Das Comic-Zentrum ist inzwischen eine feste Einrichtung auf der Frankfurter Buchmesse geworden, und man kann auch die 2005er-Auflage guten Gewissens als Erfolg bezeichnen. In der Ecke der großen Ausstellungshalle, die für Comics reserviert war, herrschte an den beiden Besuchertagen mit Abstand das dichteste Gedränge auf der ganzen Messe. Vor allem junge Leute zog es in den Bereich, der nicht nur aus Verlagsständen bestand, sondern durch einige Besonderheiten aufgewertet wurde: ein Cafe, ein Comicladen, das Podium für diverse Vorträge und Talkrunden, drei Signiertische und nicht zuletzt ein großer Comic-Schmökerbereich sorgten für ein sehr freundliches Ambiente, das im Gegensatz zu vielen anderen Messebereichen wirklich zum Verweilen einlud.
Wenn man sich die Stände der einzelnen Verlage anschaute, konnte man sehr gut sehen, wie die Finanzkraft der deutschen Comicbranche verteilt ist. Dominierend waren die Stände von Tokyopop und Carlsen Comics sowie der von Lappan (dessen Schwerpunkt eher bei Cartoons liegt). Auffallend waren diese Stände nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch ihr eigenständiges und auffälliges Design und durch ihre offene Bauweise, die es den Besuchern ermöglicht, den Stand zu betreten und darin herumzuschlendern. Bei Carlsen gab es zusätzlich eine Fotoaktion, bei der man sich mit Figuren aus Robert Labs‘ neuem Comic „The Black Beach“ ablichten lassen konnte.
Auch Ehapa bzw. EMA war vertreten, allerdings als Teil des Messestands der Egmont-Gruppe, der sich nicht im Comic-Zentrum befand, sondern im Bereich der Kinder- und Jugendbücher. Wer zu Ehapa wollte, musste also ein wenig suchen. Etwas seltsam mutete der Panini-Stand an, eine große, blau-gelbe Konstruktion, die hauptsächlich aus Wänden bestand. Präsentiert wurden dort vor allem TV-Begleitbücher aus dem Dino-Verlag und eine Handvoll Manga – Superhelden waren gar nicht präsent (hier konzentrierte sich Panini wohl auf die Essener Comic-Action, die nur eine Woche vorher stattfand). Das Hauptevent bei Panini war die Signierstunde einer Autorin, die Bücher zu diversen Teeniefernsehserien schreibt.
Neben den genannten Großständen wurde das Comiczentrum noch vom Stand der Koreaner dominiert. Korea war bekanntlich das offizielle Gastland der Buchmesse und präsentierte sich hier mit seiner Manhwa-Produktion. Die Korea Culture & Content Agency (KOCCA), eine staatlich finanzierte Agentur, hatte richtig Geld reingesteckt: es wurden nicht nur massenhaft Tüten verteilt (auf Messen immer ein sehr begehrtes Accessoire), sondern auch das wohl umfangreichste Giveaway auf der ganzen Buchmesse – der „Manhwa 2005 Sammler“, ein über 250 Seiten dickes Buch voller Leseproben aus verschiedenen Manhwas. Sogar eigens ins Deutsche übersetzt – allerdings nicht von Muttersprachlern, was teilweise zu recht drolligen Formulierungen wie z.B. „Wie wär’s mit etwas anderes zu tun als den Verbrechern zu verfolgen?“ führte. Außerdem gab es auf einigen Bildschirmen die Möglichkeit, sich durch diverse Manhwa zu klicken.
Rundherum gruppierten sich die kleineren Verlage, deren Ständen leider deutlich die beschränkten finanziellen Mittel anzusehen waren. Die standardisierten Messestände, die man in Frankfurt mieten kann, sehen alle gleich aus: rechteckig, weiß, unscheinbar, beschriftet mit dem Verlagsnamen. Noch nicht mal für große bunte Verlagslogos war Platz. So unterschieden sich die Stände nur noch durch die ausgestellten Comics. Und noch ein Nachteil: Im Vergleich zu den großen luden die kleinen Stände viel weniger ein, einfach mal ein Buch oder Heft in die Hand zu nehmen und durchzublättern, weil sie allzu oft nach dem Prinzip des Tante-Emma-Ladens gestaltet waren: hinten Regale, vorne ein Tisch, hinter dem Tisch saß das Standpersonal.
Der Trumpf der Kleinverlage lag in der Anwesenheit ihrer Zeichner: Mawil bei Reprodukt, Naomi Fearn bei Zwerchfell und Chris Deutsch bei Epsilon signierten fleißig ihre Neuerscheinungen an den Ständen.
Schade, dass ein paar Kleinverlage gar nicht mit Messeständen vertreten waren. Wäre der ursprünglich geplante Freibeuter-Gemeinschaftsstand nicht geplatzt, wäre die deutsche Comicbranche wohl annähernd komplett vertreten gewesen.
Die offiziellen Signierstunden (jeweils drei Künstler gleichzeitig) im Comic-Zentrum glänzten mit vielen großen Namen. Wer mehrere Tage in Frankfurt war und sich fleißig anstellte, konnte eine stattliche Sammlung von Signaturen einheimsen, z.B. von Jeff Smith (“Bone“), Jim Lee (“Batman“), Craig Thompson (“Blankets“), André Juillard (“Blake und Mortimer“), Flix (“Held“), Marjane Satrapi (“Persepolis“), Ralf König (“Dschinn Dschinn“), Joschau Sauer (“Nichtlustig“) oder Christina Plaka (“Yonen Buzz“). Dazu kam noch eine Reihe koreanischer Künstler wie Min-Woo Hyung (“Priest“) oder Kang Won Kim (“I.N.V.U.“). Was die Anzahl und Bandbreite der anwesenden und signierenden Künstler angeht, kann da außer Erlangen kein anderes Comic-Event im deutschsprachigen Raum mithalten.
