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„Wir sind nicht wichtig“ – Interview mit Gabriel Bá und Fábio Moon (OmU)

Brasilien war das Gastland der Frankfurter Buchmesse 2013. Im Comic Zentrum in Halle 3.0 wurden einige Künstler aus Brasilien vorgestellt. Comic-Verlage aus Brasilien allerdings fanden sich in anderen Hallen. Am Messe-Samstag sprachen die Zwillingsbrüder Gabriel Bá und Fábio Moon über ihren Comic Daytripper (gerade bei Panini Comics auf Deutsch erschienen), für den sie 2011 den Eisner Award erhielten, sowie über andere Werke von ihnen. Geboren wurden sie am 5. Juni 1976 in São Paulo. Seit dem Jahr 2000 erscheinen ihre Comics auch auf Englisch. Bisher waren das beispielsweise De:Tales (gerade bei Cross Cult auf Deutsch erschienen), Casanova von Matt Fraction, Moon und Bá oder The Umbrella Academy von Gerard Way und Bá. Im Gespräch auf der Bühne mit Stefan Pannor verrieten sie etwa folgendes zu Daytripper: Es sei kein autobiographisches Werk, anders als die Figur im Buch sei ihr Vater kein Schriftsteller, beim Hund auf dem Cover handelt es sich um den Labrador ihrer Schwester, und so weiter. Eine Sache hassen sie zu zeichnen: Pferde. Ebenfalls unangenehm sei es ihnen, darüber zu reden, wer welchen Teil des Comics gestaltet hat. Viel wichtiger ist es für sie, die Leser zu erreichen und zu berühren. Dabei wollen sie selbst lieber hinter der Geschichte verschwinden, unsichtbar bleiben. Die Leser sollen sich auf die Geschichte konzentrieren und nicht auf deren Schöpfer.

altIch traf Gabriel Bá und Fábio Moon, dank der freundlichen Unterstützung von Panini Comics, am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse 2013. Dieses Mal tranken sie keinen Kaffee, anders als bei der vormittäglichen Präsentation auf der Bühne. Dort fassten sie ihre Kaffee-Vorliebe so zusammen, wie sie ähnlich auch im Nachwort zu Daytripper zu finden ist: „Kaffee schmeckt gut. Er schmeckt heiß und stark. Genau das erwarten wir von unserem Leben.“

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Gabriel BáComicgate: Ihr seid jetzt schon einige Tage in Deutschland. Sind euch Unterschiede zu Brasilien aufgefallen, hinsichtlich der Menschen und der Comics?

Fábio Moon: Ich denke, das ist ähnlich wie in den USA. Die Leser ähneln sich sehr. Ihre Art der Lektüre. Die Fragen, die sie stellen. Ihre Lieblingsfiguren. Das ähnelt sich.

 

Da sind sich also Brasilien, die USA und Deutschland ähnlich?

FB: Es ist die selbe Sorte Leser. Die Märkte in Deutschland und in Brasilien sind klein. Als wir in Frankreich waren, fiel uns auf, dass man dort viel mehr kennt als nur die amerikanischen Comics. Dort gibt es ein ganz anderes Publikum. Also sind sich Brasilien und Deutschland sehr ähnlich, aber in Brasilien schauen wir auf eine deutlich längere Karriere zurück. Es gibt viel mehr Comics von uns, als in Deutschland bislang erschienen sind.

Gabriel Bá: Und in Brasilien erscheint ein Comicstrip von uns in der Zeitung. Damit erreichen wir ein anderes Publikum als mit den Comicheften.

 

Sind diese Strips Erweiterungen zu Daytripper, werden darin die gleichen Themen behandelt (also etwa Liebe und Tod)?

Fabio Moon: Es ist etwas anderes. Es gibt keine durchgängige Geschichte mit wiederkehrenden Figuren. Die Strips behandeln das aktuelle Leben, aber es geht mehr in eine philosophische Richtung. Wir lassen etwa Tiere sprechen und Fragen stellen.

 

Fábio MoonUnd dieser Strip erscheint ausschließlich in Brasilien?

Beide: Genau.

FB: Wir stellen ihn auch online, auf unsere Website, aber nur auf Portugiesisch. Den sehen Leute aus aller Welt, ohne die Texte zu verstehen.

