit in Japan während des Zweiten Weltkriegs. Dabei wird die Handlung nicht direkt aus der Sicht Sorges geschildert, sondern aus der seines Umfelds. Zwischendurch wird die Geschichte immer wieder unterbrochen – wir sehen dann alte Menschen, die damals mit Sorge zu tun hatten und sich rückblickend an diese Zeit erinnern (ähnlich wie bei Zeiteugen-Interviews in Geschichtsdokus im Fernsehen). Die wichtigste dieser Figuren ist die Pianistin Eta Harich-Schneider, die längere Zeit in Tokio lebte und ein Verhältnis mit Sorge hatte. Ihre Autobiographie gehörte zu den Quellen, die Isabel Kreitz bei der Recherche benutzt hat. Der Spion Sorge wird also aus unterschiedlichen Perspektiven gezeigt und dadurch quasi eingekreist.

 Bis auf die kurzen Statements der Zeitzeugen gibt es keinerlei Erklärtext im Comic. Isabel Kreitz verzichtet auf einen allwissenden Erzähler aus dem Off genauso wie auf Captions mit Zeit- und Ortsangaben und verlässt sich ganz auf Bilder und Dialoge. Dies erfordert vom Leser viel Aufmerksamkeit, funktioniert aber hervorragend. Die schwarz-weißen, annähernd fotorealistischen Bleistiftzeichnungen sind sehr detailreich, auch was die Hintergründe angeht. Kreitz' Bilder transportieren Stimmungen, das wird vor allem in den mehrfach eingestreuten „stummen“ Passagen deutlich: wortlose Szenen über mehrere Seiten, wie man sie sonst eher aus fernöstlichen Comics kennt.

Wenn Richard Sorge am Ende des Comics von den Japanern verhaftet wird und spurlos verschwindet, hat man ihn und seine Motivation zwar kennengelernt, hat aber nicht wie in klassischen Spionagestories mit dem Helden mitgefiebert. Zwischen der Hauptfigur und dem Leser bleibt eine gewisse Distanz – Die Sache mit Sorge ist eben gerade kein Spannungsroman, sondern semi-dokumentarisch. Im Fernsehen würde man es wohl Doku-Drama nennen.

 Besonders gelungen sind die Szenen, die vom alltäglichen Leben an der Deutschen Botschaft in Tokio erzählen. Weit weg von Deutschland, aber auch nicht direkt in Japan, eingeschlossen in einer eigenartigen Seifenblase, in der man sich wenig um das Gastland und dessen Bewohner kümmert. Stattdessen feiert man zahlreiche Dinnerparties, intrigiert ein bisschen und lässt ansonsten das Leben eher gleichgültig an sich vorbeiziehen. Man kann verstehen, wie dieses Leben einen überzeugten Kommunisten wie Richard Sorge angewidert haben muss.

Ein Comic über ein Thema der deutschen Geschichte, das in keiner Weise dröge, trocken oder verkrampft didaktisch wirkt, wie es bei solchen Projekten leider oft der Fall ist. Die Sache mit Sorge will eine Geschichte erzählen, nicht belehren oder dozieren. Dies gelingt Isabel Kreitz vortrefflich, und wenn man bei der Lektüre auch noch etwas lernt (nicht zuletzt auch durch den informativen Anhang), hat sie sicher nichts dagegen.

 

 

Die Sache mit Sorge
Carlsen
Verlag, März 2008
Text und Zeichnungen: Isabel Kreitz
Hardcover; s/w; 256 Seiten; 19,90 Euro
ISBN: 978-3551787439


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Bildquelle: www.carlsen.de/web/graphicnovel