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Vorbestellungen für Juli 2006
DETECTIVE COMICS #821
DC Comics | je 32 Seiten | je $ 2.99 | farbig | MAY06 0130/MAY06 0132
Das bombastische Seven Soldiers ist noch genau eine Ausgabe von seinem Finale entfernt, die sequentielle Tütensuppe 52 zählt nicht, All-Star Superman erscheint im Schneckentempo und auf seine Neuauflage von Wildcats und The Authority muß man auch noch etwas warten. Was also tun, um die blau lodernde Gier nach Neuem vom derzeit begnadetsten Autor im amerikanischen Comic-Mainstream zu stillen? Die Rede ist – natürlich – von Grant Morrison. Die Antwort, ab Juli 2006: Batman lesen.
Man muss es den Damen und Herren in der Chefetage des New Yorker Comic-Molochs DC lassen: Auch wenn die jüngsten Tendenzen im Verlagsprogramm in Richtung bauchnabelfixierten, fadgekochten Einheitsbreis weisen, hat man mit der Exklusiv-Verpflichtung des schottischen Querkopfs doch einen Coup gelandet. Zielgruppenverödung und kreative Gleichmacherei hin oder her, der Name Morrison zieht nach wie vor. Der glanzstirnige Hobbymagier aus Glasgow bürgt für Qualität und verlangt selbst den eifrigsten Kritikern der derzeitigen Innovationsflaute ein gewisses Maß an respektvoller Aufmerksamkeit ab. (Außer vielleicht wenn er, wie bei 52, als Teil eines „Kompetenzteams“ von Autoren agiert. Aber Schwamm drüber.)
Natürlich ist ein Job als Babysitter einer der beiden großen Verlagsikonen – gerade bei DC, gerade im Jahr 2006 – grundsätzlich mit einer heftigen Resistenz gegen Innovationen und allzu ausgefallene kreative Impulse behaftet. Also wird Morrisons Batman kaum ein Ersatz sein für die tabula-rasa-Romantik von Seven Soldiers, geschweige denn für Eigenkreationen à la The Filth oder We3. Bis der Maestro wieder mal die Kurve zu einer Produktion kriegt, die ihm etwas mehr Handlungsspielraum für Extravaganzen und Ideenfeuerwerke lässt, wird es aber sicher schlechtere Möglichkeiten geben, sich die Zeit zu vetreiben, als seinen Batman zu lesen.
Auch zeichnerisch läßt sich der Verlag nicht lumpen und hat Morrison Andy Kubert zur Seite gestellt, der (wie auch sein Bruder Adam) lange Zeit ausschließlich für die Konkurrenz arbeitete – zuletzt an Neil Gaimans Marvel 1602 – und sich nun erstmals an eine hochrangige DC-Serie wagen darf. Kuberts polierten, ecken- und kantenlosen Stil, der in seinen besten Momenten an den seines Vaters Joe erinnert, muss man nicht mögen, aber technisch ist der Junge fit, und den Verkaufszahlen wird sein Name erfahrungsgemäß auch nicht schaden.
Ach ja, da war noch was: Detective Comics, der andere Batman-Titel, bekommt ebenfalls eine neue kreative Besatzung, bestehend aus Federkielhalter Paul Dini (hauptsächlich bekannt durch seine Arbeit an der Batman-Zeichentrickserie) und Bleistiftpilot J.H. Williams III. Bestimmt auch keine schlechte Kombination, aber es ist schon verdammt ärgerlich, dass Williams dafür offenbar bei Desolation Jones ausgestiegen ist.
Wenn es der Verlag ausnahmsweise mal auf die Reihe bekommen sollte, die angeheuerten Autoren ihre Arbeit machen zu lassen ohne ständig zu Werbezwecken mit dreißig anderen Serien interagieren zu müssen, dann lohnt es sich auf jeden Fall mal, die beiden Titel im Auge zu behalten.
