Mind the Gap

Mind the Gap 27: Previews 09/2006

Neue US-Comics müssen von Händlern jeweils etwa zwei Monate vor Erscheinen vorbestellt werden, was über den Katalog Previews geschieht, in dem die meisten US-Verlage ihre Produkte anbieten. Das Ziel von „Mind the Gap“ ist, euch bei dem Wust an monatlichen Veröffentlichungen einen groben Überblick zu verschaffen und die interessantesten Neuerscheinungen aus Previews hervorzuheben. Wenn der eine oder andere Tipp euer Interesse weckt, könnt ihr den entsprechenden Comic vorbestellen, indem ihr die Bestellnummer an den Comic-Händler eures Vertrauens weitergebt.

previews2006-09Neu im November 2006:

Nostalgisches von Joe Casey und Will Rosado, Mitternächtliches von Mike Carey und Jim Fern, Schmerzhaftes von Garth Ennis und Chris Sprouse, Kostensparendes von Christos N. Gage und Doug Mahnke, Kompaktes von Grant Morrison, Frank Quitely et al., Nachrichtliches von Jonathan Hickman, Amerikanisches von Jamie Delano und Goran Sudžuka, Kommunistisches von Danny Bilson, Paul DeMeo, Adam Brody und Jerry Ordway, Mafiöses von Ron Marz und Mirko Colak, Brutales von Peter David und George Pérez, Herzerweichendes von Ian Shaughnessy und Mike Holmes, Archetypisches von Darwyn Cooke und Tim Sale und Zotiges von Paul Cornell und Trevor Hairsine.

AVENGERS: EARTH'S MIGHTIEST HEROES 2 #1/#2 (von 8)
Marvel Comics | je 22 Seiten | farbig | je $ 3.99 | SEP06 2095/SEP06 2096

avengersObwohl er in den mittlerweile fast zehn Jahren seiner Profikarriere nie zu den ganz Großen im Geschäft gehörte, scheint Autor Joe Casey seine Nische im US-Markt gefunden zu haben. Einerseits bemüht er sich fortwährend um eigene Schöpfungen, wie etwa in Gødland und Rock Bottom, andererseits achtet er mit Projekten wie G.I. Joe: America's Elite, Iron Man: The Inevitable und Fantastic Four: First Family darauf, beim Mainstream-Superhelden-Publikum nicht in Vergessenheit zu geraten.

In letztere Sparte lässt sich auch Avengers: Earth's Mightiest Heroes 2 einordnen, gezeichnet von Will Rosado (CrossGens The Silken Ghost) und getuscht von Marvel-Legende Tom Palmer (Avengers, Marvels Star Wars, Tomb of Dracula). Die Titelbilder stammen von Dave Johnson. Wie mit der Vorgängerserie vor zwei Jahren hat sich Casey auch diesmal wieder eine bestimmte Periode der frühen Avengers-Historie als Spielplatz herausgepickt: Earth's Mightiest Heroes 2 spielt sich zwischen den Seiten und Kästchen von Avengers (Vol. 1) #58-61 ab und begleitet, untermalt und beleuchtet die Ereignisse dieser Ausgaben aus neuen Blickwinkeln. Die Eckpunkte sind damit klar. Die „großen Drei“ der Avengers – Captain America, Thor und Iron Man – tauchen nur am Rande auf, der Android Vision und der Black Panther, Monarch des hochentwickelten afrikanischen Staates Wakanda, sind die neuesten Mitglieder des Teams, Jungspund Hawkeye entwickelt sich langsam aber sicher vom großkotzigen Hitzkopf zum Haupt-Sympathieträger, und Wasp heiratet die wandelnde Identitätskrise Henry Pym (alias Ant-Man, alias Giant-Man, alias Goliath, alias Yellowjacket), der gerade den ersten von vielen Nervenzusammenbrüchen hinter sich hat.

Dass es an Stoff für spannende und dramatische Handlung nicht mangelt, dafür haben Autor Roy Thomas und Zeichner John Buscema vor 40 Jahren also gut vorgesorgt. Weil das Problem mit der „Dekompression“ anno 1968 noch eher bei Tauchern ein Thema war als bei Comic-Autoren, bieten die stramm erzählten Original-Heftchen auch reichlich Gelegenheit, an der einen oder anderen Stelle mal einzuhaken, um die Motivationen der auftretenden Figuren genauer herauszuarbeiten oder nachträglich die eine oder andere Episode einzuschieben, die die Handlungsabläufe vielleicht etwas logischer oder homogener macht.

Leider ist Earth's Mightiest Heroes 2 mit einem Preis von jeweils $ 3.99 für einen Verlagsgiganten wie Marvel unverschämt teuer, weshalb man je nach Gusto besser den unvermeidlichen Sammelband abwarten mag. Wer einen Goldesel mit Dünnschiss in der Garage stehen hat, darf sich derweil schon ab November auf solide Kost von einem der wenigen US-Autoren freuen, die den Spagat zwischen Mainstream- und Independent-Material regelmäßig und mit Bravour meistern.

Links:

Wikipedia: Joe Casey
Wikipedia: Avengers
The Comics Reporter: Interview mit Joe Casey
Newsarama: Interview mit Joe Casey + Vorschau

CROSSING MIDNIGHT #1
DC Comics/Vertigo | 22 Seiten | farbig | $ 2.99 | SEP06 0304

crossing_midnightAutor Mike Carey ist ehemaliger Lehrer und schreibt neben Romanen und Filmen auch jede Menge Comics.
Bis vor kurzem war Carey vor allem für seine Arbeit an Vertigos Hellblazer und Lucifer bekannt sowie durch sehr positiv rezensierte aber leider sehr wenig gelesene Miniserien wie My Faith in Frankie (ebenfalls bei Vertigo erschienen) und Spellbinders (Marvel).
Dieses Jahr bekam Careys Popularität auf dem US-Markt nun einen gehörigen Schub, als er für Marvel Ultimate Fantastic Four und X-Men übernahm und darüber hinaus mit Wetworks dazu beiträgt, DCs WildStorm-Universum neu zu booten. Wer befürchtet, deshalb unbedingt mit Superheldenkram anbandeln zu müssen, um weiterhin Comics des Briten zu lesen, darf aber beruhigt sein. Carey schafft es irgendwie, auch Vertigo weiterhin treu zu bleiben.

