Mind the Gap

MTG Folge 13: Previews 05/2005

EMILY:
Eine wirklich interessante Studie zur Populärkultur bietet sich in Form von Emily the Strange #1 an. Das bemerkenswerte dabei ist nicht der Comic an sich (der bei Dark Horse erscheint), sondern die Tatsache, dass seit nunmehr zehn Jahren Teenager, größtenteils Gothic-Fans, die kleine Dame durch die Gegend tragen. Sie verziert nicht nur Hüte und Taschen, sondern auch Kleider und T-Shirts.
Das Cover und die Previewbilder sehen dennoch sehr viel versprechend aus. Der Künstler hinter Emily, Cosmic Debris, setzt auf einfache Farben und besticht mit einer Zweidimensionalität, die beeindruckt. Obwohl die Farbwahl und die Illustrationen imponieren, handelt es sich bei den Geschichten wahrscheinlich nur um kurze Episoden und keine längere Handlung. Eben nur ein Nebenprodukt der Merchandise-Firmen.

SILENT DRAGON:
Nach einigen bemerkenswerten Auftritten bei Marvel und DC hat Leinil Yu durch Silent Dragon (DC Comics/Wildstorm) nun endlich einen Titel zugeschneidert bekommen, der seine Stärken perfekt ausnutzt. Allein auf den drei Seiten im Previews sieht man, dass Yu mit seinem Stil ein perfektes Bindeglied zwischen Japan und Amerika darstellt. Eine Neuerung ist vor allem die Geschwindigkeit des Comics. Während Yu sich Zeit für die Details nimmt, die Emotionen des Protagonisten von Silent Dragon #1, Renjiro, graphisch darzustellen, lässt er ihm auf Seite drei aber genauso die Freiheit für wuchtige Action. Wenn Yu diesen Staccato-Rhythmus bis zum Ende der Serie durchhalten kann, dürfen wir uns auf einen guten Comic freuen.
Hinzu kommt dann ja auch noch Autor Andy Diggle, der schon länger für DC tätig ist (“Adam Strange“ und „The Losers“). Diggles Plot erstreckt sich über Japan, die Yakuza und das japanische Militär. Im Mittelpunkt steht Renjiro, der sich für keine Seite entscheiden kann und deshalb natürlich in jeden Kampf verwickelt wird. Dennoch wirkt in diesem Comic, dessen Schwerpunkt auf dem Graphischen liegt, der Text nur als bloßes Nebenprodukt.

GROUNDED:
Beim ersten Blick auf Grounded (Image Comics)war ich mir sicher, dass es die Zeichnungen von Paul Azaceta sind, wegen denen ich dem Comic diesen Platz hier eingeräumt habe. Vor allem die Einleitung, ein Einblick in die fiktive Comicwelt des Protagonisten Jonathan, überzeugt durch ihre klaren Linien, die wiederum von der Rasterkolorierung durchbrochen werden. So schafft Azaceta das Flair eines Silver Age Comics. Immer wieder scheint diese Realität in die Wirklichkeit des Helden, der nicht wirklich ein Held ist, einzudringen.
Beim näherem Hinschauen und genauerem Lesen des Textes ist es dann wohl doch die Geschichte von Mark Sable, die mich mehr reizt als die bloßen Bilder. Das Thema, Superhelden in eine reale Welt zu platzieren, mag schon etwas abgedroschen sein, dafür ist aber die Perspektive eine relativ neue. Oder handelt es sich hier um einen Comic, bei dem sowohl das Graphische wie auch das Literarischen ein Ganzes bilden?

YURI MONOGATARI:
Wenn man die Themen lesbische Liebe und Comics zusammenbringt, fällt als einziges Kommentar meist nur: „Love and Rockets“. Der zweite Gedanke kommt etwas später, ist aber mit großer Wahrscheinlichkeit auch immer derselbe: Manga. Der kleine Spezialverlag ALC Publishing erkundet speziell die schwul-lesbischen Bereiche des japanischen Comics. Dort hat man sieben englischsprachigen Künstlern aus aller Welt die Möglichkeit gegeben, ihre Geschichten zu erzählen. Das Ergebnis ist ein Amalgam aus Sience Fiction und Realismus, aus witzigen Beziehungen und der Angst vor der eigenen Sexualität. Der Comic stellt Homoerotik auf ganz unspektakuläre Weise dar.

FAT BOY AND HARVEY:
Was für ein grandioser Titel: Fat Boy and Harvey #1. Damit alleine haben Howard M. Shum und sein Kollege E. W. Clayton schon alles gesagt, was es zu sagen gibt. Der Rest ist dann nur noch ein Kinderspiel. Die Geschichte: Ein Künstler und sein etwas übergewichtiger Cousin aus Hong Kong erleben wilde Abenteuer mit Hollywoodgrößen und Rockstars. Im Kielwasser von verrückten Protagonisten wie z.B. „Street Angel“ werden diese beiden Antihelden sicher auch ihre kleine Fangemeinde finden.

