Rezensionen

Der Dieb der Zeit

dieb_coverWer kennt Alice im Wunderland nicht? Kleines Kind stolpert in Traumreich und erlebt Abenteuer. Seit Lewis Carroll wurde dieses Thema vielfach kopiert und variiert. Der kürzlich bei Ehapa erschienene Band Der Dieb der Zeit ist im Prinzip darauf zurückzuführen. Die dazugehörige Pressemitteilung möchte der Geschichte zwar gerne nachsagen, dass sie das Fantasy-Genre revolutioniere, aber das ist eindeutig zu hoch gegriffen. Dennoch: Der Dieb der Zeit ist keine langweilige Kopie, sondern eine interessante Variation eines altbekannten Themas. Und irgendwie hat schließlich alles seine Vorgänger.

Anstelle von Alice begegnet dem Leser der zehnjährigen Harvey Swick. Er steht nicht vor einem Kaninchenbau, sondern vor einer Mauer. Den Weg hierher hat ihm der ominöse Rictus gezeigt, ein hagerer Kerl mit Zwicker, Taschenuhr und Zylinder. Er sagt, dass hinter der Mauer ein Paradies für Kinder läge, in dem alle Wünsche wahr werden und jeder Tag ein Fest sei. Als Ausweg aus seinem langweiligen Leben kommt Harvey diese Gelegenheit sehr recht.

dieb_rictus Harvey macht einen Schritt nach vorne, dringt durch die Mauer und findet sich in einem Traumreich wieder. Was er sieht, entspringt allerdings nicht seiner eigenen Phantasie, sondern der eines anderen. Mister Hood ist der Erbauer und hat hier ein Ferienhaus allererster Güte errichtet. Nachdem Harvey die beiden Kinder Lulu und Wendell und die Köchin Mrs. Griffin kennen gelernt hat, merkt er schnell, dass mit dem Traumreich etwas nicht in Ordnung ist. Was bei Alice die Spiegelung ihres Innenlebens und Unterbewusstseins war, wird bei Der Dieb der Zeit zu einem Instrument des Bösen. Alles ist Blendwerk. Mister Hood und sein Monster-Quartett Rictus, Jive, Marr und Carna verfolgen finstere Pläne, denen seit Jahrhunderten ahnungslose Kinder zum Opfer fallen. Harvey will daran etwas ändern.

dieb_carnasVielleicht liegt hier der größte Schwachpunkt der Geschichte. Was als wunderbare reflexive Spiegelung beginnt, endet schließlich in einem schnöden Kampf Gut gegen Böse. Harvey streitet gegen Hood, und wir ahnen schon, wer gewinnen wird. Nicht, dass das keinen Spaß machen würde, aber ein wenig flach kommt es einem trotzdem vor. Ein weiterer Schwachpunkt liegt in der Feinarbeit bei der Gestaltung des Plots. Die Geschichte läuft rund, aber vielleicht ein wenig zu glatt. Liebevolle Einzelheiten wie die blaue Katze oder Carnas Reißzähne gibt es zwar, doch sie werden nicht als Träger der Handlung verwendet. Die Details sind austauschbar, nur Kolorit, kein essentieller Bestandteil der Geschichte. 

 

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Die Folge ist eine gewisse Distanz zwischen Leser und Geschichte. Das ist schade und hätte nicht sein müssen, zumal die grafische Umsetzung von Gabriel Hernandez so exzellent ist, dass ein entsprechender Inhalt dazu gepasst hätte. So hat die Geschichte von Clive Barker ihre Stärken und Schwächen. Irgendwie lesenswert, aber nicht unbedingt empfehlenswert.

Wer sich selber einen Eindruck machen will: auf der Verlagsseite wurde eine Leseprobe (PDF) zur Verfügung gestellt.

 

Der Dieb der Zeit
Ehapa Comic Collection, Januar 2007
Text: Clive Barker
Zeichnungen: Gabriel Hernandez

176 Seiten, Hardcover, farbig; 19,- Euro
ISBN 3770430581

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