Das erste von drei neuen Carey-Projekten, welche bereits angekündigt sind, ist die fortlaufende Serie Crossing Midnight, illustriert von Jim Fern (Fables sowie Füllerausgaben für alle möglichen Serien von Marvel und DC) mit Titelbildern von J.H. Williams III. Laut Carey ist Crossing Midnight auf dem Genrespektrum irgendwo zwischen Horror und Fantasy einzuordnen.
Hauptfiguren sind die japanischen Zwillinge Kai und Toshi. Von den beiden Jungs wurde einer kurz vor Mitternacht, der andere kurz nach Mitternacht geboren, was weitreichende Folgen für ihre Schicksale hat. Übernatürliche Kräfte sind am Werk, und auch der geschichtsträchtige Ort des Geschehens – die Stadt Nagasaki – spielt eine gewisse Rolle.

Mit seinem Superheldenmaterial hat Carey bisher eher gemischte Reaktionen geerntet, die Kritiken für seine Vertigo-Serien waren aber durchweg sehr positiv. Mit Crossing Midnight dürfte sich der Autor also wie zuhause fühlen, nicht nur weil ihm seine eigenen Söhne – ebenfalls Zwillinge – eine Inspiration für Kai und Toshi waren.

Links:

Wikipedia: Mike Carey
Newsarama: Interview mit Mike Carey

THE MIDNIGHTER #1
STORMWATCH: P.H.D. #1
DC Comics/WildStorm | je $ 2.99 | farbig | je $ 2.99 | SEP06 0279/SEP06 0276

midnighterIm November startet Phase Drei der Runderneuerung des WildStorm-Universums.

Der Midnighter, die tödlichere, lustigere und, ach ja, schwulere Variante von Batman, 1997 von Warren Ellis geschaffen und bisher als Mitglied der Authority bekannt, bekommt seine eigene Serie.
Und die offiziell sanktionierte StormWatch-Truppe, in den frühen Neunzigern eine der ersten WildStorm-Reihen überhaupt, nimmt einen weiteren Anlauf.

Für The Midnighter hat man sich das eindrucksvolle Gespann von Autor Garth Ennis (The Boys, Punisher) und Zeichner Chris Sprouse (Ex Machina Special, Tom Strong) geangelt. Was von der Serie zu erwarten ist, erfährt man am besten von Ennis selbst, der im Newsarama-Interview kein Blatt vor den Mund nimmt und die brennendsten Fragen ohne viel Schnickschnack beantwortet.

Was unterscheidet den Midnighter eigentlich von Batman?
„Batman kämpft für den Status quo, der Midnighter für eine bessere Welt. So einfach ist das.“

Wird sich die Handlung von The Midnighter mit den anderen neuen WildStorm-Serien überschneiden?
„Wenn ich mehr als sechs Ausgaben schreibe, werd' ich mir Mühe geben, dass es eine Solo-Sache bleibt, ohne Auftritte der Authority im allgemeinen (Super-Team, *gähn*) oder Apollo [Midnighters Lebensabschnittsgefährte und WildStorms Antwort auf Superman -Marc-Oliver] im besonderen (langweiliger blonder Depp). Und keine Crossovers. Für sowas können sie sich einen anderen suchen.“

Und wie steht's mit der Sexualität des Midnighters?
„Ein Monolog in der Eröffnungsszene spricht seine Sexualität an, aber nicht so, wie es die Leute vielleicht erwarten. Das ist keine komplizierte Sache: Er vögelt gerne Männer. Er vögelt gerne einen bestimmten Mann. Aber das heißt nicht, dass er rund um die Uhr in seiner Nähe sein will. Daher die Solo-Serie. Es gibt diesbezüglich keinen Klärungsbedarf mehr für ihn, also warum sollte das für uns anders sein? Was die Kontroversen angeht, die daraus entstehen könnten – nun, wenn Brokeback Mountain eins gezeigt hat, dann das: Schwule Figuren gehen genau den richtigen Leuten auf den Sack.“

Noch Fragen?

stormwatchStormWatch währenddessen, eine Spezialeinheit der Vereinten Nationen für Konflikte mit supermenschlicher Beteiligung, ist eine Jim-Lee-Schöpfung und debütierte ursprünglich 1993 in StormWatch #1, damals noch bei Image Comics.
Seitdem durchlief die Serie mehrere Inkarnationen: Nach 36 Ausgaben übernahm 1996 Warren Ellis die Reihe und formte sie mit den Zeichnern Tom Raney, Oscar Jimenez und schließlich Bryan Hitch über zwei Jahre hinweg in The Authority um. Im Jahr 2002 gab's dann mit StormWatch: Team Achilles einen Neuanfang, doch die Verkaufszahlen waren schlecht und die Reihe erlangte in erster Linie durch die Eskapaden ihres Autors Berühmtheit. (Micah Ian Wright, der in seinen Comics und in Interviews gerne mit provokanten USA-kritischen Äußerungen eine dicke Lippe riskierte, behauptete jahrelang immer wieder, Mitglied einer Spezialeinheit der US-Armee und an Kampfeinsätzen in Südamerika beteiligt gewesen zu sein – ein übler Schwindel, wie sich 2004 herausstellte. Paolo Pinkel läßt grüßen. Der Zorn bei DC war so groß, dass man sogar die geplante letzte Ausgabe von Team Achilles, die #24, ersatzlos strich.)

Die Neuauflage des Konzepts hört nun auf den Namen StormWatch: P.H.D. (steht für „Post-Human Defense“) und stammt von Autor Christos N. Gage (Union Jack) und Zeichner Doug Mahnke (Team Zero, Seven Soldiers: Frankenstein). StormWatch steht wieder mal im Dienste der UN und setzt sich – im Gegensatz zu Team Achilles – auch wieder aus Supermenschen zusammen. Was P.H.D. hauptsächlich von früheren Versionen unterscheiden soll, ist, dass die Einheit diesmal von der allgegenwärtigen Finanzmisere nicht verschont bleibt. Anstatt mit gigantischen Raumstationen und praktischen Teleportern zu klotzen, kommt es anno 2006 auch bei Superhelden vor allem darauf an, „kosteneffizient“ zu arbeiten. Das hört sich in der Theorie im ersten Moment zunächst mal etwas hanebüchen an, aber in den richtigen Händen kann da schon was draus werden.