BATTLER BRITTON #1 (von 5)
A MAN CALLED KEV #1 (von 5)
DC Comics/WildStorm | je 32 Seiten | je $ 2.99 | farbig | MAY06 0215/MAY06 0219
Die Handlung: rudimentär. Das Konzept: banal bis grenzdebil. Der Humor: furztrocken und schwarz wie Guinness. Jawoll, DCs WildStorm-Abteilung bringt im Juli zwei neue, bitterböse Miniserien von Garth Ennis an den Start.
Nach The Authority: Kev (2002), The Authority: More Kev (2004) und The Authority: The Magnificent Kevin (2005) bestand die geringfügige Gefahr, dass der Gag um Kev Hawkins, den einfachen britischen Jungen von nebenan, der irgendwie immer wieder in den Mittelpunkt des superheldenverseuchten WildStorm-Universums schlittert, sich eventuell irgendwann einmal totlaufen könnte. Aber nix da. Bei WildStorm hat man dies sofort erkannt und steuert dem jetzt souverän entgegen: A Man Called Kev, die neuste Variante des bewährten Erfolgskonzepts (gezeichnet von Carlos Ezquerra), kommt zur Abwechslung mal völlig ohne The Authority aus. Ob eines derart brillanten Schachzugs ist der kreative und kommerzielle Erfolg natürlich bloß noch Formsache. Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich.
Bei Battler Britton währenddessen handelt es sich um ein Remake des gleichnamigen Klassikers aus den Sechzigern, ursprünglich herausgegeben vom britischen Verlagshaus IPC, welches 2001 von DCs Mutterkonzern Time Warner geschluckt wurde. Normalerweise sind Ennis‘ Kriegsgeschichten ja starker Tobak, für den er seine Witzigkeit gerne mal in der Kiste lässt. Aber wenn man nach dem Anzeigentext geht, mit dem Battler Britton beworben wird, dann dürfte das Material wohl eher in Richtung der schwachsinnig-genialen Adventures in the Rifle Brigade gehen. „Oberstleutnant Robert ‚Battler‘ Britton von der RAF [das steht übrigens für „Royal Air Force,“ liebe RTL-II-Zuschauer – d. Verf.] und sein Geschwader wurden zu einer amerikanischen Basis geschickt,“ heißt es da, „um eine gemeinsame Aktion gegen Hitlers Kriegsmaschine anzuführen. Nun müssen sie Spott, Drohungen und Angriffe überleben… und das allein von den Amis!“ Illustriert wird die rah-rah-rah-Verballhornung von dem Neuseeländer Colin Wilson.
THE ESCAPISTS #1 (von 6)
DARK HORSE TWENTY YEARS (One-Shot)
Dark Horse Comics | 32/24 Seiten | $ 1.00/$ 0.25 | farbig | MAY06 0011/MAY06 0017
Anläßlich des zwanzigjährigen Bestehens von Dark Horse Comics gibt der Verlag im Juli gleich zwei interessante Heftchen zum schmalen Preis heraus, so dass auch so arg gebeutelte Bevölkerungsgruppen wie Studenten, Beamte und Bundestagsabgeordnete mal wieder getrost zufassen können, ohne dafür auf ihr allmorgendliches Frustbier verzichten zu müssen. Fast wie in den goldenen Achtzigern also.
In Dark Horse Twenty Years, zu haben für einen US-Quarter, gibt’s auf 24 Seiten je eine Zeichnung zu bestaunen. Der Witz: Man hat dafür die prominentesten Künstler der Verlagsgeschichte an den Start geschickt und sie Figuren interpretieren lassen, mit denen sie bisher nichts am Hut hatten. Dabei sollen unter anderem eine Star-Wars-Zeichnung von Eric Powell, ein Hellboy von Adam Hughes und der erste Illustrationsversuch überhaupt von Buffy– und Serenity-Schöpfer Joss Whedon herausgekommen sein, der üblicherweise ja eher fürs Schriftliche zuständig ist. Außerdem stehen noch Arthur Adams, Sergio Aragonés, Bob Burden, Paul Chadwick, Frank Miller, Tony Millionaire, Cary Nord, Stan Sakai, Matt Wagner, Chris Warner, Mike Mignola „und andere“ auf der Gästeliste. Sicher kein Meilenstein der Comicgeschichte, aber für den Preis allemal sehenswert.
