Messe- und Ausstellungsberichte

Old News from the New World – Eine lang überfällige Berichterstattung über das SPACE 2005

Verweilen wir zunächst einen kurzen Augenblick bei der Überschrift. Dort lässt sich die Information entnehmen, dass es sich bei diesem Artikel scheinbar um eine Neuigkeit handelt. Während unsere Englisch sprechenden Freunde automatisch bei „news“ von etwas Neuem, also etwas Aktuellem, ausgehen, bezeichnet man in Deutschland solche Informationen ganz simpel als „die Nachrichten“. Diese werden täglich in Form der Tagesschau ausgestrahlt. Obwohl also nur im Englischen der Aktualitätsgrad der Nachrichten durch ihren Namen selbst festgelegt ist, geht man natürlich auch in Deutschland davon aus, wenn man um 20.00 Uhr die Tagesschau einschaltet, dass man etwas Neues präsentiert bekommt. Was ich euch hier zu lesen gebe sind zwar Nachrichten, aber eben nicht wirklich neue.

Vielmehr handelt es sich, wie bereits im Titel geklärt, um alte Nachrichten aus der neuen Welt. Obwohl ich live und vor Ort beim SPACE 2005 in Columbus, Ohio gewesen bin, war ich leider nicht in der Lage, diese Geschichte als Neuigkeit zu präsentieren, da ich das ganze letzte Jahr damit beschäftigt war, zwecks meiner Magisterarbeit mir Gedanken über Dave Sims magnus opus Cerebus zu machen. Deshalb ist dieser Bericht sozusagen in Retrovision geschrieben – gestützt nur durch mein Gedächtnis, einige Notizen und meine Digitalbilder. Dann kann ich nur noch hoffen, dass ihr nach dieser langen Vorrede noch bei mir seid und mit mir die Geschichte des SPACE 2005 in Columbus, Ohio verfolgt.

Meine Reise begann leider nicht im nicht so hübschen Columbus, der Hauptstadt von Ohio, sondern in der noch weniger hübschen Stadt Detroit. Dort absolvierte ich in neun Monaten zwei Auslandssemester. Eine Entfernung von ungefähr 520 amerikanischen Meilen und somit eine Dauer von ungefähr 4 Stunden mussten überbrückt werden, um an der Comickonferenz teilnehmen zu können: ein Road Trip also. Während sich in amerikanischen Teenie-Filmen eine solche Fahrt immer als Abenteuer darstellt, verlief meine Fahrt eher unspannend: Zunächst musste ich in etwa 107 Meilen auf der I-75 Richtung Toledo fahren. Eine wunderschöne Strecke, wenn man ein Herz für die amerikanische Autoindustrie und schlechte Strassen hat. Raus beim EXIT 156 auf die US-23 nach Kenton und dann auf US-23-S. Nach etwa 66 Meilen bog in auf die I-270 East ab… Ich muss diese Beschreibung hier wohl nicht weiter ausführen, da Ihr Euch den Rest meiner spannenden Reise sicher vorstellen könnt.


Aber auch die Ankunft beim Holiday Inn in Columbus, in dem das SPACE statt fand, erinnerte nur sehr entfernt an das atemberaubende Finale eines Teenagerfilms: ein staubiger Parkplatz, halb gefüllt, bot eine Szenerie der Traurigkeit, in der ein 30 Stockwerke hoher Betonkoloss herrschte. Die Menschen, die aus ihren SUVs, Pick-Ups und anderen amerikanischen Wagen stiegen, sahen sichtlich erfreut aus, endlich hier zu sein, hier in der Mitte Amerikas. Wahrscheinlich war das nur die Freude sich nun in einem Rausch von Comics zu betäuben. Obwohl ich dabei nicht ganz Unrecht hatte, handelte es sich doch bei den meisten Reisenden nicht um Comicfans, sondern um die Künstler selbst, was sich ja nicht gegenseitig ausschließt. Denn im Vergleich zu anderen amerikanischen Comickonferenzen und deutschen Comicfestivals präsentiert sich das SPACE als eine kleine geschlossene Gesellschaft im Heartland von Amerika. Gleich beim Eintreten merkte ich, dass ich nach nur sieben Monaten in Detroit auch schon Teil dieser Gemeinschaft war, denn dort begrüßte man mich mit Handschlag. Dan Merritt, der Inhaber des Nummer-eins-Comicladens in Detroit, Green Brain Comics, kam mir sofort entgegen und freute sich, dass ich es doch noch geschafft hatte.