Ob Gage diese Hände hat, dazu gibt's momentan noch nicht genug Input (Union Jack #1 liegt noch ungelesen auf meinem Nachttisch – ja, manchmal les' ich den Scheiß, den ich empfehle, tatsächlich sogar selber).

Links:
Wikipedia: Garth Ennis
Wikipedia: Chris Sprouse
Wikipedia: WildStorm
Wikipedia: Midnighter
Wikipedia: StormWatch
Newsarama: Interview mit Garth Ennis
Newsarama: Interview mit Christos N. Gage + Vorschau
Fractal Matter: Interview mit Christos N. Gage
Comic Book Resources: Interview mit Christos N. Gage + Vorschau
Your Mom's Basement: Interview mit Christos N. Gage
Comixfan: Interview mit Christos N. Gage
Newsarama: Vorschau auf The Midnighter #1

NEW X-MEN OMNIBUS (Hardcover)
Marvel Comics | 1096 Seiten | farbig | $ 99.99 | SEP06 2166

new_x-menNach dem Abgesang von Chris Claremont und kurz darauf Jim Lee und Rob Liefeld in den frühen Neunzigern hatte man bei Marvel die kommerzielle Durchschlagkraft des X-Men-Kolosses zwar zunächst durch immer weiter ausufernde, titelübergreifende Geschichten bewahren können. Doch als der US-Markt 1994 kollabierte, blieben auch die populärsten Figuren der Branche nicht verschont.
Autoren wurden immer schneller verheizt, mussten sich mit bisweilen chaotischen Arbeitsbedingungen abfinden und konnten nur selten wirkliche Akzente setzen. Man war zu ängstlich geworden in der Chefetage des Verlags. Sprunghafte, um ihre Arbeitsplätze besorgte Redakteure sagten mal Hüh und mal Hott und bestimmten die Richtung ihrer Geschichten lieber selbst, als sie den von ihn angeheuerten Autoren mit ihren tollkühnen Ideen anzuvertrauen. Längst war die Qualität der Serien unter Kritikern zu einem Witz geworden; die X-Men und ihre inzestuöse, sich scheinbar in einer endlos-Recycling-Schleife befindliche Welt galten als Paradebeispiel für alles, was in der Branche gerade so schief lief; und was am schlimmsten war: Die Verkaufszahlen sanken unaufhaltsam weiter.

Im Jahr 2000, als die beiden X-Men-Serien – wohlgemerkt immer noch die Bestseller der Branche – noch nicht einmal mehr mickrige 100.000 Exemplare absetzen konnten, zog ein neuer Verlagspräsident namens Bill Jemas die Notbremse: Chefredakteur Bob Harras musste gehen. Sein Nachfolger wurde Joe Quesada, der zusammen mit Jimmy Palmiotti zwei Jahre zuvor die erfolgreiche Sparte Marvel Knights aus dem Boden gestampft und kurz vor seiner Beförderung im Tandem mit Jemas gegen alle Voraussagen mit Ultimate Spider-Man und Ultimate X-Men zwei weitere kommerzielle Flaggschiffe für Marvel entworfen und mit den richtigen Autoren und Zeichnern besetzt hatte.

In Windeseile machte sich Quesada nun daran, das krankende Mainstream-Marvel-Programm, allen voran die Spider-Man- und X-Men-Serien, wieder auf Vordermann zu bringen. Der gerade erst zurückgekehrte Claremont musste nach nur zehn Monaten schon wieder seinen Hut nehmen, denn die Reaktionen auf seine Arbeit fielen – zurecht – vernichtend aus und die Verlagsleitung warf ihm und Harras – auch nicht ganz unbegründet – totales Versagen darin vor, den Erfolg des ersten X-Men-Films für höhere Comic-Verkäufe anzuzapfen.

Quesadas Lösung war für damalige Verhältnisse geradezu revolutionär: Der Schotte Grant Morrison, ausgewiesener Querdenker und Visionär der Branche, der bei der Konkurrenz mit seiner Neuinterpretation von Serien wie Animal Man, Doom Patrol und JLA und mit bahnbrechenden Eigenkreationen wie The Invisibles für Furore gesorgt hatte, sollte mit der eigens für ihn umbenannten Reihe New X-Men Carte Blanche erhalten und das abgetakelte Flaggschiff des Marvel-Universums nicht nur kommerziell, sondern auch in kreativer Hinsicht wieder flott machen.
Das Experiment gelang.

Morrison brachte es fertig, den Absatz zu steigern und gleichzeitig den ramponierten Ruf der Mutantenserie zu kitten. Die Ausgaben New X-Men #114-154 (plus das Sonderheft New X-Men 2001) stellen einen schöpferischen Kraftakt dar, der auf eigenen Füßen steht, ohne dabei die in 40 Jahren angesammelten Handlungsstränge und Traditionen der X-Men außer Acht zu lassen. Die Story der 42 von 2001 bis 2004 erschienenen Hefte ist ein vielschichtiges, von Anfang bis Ende akribisch geplantes und durchgestyltes Epos. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass sich hier alle typischen Elemente finden, die zum X-Men-Kosmos gehören, von den Seifenoper-artigen Affären und Intrigen bis hin zu futuristischen Massenschlachten – mit traumwandlerischer Sicherheit destilliert Morrison die ureigensten Charakteristiken der Reihe, stets aus verblüffend frischen Winkeln beleuchtet und im Seitentakt um neue Figuren, Konzepte und Ideen angereichert. Von Anfang an wird ein hohes Tempo vorgelegt.