The Escapists hingegen, eine sechsteilige, monatlich erscheinende Miniserie, ist ein weiteres Projekt, welches auf Michael Chabons Roman The Amazing Adventures of Kavalier & Clay basiert. Inhaltlich knüpft die Serie nahtlos an das kürzlich eingestellte Michael Chabon Presents The Amazing Adventures of the Escapist an, ist aber im Gegensatz dazu keine Anthologie, sondern stammt komplett aus der Feder des von Chabon selbst handverlesenen Brian K. Vaughan, der – wie schon in der letzten Ausgabe von Chabon Presents – von den Zeichnern Philip Bond und Eduardo Barreto unterstützt wird. Die Story spielt in der Gegenwart und dreht sich um den jungen Max, der die Figur des Escapist neu beleben will, nachdem er die alten Comics seines Vaters verschlungen hat. Die Startnummer kommt mit einem schicken Frank–Miller-Cover daher und lockt den geneigten Leser mit einem freundlichen Einstiegspreis von einem Dollar. Da Vaughans Serien Y: The Last Man und Ex Machina momentan zu den unterhaltsamsten im US-Mainstream gehören, ist The Escapists nicht nur Freunden der Chabonschen Vollprosa wärmstens zu empfehlen.
DEVI #1
THE SADHU #1
SNAKEWOMAN #1
Virgin Comics | je 32 Seiten | je $ 2.99 | farbig | MAY06 3453/MAY06 3454/MAY06 3455
Die Virgin Group des britischen Guerilla-Unternehmers Richard Branson ist ein Fall für sich. Was 1972 noch ganz unschuldig als Plattenlabel anfing, erstreckt sich mittlerweile über eine ganze Palette aller möglichen und unmöglichen Branchen, von Kosmetika über Softdrinks, Computerspielen und Mobilfunk bis hin zu Reisen, Flug- und Eisenbahngesellschaften, kommerziellen Weltraumflügen und sogar der Vermietung ganzer Inseln. Dabei ging Branson, der nach wie vor alle Fäden in der Hand hält, mehr als einmal mit seinen Vorstößen in neue Produktbereiche baden, hat sich aber dennoch hartnäckig gehalten. Die neuste Geschäftsidee, ein Ableger von Virgin Books, heißt Virgin Comics und wird damit in den Annalen des Firmen-Imperiums wohl irgendwann einmal direkt zwischen „Virgin Cola“ und „Virgin Condoms“ abgeheftet werden.
Bei der Umsetzung seiner Comic-Initiative setzt Branson interessanterweise weder auf anglo-amerikanische noch auf japanische Ansätze, sondern verläßt sich auf eine Gruppe angesagter Macher indischer Popkultur: Virgin Comics (zusammen mit der ebenfalls neu ins Leben gerufenen Schwesterabteilung Virgin Animation) wird in Zusammenarbeit mit Selbsthilfe-Guru Deepak Chopra, Bollywood-Regisseur Shekhar Kapur und dem Verlagshaus Gotham Comics aus Bangalore betrieben, welches die Comics von Marvel, DC, Dark Horse und anderen in Indien herausgibt und zuletzt mit einer indischen Neuinterpretation von Spider-Man Schlagzeilen machte.
