Mit Meine Mutter ist in Amerika und hat Buffalo Bill getroffen hat er eine feinfühlige Familienerzählung gezeichnet, in Die sieben Zwergbären nimmt er Märchen aufs Korn und Pauls fantastische Abenteuer ist ein klassischer Kindercomic. Unter der dem Titel Porträt eines Helden als junger Tor legte er gar eine vielbeachtete Beschreibung der Jugendjahre Spirous vor. Dass der Autor und Zeichner Émile Bravo sich auch an erwachsene Stoffe herantraut, zeigt ein Blick in sein neuestes Buch Der vergessene Garten.
Darin enthalten sind allerhand Kurzgeschichten, die sich in den vergangenen 15 Jahren angesammelt haben und verstreut in diversen Zeitungen und Zeitschriften abgedruckt wurden. Während Bravos bisherige Bücher für alle Altersgruppen lesbar waren, richtet sich der überwiegende Teil der vorliegenden Arbeiten gezielt an eine erwachsene Leserschaft.
Ob die zerstörerischen Folgen der Atomkraft, der unterschwellige Rassismus in Frankreich, die Rückkehr eines Holocaustüberlebenden in seine Heimat – Bravo scheint kein Eisen zu heiß. Mal parodistisch, mal schwarzhumorig bewegt er sich mit seinen oft sehr kurzen Episoden (die manchmal ganz ohne Worte auskommen) einmal quer durch relevante Gesellschaftsprobleme und legt seinen Zeichenstift in die Wunden vergangener wie aktueller Demokratien. So ist Der vergessene Garten auch zwangsläufig als hochpolitisches Comicbuch anzusehen, das die französische Innen- genauso wenig schont wie die US-amerikanische Außenpolitik, die Kolonialzeit ebenso thematisiert wie Nahostkonflikte. Und auch sein eigenes Dasein als Comiczeichner reflektiert Bravo und seziert die Comicindustrie.
Dass einem dabei als Leser aufgrund der ernsten Motive nicht permanent das Lachen im Halse stecken bleibt, liegt an der extremen Überzeichnung der Sachverhalte wie auch der Figuren. Durch sie verhält sich das Album wie eine Ansammlung von humorigen Kurzgeschichten, die vordergründig sehr spaßig erscheinen. Die politisch-sozialkritischen Botschaften, die sich dahinter verbergen, treten jedoch deutlich zutage und verdienen eine nähere Beschäftigung.
Dazwischen finden sich aber auch die leichteren Töne, die von tiefgängigem Ballast befreiten Erzählungen. Etwa die Schilderung eines für den Schiedsrichter traumatischen Fußballspiels. Oder die Episoden über René, dessen Freund ein Restaurant besitzt und der seiner Familie unbedingt ein besonderes Gericht kredenzen will. Hier wird die Comicsammlung im Ganzen etwas aufgelockert. Comicaffine Leser werden gar die ein oder andere bekannte Figur des frankobelgischen Comics in Gastaufritten entdecken.
Émile Bravo ist ein extrem vielseitiger Künstler. Nicht nur auf grafischer Ebene, sondern auch inhaltlich weist er ein enormes Spektrum an Möglichkeiten auf. Das beweist er in der Werkschau seiner bisherigen Publikationen genauso wie in den Beiträgen innerhalb von Der vergessene Garten.
Wertung:
Lohnenswerte Sammlung mit dem Frühwerk Bravos; bevorzugt Erwachsenen zu empfehlen
Der vergessene Garten
Reprodukt, Juni 2014
Text und Zeichnungen: Émile Bravo
Übersetzung: Ulrich Pröfrock
80 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3-95640-005-6
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Reprodukt