Bereits die erste Seite von New X-Men #114 gibt unmissverständlich die Marschrichtung vor. Zu sehen ist Wolverine, der zum x-ten Mal einen dieser großen, klobigen Sentinel-Roboter mit seinen Klauen bearbeitet.
„Wolverine. Ich glaube, damit kannst du jetzt aufhören,“ sagt sein Teamkamerad Cyclops gelassen, während er dem stählernen Koloss mühelos und etwas gelangweilt mit seinen Laser-Blick den Rest gibt. Kurz darauf nimmt man sich die Zeit, die fünf im Mittelpunkt stehenden Mitglieder des Teams auf zwei Seiten in einer Clipshow vorzustellen, die unweigerlich an den Vorspann einer TV-Serie erinnert. Sie tragen schicke neue Uniformen, haben ihre ausgeleiert-melodramatischen Gesichtszüge gegen Konturen mit Attitüde eingetauscht und sehen auch sonst so frisch aus wie seit Jahren nicht mehr.

Sofort ist klar: Alles wird neu. Alles wird anders. Die X-Men sind plötzlich cool und stylisch und machen Spaß. Es geht vorwärts, und es passiert endlich wieder was. Man erinnert sich, warum man die Serie mal gerne gelesen hat, und man möchte Morrison und Zeichner Frank Quitely (JLA: Earth 2, The Authority) zujubeln. Es bleibt nicht beim bloßen Versprechen, und schnell gesellt sich zum Style die Substanz: In Morrisons erstem Dreiteiler wird der Erzschurke Magneto ohne viel Federlesens „ein für allemal“ ums Eck gebracht – insektenartige, „wild lebende“ Versionen der Sentinels, gelenkt von der neuen Schurkin Cassandra Nova, machen die Mutanten-Insel Genosha dem Erdboden gleich.
Kurz darauf geben sich mit dem „Mann aus Raum X“ (alias Xorn, ein chinesischer Zen-Fuzzi mit verblüffenden Heilkräften und einem schwarzen Loch als Hirn), den jungen Mutanten Angel und Beak und den skrupellosen U-Men, die Mutanten entführen, um sich deren übermenschliche Organe und andere Körperteile selbst einzupflanzen, weitere neue Figuren die Klinke in die Hand.
Wer auf die von Claremont beliebt gemachten, aber thematisch eigentlich eher irrelevanten Weltraum-Eskapaden der X-Men steht, kommt mit ausgedehnten Auftritten der außerirdischen Shi'ar und ihrer Imperialen Supergarde ebenfalls auf seine Kosten. Und damit ist lediglich das erste von Morrisons drei Jahren als Autor von New X-Men abgedeckt. Im weiteren Verlauf wird mit Fantomex eine Figur eingeführt, die sich wie ein Reim auf sämtliche „mysteriösen“ X-Men liest, die es in den frühen Neunzigern so gab und dessen Ursprungsgeschichte das Zeitreisen-Gedöns von Figuren wie Cable oder Bishop kurzerhand umstülpt und auf den Kopf stellt.
Über den Phantomas-Verschnitt geht's dann weiter zu Waffe Plus, Morrisons Neuinterpretation des Waffe-X-Projekts, und bisher verborgene Geheimnisse des mysteriösesten X-Man überhaupt, Wolverine, werden enthüllt. Zwischendurch wird in Afghanistan eine junge muslimische Mutantin namens Soraya von modernen Sklavenhändlern befreit; es kommt unter der Führung des radikalen Halbstarken Quentin „Kid Omega“ Quire zu einem folgenschweren Aufstand in Xaviers Schule; ein Mitglied der X-Men wird ermordet, woraufhin das gesamte Institut unter Quarantäne gestellt wird; und Cyclops und Wolverine durchzechen die Nacht in Sebastian Shaws „Hellfire Club.“

Bevor Morrison mit dem Rausschmeißer „Here Comes Tomorrow“ seine Antwort auf den Klassiker „Days of Future Past“ von Claremont und Byrne liefert, gibt's dann nochmal eine Reinkarnation von Phoenix zu bestaunen, ohne die auch keine anständige X-Men-Geschichte komplett ist. Und, und, und.
Warum sind plötzlich nicht mehr die Mutanten die „bedrohte Spezies,“ sondern die regulären Menschen? Ist Beast wirklich schwul? Und überhaupt: Warum sieht er plötzlich aus wie das Vieh aus dem Disney-Film? Betrügt Cyclops Jean Grey? Wird die bizarre Liebesgeschichte zwischen Beak und Angel ein gutes Ende nehmen? Wie sieht Magnetos Vermächtnis aus? Was treibt Xavier dazu, die Existenz seines Instituts der Öffentlichkeit preiszugeben und rund um die Welt seine X-Corporations zu eröffnen? Kann man ihm noch trauen? Wer ist der Verräter unter den X-Men? Oder gibt es sogar mehrere?
Ganz nebenbei geht die Mega-Erzählung schließlich noch als Kommentar zur Natur des Produktes „X-Men“ und der US-amerikanischen Mainstream-Comic-Branche generell durch. Leider illustrierte Quitely aufgrund seines zeitaufwendigen Stils nur die wenigsten Hefte der Serie. Trotz ein, zwei hässlicher, weil von Igor Kordey hastig gezeichneter, Ausgaben am Anfang, bevor man sich bei Marvel auf die Situation eingestellt hatte, machten Quitelys Vertreter und Nachfolger, Ethan van Sciver, Phil Jimenez, Chris Bachalo, Marc Silvestri, Leinil Francis Yu, John Paul Leon, Keron Grant, Tom Derenick und, ja, auch Kordey, insgesamt einen annehmbaren Job und lenkten nur selten von der faszinierenden Story ab.

Was Marvel hier in einem 1.000-seitigen, übergroßen Mammut-Hardcover-Band vorlegt, ist ein essentielles Werk des Superheldengenres und eine X-Men-Geschichte, die mit den besten Claremont-Stories nicht nur auf Augenhöhe steht.

Links: Wikipedia: X-Men
Wikipedia: Grant Morrison
Wikipedia: Frank Quitely

THE NIGHTLY NEWS #1 (von 6)
Image Comics | 22 Seiten | farbig | $ 2.99 | SEP06 1787

nightly_newsDie Miniserie The Nightly News von Autor und Zeichner Jonathan Hickman ist ein weiteres dieser Projekte, deren Anzeigentext im allmonatlich-allmächtigen Previews-Katalog nicht so recht aus dem Kreuz kommen will bezüglich… äh, worum geht's denn jetzt eigentlich, bitte?

