Rezensionen

200g Hack

 Mit der Anthologie 200g Hack erscheint beim Verlag Schwarzer Turm der zweite Band der Reihe Turm Manga Spezial. Während es im ersten Band Es war (k)einmal im weitesten Sinne um Märchen ging, dreht sich die neue Ausgabe um das Thema „Horror“. In elf Kurzgeschichten und einigen Illustrationen wollen uns junge Künstlerinnen und Künstler aus dem Umfeld des Vereins Animexx das Gruseln lehren.

Frauke und Thomas unterhalten sich über 200g Hack.


Thomas:
Was mir schon mal sehr gut gefällt, ist der Titel: Zwohundert Gramm Hack, das klingt schon ein bisschen fies und splattermäßig. Die abgedruckten Comics sind aber (zum Glück!) viel mehr als nur Splatter, sondern bieten eine sehr vielseitige und abwechslungsreiche Mischung.

Frauke: Ja, auch bei mir hinterließ der Band einen sehr guten ersten Eindruck. Das Cover ist nicht 08/15, das Layout ist sehr gefällig, und der eingesetzte Drucklack ist, zumindest für Schwarzer Turm, eher eine Seltenheit und macht sich sehr nett. Jeder Beitrag enthielt zudem eine selber gestaltete Infoseite über den Zeichner bzw. den Autor. Eine insgesamt sehr schöne Umsetzung! Beim ersten Durchblättern war ich dann, wie auch schon bei Es war (k)einmal, erstaunt, wie viel Aufwand die Mädels und Jungs mit ihren Seiten betreiben. In manchen Panels steckt so viel Fleiß, da war ich platt. Allerdings muss ich hier auch wie beim ersten Band der Reihe „Turm Manga Spezial“ sagen, dass das Erzählerische bei so manchen hinterherhinkt. Die Zeichner wussten zwar theoretisch, worum es in ihrem Beitrag gehen soll, die Umsetzung war aber manchmal nur suboptimal. Der rote Faden geht verloren, es werden unwichtige Akzente betont, während die wichtigen Sachen untergehen etc. Wie hast Du das empfunden, gibt es für Dich auch manchmal eine Lücke zwischen dem zeichnerischen und dem erzählerischen Niveau?

200ghack_dashaesslichekind.jpeg

Seite aus Melanie Feys „Das hässliche Kind“

Thomas: Schwer zu sagen, die Geschichten sind einfach wahnsinnig unterschiedlich, sowohl graphisch als auch inhaltlich. Es gibt ein paar Beiträge, mit denen ich persönlich nicht viel anfangen kann, z.B. „Das hässliche Kind“ von Melanie Fey alias Ramirez. Aber ich denke nicht, dass das erzählerisches Unvermögen ist. Ich glaube, das war genau so gewollt: bewusst rätselhaft und unzugänglich, eher eine Stimmung vermittelnd als eine geschlossene Geschichte. Aber in einem hast du Recht: Bei den Beiträgen, die sich einem inhaltlich nicht so recht erschließen, bleibt dem Leser immer noch ein interessantes Artwork. Als Beispiel hebe ich mal „Zerbrechliche Beziehungen“ von Verena Borowski hervor. So einen Stil habe ich im Comic bisher noch nie gesehen und das vermittelt wirklich eine sehr unbehagliche Atmosphäre.

Frauke: Stimmt, dieser Beitrag ist mir auch aufgefallen. Er ist zeichnerisch wirklich sehr ungewöhnlich, wobei hier aber meiner Meinung nach eigentlich klar ist, worauf er inhaltlich hinauswill. Bei „Das hässliche Kind“ stimme ich Dir teils zu. Es geht hier vermutlich eher um Stimmungen als um eine durchgehende Handlung, trotzdem hat sich das Ganze dann im Endeffekt doch etwas gezogen.
Ich will es generell auch gar nicht als Unvermögen hinstellen, sondern als Beginn eines Lernprozesses. Mit der Zeit werden bestimmt viele der Künstler im Erzählen effektiver. Es sind ja bewusst fast ausschließlich Nachwuchskünstler in den Mangareihen des Turms vertreten, die sich ins Geschichtenerzählen erst reinfuchsen müssen.
Als Beispiel, wo es bei mir von der Geschichte her nicht so recht gefunkt hat, ist „Rats!“ von Annelie Kretzschmar (gleichzeitig Herausgeberin dieses Bandes) und „Tantengulasch“ von Schluse und Han Le. Beide sind in einem jeweils sehr lebendigen, individuellen Stil gezeichnet, der wahnsinnig Spaß macht (besonders Annelie weiß mit ihrem lockeren, souveränen Strich zu gefallen), aber die Geschichten an sich trudeln so vor sich hin. Das wird dann etwas zäh und verschenkt leider viel von dem Potenzial. Eine klare Strukturierung und eine straffere Durchführung hätte in meinen Augen beiden Beiträgen gut getan, gerade weil sie zeichnerisch schon recht weit sind.

