In der Regel teilen sich mehrere Comickünstler die Arbeit auf: Einer schreibt, einer zeichnet und einer koloriert. Klar, manchmal kommt es auch vor, dass jemand schreibt und zeichnet oder zeichnet und koloriert. Jedoch ist es selten, dass eine Person allein gleich alle drei Bereiche übernimmt. Patrice Pellerin ist so eine Person.
Pellerin ist hierzulande bekannt durch Geschichtscomics wie Der rote Kosar (Band 23 und 24; Carlsen) oder Das Zeichen der Adler (Feest), die in Deutschland Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre erschienen sind. Während er bei Der rote Kosar noch nach einem Szenario von Jean-Michel Charlier zeichnete, schrieb er den Text bei Das Zeichen der Adler, den damals sein Kollege Jean-Charles Kraehn illustriert hat.
Für Dupuis begann er 1994 dann erstmals als Autor und als Zeichner aktiv zu werden. Unter dem Titel L’Epervier entstand somit die Seefahrer-Serie, deren erster Zyklus vollständig in sechs Bänden auf deutsch bei comicplus+ unter dem Titel Der Schrei des Falken vorliegt. Für die Fortsetzung wechselte Patrice Pellerin in Frankreich zu MC Productions, wo bislang ein Album des neuen Zyklus veröffentlicht wurde.
Kanada, im April 1742: Ein Briefträger sackt mit einem Pfeil im Rücken kurz vor seinem Ziel, einem Fort, zusammen. Der Adressat: der französische König. Der Brief: ein verschlüsselter Text, eingraviert auf dem Rücken (!) des verstorbenen Boten mit einem Siegel des Chevalier de Talmont. Yann de Kremeur alias „Der Falke“ bekommt von Louis XV persönlich den Auftrag nach Kanada zu reisen. Dort steht es schlecht um die französischen Kolonien. Doch schon bevor es richtig losgeht, muss er immer mehr Hindernisse überwinden, deren Ursprünge in den Intrigen am königlichen Hof liegen.
Es ist schlichtweg beeindruckend, wie akribisch und detailliert der Szenarist recherchiert hat. Man fühlt sich permanent in die Zeit zurückversetzt, was an den vielen historisch alltäglichen Schilderungen liegt. Die Story selbst steht in der Tradition des Mantel-und-Degen-Comics, wobei die Actionsequenzen stark reduziert sind. Intrigen werden angezettelt, Strategien besprochen, Verräter entlarvt und Briefe gewechselt. Auf diese Weise entsteht eine fesselnde und authentisch wirkende Geschichtsschau.
Pellerin, der künstlerisch in der Tradition von André Juillard steht, ist auch in grafischer Hinsicht für seine Detailgenauigkeit bekannt. Das bringt es auf der einen Seite leider mit sich, dass der Leser auf ein neues Album jeweils rund zwei Jahre warten muss. Aber auf der anderen Seite lohnt sich es sich. Für mich gibt es keinen vergleichbaren Geschichtscomic, der in Punkto Details mit Der Schrei des Falken mithalten kann. Wie beispielsweise die Räumlichkeiten des Versailler Hofes oder die Einzelheiten der „Medusa“, Kremeurs Schiff, in Szene gesetzt werden, ist unnachahmlich und unbeschreiblich. Allein der prunkvolle Versailler Hof ist die Wartezeit allein schon Wert.
Der erfolgreiche Comic wird inzwischen auch schon verfilmt: 2010 sind in der Bretagne, in Südfrankreich und in der Pariser Gegend die Filmaufnahmen nach dem ersten Zyklus von Der Schrei des Falken abgedreht worden. Vorerst wird France 2 die Adaption in insgesamt sechs Folgen zu je 52 Minuten ausstrahlen. Wer weiß, wie und wann die Verfilmung auch hierzulande zu sehen sein wird.
Solange kann man sich mit dem Original von Pellerin vergnügen, das auch allen Lesern über die Genre-Grenze hinaus genügend zu bieten hat. Der Schrei des Falken gehört mit zum Besten, was an (franko-belgischen) Comic-Serien derzeit am Laufen ist und sollte daher in keiner Comic-Sammlung fehlen. „Gefährlicher Auftrag“ beginnt einen neuen Zyklus, weswegen man keine Vorkenntnisse der bisherigen Bände benötigt. Ich bin erst mit diesem siebten Band eingestiegen und hatte keine Verständnisschwierigkeiten, werde aber dennoch beim nächsten Comicladenbesuch einen prüfenden Blick in die anderen Bände werfen.
Wertung:
Detailgetreue Zeichnungen und ein spannendes Szenario lassen Geschichte lebendig werden
Der Schrei des Falken 7 – Gefährlicher Auftrag
comicplus+, Juni 2010
Text und Zeichnungen: Patrice Pellerin
48 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 13 Euro
ISBN: 978-3894742010
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: comicplus+