Best of Metro Times: Green Brain

Obwohl er nicht unter eigener Flagge hier auftrat (der einzige offizielle Händler beim SPACE war der ortsansässige The Laughing Ogre), unterstütze er seine Frau Katie mit Händen und Füßen. Diese kümmert sich seit mehreren Jahren nun schon um Friends of Lulu, eine Organisation, die sich stark macht für die Rolle der Frau in Comics. Nachdem ich versprochen hatte bald wieder bei Dan vorbeizuschauen, stürzte ich mich nun aber endlich ins Vergnügen.

lageplan Die Stände im Hotelinneren teilten sich in drei Räume auf: im Eingangsbereich, der einen riesengroßen Indoor-Swimmingpool beherbergte, fand man zunächst die Kasse, einige kleine Organisationen und auch schon die ersten Zeichner. Auf dem Weg zum Hauptraum änderte sich mit dem Geruch des Chlors in der Luft etwas, die Stimmung lud sich auf, nur um sich in einer langen Schlange vor einem kleinen Tisch wieder zu entladen. Wie jeder normale Deutsche reihte ich mich ordentlich ein und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Im Gegensatz zu allen anderen Signierwarteschlangen in denen ich bis jetzt gestanden hatte, war hier etwas grundsätzlich faul: die Männer, die vor mir standen, trugen zwar die obligatorischen Fan-Shirts, doch ihre Staturen ließen ausschließlich auf erwachsende Männer schließen. Dave SimMit Schrecken erkannte ich, dass alles falsch war.

Ich war noch nicht bereit für diese Schlange, denn dort vorne saß der Publikumsmagnet der Independentszene – Dave Sim und sein Helfer Gerhard, dessen fehlender Nachname wohl nie bekannt gegeben werden wird. Obwohl ich wusste, dass er anwesend sein würde, hatte ich keine Lust, ihm hier zu begegnen. Der Grund für meine Apathie hat mit einem Briefwechsel, ein paar Missverständnissen und meiner Magisterarbeit zu tun, die ich hier nicht länger beschreiben möchte. Es muss euch als Erklärung genügen, dass ich ihn nicht sehen wollte, obwohl er doch so freundlich rüberlächelte.

Hauptraum Ohne mich ein weiteres Mal umzusehen, stürzte ich in den nächsten Raum, den größten des SPACE 2005. Dort sah es nicht wirklich aus wie auf einer Comicmesse: es gab – mit Ausnahme der Simschlange – keine Menschentrauben vor den Ständen; Interviewer mussten keine Termine mit den Künstlern ausmachen. Man unterhielt sich angeregt über die Tische hinweg, auf denen ordentlich die Comics sortiert lagen. Dabei war es interessant festzustellen, wie viele der Künstler mir irgendwie bekannt vorkamen. Aber es waren eben nicht die Gesichter, die einem vom Wizard oder dem Comics Journal anlächeln. Viele der Comics und ihrer Erzeuger hatte ich bereits vor drei Monaten aus einer Ausstellung lokaler Künstler in der Nähe von Detroit, in Ypsilanti, bewundert. So bewegte ich mich langsam von Stand zu Stand und bekam allmählich das Gefühl, im falschen Film zu sein. Anstelle eines Comicfestivals handelte es sich hier vielmehr um eine Art Klassentreffen, bei dem man endlich Zeit fand, sich über alles Mögliche, aber nicht unbedingt über Comics zu unterhalten. Ich begann diesen falschen Film so langsam zu genießen und schaltete mich immer wieder in einige dieser kleinen Wiedervereinigungen ein.

arsenic_lullaby So kam ich sofort mit dem Zeichner und Autor von Arsenic Lullaby, Douglas Paszkiewicz, ins Gespräch. Inwieweit man hierbei von einem Gespräch reden kann, ist mir allerdings bis heute noch nicht klar geworden. Nachdem ich ihm erklärte hatte, dass ich aus Deutschland komme, ging es nämlich auch schon los mit der deutschen Phrasendrescherei des Amerikaners, der sich vor allem durch seinen schwarzen Humor auszeichnet. Bei seinen deutschen Formulierungen war es oft nicht ganz klar, ob er unbeabsichtigt unfreundlich war oder bewusst versuchte zu provozieren. Das breite Grinsen auf seinem Gesicht legte wohl eher die zweite Möglichkeit nahe. Auf meine deutsche Staatsbürgerschaft reduziert, verließ ich den Stand, doch Paszkiewicz schickte mir in gebrochenem Akzent noch ein standesgemäßes Auf Wiedersehen, mein Fräulein hinterher. Letzte Woche hatte ich wieder eins seiner Comics in der Hand und fragte mich, ob es ausreicht, einfach nur zu provozieren?

