Wilhelm Buschs berühmte Bildgeschichte Max und Moritz gilt als wichtiger Vorläufer und Wegbereiter der Kunstform Comic und Busch wird gerne als „Vater der Comics“ bezeichnet. Jetzt ist im Wilhelm-Busch-Museum in Hannover eine Ausstellung zu sehen, die eine große Linie von Max und Moritz bis zum Schaffen heutiger Comickünstler im deutschsprachigen Raum zieht. Stefan Svik hat sie für uns besucht.
Das „Wilhelm Busch – Deutsches Museum für Karikatur und Zeichenkunst“ in Hannover zeigt vom 16. Februar bis zum 27. April 2014 eine Ausstellung anlässlich des 150. Jubiläums der Fertigstellung von Max und Moritz. Da Wilhelm Buschs damaliger Verleger von dem Werk nicht recht überzeugt war und Angst vor einem Flop hatte, erschien es erst 1865 und wurde in den kommenden Jahrzehnten äußerst populär, obwohl es gerade in den ersten Jahren von manchen Kritikern als pädagogisch fragwürdig eingestuft wurde.
Unter dem Motto „Deutschsprachige Comics von Wilhelm Busch bis heute“ zeigt die Ausstellung neben der kompletten Handschrift von Max und Moritz im Original zahlreiche weitere Exponate, die stellvertretend für die deutschsprachige Comicgeschichte stehen, die bei Busch ihre Ursprünge hat. Unter anderem sind zu sehen: Originalzeichnungen von Olaf Gulbransson (Simplicissimus) bis zu Jan Gulbransson (Die Ducks in Deutschland), Reinhard Kleist neben Ottifanten, Bilder von Ulli Lust und die Wormworld Saga, Nick Knatterton und Famany, Deutschlands Superheld von 1937.
Aus konservatorischen Gründen sind Buschs Originale nur in den ersten fünf Wochen ausgestellt. Der Rest bleibt weitere fünf Wochen im Museum und wird im Juni auf dem Comic-Salon in Erlangen zu sehen sein. Betreut wird die Schau durch Martin Jurgeit, den langjährigen Chefredakteur der Comixene, der vor der Wahl stand, welche Werke in den zwei Etagen des Museums zu sehen sein sollten. Ein wesentliches Kriterium dabei ist der Max-und-Moritz-Preis, der seit 30 Jahren verliehen wird und mit seinem Namen ebenfalls eine Traditionslinie von Wilhelm Busch zu heutigen Comics zieht. Auffällig ist, dass relativ wenig deutsche Manga zu sehen sind und außer Ulli Lust, Isabel Kreitz und Olivia Vieweg hauptsächlich Comics von mittelalten bis älteren Männern vertreten sind. Ein „Männerverein“ wie zu Simplicissimus-Zeiten ist die Comicszene heute nicht mehr.
Erster Stock, kurz vor der Eröffnung am Sonntag, so leer wars später nicht mehr | Kurator Martin Jurgeit bei der ersten Führung am Sonntag |
Die Ausstellung wird von einem Rahmenprogramm begleitet, das möglichst viele Ziel- und Altersgruppen ansprechen soll. Generell ist diese Ausstellung sowohl für Gelegenheitsleser wie auch für Comicexperten äußerst ergiebig: Rechnet man den ersten Raum mit den Busch-Exponaten mit, sind 266 Comic-Originalzeichnungen in Form von Einzelblättern zu sehen, außerdem 111 Einzelzeichnungen aus insgesamt sieben Werken von Wilhelm Busch. Hinzu kommen noch Drucke, teils über 100 Jahre, teils erst wenige Jahrzehnte alt. Die ältesten Arbeiten in der Ausstellung sind zwei Original-Blätter von Rodolphe Töpffer aus Les Amours de Mr. Vieux Bois von 1839. Die jüngsten Exponate sind zwei Original-Comicseiten des Mosaik-Studios aus Mosaik 457 mit dem Titel Abrafaxe Down Under, das im Januar 2014 erschienen ist.
