Messe- und Ausstellungsberichte

Frankfurter Buchmesse: Faszination Comic 2011

Der Manhwa-Gemeinschaftsstand auf der Frankfurter Buchmesse 2011

Frankfurt. Buchmesse. Ich schlendere am Donnerstag durch Halle 3 und Halle 4, stöbere, lese hier und da, abwartend, was mir so in die Finger kommt. Es ist angenehm, die großen Massen kommen wohl erst am Wochenende.

Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander KiellandIm ungefähren Format von Frank Millers 300 schwuppt mir am Carlsen-Stand Die wahre Geschichte vom Untergang der Alexander Kielland in die Hände. Beim ersten und zweiten Durchblättern grafisch beeindruckend. Noir. Zeichner Vincent Burmeister kommt von der Alligator Farm, der kann was, ohne Frage. Die Handlung hingegen … Puh. Um eine unzureichend motivierte, psychopathische Hauptfigur häkelt sich eine stotternd erzählte Dreiecksgeschichte, so kurz und gradlinig wie ein IKEA-Bleistift. Die Sätze schaffen es nur selten über eine Länge von sieben Worten hinaus. Insbesondere den folgenden hätte irgendein fähiger Redakteur unbedingt tilgen sollen: „Sie war sehr schön.“ Geht gar nicht. Alexander Kielland, ein weiteres Exemplar der Schublade: „Geil gezeichnet, kacke erzählt.“

Ähnlichkeiten zwischen Comiccover: Macbeth und 100 Bullets

Ich schlendere weiter und sehe mich um. Plötzlich fällt mir auf, wie eigenartig es ist, auf der Frankfurter Buchmesse zu sein und man hat auf den Gängen Platz. Am Stand von Campfire wirkt ein Cover aus der Ferne wie der erste Band von 100 Bullets. Mal gucken. Indisch. Erster Eindruck: Sieht alles aus wie US-Comics, TPBs, irgendwie superheldisch. Ich nehme wahllos einen Band vom Regal, bei dem mir das Cover gefällt, und fange an zu blättern.

Ein indischer Comic: Ravana – Roar of the Demon King

Ravana – Roar of the Demon King. Könnte vom Titel her auch eine Erweiterung von Magic – The Gathering sein. Wie ich im Innenteil erfahre, handelt es sich um eine Geschichte aus der indischen Mythologie; um einen Menschen, der zum Gottkönig wird, zum Dämon, was weiß denn ich. Nicht schlecht gezeichnet, könnte auch ein aktuelles Conan-Heft sein. Irgendwie zieht es mich aber nicht rein. Was mir am meisten Spaß macht, sind bestimmte Details, die mir die ganze Sache irgendwie sympathisch machen. Vorne, auf dem Innencover, steht „This book belongs to:“ und danach eine Linie, auf der man als stolzer Besitzer seinen Namen eintragen soll. Habe ich so bei Comics auch noch nicht gesehen, jedenfalls in keinem Conan-Heft. Auf derselben Seite, auch schön, das so genannte Mission Statement: „…to recount stories of human values…“ Huch! Eine Moral-Keule?! Neben Ravana stehen beispielsweise Comics über Oliver Twist, Nelson Mandela, Macbeth, Moby Dick usw. usf. Zusammengefasst: uralte Geschichten, schick gezeichnet, moralapostolisch gekrönt und geadelt. Eigentlich ja das altbewährte Prinzip der illustrierten Klassiker … Bitte weitergehen.

 

Einer der Manhwas auf der Frankfurter Buchmesse 2011: Milkyway Hitchhiking

Ich schlendere weiter und sehe mich um. Plötzlich fällt mir auf, wie eigenartig es ist, auf der Frankfurter Buchmesse zu sein und es regnet nicht. Bei Daewon C.I. Inc., einem Manhwa-Gemeinschaftsstand, setze ich mich hin, weil hier nicht viel los ist und bequem aussehende Sitzwürfel rumstehen. Ich beginne zu blättern, in Milkyway Hitchhiking. Sieht fein aus, ziemlich süß und girly, dünne Outlines, viel Weiß, sehr sanfte, ausgewogene Kolo. Das Buch ist auf Koreanisch, ich verstehe nix, aber offenbar geht es um eine oder um mehrere Katzen. Auf dem Cover klebt die englische Zusammenfassung. Die Katze heißt Milkyway und besucht in jeder Episode eine andere Person. Jede Person ist besonders von einem Gefühl geprägt, zum Beispiel von Wut, Trauer, Hass oder Liebe. Das Gefühl von Girlyness verdichtet sich.