Phonzie Davis Mein nächstes Foto zeigt Phonzie Davis, einen jungen afroamerikanischen Künstler aus Columbus, Ohio, der mir damals erklärte, dass sein Ziel ein Vertrag mit Fantagraphics sei. Er scheint seinem Ziel heute schon einige Schritte näher gekommen zu sein, da seine erste Veröffentlichung in der amerikanischen Anthologie Meathaus #8: Headgames ansteht. Obwohl dieser Mann in seinem grüne Outfit an Lässigkeit wohl nicht zu übertreffen war, wurde seine Anwesenheit auf dem SPACE nicht wirklich wahrgenommen. Er war eben keine Teil der Gemeinschaft, die sich in Ohio zusammengefunden hatte. Auch dieses Problem hat der junge Mann aus Columbus scheinbar überwunden, denn heute erfreut sich Phonzie mit 581 Freunden bei myspace.com einer kleinen, aber feinen Fangemeinde.

 

Leider musste ich irgendwann den Hauptraum aus Zeitgründen verlassen, um auch den letzten Raum besuchen zu können, wobei mir die Anwesenheit von Dave Sim wieder einen Strich durch die Rechnung machte. Während ich gerade raus wollte, kam mir eine Horde von Comickünstlern und Fans entgegen. Um Sim ein weiteres Mal aus dem Weg zu gehen, schob ich mich vorbei an den Menschenmassen in einen kleinen bestuhlten Raum und fühlte mich für eine Sekunde in Sicherheit. Wie so oft trog auch hier der Schein, denn Sim war mir auf den Fersen und auf seinen Fersen die ganze hungrige Meute. Die Day Prize Verleihung war Grund der Aufregung. Diesen Preis hat Sim selbst ins Leben gerufen und ehrt damit nicht nur die Gewinner, sondern auch seinen Mentor, Howard Eugene Day, besser bekannt unter dem Namen Gene Day. Da ich nun schon mal hier war, konnte Matt Feazelich mir genauso gut aus sicherer Entfernung anhören, wer was gewonnen hatte. Der wichtigste Day Prize ging an Matt Feazel für seinen minimalistischen Cynical Man. Ihm wurde der Lifetime Achievement Award überreicht. Nach einer kurzen Fotorunde bemühte er sich zum Rednerpult und bedankte sich für den Preis. Auch hier stand die Familienveranstaltung im Vordergrund: er bezeichnete das SPACE sehr treffend als „room that is nothing but a big artist alley.“ Bei keiner anderen Preisverleihung hatte man das Gefühl, dass es eigentlich egal sei, wer den Preis gewinnt, solange man sich als Gemeinschaft fühlt. Weitere Preisträger und Nominierungen wurden durch Sims monotone Stimme angekündigt: Den eigentlichen Day Prize 2004 (der Preis wird natürlich rückwirkend vergeben) hat Andy Ruton für Owly gewonnen, der bei Top Shelf erschienen ist.

Nun war es endlich soweit, dass ich den letzten Raum der Convention, mit Ausnahme der Cafeteria, besuchen konnte. Im Gegensatz zum Hauptraum war die Stimmung hier eher sehr verhuscht. Während drüben Familienbande geschlossen wurden, war man sich hier noch nicht ganz sicher, was man vom Gegenüber zu halten hatte. Diese Künstler kamen aus einem ganz anderen Amerika. Bei vielen der Aussteller handelte es sich um Kunststudenten aus New York und kleine Eigenverlage aus dem Rest der Vereinigten Staaten. Um mich zu orientieren, ließ ich meinen Blick auf der Suche nach bekannten Gesichtern oder Comics durch den Raum schweifen. Dabei lächelte mich ein Mann mit aschblondem Haar gleich neben dem Eingang an. Sein Gesichtsausdruck sprach Bände: „Kennst wohl auch keinen hier, oder?“ Die Comics, die vor ihm lagen, strahlten ein Gefühl von Vertrautheit aus. Jim Rugg war sein Name, wohl besser bekannt durch seinen bei Slave Labor Graphics erschienen Comic Street Angel. Ein kurzes Gespräch, das es nicht wert wäre es als Interview zu bezeichnen, bahnte sich an:

Jim Rugg

Frage: “How did you come up with that type of hero?”