LITTLE BOOK OF HORRORS: THE WAR OF THE WORLDS:
Es ist oft wirklich schade, dass man erst wieder Comics finanzieren kann, wenn die Vorlage erfolgreich im Kino lief. Obwohl der Stoff von H.G. Wells, War of the Worlds, nunmehr schon seit fünfzig Jahren präsent ist, muss erst Tom Cruise kommen, um ein gesundes Umfeld für einen Comic zu schaffen. Wie auch immer, IDW Publishing nutzt die Gunst der Stunde und setzt seinen besten Autor auf die Geschichte an: Steve Niles. Wie bereits beim Vorgänger in dieser Serie, „Little Book of Horror: Frankenstein“, legt man auch bei der Wells-Adaptation höchste Sorgfalt auf die Umsetzung der Originalgeschichte. Wahrscheinlich noch verstörender sind die Visionen von Ted McKeever, bei dessen Maschinen man nie sicher ist, wann die Maschine aufhört und etwas grotesk Biologisches anfängt. Man kann gespannt sein, welche Vorlage man bei IDW Publishing als nächstes auf dem Schreibtisch liegt.

CAPOTE IN KANSAS:
Ein Comic, der versucht, die wahren Begebenheiten hinter wahren Begebenheiten zu schildern. Das mag sich noch etwas zu komplex anhören. Capote in Kansas (Oni Press) beschreibt im Detail das Leben des amerikanischen Schriftstellers Truman Capote, dessen Roman „In Cold Blood“ auf einer wahren Begebenheit basiert. Doch als Team sind Ande Parks und Chris Samnee anderen Dingen auf der Spur.
Der ganz in schwarz-weiß gehaltene Comic gibt nicht Capotes Roman sondern die Recherche, die jener führte, wieder. Der Trick dabei ist, dass Capote versucht hat, so real wie möglich zu schreiben und sich deshalb für seinen Roman eine reale Vorlage gewählt hat. Was passiert nun wenn in einem Comic eine biographische Geschichte über Truman Capote erzählt wird, in der dieser nach der Realität sucht? Das Produkt ist ein Mord in Kansas und ein Schriftsteller auf der Suche. Vielleicht inspiriert der Comic den einen oder anderen, das Original zu lesen.

BURYING SANDWICHES:
Der Name des Verlags ist Robert Sato. Ein ziemlich ungewöhnlicher Name für einen Verlag. Doch wenn man weiterschaut wird schnell auffallen, dass der einzige Comic, den eben dieser Verlag herausgibt, von demselben Rob Sato geschrieben und gezeichnet wurde. Das kleine schwarz-weiße X im Previews gibt uns mehr Aufschluss über das Produkt. Der Xeric Grant wird Comics aus eben solchen Verlagen verliehen: den Eigenverlagen. Weitab vom Mainstream erzählt Sato vom kulinarischen Horror, dem Übernatürlichen und subtilen Folterungen. Es bleibt abzuwarten, ob Sato nur wegen seiner beunruhigenden Visionen den Preis bekommen hat oder wegen seiner künstlerischen Gestaltung.

TOP SHELF:
Mit The King und The Surrogates traut man sich bei Top Shelf auch auf unbekannten Wegen weiter. Obwohl Comics wie Jeffrey Browns „Clumsy“ und „Unlikely“ noch immer zum Standardprogramm gehören, so zeigen diese beiden Neuerscheinungen, dass sich Top Shelf verändern will oder wird. Der erste Titel, The King GN, entworfen von Rich Koslowski, bewegt sich auf den Spuren eines Elvis-Imitators, der im Laufe der Geschichte zunehmende Ähnlichkeit mit dem wirklichen King annimmt. Durch die Augen eines Journalisten nimmt der Leser Teil an der Suche nach dem wahren King. Ein Vorhaben, das an „Citizen Kane“ erinnert.
Der zweite Titel The Surrogates #1 scheint auf den ersten Blick nichts mit dem King gemein zu haben. Das Thema ist Cyberpunk und das Jahr ist 2054. Das erste Cover der fünfteiligen Miniserie erinnert etwas an „Popbot“, doch die Geschichte wirkt nicht so verstrickt. Mit welchem Erfolg auch immer diese beiden Titel auf dem Markt starten werden, sicher ist, dass Top Shelf expandiert.

Frage des Monats: Warum ist Toby Maguire als Superheld in einem Top-Cow-Comic auf Seite 172 zu sehen?

ABKÜRZUNGEN:

GN: Graphic Novel
TPB/TP: Tradepaperback
SC: Softcover
HC: Hardcover
Vol.: Ausgabe
(…): Vorherige Titel des Künstlers