In der Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung wies Museumsdirektorin Dr. Gisela Vetter-Liebenow darauf hin, dass die deutsche Comicgeschichte nicht nur aus sehr populären Werken wie denen von Walter Moers oder Manfred Schmidts Nick Knatterton besteht. Als ein weniger bekanntes Beispiel nannte sie den amerikanischen Zeitungsstrip The Katzenjammer Kids, der erstmals 1897 erschien. Der Comic von Autor und Zeichner Rudolph Dirks, der aus Schleswig-Holstein stammte, basierte mehr oder weniger direkt auf Max und Moritz und erzählte ebenfalls von den Streichen zweier frecher Lausbuben.
Seite aus Die Ducks in Deutschland von Jan Gulbransson | Marvel Comics made in Germany von Nic Klein |
Auch die Katzenjammer Kids sind in der Ausstellung vertreten, deren Spektrum außerordentlich breit ist: Zeitungscomics, Alben, „Germanga“, deutsche Zeichner bei Marvel, Underground-Comix, Onlinecomics – all diese Themen werden behandelt. Wenn man sehr kritisch ist, kann man sagen, sie werden nur kurz angeschnitten, aber mehr Raum ist im Museum nicht vorhanden. Internationale Comics, in denen deutsche Figuren auftreten, etwa die Superheldenhefte aus dem Zweiten Weltkrieg, werden nicht thematisiert. Dafür ist der erste Auftritt von „Famany – Der fliegende Mensch“ ausgestellt. Der fand 1937 in der Gartenlaube statt, einem laut Museums-Pressesprecher Dr. Kai Gurski „unpolitischen Magazin“. Also eher kein Propagandawerk, obwohl mitten in der Nazizeit entstanden. Das erste Superman-Heft erschien 1938 – ist Famany also der erste Superheld der Welt? Eher nicht, da Superman bereits Anfang der 1930er Jahre entwickelt wurde. Hier gilt ähnliches wie beim Telefon oder der Erfindung anderer Geräte: Wichtig ist nicht nur, etwas zu erfinden, sondern es auch erfolgreich am Markt durchzusetzen. Anders als Superman war Famany nur eine kurze „Karriere“ beschert. Superman ist bis heute berühmt, sicher auch, weil er Menschen weltweit anspricht und nicht so „deutsch“ ist wie Famany, der „ein Eigenweg“ war, wie Gurski sagt.
Wie fühlt es sich an, wenn bereits zu Lebzeiten eigene Werke in einem Museum ausgestellt werden? Ich bat stellvertretend zwei Künstler per Mail um eine kurze Antwort. Beide hatten die Ausstellung noch nicht besucht, planen es aber fest ein. „Sehr gut. Das ist eine wirklich große Ehre.“ fasst es Simon Schwartz (Packeis) zusammen, was es für ihn bedeutet, neben Wilhelm Busch und anderen Legenden ausgewählt worden zu sein. Ulli Lust (Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens) formuliert es so: „Hoffentlich erhebend. Meistens schäme ich mich für meine armselige Zeichenkunst, wenn sie neben den großen Meistern hängt. Mal sehen.“. Hatte der Schöpfer von Max und Moritz Einfluss auf die eigene Arbeit? Schwartz sieht einen solchen Einfluss „möglicherweise, aber nicht direkt und nicht bewusst“. Ulli Lust ist da eindeutiger: „Busch hat keinen Einfluss auf meine Arbeit. Als Kind dachte ich, geschieht ihnen recht, den dummen Buben, in der Mühle zu enden. Die fromme Helene gefiel mir mäßig besser. Heute bewundere ich die Leichtigkeit und Virtuosität, mit der Busch seine Figuren bewegen konnte. Stilistisch inspiriert mich die Ära nicht, der er zugehörig ist. Ich verehre dagegen glühend die Zeichner des Simplicissimus, Karl Arnold, Olaf Gulbransson und andere.“
