Ein Verkehrsunfall zwischen einem Lieferwagen und einem Motorrad. Beide Fahrer landen schwer verletzt im Krankenhaus. Der Fahrer des Lieferwagens, ein Mann um die 40, stirbt an den Unfallfolgen. Der Motorradfahrer, erst 17 Jahre alt, überlebt. Doch als er aus dem Koma erwacht, stellt sich heraus: Er weiß nicht mehr, wer er ist. Seine Erinnerungen sind die des Unfallgegners.
Jiro Taniguchi erzählt in seinem gewohnt ruhigen Stil eine verstörende Geschichte: Was wäre, wenn das Bewusstsein eines Menschen in Körper eines anderen Menschen wechseln würde? In Hollywood macht man aus solchen Fragen lustige Body-Switch-Komödien (wie z.B. aktuell mit 17 Again). Bei Taniguchi dagegen wird daraus ein sensibles Charakterdrama. Beinahe alle Beteiligten leiden unter der neuen Konstellation: die Eltern des jungen Takuya, die ihren eigenen Sohn nicht wiedererkennen, genauso wie Ehefrau und Tochter von Kazuhiro Kubota, die um ihren verstorbenen Mann und Vater trauern, als plötzlich dieser plötzlich vor ihrer Tür steht – allerdings in Gestalt des jungen Motorradfahrers Takuya.
Der Manga schildert überzeugend das verwirrende Innenleben von Takuya bzw. Kubota. Schon bald ist nicht mehr klar, wer hier eigentlich „Ich“ ist. Steckt der eigene Geist in einem fremden Körper oder steckt umgekehrt ein fremder Geist im eigenen Körper? Während im Subtext von Bis in den Himmel derlei philosophische Fragen verhandelt werden, versucht Takyua/Kubota seinen ganz normalen Alltag auf die Reihe zu kriegen. Besonders wichtig ist dabei die Hilfe von Okita, die vor dem Unfall Takuyas Freundin war und sich nun des „vertrauten Fremden“ annimmt. Dieser hat im Verlauf der Geschichte damit zu kämpfen, dass sich in Takuyas Kopf bald auch Takuyas altes Bewusstsein wieder meldet und seinen Platz beansprucht, es ringen also zwei Seelen um einen Körper.
Was an diesem Band besonders auffällt, ist seine Unaufgeregtheit. Die Konflikte und dramatischen Zuspitzungen der Story werden nie voll ausgereizt. Letztlich strebt Zeichner und Autor Jiro Taniguchi genauso nach Harmonie und Augeglichenheit wie die Hauptfigur des Buches. Das liest sich sehr angenehm, allerdings bekommt man dafür ein nahe am Kitsch wandelndes Happy-End aufgetischt. Ein etwas weniger freundliches Ende wäre hier vielleicht passender gewesen. Und auch die Kritik an der extremen japanischen Leistungsgesellschaft, die der Autor hier untergebracht hat, wirkt ein bisschen banal.
Trotzdem ist Bis in den Himmel empfehlenswert, auch wenn es wohl nicht Taniguchis bestes Werk ist. Seine filigranen Schwarz-Weiß-Bilder sind wie immer ein Genuss und dank ihrer bodenständigen Charaktere ist die unwahrscheinliche Geschichte jederzeit glaubwürdig und nachvollziehbar. Shodoku (das Manga-Label von Schreiber & Leser) hat sich erstmals dazu entschlossen, die Seiten zu spiegeln, also nicht die originale japanische Leserichtung beizubehalten. Puristen werden das bemängeln, doch vielleicht kann es den ein oder anderen Leser zum Kauf bewegen, der sonst einen Bogen um Comics aus Asien macht.
Bis in den Himmel
Shodoku, März 2009
Text und Zeichnungen: Jiro Taniguchi
Softcover mit Klappenbroschur; 304 Seiten; 16,95 Euro
ISBN: 978-3-941239-10-4
Abbildungen: © Schreiber & Leser