 

Während der heutigen, öffentlichen Gesprächsrunde zu Daytripper hattet ihr bereits erwähnt, dass der Hund auf dem Cover eurer Schwester gehört und dass euer Vater eben nicht der Schriftsteller aus dem Buch ist, dass Daytripper also nicht autobiographisch ist. Zeichnen und schreiben eure Schwester und eure Eltern ebenfalls? Liegt das Talent in der Familie?

Beide: Nein.

FB: Nur wir beide haben diesen Beruf. Die anderen haben normale Jobs.

 

Ihr seid Zwillinge, habt aber unterschiedliche Namen. Künstlernamen, nehme ich an. Ich hörte vorhin jemanden sagen, dass Bá ein bekannter Fluss in Brasilien sei – stimmt das?

Beide (energisch und leicht erheitert): Neeein!

 

Fábio Moon und Gabriel Bá in FrankfurtHabt ihr die Namen ausgesucht, weil sie etwas über euren Charakter aussagen oder haben euch eure Eltern diese Namen gegeben?

FM: Es sind eher Künstlernamen. Bá ist ein Spitzname. Es ist die Kurzform für Gá. Als ich anfing, buchstabieren zu lernen, nannte ich Gabriel Babio. Die Leute nannten ihn Gá, ich machte daraus Bá. Das ist also ein Spitzname. Moon war eine Art Missgeschick. Ich schickte einem Mädchen einen heimlichen Liebesbrief und dann war es schon zu spät, es rückgängig zu machen. Nun dienen uns diese Spitznamen als Künstlernamen und schützen uns vor dem weltweiten Andrang unserer weiblichen Verehrerinnen (lächelt).

 

Ich hatte auf so etwas getippt wie: Vielleicht fühlt ihr euch besonders naturverbunden, so eine Verbindung zwischen Mond und Erde. Und dann gibt es da ja noch diese angebliche innige Verbindung zwischen Zwillingen, die bisweilen als geradezu „magisch“ dargestellt wird. Ihr habt mit Superhelden-Comics angefangen, etwa mit Geschichten aus dem Hellboy-Universum. Ist diese Zwillingssache eure „Superkraft“? Glaubt ihr an solche übernatürlichen Phänomene? An Dinge wie den Einfluss des Mondes? Gibt es mehr als wir sehen? Oder ist das alles bloß Unfug?

GB: Ach nee.

FM: Ich denke nicht, dass es eine besondere Verbindung gibt. Aber wir wuchsen eng miteinander auf. Wir verbrachten viel Zeit zusammen. Uns verbinden also die gleiche Herkunft und die gleichen Einflüsse.

GB: Ja, genau! Wir sind wie ein altes Ehepaar.

FM: Ja. Wenn du mit jemandem das ganze Leben verbringst, dann weißt du alles über diese Person. Du weißt, wie sie sich fühlt, wie sie denkt, wie sie reagiert. Deshalb kennen wir uns so gut. Eine andere Art von besonderer Verbindung gibt es nicht. Das ist ein Grund, warum wir so schnell gemeinsam arbeiten können. Wir wissen sehr schnell, was der andere meint, was wir voneinander wollen. Das hat keine esoterische Ursache.

 

Cover Daytripper Fühlt sich Daytripper deshalb so harmonisch an, ist deshalb die Einheit aus Text und Zeichnungen so stark? So zumindest mein Eindruck.

FM: Ich denke, dass wir als Zwillinge eine andere Sichtweise darauf haben, wie sich Menschen untereinander beeinflussen. Und darauf, wie wichtig die Menschen wirklich sind, die uns umgeben. Dadurch bekamen wir eine Ahnung davon.

GB: Wichtig ist das auch für unser gemeinsames Arbeitsverhältnis. Wir haben früh festgelegt, dass wir uns nicht so wichtig nehmen. Wir sind nicht wichtig. Uns interessiert es nicht, wer welchen Arbeitsschritt erledigt und wer wichtiger ist als Autor und Zeichner. Das ist unwichtig. Es gibt zahlreiche Leser der Comics, die über Autor und Zeichner gar nichts wissen. Das ist auch egal, wenn es nicht gelingt, die Leser in die Geschichte eintauchen zu lassen. Er soll sich in die Welt des Comics einfinden und sich mit den Figuren beschäftigen. Das hinterlässt einen viel dauerhafteren Eindruck als die Frage: Wer hat was gemacht? Ich denke von dieser Herangehensweise profitiert unser Arbeitsverhältnis. Dadurch wirken unsere Comics einzigartig und wie aus einem Guss.