Hauptfigur der Geschichte ist – allem Anschein nach – ein Typ namens The Hand, der Anführer einer gewalttätigen neuen Sekte, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, all diejenigen zu rächen, deren Karrieren, Ehen und Leben von den bösen Medien ruiniert wurden.

Zugegeben, da steckt irgendwo 'ne gute Idee drin. Trotzdem muss ich leider sagen, dass die knarzig geschriebene, grammatikalisch fragwürdige Beschreibung, die – vermutlich vom Autor selbst – an Previews übermittelt wurde, mich nicht gerade mit Zuversicht erfüllt, zumal The Nightly News Hickmans Debüt als professioneller Autor darstellt. Fairerweise sollte aber erwähnt werden, dass Hickman im Interview einen weitaus besseren Eindruck hinterlässt.

Links:

Comic Book Resources: Interview mit Jonathan Hickman

OUTLAW NATION (Paperback)
Image Comics | 456 Seiten | schwarzweiß | $ 15.99 | SEP06 1798

outlaw_nationOutlaw Nation
, geschrieben von dem Briten Jamie Delano (“Captain Britain,“ „Doctor Who,“ Hellblazer) und gezeichnet von dem Kroaten Goran Sudžuka (Y: The Last Man) mit Unterstützung seines Landsmannes Goran Parlov (Punisher), erschien ursprünglich von 2000 bis 2002 als Farbserie bei Vertigo, wurde aber nach 19 Ausgaben eingestellt, weil die Verkaufszahlen zu wünschen ließen.

Jetzt kommt die ganze Sause, die damals überwiegend positive Rezensionen einfuhr, in einem kompakten Schwarzweiß-Band bei Image heraus. Das Konzept der Serie liest sich in der Beschreibung wie eine Oliver-Stone-Verfilmung von „Rip van Winkle“:

Ein „100-jähriger, halb gestörter, unter Amnesie leidender Groschenroman-Autor“ namens Story Johnson kehrt nach Hause zurück, „nachdem er 25 Jahre lang in Vietnam verschollen war.“ Daraufhin muss Johnson feststellen, dass einige Mitglieder seiner Familie verschwunden sind und dass der Rest ihn dafür verantwortlich macht.

Delano selbst beschreibt Outlaw Nation als einen „flotten, hartgesottenen, schwarz-komischen, zugedröhnten politischen Thriller; eine epische Familiensaga, die sich in der Untergrund-Mythologie Amerikas bewegt: Es ist ein 'Road Movie' persönlicher Entdeckungen für Story Johnson, der heimkehrt, um herauszufinden, ob der 'amerikanische Geist' seiner bizarren Familie seinen Widerstand gegen die Unterdrückung des 'amerikanischen Traums' aufrechterhalten hat.“

Das hört sich gar nicht so schlecht an, ist – sofern man Sudžukas Arbeit an Y als Maßstab nehmen kann – sehr schön gezeichnet und im Preis-/Leistungsverhältnis wohl schwer zu schlagen.

Geheimtipp.

Links:

Wikipedia: Jamie Delano
Desperado Publishing: Goran Sudžuka im Profil
Desperado Publishing: Goran Parlov im Profil
Newsarama: 24-Seiten-Vorschau of Outlaw Nation

RED MENACE #1 (von 6)
DC Comics/WildStorm | 22 Seiten | farbig | $ 2.99 | SEP06 0274

red_menaceMan verstehe mich nicht falsch: Hype ist gut, wenn man was verkaufen will. Ein bißchen Augenmaß schadet aber auch hier in der Regel nicht.

Wenn ein Previews-Anzeigentext Red Menace als „most talked-about miniseries of the fall“ bezeichnet, dann fühlt sich der geneigte Käufer zum Beispiel tendenziell nicht motiviert, das Ding zu erwerben, sondern rollt lieber mal ganz kurz mit den Augen. Das ist nämlich billiger und zeitsparender, und man kommt sich abends nicht so verarscht vor.

Hauptfigur von Red Menace, so scheint es, ist The Eagle, ein Superheld im Los Angeles des Jahres 1953, der vom berüchtigten Senator Joe McCarthy – wie alles andere, was in Fuffzigern nicht bei drei auf den Bäumen war – des Kommunismus bezichtigt wird.

Gut und schön, aber spätestens bei einem Blick auf die Namen der kreativen Köpfe des Projektes wird man skeptisch. Illustrator Jerry Ordway (JSA, Top 10: Beyond the Farthest Precinct, U.S. Agent) ist zwar ein erfahrener, grundsolider Vertreter seiner Zunft, der sämtliche Spielarten des Genres im Schlaf beherrscht. Geschrieben allerdings wird Red Menace von nicht einem, nicht zwei, sondern gleich drei Herren, die ihre Brötchen normalerweise mit TV-Serien verdienen und deshalb in der US-Branche momentan schon aus Prinzip als Der Ganz Große Scheiß gelten.
Da wäre zunächst das Gespann von Danny Bilson und Paul DeMeo, das vor über fünfzehn Jahren mal für die kurzlebige TV-Serie The Flash verantwortlich zeichnete, die sich um die DC-Figur drehte. Anno 2006 war das scheinbar Grund genug für DC, den beiden Flash: The Fastest Man Alive, die neu gestartete Serie des roten Flitzers anzudrehen – bei bisher eher verhaltenen Kritiken.
Der dritte im Bunde ist Adam Brody, bekannt unter anderem aus The O.C. Wohlgemerkt: Brody ist kein TV-Autor wie Bilson und DeMeo, sondern Schauspieler. Das heißt natürlich nicht, dass er nicht schreiben kann, aber man möge mir den leisen Verdacht, dass er den Job möglicherweise nicht aufgrund seines großen Talents an Land gezogen hat, vergeben. Insbesondere, wenn Brody mit seiner Kollegin Rachel Bilson geht, ebenfalls aus The O.C. und Töchterchen von – hoppla! – Danny Bilson.
Die Welt, sie ist klein.