Zum Startschuß im Juli werden von Virgin Comics drei Titel auf den US-Markt losgelassen, die alle in indischen Mythen verwurzelt sein sollen. Devi, geschaffen von Shekhar Kapur und realisiert von Siddharth Kotain und Mukesh Singh, dreht sich um eine weibliche Krieger-Gottheit, die in der Gegenwart reinkarniert wird, um einen alten Widersacher zu bekämpfen. The Sadhu, geschaffen und geschrieben von Gotham Chopra (Deepak Chopras Sohn und kreativer Kopf von Gotham/Virgin Comics) und gezeichnet von „Indiens Comic-Zeichner Nummer Eins“ (so der Previews-Text), Jeevan Kang. O-Ton G. Chopra: „Es ist unsere indische Version von Der letzte Samurai!“ Für Snakewoman schließlich, dessen Protagonistin eine auf mysteriöse Weise zur Serienkillerin gewordene junge Frau in Los Angeles ist, greift man auf bekannte Gesichter aus der US-Branche zurück: Autor ist Zeb Wells (New Warriors), Zeichner Michael Gaydos (Alias). Bis September sollen zwei weitere Serien folgen, eine davon auf einem Konzept von Regisseur John Woo basierend, die andere (O-Ton G. Chopra) „unsere Herr-der-Ringe-mäßige Erzählung.“
Nun muss man Virgin sicher attestieren, dass die Idee, den amerikanischen Markt mit einem – aus westlicher (und nicht-englischer) Sicht – relativ „unverbrauchten“ und in der Zukunft potentiell sehr einflußreichen Kulturzweig wie dem indischen zu beackern, grundsätzlich nicht die schlechteste ist. Ähnliches hat man schließlich sogar schon beim deutschen Fernsehen geschnallt, wo seit einiger Zeit regelmäßg Bollywood-Filme zu sehen sind. Und auch die Namen und Referenzen der Verantwortlichen lesen sich zugegebenermaßen ganz hübsch.
In der Praxis fängt dieser gute Eindruck aber leider schnell zu bröckeln an, denn die vorab veröffentlichten Beschreibungen lassen eher den Schluss zu, dass hier sehr plump mit plakativen Klischees und pseudo-religiösem Kitsch hantiert wird, als daß man die ernsthafte Absicht verfolgt, Geschichten authentisch-indischer Prägung zu erzählen. Reinkarnation? Mystische Gottheiten? Eine Heldin, die (O-Ton G. Chopra) „all die verschiedenen Gesichter der Weiblichkeit trägt, von einem verwundbaren und hingebungsvollen bis hin zu dem einer sexy Verführerin, der man nicht widerstehen kann“? Sag bloß. Wie fortschrittlich, wie extravagant. Fehlen eigentlich nur noch der Tempel des Todes, die heiligen Kühe und das Hühnchen mit Curry. Brauchen wir wirklich dringend noch „indische Versionen“ von Der letzte Samurai und Der Herr der Ringe? Hört sich alles verdächtig nach einer kulturell desinfizierten Disney-Interpretation indischer Märchen an, welche man dem US-Publikum mittels ausgelutschter Standard-Fantasy-Motive, der obligatorischen dicken Titten und eines dünnen, betont äck-zoh-thischen Anstrichs unterjubeln will.
Aber wer weiß. Vielleicht tue ich Herrn Chopra und seiner Mannschaft ja Unrecht und uns stehen tatsächlich gut gemachte, kulturell selbstbewußte Comics ins Haus, die sich nicht fürchten, aus der Masse herauszuragen. Zu wünschen wär’s ihnen und uns auf jeden Fall – also toi toi toi, und nichts für ungut.
GØDLAND, VOL. 2: ANOTHER SUNNY DELIGHT (Paperback)
Image Comics | 152 Seiten | $ 14.99 | farbig | MAY06 1725
“I was thinking how the world should have cried on the day Jack Kirby died,“ lamentierte Dave Wyndorf in den ersten Sekunden des sträflich unterbewerteten Monster-Magnet-Albums God Says No aus dem Jahr 2000. Aber natürlich war das nur noch Makulatur, denn der Sänger und Drahtzieher der Band hatte sich schon 1995 mit dem Track „Ego, the Living Planet“ unmissverständlich als Fan der Comics des ein Jahr zuvor verstorbenen „King“ Kirby geoutet. Anno 2001 drehte dann Grant Morrison den Spieß um und benannte eine Figur aus New X-Men nach Monster Magnets monstermäßiger Mittneunziger-Hymne „Negasonic Teenage Warhead“.
