Bonhoeffer – der Name stieß beim Rezensenten nur auf ein sehr vages Vorwissen. Hatte der nicht irgendwie was zu tun mit dem Dritten Reich? Mit dem Widerstand gegen die Nazis? Oder nein – war’s nicht doch eher ein bedeutender Theologe? Letztendlich erwiesen sich sogar beide Gedächtnisbruchstücke als richtig: Bonhoeffer – Dietrich mit Vornamen – war evangelischer Theologe und Pfarrer und innerhalb der protestantischen Kirche einer der Wortführer der Opposition gegen das Hitler-Regime.
Nicht gerade die leichteste Kost, die sich Moritz Stetter für sein Lang-Comic-Debüt ausgesucht hat. Thematisch stellt Bonhoeffer gleichsam eine Seltenheit für eine deutsche Comicproduktion dar; scheint doch unter deutschen Comicschaffenden auch im 21. Jahrhundert noch immer eine gewisse Scheu zu existieren, sich mit dem Thema ‚Drittes Reich‘ künstlerisch auseinander zu setzen. Abgesehen von Isabel Kreitz‘ Die Sache mit Sorge und der Romanadaption Der Dritte Frühling von Gerlinde Althoff und Christoph Heuer stammen alle Comicwerke über die Nazi-Zeit aus dem Ausland. Man denke nur an die jüngst erschiene Anne-Frank-Biografie von Sid Jacobson und Ernie Colon, Yossel von Joe Kubert, Adolf von Osamu Tezuka, Unter dem Hakenkreuz von Beuriot und Richelle und natürlich Art Spiegelmanns Maus.
Stetters erzählerische Herangehensweise ist eine altbewährte: Die Geschichte beginnt mit dem bereits von den Nazis inhaftierten Bonhoeffer, der sich an sein Leben erinnert und anlässlich seiner Verhöre Revue passieren lässt, wie er sich innerhalb des letzten Jahrzehnts vom reformwütigen und zuweilen eitlen Theologen zum politischen Widerstandskämpfer wandelte. Die Annäherung an den Menschen Dietrich Bonhoeffer gelingt dabei – zumindest in Teilen. Vor allem durch den beständigen Einbau von Original-Zitaten – oft voller priesterlichem Pathos, doch immer klar verständlich – bekommt der Leser einen gewissen Eindruck von der Gedankenwelt dieses Mannes, der als evangelischer Reformer begann und als Widerstandskämpfer endete.
Leider werden viele interessante Aspekte von Bonhoeffers Geschichte nur streiflichtartig angerissen, wichtige Entwicklungen oft nur in kurzen Texten abgehandelt. Die gut 100 gezeichneten Seiten scheinen einfach nicht genug zu sein, um einer komplexen Figur wie Bonhoeffer inmitten einer der größten politischen Tragödien der Geschichte, vollends gerecht zu werden. Für andere Figuren – darunter Bonhoeffers Verwandte und Weggefährten– bleibt dementsprechend noch weniger Raum und oft beschränkt sich ihr Anteil nur auf marginale Kurzauftritte. Auch Bonhoeffers Beziehung mit der 18 Jahre jüngeren Maria von Wedemeyer, mit der er sich wenige Monate vor seiner Verhaftung verlobte, wird nur minimaler Platz eingeräumt. Andererseits muss ausdrücklich gelobt werden, wie gekonnt Stetter eine Fülle an Ereignissen und geschichtlichen Wendepunkten in der Geschichte verarbeitet und einem die nicht einfach zu erfassende Persönlichkeit Dietrich Bonhoeffers zugleich etwas näher bringt.
In Sachen grafischer Umsetzung ist Bonhoeffer vor allem eins: abwechslungsreich. Immer wieder wird das klassische, routiniert angelegte Seitenlayout abgelöst von ganzseitigen Portraitbildern oder abstrakten Bildkompositionen über ein bis zwei Seiten, mit denen der Künstler die schwer fassbaren Verbrechen der Nationalsozialisten, den Schrecken des Krieges und Bonhoeffers Gefühle darstellt. Gerade letztere Seiten sorgen immer wieder für die nötigen emotionalen Höhepunkte der Erzählung.
Im direkten Vergleich mit den semi-realistischen Portraits und kunstvollen düster-abstrakten Einschüben fällt der eher einfach gehaltene ‚Hauptzeichenstil‘ jedoch merklich ab. Es ist dabei gar nicht die relative Schlichtheit des Strichs, die stört – haben doch KünstlerInnen wie Marjanne Satrapi eindrucksvoll bewiesen, dass einfach gehaltene Zeichnungen und ernste, geschichtlich-politische Themen kein Widerspruch sein müssen – sondern die immer wieder durchbrechende, unübersehbare stilistische Nähe zu Cartoons/Funnies. Hinzu kommt, dass die Qualität der Zeichnungen immer wieder schwankt. In guten Momenten erinnern die Figuren an Joe Saccos Arbeit, in schlechten an klobig gezeichnete Cartoonhelden. Die oft eingesetzten groben Raster erzeugen zudem des Öfteren eine unpassende Pop-Art-Atmosphäre. Daneben wäre es begrüßenswert gewesen, wenn der Verlag dem Comic ein angemessenes Lettering spendiert hätte. So bleibt es bei einem Schrifttyp von der Stange – den Stetter aber immerhin an passenden Stellen mit nachgemachter Hand- und Schreibmaschinenschrift auflockert.
Aller Kritik zum Trotz – zwei Dinge sind mit Bonhoeffer auf jeden Fall gelungen. Zum einen hat Stetter eine anschauliche und leicht zugängliche Auseinandersetzung mit einer interessanten und wichtigen Figur der jüngeren deutschen Geschichte abgeliefert. Für die erstmalige Beschäftigung mit den Themen Bonhoeffer und Widerstand gegen die Nazis innerhalb der protestantischen Kirche ist diese Comicbiografie annähernd perfekt geeignet. Darüber hinaus machen die gelungenen Aspekte der Comicerzählung aber auch gespannt auf Stetters nächsten Comic, in dem laut Begleit-Blog zum Bonhoeffer-Projekt „viel Sonne […] und Rock’n’Roll, und Freiheit, und Lust am Leben“ stecken sollen. Ich erlaube mir die Vermutung, dass in diesem Fall Inhalt und Zeichenstil noch eine ganze Spur besser harmonieren werden.
Wertung:
Ambitionierte und flüssig erzählte, jedoch zeichnerisch etwas unebene Comicbiografie
Bonhoeffer
Gütersloher Verlagshaus, September 2010
Text & Zeichnungen: Moritz Stetter
112 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 14,99 Euro
ISBN: 978-3-579-07050-6
Leseprobe
Abbildungen © Moritz Stetter/Gütersloher Verlagshaus