 

Paranoid Kid von Jung YumiTipp: Paranoid Kid von Jung Yumi

Am selben Stand stoße ich auf eines meiner persönlichen Highlights der Buchmesse: Paranoid Kid. Klein, schwarz-weiß, eher unscheinbar, beim genaueren Ansehen jedoch intensiv. Die Künstlerin heißt Jung Yumi und wurde 1981 in Korea geboren. Das Prinzip des Buches ist simpel und leicht zu durchschauen. Auf der linken Seite steht Text, auf der rechten befindet sich ein Selbstportrait der Künstlerin. Beides bildet eine Einheit. Die Arbeiten stammen aus einer Zeit, als sie Anfang Zwanzig war. Sie zeichnete in der Nacht, wenn sie sich einsam fühlte. Sie möchte trösten. Die Arbeiten machen einen ganz merkwürdigen, sanften Eindruck auf mich, irgendwie meditativ. Jung Yumi begibt sich auf die Suche nach der eigenen Identität. Teilweise fühlt sich das surreal an, teilweise konsumkritisch, immer jedoch leicht und unaufdringlich, von einer eleganten Schlichtheit. Eine Doppelseite gefällt mir besonders gut. Da steht geschrieben: „Stay still. | Stay quiet. | Calm. | Concentrate | on what’s important.“ Daneben sieht man die Künstlerin, die eine Waage auf dem Kopf balanciert. Jung Yumi ist Animationskünstlerin. In Europa wurden ihre Arbeiten bereits in Cannes, auf dem Berliner Film Festival und auf Arte gezeigt.

 

http://www.cultureplatform.com/store/books.html

http://www.youtube.com/watch?v=MHHMtQ8lK5I

Eins der diesjährigen Highlights: Habibi von Craig Thompson

Andreas Platthaus (links) im Gespräch mit Craig Thompson (rechts)

Ich schlendere weiter und sehe mich um. Plötzlich fällt mir auf, wie eigenartig es ist, auf der Frankfurter Buchmesse zu sein und der Zwerchfell Verlag ist nicht da. Ich gehe weiter und sehe ein Buch, über das man reden wird, in den Feuilletons, auf der Buchmesse: Habibi von Craig Thompson. Nach seinem erfolgreichen Debüt Blankets hat er es endlich geschafft, ein zweites Buch vorzulegen. Thompson ist persönlich auf der Buchmesse erschienen und stellt sich einem Gespräch mit Andreas Platthaus. Es gibt großen Applaus, als beide die Bühne betreten. Platthaus wirkt ein wenig aufgeregt. Craig Thompson wirkt schmal, fein und konzentriert. Natürlich wird viel verglichen. Im Gegensatz zu Blankets ist Habibi nicht sehr linear, sagt Thompson. Blankets war eine minimalistische Geschichte, Habibi ist eine Kollage. Ihr liegt die Struktur einer 3 x 3 Matrix zugrunde. „Klingt kompliziert, aber lesen sie das Buch, sie werden schon sehen…“ Angefangen hat er mit Habibi im Januar 2004. Herausgekommen ist ein unglaublich dicker Wälzer, fast 680 Seiten, im Fachjargon ein „Backstein“. Zuerst wollte Thompson sich dem Genre von 1001 Nacht nähern, dann vergrößerte er den Rahmen, wollte über das Judentum, das Christentum und den Islam sprechen, über sexuelle Traumata, über die Schuld der USA an der Armut anderer Nationen. Als einen großen Einfluss nennt er den Franzosen David B. Und wer sich zum Beispiel die Mühe macht, Habibi und Die heilige Krankheit nebeneinander zu legen, wird sehen, was Thompson damit sagen will. Ich lese Habibi nach dem Bühnengespräch an, bewundere die grafische Großartigkeit und die geschickte und nicht sofort durchschaubare Erzählweise Thompsons. Es ist eine Liebesgeschichte in einer harten und grausamen Welt, schwarz-weiß, für Erwachsene, perfekt geeignet für die aktuelle Graphic-Novel-Bresche des Buchhandels. Ohne Zweifel ein toller Comic, den man sich in Frankfurt angucken sollte. Ich persönlich werde ihn mir nicht zulegen, weil ich schon immer eine gewisse Schwierigkeit mit Thompsons Blick auf die Welt hatte. Bei Craig Thompson existiert Gott. Oder anders gesagt: Die Existenz Gottes wird mir zu wenig diskutiert. Es hilft beim Lesen ungemein, wenn man gläubig ist – unabhängig von der Religion. Mir persönlich geht da etwas verloren.