Sehr erfreulich auch das Veranstaltungsprogramm. Fast durchgehend gab es auf der kleinen Bühne Podiumsdiskussionen, Preisverleihungen, Buchvorstellungen oder originelle Shows wie das gemeinsame Waffelbacken der Cartoon-Allstars Ralf Ruthe, Flix und Joscha Sauer. Sehr unterhaltsam war auch das von Flix und Mawil organisierte „Tischtennis-Turnier des Todes“, bei dem sich je zwei Verlagsvertreter im Doppel gegenüber standen und das sehr launig von Ralph Ruthe kommentiert wurde. Gewonnen hat übrigens das Team von Lappan.
Und noch andere Gewinner gab es. Folgende 2004er-Comics bzw. Zeichner erhielten einen „Sondermann“:
Comic – International: „Onkel Dagobert“ von Don Rosa (Egmont vgs)
Comic – Eigenpublikation (national): „Die Chronik der Unsterblichen“ von Hohlbein/v. Eckartsberg/v. Kummant (Egmont vgs)
Manga / Manhwa – International: „One Piece“ von Eiichiro Oda (Carlsen)
Manga – Eigenpublikation (national): „Dystopia“ von Judith Park (Carlsen)
Cartoon: „Shit happens“ von Ralph Ruthe (Carlsen)
Newcomer: Arne Bellstorf (“acht, neun, zehn“)
Komische Kunst: Rudi Hurzlmeier
Der Preis für den Comic des Jahres 2005 (erschienen im Jahr 2004) ging an Craig Thompson für „Blankets“, welchen er auch persönlich entgegennahm.
Prominentester Gast in diesem Jahr war natürlich Albert Uderzo – pünktlich zum Erscheinen seines neuen, heftig kritisierten Asterix-Bandes. Für ihn war das Comic-Zentrum zu klein, deshalb fanden „seine“ Veranstaltungen im geräumigen Kino der Buchmesse statt. Der große Andrang, der bei dem Uderzo-Interview mit Ulrich Wickert herrschte, rechtfertigte diese Verlegung. Leider geriet diese Veranstaltung zu einer recht zähen Angelegenheit. Nach einer kleinen Präsentation der Asterix-Rekordzahlen schläferte Mr. Tagesthemen das Publikum erst mal mit ausgiebigen Zitaten aus akademischen Abhandlungen über Asterix ein. Hätte er jetzt noch „eine geruuuuhsame Nacht“ gewünscht, der Saal wäre kollektiv entschlummert. Zum Glück durfte Monsieur Uderzo irgendwann doch noch das Wort ergreifen. Wer jedoch erwartet hatte, dass Journalist Wickert hier mehr als ein braver Stichwortgeber sein würde, wurde enttäuscht. Kritische Fragen blieben aus, die Übersetzung durch eine französische Dolmetscherin, deren Deutsch nicht allzu umwerfend war, sorgte auch nicht gerade für Tempo. Alles in allem ein ziemlich enttäuschendes Eventchen. Immerhin gab’s zum Schluss noch einen kleinen exklusiven Ausschnitt aus der Zeichentrickverfilmung von „Asterix und die Normannen“. Eine kleine Sensation war die Ankündigung, dass Uderzo tatsächlich eine Stunde lang signieren würde.
Leicht irritierend wirkte auch die Veranstaltung der F.A.Z., bei der sie ihre aktuelle Buchreihe „Klassiker der Comicliteratur“ vorstellte. Die beiden Gaststars hätten unterschiedlicher nicht sein können: Jim Lee, einer der berühmtesten Vertreter der aktuellen US-Superheldencomics, und Volker Reiche, der in der F.A.Z. mit seiner Stripserie „Strizz“ erfolgreich ist. Reiche nutzte seine Redezeit vor allem dazu, die Superhelden und ihre Art, Konflikte mit Gewalt zu lösen, anzuprangern und machte unmissverständlich klar, dass er von diesem Genre gar nichts hält. Eine legitime Meinung, allerdings etwas undiplomatisch vorgetragen, wenn man direkt neben Jim Lee sitzt und diesen damit in die Defensive drängt.
Einer der schönsten Plätze im Comic-Zentrum war die mit knallrotem Teppich ausgelegte Schmökerecke. Hier standen hunderte von Comicbänden frei zugänglich in Regalen – die Besucher konnten darin lesen und blättern, solange sie wollten. Einige dürften hier eine ziemlich lange Zeit verbracht haben.
Wie man auf den Fotos sieht, waren die unvermeidlichen Cosplayer auch am Samstag schon auf der Messe unterwegs, obwohl erst am Sonntag der große Mangatag mit freiem Eintritt für kostümierte Kids war. Dieser Anblick gehört eben inzwischen genauso zu Comicfestivals wie schlangestehende Menschen mit Zeichenblöcken unterm Arm.
Frankfurt 2005 war auf jeden Fall eine Reise wert. Nach dem Erlangener Comic-Salon ist die Buchmesse inzwischen wohl das zweitwichtigste Branchentreffen in Deutschland. Ein gewichtiger Vorteil des Comic-Zentrums ist natürlich der Vorteil, dass es nicht nur wahre Comicfans anzieht, sondern auch Leute, die es als Teil ihres Buchmessebesuchs mitnehmen, aber niemals Eintritt für ein reines Comicfestival bezahlen würden. So erzielt die Veranstaltung ihre Wirkung auch über die kleine Comicszene hinaus.
Die Buchmesse-Berichterstattung der Kollegen:
comic.de mit zahlreichen Bildern
Parnass mit interessanten Audioclips (Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag)
Splashcomics mit Videomitschnitten