Zwei Jahre musste man warten, bis das Abenteuer um die Fabelwesen, die Primordialen und die Ärzte in die letzte Runde geht. Und eines sei direkt zu Beginn gesagt: Man tut gut daran, vor der Lektüre noch einmal die drei vorhergehenden Bände zu lesen.
Denn dieser Band ist nicht einfach nur ein actionreiches Finale, welches die letzten Handlungsfäden verknüpft und sich dann darauf beschränkt, die letzte Konfrontation der Gegenspieler darzustellen, wie man es so häufig in Serien beobachten kann. Nein, Autor Mathieu Gabella macht viele überraschende Wendungen und wendet Kniffe an, die den Blick auf alles bisher in der Serie Geschehene ändern.
Vieles ist anders als gedacht: Die Bösen sind weniger böse als bisher bekannt und die Guten weniger gut. Das simple Gut-Böse-Schema wird negiert und sogar mit ihm gespielt. Manchmal ist das sehr verwirrend, weswegen die Serie auf jeden Fall in einem Guss gelesen werden sollte. Aber gerade das Ende ist hoch interessant, weil es interessante Aspekte zur Bildung von Mythen beisteuert. Denn Legenden sterben nie, sie mutieren nur wie die Körper und passen sich ihrer neuen Umwelt an. Wie Mediziner auf neue Entdeckungen reagieren (wie andere Wissenschaftler auch), so reagiert der Körper auf seine Umgebung und mythische Figuren auf die soziokulturelle und historische Entwicklung. Deswegen sollte man unbedingt auch den reinen Prosa-Epilog lesen, in dem zwei bekannte mythische und auch historische Figuren vorkommen: Gräfin Bathory und Vlad Dracula. Die im Band entstehenden Hybriden aus Primordialen und Menschen erlauben die Entwicklung neuer Fabeln und neuer Mysterien, die nunmehr viel tiefer in der Realität verwurzelt sind. Je weiter die Wissenschaft voran schreitet, desto mehr wurde schließlich auch der Horror in der Realität verwurzelt. Nachdem Fabeltiere entzaubert wurden, mussten andere Monster her.
Aber die Entwicklung verläuft bis in die Jetztzeit und Monster und Fabelwesen laufen einander den Rang ab. Vampire mussten erst romantisch werden, um wieder ein großes Publikum ansprechen zu können, da sie gegen Serienkiller und Zombies nicht mehr mithalten konnten, welche lange Zeit die Leinwand beherrschten. Besonders der Serienkiller ist ja wahrlich in der Realität verankert, während die Zombies eine Reaktion auf gesellschaftliche Zustände darstellen. Indem Gabella alle diese Wandlungsaspekte mit thematisiert, ist der Abschlussband von Das Einhorn ein wahrlich aufregendes, interessantes, anregendes Finale, welches vor allem einen Neubeginn darstellt und die Handlung nicht nur beendet, sondern entscheidend weiter bringt. Manchmal ist das etwas verwirrend. Was immer noch auch die Zeichnungen betrifft, denn einige Panels muss man geradezu länger betrachten, um sie optisch entschlüsseln zu können. Doch auch das hat seinen großen Reiz und trägt erheblich zum Genuss des Comics bei.
Wertung:
Spannendes Finale, welches den Blick auf die ganze Serie verändert und intelligente Aspekte zur Legendenentwicklung beinhaltet
Das Einhorn 4 – Der Tag der Taufe
Splitter Verlag, Juni 2012
Text: Mathieu Gabella
Zeichnungen: Anthony Jean
Übersetzung: Tanja Krämling
64 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 14,80 Euro
ISBN: 978-3-939823-79-7
Leseprobe
Abbildungen: © der dt. Ausgabe: Splitter Verlag