Simon Schwartz stellte Originalseiten aus „Packeis“ zur Verfügung | Die Gartenlaube mit Famany |
Zur Auswahl der gezeigten Bilder verriet Lust, dass Kurator Martin Jurgeit um eine zusammenhängende Szene gebeten hatte – naheliegend, da Comics eben fließende Bilder-Geschichten sind. Schwartz kommentiert ein Bild aus der gezeigten Serie so: „Das ausgestellte Blatt zeigt die für mich zentrale Szene in Packeis. Der Punkt, an dem die Handlung kippt und die zwei primären Handlungsstränge sich verbinden.“
Zum umfangreichen Begleitprogramm der Ausstellung gehörte ein großes „Museumsfest“ am ersten Wochenende. In drei gut einstündigen Sitzungen konnte man den Wahl-Berlinern Felix Pestemer und Stepan Ueding beim Live-Zeichnen zusehen: Sie begannen mit dem letzten Bild von Buschs Max und Moritz. Die frechen Buben hatten für ihre Streiche büßen müssen und waren zu Mehl verarbeitet worden. Wie könnte es nun weitergehen? Auf zwei Papierrollen zeichneten die beiden Künstler ihre Bildergeschichte mit Zombie-Gestalten und einer Kneipe namens „Zum vollen Busch“. Dabei wurde hochkonzentriert und schnell, aber auch mit vielen Lachern gearbeitet. Ob Felix Pestemers Kommentar „Ich hätte jetzt total Lust, das noch schön zu kolorieren“ ernst oder ironisch gemeint war, blieb offen [Mehr dazu im Interview mit Pestemer und Ueding bei der ComicRadioShow].
Ueding & Pestemer zeichnen ihre Version von Max und Moritz 2014 | Felix war überrascht, wie voll es im Museum war |
Pestemer war überrascht, wie früh das Museum bereits gut gefüllt war: „Wir wollten eigentlich noch etwas in Ruhe vorbereiten, bevor die Besucher kommen“. Der große Andrang (insgesamt über 1.500 Besucher an diesem Sonntag) sorgte dafür, dass es recht turbulent zuging und sich die verschiedenen Aktionen zwischenzeitlich etwas ins Gehege kamen. Das besserte sich bei der zweiten Zeichensession: Immer mehr Publikum schaute den Zeichnern zu, stellte Fragen oder bekam Lust, selbst mitzuzeichnen. Das Endergebnis dieser Aktion mit dem Titel Der allerletzte Streich kann man in Felix Pestemers Blog lesen.
Das Live-Zeichnen bleibt nicht die einzige Aktion im Wilhelm-Busch-Museum: In den nächsten Wochen finden Workshops für verschiedene Altersgruppen (u.a. mit Martina Peters und Titus Ackermann) ebenso statt wie Führungen und eine Comiclesung von Ulli Lust. Das komplette Rahmenprogramm ist auf der Website des Museums verfügbar. Bei Knesebeck ist ein umfangreicher Katalog zur Ausstellung in Vorbereitung, der ebenfalls den Titel Streich auf Streich trägt, aber bislang noch nicht erschienen ist.
Mit ihrem überaus breiten Spektrum, das von Zeitungsseiten über Comicalben und Manga bis zu Onlinecomics reicht, ist „Streich auf Streich“ eine äußerst ergiebige und höchst unterhaltsame Ausstellung. Hier hängt Brösels Werner neben Reinhard Kleists Cash und Ralf Königs Der bewegte Mann – Rolf Kauka, Hansrudi Wäscher, Abrafaxe, e.o. Plauen, Jimmy das Gummipferd von Roland Kohlsaat und viele mehr sind vertreten – ein reiches Angebot, mit dem man gut und gerne einen halben Tag verbringen kann.
Werner, oder was? | Bildschirm mit digitalen Comics |
Alle Fotos: © Stefan Svik