200ghack_rats.jpeg

Seite aus Annelie Kretzschmars „Rats!“

Thomas: Ha, das ist interessant! Denn gerade diese beiden gehören zu meinen Lieblingsbeiträgen in dem Band. Das sind für mich die Geschichten, in denen Story und Artwork interessant, flüssig und stimmig sind. Und schön „creepy“ sind sie auch. Der dritte im Bunde, der mir sehr gut gefiel, ist „Inversion“ von Harald Kuhn.
Was mir übrigens auch gut gefällt an dieser Anthologie, ist der Platz, der den einzelnen Künstlern zur Verfügung steht. Bei ähnlichen Projekten muss man meistens mit zwei bis sechs, höchstens mal zehn Seiten auskommen. Und diese erzwungene Kürze tut vielen Comics nicht gut. Hier dagegen bekommen die Geschichten den Raum, den sie brauchen. Das können dann schon mal um die 20 Seiten werden, und die Stories können besser auserzählt werden.

Seite aus Harald Kuhns 'Inversion'

Seite aus Harald Kuhns ‚Inversion‘

Frauke: Einerseits ist das natürlich schön, andererseits kann es, wie gesagt, meiner Meinung nach aber auch dazu verleiten, den Platz ausnutzen zu wollen und nicht auf den Punkt zu kommen. Das, was Du „auserzählen“ nennst, kam mir halt manchmal wie des Guten zuviel vor, was den interessanten Kern verwässert hat.
„Inversion“ hat mich von den drei genannten Sachen übrigens am meisten überzeugt. Der Geschichte konnte man gut folgen, es war schön unheimlich. Besser hätte man es meiner Meinung nach zwar noch lösen können, wenn man die Frauen nicht sofort im selben Panel wie den Mann gezeigt hätte, weil das noch die Spannung und Unsicherheit („Was ist da los?“) gesteigert hätte. Alles in allem hat mich dieser Beitrag eigentlich auch insgesamt am meisten überzeugt, auch wenn ich gestehen muss, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich diese Fingersache und das Ende richtig verstanden habe. Aber die Erzählstruktur war gut kombiniert mit den Zeichnungen, prima gemacht. Gefallen hat mir auch Heike Rossmanns „Der Totengräber“. Zeichnerisch kann es noch nicht ganz mithalten, aber dafür wurde das Thema lockerer angegangen und die Reimform hatte was.
Apropos Thema: Das oben erwähnte „Das hässliche Kind“ ist ein gutes Beispiel für die Richtung des Horrors, in die 200g Hack geht. Vielleicht anders, als man erwarten würde, drehen sich einige Beiträge nicht um „konventionellen“ Horror wie, sagen wir, Monster oder so etwas, sondern um den „alltäglichen“ Horror von innen und außen: Geringschätzung, Ablehnung, Angst vor dem eigenen Nichtgenügen. Eine interessante Tendenz, die vermutlich vom Alter der Zeichner herrührt und der Lebensphase, in der sie stecken oder vor kurzem gesteckt haben – wie fast alle von uns, so dass man das ganz gut nachvollziehen kann.

Thomas: Einige Beiträge gehen auch in Richtung „Gothic Horror“ und haben sehr romantische Untertöne, z.B. der Eröffnungsbeitrag „Die lieblosen Augen“ von Katharina Niko. Nicht ganz mein Geschmack, aber es gibt ja viele, die auf sowas stehen.

Vielleicht noch ein paar Worte zu den Zeichenstilen: Diese mögen mehr oder weniger beeinflusst vom Manga sein, man entdeckt hier aber eine sehr große Vielfalt von zum Teil sehr originellen und individuellen Stilen. Auch wer normalerweise einen Bogen um Mangas macht, sollte hier einen Blick riskieren. Nicht umsonst wurden die Beiträge auch in westlicher Leserichtung abgedruckt. Alles in allem ist 200g Hack eine sehr gelungene Anthologie: eine eindrucksvolle Leistungsschau junger Talente, grafisch hochinteressant, inhaltlich mit mehr Höhen als Tiefen. Und mit 6,50 noch dazu sehr preisgünstig. Auf der 200g Hack-Seite von Schwarzer Turm kann man übrigens mehr über die einzelnen Künstler erfahren und sich diverse Leseproben anschauen.

Turm Manga Spezial 2: 200g Hack
Schwarzer Turm, Januar 2007
mit Beiträgen von Katharina Niko, Gina Wetzel, Heike Rossmann, Dennis Mahring, Annelie Kretzschmar, Sitha Reis, Jean Beißel, Melanie Fey, Schluse und Han Le, Verena Borowski, Harald Kuhn und Elizaveta Porodina
208 Seiten, Softcover, schwarzweiß; 6,50 Euro
ISBN: 3-934167-32-2
eric2.gif

einkaufswagen cc

nlintX

Bildquellen:
Cover: schwarzerturm.de,
Seite aus „Das hässliche Kind“:
http://animexx.onlinewelten.com/doujinshi.php/zeichner/10809/output/21866/30344/,
Seite aus „Rats!“:
http://animexx.onlinewelten.com/doujinshi.php/zeichner/21354/output/21187/29303/,
Seite aus „Inversion“:
http://animexx.onlinewelten.com/doujinshi.php/zeichner/10556/output/20239/27856/