 

Line Hovens DudenbrooksVon Jochen Schmidt und Line Hoven nehme ich Dudenbrooks in die Hand, auch so ein 300-Format. Die Idee des Buches ist ganz witzig: Man nehme sieben Wörter mit dem gleichen Anfangsbuchstaben und bastele daraus eine kurze, sinnvolle Einheit. Man tue das mit jeden Buchstaben des Alphabets, lasse Illustrationen von Line Hoven anfertigen und mache daraus ein Buch. Motto: Was nicht passt, wird passend gemacht. Ab und zu flackert beim Lesen Inspiration auf, der Großteil ist jedoch Nonsens, den ich sofort wieder vergesse. Ich frage mich, warum Line Hoven ihre Kunst für so einen Quatsch zur Verfügung stellt.

Eine Eigenproduktion von Ehapa: Im Bann der Hexer

Ich schlendere weiter und sehe mich um. Plötzlich fällt mir auf, wie eigenartig es ist, auf der Frankfurter Buchmesse zu sein und Fahr Sindram hat keine roten Haare. Ich gehe weiter, finde ein schwarz-weißes Album von Ehapa. Unzufrieden stelle ich bei Im Bann der Hexer von Florian Biege und Alexander Berger fest, dass ich inzwischen sehr empfindlich bin, wenn Comics sich selbst übertrieben ernst nehmen. Bei Kleiner Vogel rot [Christophers eigenem Comic – Anm. d. Red.] konnte man schließlich auch ab und zu mal lachen, ohne dass es die Geschichte gestört hätte. Diese so genannte indianische Sage erzählt gezwungen mystisch von einer Figur, die ihren Bruder retten will. Ich langweile mich, die Motivation ist zu schwach herausgearbeitet. In der Mitte des Albums habe ich noch immer keine Ahnung, was die Geschichte eigentlich von mir will. Grafisch okay, aber ich lege es zur Seite.

 

Ein halbfiktionaler Comic über Laika, den ersten Hund im All

Außerordentlich gut gefallen hat mir Laika von Nick Abadzis. Es geht um den Wettlauf ins Weltall aus der Sicht der Sowjetunion. Toll gezeichnet, toll erzählt. Ich lese mich fest. Scheint mir eine wirklich lesenswerte Graphic Novel zu sein, die etwas zu sagen hat. Ich bedauere, dass ich nicht genug Zeit im Gepäck habe, um sie vollständig zu lesen. Vielleicht ein andermal, vielleicht kaufe ich sie mir.

 

Leo Leowalds neues Werk: Stopptanz

Auch geil, wie immer, Leowalds Neuestes: Stopptanz. Kurze Episoden mit unvorhersehbaren Gedankenschlenkern. Geistreich, subversiv, aber selten brüllend komisch. Es geht nicht nur um den Gag. Darin ein guter Cartoon auf Kosten von Harry Potter. Im Klappentext eine ungezwungen hingeschwurbelte Beschreibung des Künstlers. Hier hat Comic noch was mit Freiheit zu tun. Ich kann das gut leiden.

Mein Tag auf der Buchmesse neigt sich dem Ende entgegen. Ich treffe mich mit alten Freunden und wir gehen Burger essen in einem American Diner. Comics habe ich keine gekauft, irgendwie fehlte mir der Ansporn, obwohl ein paar gute Sachen dabei waren. Erlangen ist halt doch geiler.

 

© Fotos: Christopher Bünte