Was das alles mit Gødland zu tun hat? Nun, zum einen wird Gødland ebenfalls sträflich unterbewertet, wie die erbärmlichen Verkaufszahlen unschwer erkennen lassen. Zum anderen eignet sich der Comic den unwiderstehlichen Vibe einer Mixtur aus Kirby, Morrison und Rock’n’Roll an – die Lust an der irrwitzigen Idee, die so groß ist, dass sie außerhalb der Vorstellungskraft nicht realisierbar scheint – und macht ihn für einen flüchtigen Moment greifbar. Man kennt diesen Moment. Es ist der Moment, in dem einem Haufen Primaten der schwarze Monolith erscheint; in dem Vincent noch kurz begreift, was für ein Film da läuft, bevor er buchstäblich mit heruntergelassenen Hosen erwischt und mit seiner eigenen Wumme über den Haufen geschossen wird; in dem Neo die Matrix durchschaut und mit einer gelangweilten Handbwegung die Kugeln der Agenten wirkungslos auf den Boden plätschern lässt wie Murmeln. Realität und Fiktion fangen an, Tango zu tanzen. Alles ist möglich. Und man ist eigentlich viel zu beschäftigt, sich auszumalen, was als nächstes kommt, um sich den Rest des Films anzusehen. Ganz großes Kino eben, das noch versteht, dass die Geheimwaffe eines jeden Regisseurs die Vorstellungskraft seines Publikums ist.
In Gødland, Vol. 2: Another Sunny Delight findet man kosmische Schlachten, außerirdische Invasoren Freudscher Prägung und durchgeknallte Superschurken (Grandioser Auftritt: “My name is FRIEDRICH NICKELHEAD. I’m a swinger with a sinister style.“), die sich angeregt über die Meriten von Feld der Träume unterhalten oder in ihrem hochtechnisierten Schurkenunterschlupf zum „Subterranean Homesick Blues“ abhotten.
Gødland ist wach, wichtig und wuchtig, übermütig und verspielt. Joe Casey schreibt. Tom Scioli zeichnet. Wir lesen.
KAFKA (Paperback)
Active Images | 160 Seiten | $ 14.99 | schwarzweiß | MAY06 2766
Der Thriller Kafka von Steven T. Seagle (American Virgin) und Stefano Gaudiano (Gotham Central) stammt ursprünglich aus dem Jahre 1987, wurde 1988 für einen Eisner-Award nominiert und erscheint im Juli 2006 erstmals als Sammelband. Die Story handelt vom Absolventen eines Zeugenschutzprogramms, dem eines Tages mitgeteilt wird, dass seine neue Identität von gleich zwei feindlichen Gruppierungen kompromittiert worden ist, die beide ihre Mitarbeiter als US-Agenten ausgeben.
Um herauszufinden, wer der mysteriöse Protagonist ist oder worum es im Detail geht, muss man das Buch wohl lesen. Wer auf Unterhaltung mit Tiefgang steht, der ist bei Steven T. Seagle aber in aller Regel an der richtigen Adresse, deshalb wär’s schade, wenn Kafka in der allmonatlichen Veröffentlichungsschwemme unterginge.
THE LEFT BANK GANG (Graphic Novel)
Fantagraphics Books | 48 Seiten | $ 12.99 | farbig | MAY06 3133
Die Fantagraphics-Website nennt den Strich des norwegischen Cartoonisten Jason (Hey, Wait…, Why Are You Doing This? dt.: Hey, Warte mal…! bei Schwarzer Turm) einen „pokerfacigen, minimalistisch-anthropomorphischen Stil mit einem mehr als beiläufigen Wink an Hergés Ligne-Claire-Ethos.“ Will sagen: Jason hat genug Selbstvertrauen, seine Geschichten durch sehr spartanische Zeichnungen zu erzählen, in denen keine Menschen die Hauptrolle spielen, sondern sprechende, aufrecht gehende Tiere.
So auch in seinem neustem Werk The Left Bank Gang, welches die Literaten F. Scott Fitzgerald, Ernest Hemingway, Ezra Pound und James Joyce – in beschriebener Art und Weise karikiert – als Protagonisten verwendet. Im Paris der 1920er und in einer Welt befindlich, in der Comics das dominante Medium für Belletristik sind, sollen sich die vier Herrschaften, natürlich alle selbst fleißige Cartoonisten, unter anderem über die Graphic Novels von Dostojewski und Faulkner plaudern.
