Messe- und Ausstellungsberichte

Erlangen-Tagebuch, Tag 4: Mangakatzen, Comicküchen und Alan Moores Bart

Alle zwei Jahre bildet der Comic-Salon Erlangen für vier Tage den Nabel der Comicwelt. Wir sind natürlich auch dort und präsentieren an unserem Stand die neueste Ausgabe des Comicgate-Printmagazins zum Thema „Farbe“. Von dem, was sonst so passiert, berichten wir in diesem Messetagebuch: Im täglichen Wechsel schreiben CG-Redakteure über den vergangenen Tag, aus ihrer persönlichen, subjektiven Sicht und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Heute: Andreas Völlinger über den vierten Tag, Sonntag, 22. Juni

(Tag 1, Tag 3)

 

Mit der Verlagsparty der letzten Nacht noch in den Gliedern ist mein erstes Ziel in der sich rasch füllenden Heinrich-Lades-Halle der Stand von Atomax. Kollege Frisch, den ich im Schlepptau habe, bekannte nämlich auf dem Weg zum Salon, noch nie von Barbapapa gehört zu haben und unterstellte gar, dass Kollege Wederhake und ich ihn mit dem Schalk(er) im Nacken einen Barbabären aufbinden wollen. Zugegeben, wenn man von verschiedenfarbigen Klumpen namens Barbamama und Barbabella erzählt, klingt es wirklich nicht sehr glaubwürdig … Beim Merchandise-Händler mit dem Händchen für angesagte Lizenzen ist Barbapapa nach seinem mehrere Jahre anhaltenden erfolgreichen Plüschfiguren-Revival jedoch mittlerweile mangels Nachfrage wieder aus dem Programm geflogen. Der aktuelle heiße Scheiß, so erfahren wir, sind stattdessen PVC-Figuren von Chi, der Mangakatze, deren Abenteuer neuerdings bei Carlsen verlegt werden. Ein kulleräugiger Fall von Extremniedlichkeit und wohl der ultimative Albtraum aller Katzenbuch-Hasser.

Vor dem Comicgate-Stand steht schon eine beachtliche Schlange, die sich aber enttäuschender Weise wie schon an den Tagen zuvor als Warteschlange für unsere Standnachbarn Ulf Graupner und Sascha Wüstefeld entpuppt, die weiterhin im Akkord den neuen UPgrade-Band signieren und der Fanmassen trotz täglicher Ausweitung ihrer Signierzeiten auf ein bis zwei Stunden nach Salonschluss(!) nicht Herr werden. Ich kann auch heute nicht widerstehen, den hilflosen Wartenden mein episches 18-Seiten-Interview mit den beiden Künstlern im neuen Comicgate-Magazin unter die Nase zu halten und bei manch einem/r verfängt der plumpe Verkaufstrick. Synergie ist alles.

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Kollege Muschweck sinniert darüber, was die UPgrade-Jungs haben und wir nicht.

Zum Luftschnappen geht es auf den Rathausvorplatz, wo ich mit Egmont-Redakteur und Ex-Comicgate’ler Christopher Bünte und den Künstlerkollegen Flavia Scuderi und Ingo Römling über vergangene und zukünftige Projekte schnacke. Auf dem Rückweg wundere ich mich, dass Fahrradmod Tobi Dahmen in einem der Ladenlokale neben der Heinrich-Lades-Halle an einem Tisch sitzt und winkt und nehme zum allerersten Mal in vier Tagen wahr, dass dort eine große Ausstellung der IO (Illustratoren Organisation e.V.) stattfindet. Ein typischer Fall von Messe-Scheuklappen.

Gemeinsam mit Comicgate-Chef Thomas Kögel geht es dann in den „Comicgarten des Émile Bravo“, der laut Katalog im mysteriösen „Basement“ vom Hauptverwaltungsgebäude des Sponsorenpartners Siemens stattfindet. Von der Verlagsmesse ist es zwar nur ein kurzer Fußweg dorthin, ein paar Hinweis- und Richtungsschilder hätten sich dennoch gut gemacht. Der handgemalte Ausstellungshinweis in der Lobby des Verwaltungsgebäudes ist auch nicht gerade vertrauenerweckend. Statt des von mir befürchteten kalten Betonkellers erwartet uns dann aber ein gemütliches Untergeschoss, in dem viele Originalseiten aus den Comics des französischen Künstlers, große Aufsteller seiner Figuren und sogar eine Holzhütte untergebracht sind, in die sich die kleinen Salon-Besucher zur Comiclektüre zurückziehen können. Ergänzt um vom Umfang her gerade richtig bemessene Infotexte ergibt sich für den Besucher eine schöne Übersicht über Bravos mehr als zwanzigjähriges Schaffen, bei der sich die Frage stellt, warum ein derartiger Künstler erst seit 2008 auf Deutsch verlegt wird – und warum neben seinen Spirou-Arbeiten bisher nur seine Comics für junge Leser, nicht aber jene für Erwachsene, hierzulande veröffentlicht wurden.