Übrigens: Wer dem Anzeigentext immer noch glaubt, dass es sich hier um die Miniserie handelt, über die „im Herbst“ am meisten gesprochen werden wird, der möge sich bitte unverzüglich bei mir melden. Ich habe nämlich eine wunderschöne Brücke zu verkaufen – zum absoluten Schnäppchenpreis und für Selbstabholer.

Links:

Newsarama: Interview mit Danny Bilson
Wizard Universe.com: Vorschau auf Red Menace

RUSSIAN SUNSET #1 (von 5)
Image Comics | 32 Seiten | schwarzweiß | $ 3.99 | SEP06 1789

russian_sunsetUS-Autor Ron Marz (Ion, Witchblade, Green Lantern) und der junge serbische Zeichner Mirko Colak (Cover-Zeichnung: Bart Sears) basteln mit Russian Sunset einen Comic, in dem von „brutalen Gangstern“ über „verführerische Spioninnen“ und „fanatische Terroristen“ bis hin zum „gestohlenen Nuklearsprengsatz“ alles enthalten ist, was man von einem klassischen, post-sowjetischen Spionage-Thriller erwartet.

Hauptfigur der Miniserie ist Nik, der zur Russenmafia von Brooklyn gehört, für einen Spezialauftrag nach Russland geschickt wird und ein „schockierendes Geheimnis“ mit sich herumträgt.

Den goldenen Blumentopf für Originalität im Dienst werden Marz und Colak damit sicher nicht gewinnen, aber vielleicht springt ja ein guter Agentencomic raus – von denen gibt's schließlich nicht so viele in den Vereinigten Staaten. (Vorbehalt: Wenn sich hinter dem „schockierenden Geheimnis“ irgendein Superheldenquatsch verbirgt, wird sich diese vorsichtige Empfehlung binnen nullkommahastenichgesehn selbstzerstören.)

Links:

Wikipedia: Ron Marz
Desperado Publishing: Mirko Colak im Profil
Wizard Universe.com: Interview mit Ron Marz
Newsarama: Interview mit Ron Marz

SACHS AND VIOLENS (Paperback)
DC Comics | 128 Seiten | farbig | $ 14.99 | SEP06 0247

sachs_violensSachs and Violens, die nach Incredible Hulk: Future Imperfect zweite und bisher letzte Zusammenarbeit von Autor Peter David (X-Factor, Fallen Angel) und Zeichner George Pérez (JSA, JLA/Avengers), erschien erstmals 1993 und 1994 als vierteilige Miniserie bei Epic, Marvels damaligem Label für „Erwachsene“- und Autoren-Comics; die Rechte an dem Material blieben aber immer bei den Schöpfern.

Als Davids Fallen Angel nun vor zwei Jahren bei DC Comics eingestellt wurde, fädelte der Autor einen Deal mit DC ein, der es ihm erlaubte, die Reihe bei IDW Publishing neu zu starten. Im Gegenzug erklärten sich David und Pérez bereit, DC einen Sammelband von Sachs and Violens herausgeben zu lassen. Während man die zwei normalerweise eher mit Superhelden, Fantasy oder Science Fiction in Verbindung bringt, geht Sachs and Violens in eine komplett andere Richtung: Dem Model Juanita Jean und dem Kriegsphotografen Ernie platzt der Kragen – sie tun sich zusammen und nehmen es mit Porno-Sklaventreibern, Mördern und religiösen Fanatikern auf, ballern wild durch die Gegend und kriegen dabei einen solchen Kick, dass sie danach erst mal wilden Sex miteinander haben.

Sachs and Violens
ist eine brutale Mediensatire im Stil von Natural Born Killers (na ja, nicht ganz so brutal, und der Vollständigkeit halber sollte erwähnt werden, dass der Comic früher rauskam als der Film), gegen die alles, was der Punisher bis dahin so angestellt hatte, ein Kindergeburtstag war. Mittlerweile haben sowohl David als auch Pérez mit Projekten wie Fallen Angel und Crimson Plague ähnlich schonungslose Arbeiten vorgelegt.

Wer wissen will, wo die beiden zum ersten mal so richtig ihre fiese Seite zeigen konnten, sollte sich Sachs and Violens mal anschauen.

Links:
Wikipedia: Peter David
Wikipedia: George Pérez
Newsarama: Interview mit Peter David

SHENANIGANS (Paperback)
Oni Press | 168 Seiten | schwarzweiß | $ 14.95 | SEP06 3511

shenanigansAutor Ian Shaughnessy (Strangetown) und Zeichner Mike Holmes (ein Neuling in der Branche und Gewinner eines von Oni Press ausgeschriebenen Talentwettbewerbs) wollen mit Shenanigans (auf Deutsch etwa „Mumpitz“, „Blödelei“ oder „Spielerei“) eine romantische Komödie in der Machart eines Billy-Wilder-Streifens vorlegen:
Holdens Freundin Casey (O-Ton Shaughnessy: „eins dieser Mädchen, auf die jeder scharf ist“) erteilt Privatunterricht, wird dabei aber nicht nur von Lernwilligen gebucht. Daraufhin gibt sich Holden, rasend vor Eifersucht, als irischer Austauschstudent aus und lässt sich von Casey unterrichten. Blöd nur, dass sie sich in den Burschen von der grünen Insel verliebt und daraufhin mit Holden Schluß macht.
Und „dann wird's lustig,“ verspricht der Autor.

Shaughnessy bezeichnet Wilders The Apartment als seinen Lieblingsfilm und gibt Irma la Douce (beide mit Jack Lemon und Shirley MacLaine) als direkte Inspirationsquelle an – ein typischer Oni-Stoff, also.

Shenanigans ist was fürs Herz.

Links:

Sequential Tart: Interview mit Ian Shaughnessy

SUPERMAN CONFIDENTIAL #1
DC Comics | 22 Seiten | farbig | $ 2.99 | SEP06 0206

superman_confidentialAuch wenn man Superman normalerweise zum Gähnen findet, macht es einem DC zur Zeit verdammt schwer, abstinent zu bleiben.

