Mit einer Vielzahl von franko-belgischen Titeln hat der Splitter Verlag seinen rechten Platz unter den deutschen Comicverlagen wiedergefunden. Teil dieser neuen Reihe ist Cañari #1 – Die goldenen Tränen. Die Geschichte, erzählt von Autor Crisse und gezeichnet von Carlos Meglia, führt den Leser zurück in ein Mexiko bevölkert von Azteken, Panthern und Mythengestalten.
Der letzte Zeichentrickfilm, den ich im Kino gesehen habe, war „Ice Age 2“. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie ich zu diesem Vergnügen kam, doch ich weiß noch genau, was ich mir gedacht habe als ich den Kinosaal verließ. Ich hatte über die Witze des Säbelzahnhörnchens gelacht („piep?“) und mit dem Mammut um seine große Liebe gebangt. Man kann also sagen, dass mich der Film in seinen Bann gezogen hatte. Und obwohl ich all diese Gefühle mit den Figuren im Film geteilt habe, konnte ich nicht umhin, mir Gedanken zu machen wie viel Geld, wie viele Grafiker und wie viele Computer nötig waren, um diesen Zauber für die Zuschauer zu kreieren.
Ein ähnliches Gefühl überkam mich nach der Lektüre von Cañari 1. Nachdem ich den ersten Band – „Die goldenen Tränen“ – ausgelesen hatte, war ich mir nicht ganz sicher, ob mich der Comic nur zufrieden gestellt oder wirklich überzeugt hatte. Eigentlich ist gerade diese Zweideutigkeit bei mir ein Signal für einen guten Comic, der mich noch weiter beschäftigen wird. Doch bin ich mir nicht ganz sicher, ob die Konstruktion und die Darstellung der Geschichte so auch beabsichtigt waren.
Auf den Spuren von Autor Crisse folgt man zunächst dem Surfer Wayne und seinen Freunden von einem gemütlichen Spaziergang am Strand in die städtische Kneipe, nur um nach ein paar Schnäpsen friedlich unter dem wolkenlosen Himmel einzuschlafen. Zwei Seiten später findet man sich – wie nach einem Märchenschlaf – in der Vergangenheit Mexikos wieder. Ein bisschen wie Washington Irvings Held Rip van Winkle wandert man Seite an Seite mit Cañari, Tochter des Stammeshäuptlings, und ihren Geschwistern durch den Dschungel auf der Suche nach Wasser für das bevorstehende Fest. Bei der Wanderung durch den Dschungel verlieren sie ihren kleinen Bruder Xoatil. Dieser Umstand löst eine Reihe von Abenteuern aus, in die die Heldin Cañari gezogen wird.
Diese Ereignisse werden wunderbar illustriert von Carlos Meglia, der mit seinem cartoonhaften Stil dem Strand wirklich das Flair eines Surferparadieses gibt und bei dessen Darstellung vom Dschungel man auf jeder neuen Seite einen lauernden Panther vermutet. Meglia scheint sich aber nicht nur Zeit für seine Landschaften, sondern auch für die Figuren genommen zu haben, da diese mit sehr viel Liebe abgerundet wurden, und fast schon an einen Manga erinnern. Dabei schafft es der Zeichner, jeder der Personen eine eigene Persönlichkeit einzuhauchen.
Auch die Fauna ist liebevoll gestaltet: bei einer Auseinandersetzung mit einem Panther verändert sich Meglias Stil sichtlich. Die Darstellung des Panthers selbst sprüht förmlich vor Erfindungsreichtum, wenn Meglia ihn durch die Benutzung eines malerischen Stils wie ein Fremdkörper in der Welt der Eingeborenen einführt.
Natürlich stellt sich die Frage, warum ich dann nicht voll und ganz von „Die goldenen Tränen“ überzeugt bin, wenn doch alles so toll zu passen scheint. Es gibt diesen einen Punkt im Comic, auf den die Story hinarbeitet: den ersten Höhepunkt in der Handlung. Während die Hinführung bis zu diesem Punkt hundertprozentig stimmig ist, verfällt Crisse bei seinem Aufbau der Geschichte in eine Hektik, die den Leser durch verschiedene Parallelwelten führt, nur um diese auf der nächsten Seite wieder zu verlassen. Er lässt dem Leser keine Zeit, sich auf die einzelnen Situationen einzustellen, sondern behandelt ihn wie einen Gast auf einem Jahrmarktkarussell, das viel zu schnell fährt und in unregelmäßigen Abständen die Fahrtrichtung wechselt.
Während die Geschichte zu viel Fahrt aufzunehmen scheint, spielt Crisses Partner lieber mit allen graphischen Möglichkeiten, die ihm sein digitales Werkzeug bietet. So nutzt Meglia zum Beispiel Gruppen von Vögeln, um Fokus zu simulieren: während Papageien und Möwen in der Entfernung nur durch zwei simple weiße Striche dargestellt werden, nehmen die Vögel an Details zu, je näher sie kommen, bis man schließlich einen Ara in Großaufnahme betrachtet. Meglia nutzt aber auch die Techniken des obig beschriebenen Zeichentrickfilms: so wirken die Unterwasserszenen von Cañari und ihren Geschwistern zunächst interessant, werden dann aber schnell als Spielerei entlarvt. Das soll nicht heißen, dass all diese Techniken in irgendeiner Weise plump wirken. Nein, vielmehr fühlt es sich an wie ein Schaulauf der Möglichkeiten, die einem Zeichner geboten sind. Doch da es sich noch immer um einen Comic und nicht um eine Modenschau der Spezialeffekte handelt, bleiben diese schönen Tricks nichts als Spielerei vor dem Hintergrund einer überstürzten Story. Obwohl man Meglia nicht den Vorwurf machen kann, sich von der Hektik von Crisses Erzählstrom anstecken zu lassen, wirkt seine Präsentation der Möglichkeiten ein bisschen zu verspielt.
Vielleicht liegt die Stärke einer Zeichentrickfilmproduktion gerade in ihrem großen Stab. Ich möchte hier keineswegs die Branche der Trickfilmanimation als die ultimative demokratische Gemeinschaft darstellen, sondern vielmehr darauf hinweisen, dass es manchmal nicht unbedingt schlecht ist, ein eingespieltes Team zu haben, das kreative Prozesse gemeinsam abspricht. Und in einem Comic ist eben dieser Prozess wesentlich wichtiger als seine Einzelteile, auch wenn sie noch so gut sein mögen. Doch genau wie Ice Age 3 – wenn er je erscheinen sollte – bekommt auch Cañari 2 noch eine Chance, um zu zeigen, ob Crisse und Meglia wieder zueinander und zur Geschichte finden.
Cañari 1: Die goldenen Tränen
Splitter Verlag, November 2006
Text: Crisse
Zeichnungen und Farben:Carlos Meglia
48 Seiten, farbig, Hardcover; 12,80 Euro
ISBN: 3-939823-18-X