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Der sehenswerte Comicgarten des Émile Bravo

Mit dem guten Gefühl, neben den Tardi- und SPRING-Ausstellungen (über die Björn Wederhake bereits ausführlich berichtet hat), noch eine weitere gemeistert zu haben, geht es zurück zur Verlagsmesse. Unbedingt ansehen will ich mir aber noch die Ausstellung über Walt Kellys Pogo nebenan im Rathaus, die schon von verschiedenen Leuten lobend erwähnt wurde. Doch zuerst müssen noch ein paar Comics gekauft werden, schließlich sind nur noch wenige Stunden Salon-Zeit: unter anderem das quietschbunte und mit dem ICOM-Preis prämierte Pimo & Rex, Schradis Ach, so ist das?! und das stylische Gung Ho-Album Nr.1, für dessen vier Fortsetzungen sich das Künstlerduo Kummant & Eckartsberg hoffentlich einen strafferen Zeitplan auferlegt hat als für Die Chronik der Unsterblichen, wo zwischen den beiden veröffentlichten Bänden satte sieben Jahre lagen.

Unterwegs werde ich an den Panini-Stand gewunken, wo ein paar meiner Künstlerkollegen von DIE TOTEN gerade signieren. Unsere deutsche Zombieserie wird ab jetzt nämlich vom Großverlag vermarktet. Während sich Christian Nauck sichtlich irritiert mit Salon-Besuchern herumschlägt, die ungefragt für seine feinen Zombie-Sketche bezahlen(!) wollen, zaubert die für derartige Fälle pragmatisch mit einer pinken Spardose ausgestattete Sarah Burrini derweil ein untotes Pony aufs Papier. Das lässt sofort die Idee für ein Crossover zwischen der Zombieserie und ihren Das Leben ist kein Ponyhof-Strips in mir aufkeimen – wir sind hier schließlich bei Panini. Und so bekommt der daneben signierende TOTEN-Chefdompteur und Teilzeit-DJ Christopher Tauber gleich Die untoten Mädels vom Ponyhof gepitcht, das mit Sicherheit ganz neue Leserschichten erreichen würde.

Nach einer kurzen Pause auf dem grasbewachsenen Dachgarten der „Max und Moritz-Leseterasse“, wo unter entspannt schmökernden Salon-Besuchern und übermüdeten Zeichnern auch ein angeregt plaudernder Joe Sacco in der Nachmittagssonne sitzt, steht noch eine Begehung des Jungen Forums an, wo Studenten aus den Illustrations-, Design- und Visuelle-Kommunikations-Studiengängen deutschsprachiger Hochschulen ausstellen. Wie immer gehören die dortigen Stände zu den originellsten auf dem Salon und warten dieses Jahr unter anderem mit von einer Leine baumelnden Schlüpfern und einer komplett eingerichteten, illustrierten Küche auf.

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Zu Mittag gab’s leider nur Comics.

In mir reift langsam die Erkenntnis, dass ich die Pogo-Ausstellung wohl nicht mehr schaffen werde; und zur Bestätigung läutet wenig später auch schon die legendäre Stimme mit gefühlvollen Abschiedsworten über die Lautsprecheranlage das Ende des Salons ein. Sorry, Pogo.

Um die „Streich auf Streich“-Ausstellung im Stadtmuseum, die ich ebenfalls verpasst habe, ist es übrigens weniger schade. Denn wie mir Kurator Martin Jurgeit verriet, handelte es sich in Erlangen nur um eine reduzierte Version des Ganzen. Die komplette Ausstellung über 150 Jahre deutschsprachige Comics kann ab Mitte September im Schloss Oberhausen bewundert werden, was ich als gebürtiger Ruhrpottler, der schon die gelungenen Walter-Moers- und Ulf-K.-Ausstellungen dort zu schätzen wusste, sicherlich auch machen werde.