Nach All-Star Superman von Grant Morrison und Frank Quitely, Superman von Kurt Busiek und Carlos Pacheco und Action Comics von Geoff Johns, Richard Donner und Adam Kubert schickt man im November mit Superman Confidential eine weitere hochkarätig besetzte Reihe ins Rennen, deren Autoren und Zeichner allerdings mit jedem neuen Zyklus ausgewechselt werden sollen.

Den Anfang machen Autor Darwyn Cooke (DC: The New Frontier) und Zeichner Tim Sale (Catwoman: When in Rome, Hulk: Gray) mit einem Sechsteiler, der Supermans erste Begegnung mit den gefürchteten radioaktiven Bruchteilen seines Heimatplaneten schildert: Kryptonit.

Besonders begeisternd hört sich das zwar noch nicht an, aber dafür hauen Sales auf klassisch getrimmte Zeichnungen umso mehr rein.

Links:
Wikipedia: Darwyn Cooke
Wikipedia: Superman
Wizard Universe.com: Vorschau auf Superman Confidential

WISDOM #1 (von 6)
Marvel Comics/Max Comics | 22 Seiten | farbig | $ 3.99 | SEP06 2157

wisdomWer früher stirbt ist bekanntlich länger tot, oder so ähnlich.

Marvels Max-Label jedenfalls bleibt uns wider Erwarten scheinbar doch noch etwas länger erhalten. Nachdem Alias und Supreme Power ausgegliedert, umbenannt und entschärft worden waren, mit Punisher nur noch eine fortlaufende Max-Reihe erschien und Marvel im allgemeinen weniger risikofreudig wurde als noch in der Bill-Jemas-Ära, schien das Label für Volljährige angezählt.
Aber nix da, man ist nun im Begriff, einen ganzen Schwung neuer Max-Projekte zu starten.

Eins davon ist Wisdom, welches sich um den gleichnamigen britischen Mutanten und Superagenten dreht – nach dem Midnighter (siehe oben) nebenbei die zweite Warren-Ellis-Figur, die im November ihre eigene Serie erhält. Ellis hatte Pete Wisdom – einen seiner kettenrauchenden, grummeligen und leicht schäbigen „typisch britischen“ Helden – ursprünglich für einen frühen Independent-Comic geschaffen, übereignete ihn 1995 aber Marvel, als er die Serie Excalibur übernahm.

Wisdom, ein Geheimagent mit mysteriöser Vergangenheit, besitzt die Fähigkeit, „hot knives“ aus seinen Händen zu schießen – das bedeutet im Deutschen „heiße Messer“ und ist pikanterweise zudem Slang für eine etwas ausgefallenere Methode, Haschisch zu rauchen.
Wisdom erledigte für den konspirativen Dienst Black Air die Drecksarbeit, bevor er die Brocken hinschmiss und als Verbindungsmann zu Excalibur eingesetzt wurde. Bald darauf half er der Superheldengruppe, den kriminellen Machenschaften der Black Air das Handwerk zu legen. Ebenfalls unter der kreativen Leitung von Ellis trat Wisdom eine Zeit lang als Mentor von X-Force in Erscheinung, verschwand danach aber einige Jahre von der Bildfläche. Seit 2005 ist er jeden Monat in der Serie New Excalibur zu sehen, wo er als Mitglied des Super-Geheimdienstes MI-13 ein neues Excalibur-Team versammelt hat.

In Wisdom soll die Figur weitgehend ohne ihre Excalibur-Kameraden zu Werke gehen, dafür aber mit einem neuen Team von MI-13-Agenten. Autor von Wisdom ist der Brite Paul Cornell, der neben Comics (Judge Dredd Magazine) auch TV-Serien (Robin Hood, Doctor Who) und Romane (meistens mit Doctor Who in der Hauptrolle) schreibt.
„[Wisdom] ist süffig und zotig und spielt sich vollkommen in Großbritannien ab“, so Cornell im Interview mit Newsarama. „[…] Ich versuche, ein authentisches Bild des modernen Großbritanniens zu zeichnen, das nichts verniedlicht, aber wo man gleichzeitig noch immer das Mystische finden kann. Also starten wir in der ersten Ausgabe mit einem militärischen Helikopterangriff auf Avalon – automatische Waffen gegen Fabelwesen. Und in Heft Nummer Zwei finden wir was Uraltes und Schreckliches in einem kleinen Dörfchen in Wiltshire. […] Dort ist es, sagen wir mal, nicht gerade unbritisch. Wenn euch der abgebrühte Kneipenhumor gefällt, mit dem erfahrene Briten sich ein bisschen auskennen, gibt's schlechtere Ideen, als hier mal reinzuschauen.“
Auch sonst ist das Interview übrigens 'ne überaus lesenswerte Sache.

Gezeichnet wird Wisdom von Trevor Hairsine (X-Men: Deadly Genesis, Ultimate Six). Man errät's: noch ein Engländer. Leider schlägt auch Wisdom ohne zusätzlichen Inhalt mit frechen $ 3.99 pro Ausgabe zu Buche, was eher auf den Sammelband Lust macht als auf die Einzelhefte.

Links:

http://www.myspace.com/92357526
Wikipedia: Paul Cornell
Wikipedia: Peter Wisdom
Newsarama: Interview mit Paul Cornell (und Redakteur Nick Lowe)