Das Konzept hört sich in beschriebener Form zweifellos haarsträubend an, sollte aber in der Praxis keiner großen Erklärungen bedürfen. Die Nummer klingt auf jeden Fall abgedreht genug, daß der Previews-Text mit seiner vollmundigen Behauptung, es handele sich bei The Left Bank Gang um „eine der witzigsten und verspieltestesten Graphic Novels des Jahres“ recht behalten könnte, sofern bei der Ausführung nix schiefgeht.
NEXTWAVE: AGENTS OF H.A.T.E. CRAYON BUTCHERY VARIANT
Marvel Comics | 24 Seiten | $ 2.99 | schick für zum Ausmalen
Und einer für die Kuriositätenspalte: Bei der Crayon Butchery Variant (frei übersetzt: „Wachsmal-Massaker-Variante“) von Nextwave: Agents of H.A.T.E. #5 handelt es sich natürlich um nichts anderes als eine Schwarzweiß-Version des regulären Comics. Nextwave (superb: der Titelsong zur Serie als mp3), wir erinnern uns, ist eine Superheldenpersiflage von Warren Ellis und Stuart Immonen, die die Sinnfreiheit zur Kunstform erhebt und ständig auf einem schmalen Grat wandelt – nicht zwischen Genie und Wahnsinn, sondern zwischen Wahnsinn und Schwachsinn.
Okay, Nextwave ist nicht so „janz weit draußen“ wie einst X-Statix oder das fantastische, leider oft unterschätzte Soldier X von Darko Macan und Igor Kordey. Aber im rigide-konservativen Marvel-Programm des Jahres 2006 stellt die Serie trotzdem eine erfrischende Ausnahme da, zu deren Ach-leck-mich-doch-Attitüde die vorliegende Quatsch-Edition vorzüglich passt. Eine Bestellnummer gibt’s für die Nummer übrigens nicht; wer das Heft käuflich zu erwerben gedenkt, der sollte also schnellstmöglich mit seinem Händler in Verhandlungen treten.
SUPERMAN #654
DC Comics | 32 Seiten | $ 2.99 | farbig | MAY06 0144
Auch DCs zweites (oder besser: erstes) Flaggschiff erhält im Juli eine neue Mannschaft, die in diesem Fall aus Autor Kurt Busiek und Zeichner Carlos Pacheco besteht – einem bewährten Team, also, das schon mit Avengers Forever und Arrowsmith eine sehr gute Figur gemacht hat.
Wenn nun kreative Luftsprünge schon bei Morrisons Batman als unwahrscheinlich einzustufen sind, dann darf man diese hier freilich noch viel weniger erwarten. Denn erstens ist Superman sozusagen der Fahnenträger des Konservativismus unter den Superhelden, zweitens dürfte die Toleranzgrenze des Verlags und seines Mutterkonzerns für Experimente im Angesicht des neuen Superman-Films derzeit sowieso ihren historischen Tiefpunkt erreicht haben und drittens ist der neue Autor selbst nicht gerade als der große Innovator bekannt.
Man verstehe mich nicht falsch: Bei Busiek handelt es sich ohne Zweifel um einen sehr erfahrenen und versierten Schreiber, der einen phänomenalen Riecher dafür hat, mit Ballast überfrachtete Konzepte aufs Wesentliche zu reduzieren und selbst im dicksten Heuhaufen einer verkorksten Idee noch die goldene Stecknadel einer interessanten Perspektive aufzuspüren. Busiek ist ein hervorragender Geschichtenerzähler – aber er ist eben kein „Revolutionär“ im Sinne etwa von Morrison oder Ellis, die sich möglichst mit jedem neuen Projekt auch selbst neu erfinden und die Grenzen des Machbaren ausloten wollen.