Antwort: “I just figured out what Marvel and DC heroes look and act like and I summed it up as the complete opposite!”

(Auf die Frage, wie er auf seine Comicheldin gekommen sei, antwortete er, dass er einfach das genaue Gegenteil von typischen Marvel- und DC-Helden entworfen habe.)

Dann verriet er mir noch, dass er schon lange vor seinem Durchbruch mit Street Angel unter einem Pseudonym, das er mir nicht verraten wollte, bei Slave Labor arbeitete.

Mit durch das Gespräch mit Rugg gestärktem Selbstbewusstsein ging ich sofort auf den nächsten Künstler zu. Dieser nahm Unterricht an der New York School of Art. Ob sich sein Besuch auf dem SPACE überhaupt lohnen würde, wollte ich wissen. Er versuche Kontakt mit dem Comicbetrieb aufzunehmen, weil seine Kunst Comics sehr stark ähnele (wenn ich diesen armen Künstler rückblickend betrachte, scheint mir gerade das Verhältnis von Universität und Comics in Deutschland diese Hürde überwunden zu haben.) Ich räumte ihm bei diesem Vorhaben keine großen Erfolgschancen ein. Auch er wandte sich nach links und rechts und stellte konsterniert fest: „The artsy crowd is slim these days“. “Or maybe the crowd is too Sim these days” gab ich als Vorschlag zurück. Ich kaufte seinen Comic und wir verabschiedeten uns mit einem Händedruck. Die anderen Künstler in diesem Raum machten jetzt mit dem Gewinn oder auch mit der bloßen Nominierung für den Day Prize Werbung. Aber wie es sich auf einem Independent-Comicfestival gehört, interessierte ich mich mehr für die Underdogs und hatte noch einen kleinen Plausch mit zwei Kunststudentinnen, die einen Cowboykalender gestaltet hatten. Lonesome Cowboy hieß das gute Stück und hängt immer noch in meinem Zimmer, obwohl die Jahre ins Land gezogen sind.

Girls in Space!Meine letzten Stunden auf dem SPACE wollte ich mit einem netten Streitgespräch bei einer Panel Discussion beenden. Dafür schien mir Girls in Space! genau das richtige Thema zu sein. Organisiert durch die oben bereits erwähnte Katie Merrit, trafen noch folgende Comickünstlerinnen ein: Pam Bliss (Dog and Pony Show), Joanna Estep (Fractured Kisses), C. Tyler (Late Bloomer) und Wendi Strang-Frost (Hula Cat). Die Damen diskutierten vor allem über ihre Stellung in der Independent-Comicszene. Ohne dies im Vorhinein abwerten zu wollen, kam man bei der Diskussion nicht wirklich vorwärts. Ähnlich wie in anderen Feldern, in denen die Emanzipation vorangetrieben wird, versuchte man sich auch hier immer wieder von dem männlichen Geschlecht abgrenzen, anstatt einfach Comics zu machen. In der Diskussion kam man dann zum Glück auch zu dem Punkt, dass eine solche Unterhaltung überflüssig sei, da es im Vergleich zum Mainstream ohnehin eine viel größere Anerkennung für Frauen in diesem Feld gibt. Dennoch zog man einen Schlussstrich, der wiederum lustig sein sollte, aber genau das Problem widerspiegelte: „Find a rich husband!“ Ein besserer Vorschlag wäre wohl gewesen: „Just draw your own comics“.

Girls in Space! animatedSo endete das SPACE 2005 – „still Mid-West’s largest gathering of small press, alternative and creater-owned comic artists“ – dann doch wie jedes andere Comicfestival auch mit der Erkenntnis, dass man auch weiterhin Comics machen wird, mit allen Problemen, aber auch mit allen Freuden, die dieses Medium bietet. Und auch ich stieg wieder in meinen Honda Civic Station Wagon und machte mich mit einer vollen Tasche und ein paar Fotos im Apparat auf den langen Weg heim nach Detroit. Zwischen dem SPACE 2005 und dem heutigen Tag liegen nun schon Monate in denen ich mich schämte, dass ich nicht früher berichtet habe. So kann ich nur versprechen in Zukunft von etwas aktuelleren Neuigkeiten zu berichten.