Zurück am Comicgate-Stand ist bereits die bittersüße Abschiedszeremonie all jener lieben Kolleginnen und Kollegen im Gange, die noch am Sonntag ihre Heimreise bestreiten. Um den aufkommenden Abschiedsblues zu bekämpfen, schließen wir verbliebenen Comicgate’ler uns nach dem Standabbau mit den Resten der Zwerchfell-Truppe und der Alligator-Farm-Crew zusammen und suchen einen Mexikaner heim. Unterwegs geht es noch einmal vorbei an der beeindruckenden Freiluft-Installation von Joe Saccos Panoramabild Der Erste Weltkrieg: Die Schlacht an der Somme auf dem Schlossplatz – im Original ein sieben Meter langes Leporello, hier in zehnfacher Größe auf Planen gedruckt. Beeindruckend in seiner unglaublichen Detailliertheit, kommt es aber gerade durch diesen Wimmelbildeffekt nicht ganz an Jaques Tardis ungemein eindringlichere Darstellung der Kriegsgräuel ran. Dennoch ein toller Beitrag zum Comic-Salon und eine wunderbare Idee, die Comics raus in die Stadt zu tragen.

Beim Abendessen gibt sich Alligator-Farm-Herausgeber Maikel Das als Erlangen-Dauerbesucher zu erkennen, der seit 1984 jeden Salon mitgemacht hat. Den ersten als frischgebackener Abiturient im Redoutensaal, der mittlerweile viel zu klein für die Verlagsmesse wäre und gegenwärtig nur noch als Tanzfläche für die große Verlagsparty herhält. Eine Ausstellung von Fotos aus 30 Jahren Comic-Salon, welche die Veranstalter kürzlich in einem digitalen Bildarchiv zusammengestellt haben, hätte wirklich unterhaltsam werden können. Aber man wollte ja ausdrücklich lieber nach vorne als zurück blicken, so die Festivalleitung.

Unser Trüppchen zieht gesättigt weiter zur Aftershow-Party ins Manhattan, wo noch gut zwei Dutzend Salon-Helfer und Comicmenschen das Festival ausklingen lassen – darunter die auch nach vier Tagen Salon-Stress noch immer strahlende Flavia Scuderi, das vermutlich mit Gewalt aus der Halle gezerrte UPgrade-Duo, die nicht kaputt zu kriegenden Cartoonisten Gumpert und Metz, Stefan „SPON“ Pannor und der unermüdliche Peter Puck. Während die vier Tage lang genährte Müdigkeit in mir hochkriecht, laufen Zwerchfell-Zar Stefan Dinter und Maikel Das noch einmal zu Hochform auf und erzählen anschaulich von der Fanzine-Produktion in den 1980ern und 90ern inklusive eines erstaunlich unterhaltsamen Vortrags über den Fortschritt der Reprotechnik. Mein Staunen ob der vielfältigen Hürden, vor denen Indie-Comicmacher damals standen, steht mir wohl ins Gesicht geschrieben, was Stefan Dinter mit „Jetzt guck doch nicht so ungläubig, so war’s“ kommentiert. Früher war echt nicht alles besser.

Trotz der grandios unterhaltsamen Runde dämmere ich immer wieder weg, bekomme gerade noch ein kollektives David-Goyer-Bashing mit und dann den Beginn eines feurigen Disputs zwischen den Herren Frisch und Dinter über Alan Moore, in dem so gar nichts ausgelassen wird, nicht mal des Meisters Bart … oder träume ich das schon? Blitze schießen quer über den Tisch, am Fenster zieht der markante Schatten von Salon-Chef Bodo Birk vorbei… und auf einmal haben sich alle wieder lieb. Obwohl Comicgate-Chefredakteurin Frauke nach der Kombination von Fünf-Minuten-Power-Napping und Gin Tonic gerade wieder in Fahrt kommt, beenden wir die Nacht um etwa Zwei auf dieser harmonischen Note und verabschieden uns mit dem Segen von Sankt Bodo ins Hotel. Morgen geht es zurück in diese merkwürdige Parallelwelt außerhalb Erlangens, in der ganz andere Dinge wichtig sind. Eine äußerst unwirkliche Vorstellung.

 

Fotos: Frauke Pfeiffer, Thomas Kögel, Daniel Wüllner