In Hemingway führt Jason mit viel Humor durch ein recht pragmatisches Paris der Zwanziger Jahre. Der Comic bleibt trotz der fabulierten Geschichte und gerade wegen der kauzigen Charaktere bis zum Ende spannend.
Es ist Mitternacht in Paris, zumindest schlägt die Uhr zwölf, als Woody Allen in seinem neuen Film Midnight in Paris Owen Wilson auf magische Weise zurück in die Zwanziger Jahre schickt. Der norwegische Autor und Zeichner Jason hingegen braucht in seinem Comic Hemingway keinen Zaubertrick, um seine Leser ins Zeitalter des Modernisten zuführen. Bei der Anzahl von Geschichten muss es so langsam eng im Paris der Autoren und Maler werden. Auch diesem Problem kann Jason Abhilfe schaffen; er gibt sich selbst den Freiraum, die Geschichte nach Belieben zu gestalten, ohne dabei zu vergessen, den bekannten Akteuren ihre neuen Rollen zuzuteilen.
Während der Norweger seinen Minimalismus in seinen Debüt-Werken Hey, warte mal und Psssst! … auf den Höhepunkt gebracht hat, gewährt Jason seinen Figuren in Hemingway mehr Redefreiheit. Schließlich arbeitet er diesmal mit großen Künstlern zusammen. Und so unterhalten sich die Künstler über ihre Zunft, das Zeichnen von Comics. Wie bereits in Blutchs Blotch: Der König von Paris wird der Comic zur Kunstform der Jahrhundertwende erhoben. In Hemingway können die anthropomorphen F. Scott Fitzgerald, Ezra Pound, James Joyce und eben Ernest höchstselbst aber kaum von ihrer Kunst leben.
Obwohl sich die Figuren nun selbst artikulieren können, nimmt Jason sie weiterhin an die Hand und geht sehr behutsam mit ihnen um. Das tut er nicht, weil sie heute gefeierte Persönlichkeiten sind, sondern weil sie damals eben nur arme Künstler waren, die ums Überleben kämpfen mussten. Es wird ganz alltäglich über Radiergummis und Bleistifte diskutiert, genauso selbstverständlich geht man abends zum Boxkampf und schlägt sich recht männlich mit seinen Kritikern. Kurzum: In Jasons Paris der Zwanziger Jahre hat die Gentrifizierung noch nicht stattgefunden.
Weil aber Hemingway Frau und Kind versorgen muss und auch Zelda Fitzgerald bespasst werden möchte, müssen die Männer Geld heranschaffen. Sie machen sich auf, eine Bank zu überfallen. Für diesen fabulierten Teil der Geschichte spaltet Jason in die Perspektiven der einzelnen Figuren auf; jeder darf vom Coup aus seiner Sicht berichten und so fügen sich die einzelnen Erzählstränge langsam, aber dennoch spannend zu einem Ganzen zusammen.
Das Layout der einzelnen Seiten und die Dialoge der Figuren gleichen einem Stierkampf. Auf jeweils neun Panels umkreisen sich die Gegner und tasten sich demagogisch ab. Im achten Bild lässt Jason sie noch einmal kurz innehalten – hierdurch erzeugt er genau das richtige Timing – nur um am Ende der Seite eine tödliche Pointe zu landen. Gerade weil die Figuren keine Pupillen besitzen und ihre Mimik auf ein Minimum reduziert ist, funktioniert Jasons deadpan-Humor in diesen dialogischen Scharmützeln so ausgezeichnet.
Es sind eben nicht, wie Woody Allen uns vormachen will, die ausschweifenden Parties, auf denen der Charleston getanzt wird, die das Paris der Zwanziger Jahre ausmachten. Vielmehr geht es um ein paar Gleichgesinnte, die sich in Paris trafen, gemeinsam tranken, über das Leben und über Comics redeten und mit ihren Leben nicht immer zurechtkamen. Dass diese Männer heutzutage als literarische Größen gefeiert werden, liegt nur daran, dass sie ihren Kampf mit dem Leben und der Kunst mal minimalistisch, mal ausschweifend in Worte gefasst haben. Auf seine unnachahmliche Weise nimmt Jason in Hemingway dieser Zeit den mystischen Zauber, aber gibt ihr dafür das eigentliche Gefühl der Bohème zurück.
Wertung:
Ein Comic voll wunderbarer Dialoge und grafischem Minimalismus
Hemingway
Reprodukt, Juni 2011
Text und Zeichungen: Jason
48 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 13 Euro
ISBN: 978-3941099746
Leseprobe
Abbildungen © Jason, der dt. Ausgabe: Reprodukt