Rezensionen

Anders

Die Horroranthologie AndersFür Anders versammelt die Edition Kwimbi acht etablierte Webcomic-ZeichnerInnen, um für eine gruselige Horror-Anthologie mal ordentlich auf den Putz zu hauen. Hierbei treten an: Sarah Burrini für das schicke Cover, Kaydee für die bitterböse Rahmengeschichte um eine wirklich garstige alte Dame sowie Mario Bühling, Max Vähling, Leander Aurel Taubner, Michael Roos, Marvin Clifford und TeMel für sechs kurze, aber knackige Horrorstories, die allesamt um keinen Schockeffekt verlegen sind.

Kwimbi ist in erster Linie ein Webshop und Online-Vertrieb für Artikel aus dem Webcomic-Umfeld, zum Beispiel selbst verlegte Druckversionen diverser Web-Strips, passendes Merchandise oder auch Originalseiten. Kwimbi löst damit ein Problem, das die Szene schon seit Anbeginn plagt: Webcomics sind zwar eine sehr demokratische, rein für sich genommen aber auch weitestgehend brotlose Veröffentlichungsform. Durch Kwimbi können Webcomic-MacherInnen ihre Werke durch Begleitartikel nun auch einträglicher vermarkten. Zudem erledigt Kwimbi den Online-Vertrieb einiger Verlage wie Zwerchfell oder Delfinium Prints und wird als Edition Kwimbi nun auch selbst verlegerisch tätig.

Beispielseite aus Anders von Mario BühlingSich für eine selbstverlegte Printpublikation bei Talenten aus der Webcomic-Szene zu bedienen, liegt angesichts des Profils von Kwimbi natürlich nahe. Interessant hierbei ist aber, dass die KünstlerInnen das Printmedium als Experimentierfeld gegenüber ihren gewöhnlichen Arbeiten begreifen. Galt der Webcomic nach Scott McClouds Reinventing Comics aus dem Jahr 2000 als revolutionärer Gegenentwurf zum konventionellen Printcomic, der neue Ausdrucksweisen und Darstellungsmöglichkeiten im Comic ermöglichte, scheint sich mittlerweile ein Generationswechsel vollzogen zu haben.

Webcomics erwiesen sich letztendlich als längst nicht so revolutionär, wie McCloud prophezeit hatte. Serielles Veröffentlichen im Netz tendiert überwiegend zu klassischen Comicseiten- und Stripformaten, sei dabei eine spätere Zweitverwertung im Druck einkalkuliert oder nicht.

Ist das wöchentliche Comic-Blog mit seinen klassischen Cartoon-Stilen und -Formaten der eher konservative Normalzustand, wird eine Publikation, die explizit für den Druck entwickelt wurde, zum Spielplatz für Experimente. Plötzlich wird nicht mehr der Webcomic als das Andere zum Printcomic aufgefasst, sondern der Printcomic selbst wird zum Anderen. Allein unter diesem Gesichtspunkt ist der Titel der Anthologie sehr passend gewählt.

Der Ansatz scheint dagegen sehr klassisch: Die Horror-Anthologie aus diversen Kurzgeschichten mit meist fiesen Twist-Enden, oft in eine Rahmenhandlung gebettet, ist ein vielfach erprobtes Konzept. Wohlige Erinnerungen werden da wach an Filmklassiker aus dem Hause Hammer oder Corman, an Tales from the Crypt, an Gespenstergeschichten, an Creepy. Aber von nostalgischer Verklärung ist bei Anders keine Spur: Hier werden keine Gefangenen gemacht. Stattdessen geht’s kräftig zur Sache. Die Geschichten sind durchweg ziemlich gemein und erzählerisch angesichts der knappen Seitenzahlen sehr gut auf den Punkt gebracht. Alle Beteiligten, auch wenn in dem Bereich bisher überwiegend unerprobt, verstehen also ihr Horror-Handwerk, und die meisten Beiträge dürften über die Lektüre hinaus nachwirken.

Beispielseite aus Anders von Marvin CliffordZeichnerisch lag ein erklärtes Ziel der Anthologie, den KünstlerInnen einen Ausbruch aus den typischen Stilgewohnheiten ihrer Webcomics zu ermöglichen, das Comiczeichnen also mal etwas anders anzugehen. Das Ergebnis ist erfrischend heterogen. Inwieweit einen die einzelnen Geschichten visuell ansprechen, liegt letztendlich wohl im Auge des Betrachters. Mir persönlich waren die Beiträge von Max Vähling etwas zu krakelig, von Leander Taubner graphisch etwas zu chaotisch und von Michael Roos etwas zu matschig und unproportional in den Figurendarstellungen, wohingegen Kaydees stilvolles Schwarz-Weiß-Artwork, Mario Bühlings sanfte Kolorierungen, Marvin Cliffords expressive Dynamik und TeMels beunruhigende, bedrohlich-rote Farbgebung mich deutlich mehr angesprochen haben. Aber hier wird wohl jeder selbst zu seinen eigenen Favouriten kommen. Viel entscheidender war für mich, dass mich alle Beiträge als Erzählung überzeugt haben. Und das ist ja das Wichtigste. Sarah Burrinis ebenso schlichtes wie effektives Cover ist aber ein ziemlicher Volltreffer, darauf kann man sich wohl einigen.

Aufmachung, Grafik und Druckqualität des Paperbacks sind tadellos. Die Edition Kwimbi dürfte sich also qualitativ und aufgrund des originellen Ansatzes zu einer echten Bereicherung für den deutschen Comicmarkt entwickeln. Ich bin sehr gespannt auf weitere Veröffentlichungen!

Wertung: acht von zehn Punkten

Eine dicke Empfehlung für alle Horrorfreunde und alle, die wissen wollen, zu was Webcomic-Macher sonst noch so fähig sind

 

Anders
Edition Kwimbi, Oktober 2013
mit Beiträgen von Sarah Burrini, Kaydee, Mario Bühling, Max Vähling, Leander Aurel Tauber, Michael Roos, Marvin Clifford, TeMel
92 Seiten, Softcover, vierfarbig
15,- Euro

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Direktlink zur Bestellung von Anders inklusive einer Originalzeichnung

Abbildungen © Sarah Burrini, Mario Bühling, Marvin Clifford