Das muss er im Fall von Superman natürlich auch nicht sein, denn Der Superheld überhaupt will gar nicht neu erfunden werden, sondern verlangt bloß nach einer Federführung, die seine Stärken auch im Jahr 68 nach seinem Debüt noch auf eine interessante Art und Weise zu vermitteln weiß. Und dafür sind derzeit wohl nur wenige besser geeignet als Kurt Busiek.
Wer mit der Figur also bisher nicht viel anfangen konnte, dessen Meinung werden wahrscheinlich auch Busiek und Pacheco nicht ändern können. Fans von Superman oder Busiek aber, oder einfach für Leute, denen es Spaß macht, zwei Meistern ihrer Kunst dabei zuzuschauen, wie sie einen alten Kreisel in den höchsten Tonlagen zum Singen bringen, werden an Superman ab Juli ihre Freude haben.
WASTELAND #1
Oni Press | 48 Seiten | $ 2.99 | schwarzweiß | MAY06 3335
Mit Wasteland startet Oni Press mal wieder eine fortlaufende, monatliche Reihe – ein Format, welches man von dem qualitätsbewussten und geschmackssicheren Kleinverlag aus Portland leider viel zu selten zu sehen bekommt. Wasteland ist das Baby von Autor Antony Johnston (Julius, The Long Haul) und Zeichner Christopher Mitten (The Tomb, Last Exit Before Toll), die zuletzt mit dem Spionage-Thriller Queen & Country: Declassified III eine kompetente, aber eher unspektakuläre Arbeit abgeliefert haben.
Wasteland ist allerdings eine ganz andere Baustelle: eine Endzeit-Odyssee im Stil von Y: The Last Man soll’s werden, bloß dass die Katastrophe in diesem Fall mal wieder in einem extremen Anstieg des Meeresspiegels liegt, der die üblichen Nebenwirkungen mit sich bringt; versunkene Millionenstädte, mutierte Menschen und Tiere, neu entstehende Kulturen und so’ne Sachen halt – Waterworld als Comic-Seifenoper, könnte man sagen, wenn man’s ein bisschen gemein formulieren wollte.
Anlass zum Pessimismus gibt’s aber fairerweise bisher absolut nicht. Im Gegenteil, alle Beteiligten scheinen sich richtig ins Zeug gelegt und ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Anläßlich des Serienstarts hat man bei Oni Press eine sehenswerte Mini-Seite ins Netz gestellt, auf der es nicht nur die üblichen Standard-Presseinfos gibt, sondern auch einen Soundtrack zum Comic als mp3 (kreiert von Johnston selbst), Schnickschnack wie Wallpapers und Icons und sogar die ersten 21 Seiten der Debütausgabe zum Antesten.
Ein Interview mit Johnston trägt ebenfalls zum positiven Gesamteindruck bei. Johnston, auf die Frage, ob er denn selbst die Antworten auf die ‚großen Fragen und Geheimnisse‘ der Serie kenne oder ob man das Publikum ähnlich wie bei Lost ewig nur an der Nase herumzuführen gedenke: „Auf die ‚großen Fragen‘ […] gibt’s definitiv Antworten, und ich kenne sie auch. Alles wird zu seiner Zeit enthüllt werden. (In der Tat habe ich auch schon den Handlungsbogen für das letzte Kapitel in der Tasche.)“
Na, das ist doch mal ein Wort. Soviel Hingabe und kreative Integrität gehört belohnt, und Oni erleichtert einem mit der extrafetten, extragünstigen Debütausgabe ohnehin die Kaufentscheidung. Apropos Kaufentscheidung: Die Cover-Illustrationen stammen übrigens von Ben Templesmith.
X-MEN #188-189
UNCANNY X-MEN #475-476
Marvel Comics | je 32 Seiten | je $ 2.99 | farbig | MAY06 2010/MAY06 2011/MAY06 2007/MAY06 2008
Ganz flott: Was haben Steven T. Seagle, Grant Morrison und Peter Milligan gemeinsam? Stimmt, alle haben sich zuerst (unter anderem) beim DC-Comics-Label Vertigo einen Namen gemacht, bevor man sie sich bei Marvel als Autoren der X-Men angelte. Im Juli treten dieser Clique mit Ed Brubaker (Uncanny X-Men) und Mike Carey (X-Men) nun zwei neue Gesichter bei.