Der Heftchen-Ticker für November

batman_spirit+++ASTONISHING X-MEN #19. Joss Whedon und John Cassaday starten ihren letzten Akt des Kassenschlagers, der – *schock* – sogar monatlich erscheinen soll. (Marvel Comics, $ 2.99)+++AVENGERS NEXT #1/#2 (von 5). Das Marvel-Universum der unmittelbaren Zukunft verkauft sich neuerdings wieder überraschend gut, daher dürfen Tom DeFalco und Ron Lim nochmal ran. (Marvel Comics, je $ 2.99)+++BATMAN/THE SPIRIT. Darwyn Cooke und Jeph Loeb zelebrieren das Zusammentreffen von Bob Kanes und Will Eisners lustig gekleideten Detektiven. (DC Comics, $ 4.99)+++BULLET POINTS #1 (von 5). Reichlich abwegige „Was wäre, wenn…?“-Nummer von J. Michael Straczynski und Tommy Lee Edwards. (Marvel Comics, $ 2.99)+++CONNOR HAWKE: DRAGON'S BLOOD #1 (von 6). Chuck Dixon und Derec Donovan verwalten eine ausgemusterte Comicfigur. (DC Comics, $ 2.99+++DMZ #13. Brian Wood und Riccardo Burchielli starten den dritten Akt der Kriegsreporterserie. (DC Comics, $ 2.99)+++DRAIN #1. Sensationell: Eine Ninja-Vampirin gegen Otto-Normal-Vampire von C.B. Cebulski und Sana Takeda. (Image Comics, $ 2.99)+++FALLEN ANGEL #11. Beginn eines neuen Akts der Serie von Peter David und J.K. Woodward. (IDW Publishing, $ 3.99)+++FANTASTIC FOUR: THE END #1/#2 (von 6). Alan Davis erzählt das Ende der Fantastischen Vier. Echt. franklin_richardsWirklich. Ohne Scheiß! (Marvel Comics, je $ 2.99)+++FRANKLIN RICHARDS: HAPPY FRANKSGIVING! Lustige Lachgeschichten mit viel Spaß von Marc Sumerak und Chris Eliopoulos. (Marvel Comics, $ 2.99)+++GUY GARDNER: COLLATERAL DAMAGE #1 (von 2). Howard Chaykin verwaltet eine ausgemusterte Comicfigur. (DC Comics, $ 5.99)+++THE IMMORTAL IRON FIST #1. Gogo-Gadgetto gelbe Balletschläppchen. Platz da, Chuck Norris! Ed Brubaker und Matt Fraction schreiben, David Aja zeichnet. (Marvel Comics, $ 2.99)+++NINJA TALES. Selbsterklärend, hoffen wir. Von mehreren, zumeist nicht sehr bekannten Leuten. (Boom! Studios, $ 6.99)+++THE OFFICIAL HANDBOOK OF THE INVINCIBLE UNIVERSE #1 (von 2). Kreative Köpfe katalogisieren den krassen Kosmos von Kirkmans kühnem Comichelden. (Image Comics, $ 4.99)+++ONSLAUGHT REBORN #1 (von 5). Eine der meistgehaßten Ideen der Marvel-Geschichte feiert ihr Zehnjähriges – Grund genug für Tausendsassa Jeph Loeb und Skandalnudel Rob Liefeld, Captain America wieder mal mit Motorhaube zu zeigen. (Marvel Comics, $ 2.99)+++PUNISHER WAR JOURNAL #1. Wieder Matt Fraction, diesmal mit Ariel Olivetti. Civil War zieht sich viiiel länger als geplant, deshalb darf der Punisher doch erst im November loslegen mit Böseschurkenabschießen. (Marvel Comics, $ 2.99)+++PUNISHER X-MAS SPECIAL. Raus mit den Stiefeln, und dann nix wie weg: Punisher goes Knecht Ruprecht, von Stuart Moore und C.P. Smith. (Marvel Comics/Marvel Knights, $ 3.99)+++SAMURAI: HEAVEN AND EARTH, Vol. 2 #1 (von 5). Ron Marz und Luke Ross schicken ihren Samurai in die zweite Runde. (Dark Horse Comics, $ 2.99)+++THE TRANSFORMERS: ESCALATION #1. Die Fortsetzung von Infiltration, geschrieben vom ewigen Transformers-Meister Simon Furman, illustriert von E.J. Su. (IDW Publishing, $ 3.99)+++TRANSFORMERS SPOTLIGHT: HOT ROD. Furman und Nick Roche widmen sich Optimus Primes designiertem Nachfolger. (IDW Publishing, $ 3.99)+++ULTIMATE VISION #0. Handliche Sammlung der über mehrere Hefte verteilten Story von Mark Millar und John Romita Jr. (Marvel Comics, $ 2.99)+++WHITE TIGER #1 (von 6). Tamora Pierce, Timothy Liebe und Phil Briones versuchen sich an einer Figur aus Bendis' Daredevil. (Marvel Comics, $ 2.99)+++

Der Bücher-Wurm für November

kane+++B.P.R.D.: THE UNIVERSAL MACHINE (Digest) von Mike Mignola, John Arcudi und Guy Davis+++CAPTAIN AMERICA & THE FALCON: THE SWINE (Paperback) von Jack Kirby (Marvel Comics, $ 29.99)+++CAPTAIN AMERICA: RED MENACE, Vol. 2 (Paperback) von Ed Brubaker und Steve Epting (Marvel Comics, $ 10.99)+++FABLES, Vol. 8: WOLVES (Paperback) von Bill Willingham, Mark Buckingham, et al. (DC Comics/Vertigo, $ 17.99)+++FANTASTIC FOUR: FIRST FAMILY (Paperback) von Joe Casey und Chris Weston (Marvel Comics, $ 15.99)+++FURY: PEACEMAKER (Paperback) von Garth Ennis und Darick Robertson (Marvel Comics/Marvel Knights, $ 17.99)+++KANE, Vol. 6: PARTNERS (Paperback) von Paul Grist (Image Comics, $ 16.99)+++POWERS, Vol. 10: COSMIC (Paperback) von Brian Michael Bendis und Michael Avon Oeming (Marvel Comics/Icon, $ 19.95)+++PUNISHER, Vol. 6: BARRACUDA (Paperback) von Garth Ennis und Goran Parlov (Marvel Comics/Max Comics, $ 15.99)+++

Anregungen, Lob oder Kritik sind wie immer herzlich willkommen. Schaut einfach im Forum vorbei oder schickt eine E-Mail.

Bildquellen: Previews – Diamond Comic Distributors; Avengers, Franklin Richards, Wisdom – Marvel Comics; Batman/The Spirit, Crossing Midnight, The Midnighter, Red Menace, Sachs and Violens, StormWatch – DC Comics; The Nightly News, Outlaw Nation, Russian Sunset – Image Comics; New X-Men – thegreatescapeonline.com; Shenanigans – Oni Press