Sicher darf man auch hier – siehe die Kommentare zu Batman und Superman – keine Wunder erwarten. Nicht mal ein kleines, wie es Morrison mit seiner Neuintepretation vor fünf Jahren noch vollbracht hat, denn die sprichwörtliche Not, die erfinderisch macht, hat den Medienkonzern ja in der Zwischenzeit längst wieder verlassen. (Den experimentierfreudigen damaligen Verlagschef Bill Jemas hat sie gleich mitgenommen.) Nein, man muss sich wohl auch hier damit abfinden, dass das Attribut „viel versprechend“ in Verbindung mit den beiden großen US-Verlagshäusern derzeit eher auf gute Hausmeister hindeutet als auf spannende Innenarchitekten: Instandhalten heißt die Devise, bloß nicht Renovieren.
Wenn man sich dieser Vorzeichen also bewusst ist und nicht allzuviele Innovationen erwartet, versprechen die Namen der beiden Neuankömmlinge aber soliden Lesestoff fürs geneigte Publikum. Ed Brubaker (Deadenders, Sleeper), der zur Zeit auch Captain America und Daredevil für Marvel schreibt, hat mit der gerade komplettierten Miniserie X-Men: Deadly Genesis zwar gemischte Reaktionen geerntet, aber der Großteil seiner Arbeiten ist dennoch mehr als überzeugend. Dasselbe gilt auch für Mike Carey (Lucifer, My Faith in Frankie), den Marvel nach seiner Miniserie Spellbinders auch gleich noch als neuen Autor von Ultimate Fantastic Four verpflichtet hat.
Zeichnerisch bleibt derweil vieles, wie es ist: Billy Tan, der in den vergangenen Monaten eh immer wieder als Vertretung bei Uncanny X-Men eingesprungen ist, hat man kurzerhand zum offiziellen neuen Zeichner ernannt, während Chris Bachalo von Uncanny X-Men zu X-Men wechselt.
Insgesamt also keine Offenbarung, aber Grund genug für Optimismus, wenn man mit den Konzepten oder Autoren eh schon was anfangen konnte. „Viel versprechend“ eben.
Der Bücher-Wurm: Weitere US-Comics im Juli
+++AFTERWORKS 2 von Ted Mathot, Nate Stanton et al. (Graphic Novel, Image)+++BEDLAM von Keith Giffen, Shannon Denton und Matt Jacobs (Graphic Novel, Image)+++BIGHEAD von Jeffrey Brown (Graphic Novel, Top Shelf)+++BLUESMAN, VOL. 3 von Rob Vollmar und Pablo Callejo (Graphic Novel, NBM)+++DOOM PATROL: MUSCLEBOUND von Grant Morrison, Steve Yeowell, et al. (Paperback, DC/Vertigo)+++THE EXTERMINATORS: BUG BROTHERS von Simon Oliver und Tony Moore (Paperback, DC/Vertigo)+++LOUIS RIEL: A COMIC STRIP BIOGRAPHY von Chester Brown (Paperback, Drawn & Quarterly)+++PATHFINDER von Laeta Kalogridis und Christopher Shy (Paperback, Dark Horse)+++THE PERHAPANAUTS von Todd DeZago, Craig Rousseau und Rico Renzi (Paperback, Dark Horse+++POLLY & THE PIRATES, VOL. 1 von Ted Naifeh (Paperback, Oni)+++SMOKE & GUNS von Kirsten Baldock und Fabio Moon (Graphic Novel, AiT/PlanetLar)+++SUNSET CITY von Rob Osborne (Graphic Novel, AiT/PlanetLar)+++THE SURROGATES, VOL. 1 von Robert Venditti und Brett Weldele (Paperback, Top Shelf)+++24SEVEN von Becky Cloonan, Faryl Dalrymple et al. (Graphic Novel, Image)+++
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