 

Findet ihr, dass Daytripper das reale, echte Leben im heutigen Brasilien zeigt? Oder ging es euch viel mehr darum, etwas über Familie und Freundschaften zu erzählen, statt Brasilien zu zeigen?

FM: Nun, man kann etwas über Familien, Menschen und Freundschaft in Brasilien erfahren. Einerseits ist es eine universelle Geschichte, weil jeder Familie, Freunde und die daraus resultierenden Probleme hat. Es ist andererseits sehr einzigartig, wie Brasilianer miteinander umgehen. Wer genauer hinschaut, sieht, was in Brasilien anders läuft und was einzigartig ist. Wenn wir alles richtig gemacht haben, können die Leute sich damit identifizieren, unabhängig davon, woher sie kommen. Brasilianer sind anders. Wie sie miteinander umgehen, wie sie Freundschaften betrachten, der Umgang mit der Familie, ihre Arbeitsverhältnisse. Wie sie mit ihren Träumen und ihrem Leid umgehen, wie sie ums Überleben kämpfen und sich um Arbeitsplätze bemühen. Daytripper zeigt, wie Brasilianer auf all diese Dinge reagieren. Aber wenn wir gut gearbeitet haben und aufrichtig genug waren, dann versteht man diese Geschichte auf der ganzen Welt.

 

Seite aus DaytripperIhr habt mit Verlagen aus den USA zusammengearbeitet. Daytripper ist universell, sagtest du gerade. Ist es trotzdem schwierig, eine Geschichte, die in Brasilien spielt, zu veröffentlichen? Interessieren sich genug Leser in den USA und international für Comics aus Brasilien?

FM: Dadurch, dass die Geschichte in Brasilien stattfindet, konnten wir uns auf das Wesentliche konzentrieren. Wir konnten eine aufrichtigere Story erzählen. Und dadurch wollten wir auch einen tieferen Eindruck bei den Lesern erzielen. Würde Daytripper irgendwo anders spielen, dann hätten wir die gleiche Geschichte erzählen können, aber uns hätten die Werkzeuge und Elemente gefehlt, mit denen wir diese Aufrichtigkeit erzeugen wollten. Was würde den Figuren außerhalb Brasiliens widerfahren, wenn sie in eine andere Region des jeweiligen Landes kämen? Wie wäre dort der familiäre Hintergrund? Das konnten wir mit Sicherheit nur für Brasilien richtig einschätzen. Und das war auch im Sinne unseres US-Verlags Vertigo. Sie wollten, dass Daytripper ganz anders wird als irgendeine andere Serie bei Vertigo. Wir sollten die Art Geschichte erzählen, die wir normalerweise schreiben.

 

Während der Veranstaltung auf der Bühne sagtet ihr etwas sehr Treffendes: „Es gibt viel interessantere Aufgaben im Comicbereich, als die Figuren anderer zu verwenden und die gleichen Geschichten immer und immer wieder von neuem zu erzählen.“ Ist es schwierig, einen Comic wie Daytripper am Markt durchzusetzen? Einen Batman zu gestalten, wäre wahrscheinlich leichter verdientes Geld, dafür aber künstlerisch weniger erfüllend?

FM: Wir machen das, was wir tun wollen…

GB: Ja!

FM: Für uns ist es viel schwieriger, an Superheldencomics zu arbeiten, weil uns die Figuren gleichgültig geworden sind.

 

Cover De:Tales Aber als ihr jünger wart, habt ihr sie gelesen?

Beide: Ja, klar.

FM: Als wir jünger waren, als wir selbst nur Comicleser waren, liebten wir Superhelden. Wir haben fast sämtliche Serien gelesen und die Fortsetzungsgeschichten immer weiterverfolgt. Aber inzwischen haben wir den Kontakt dazu verloren. Es dreht sich doch immer nur im Kreis und uns interessieren die Figuren einfach nicht mehr. Obwohl wir Batman lieben, ist es einfach nicht mehr der Batman, den wir früher gerne gelesen haben. Wir könnten uns nicht dazu aufraffen, beispielsweise eine gute Batman-Geschichte zu produzieren. Deshalb arbeiten wir ausschließlich an Projekten, die uns interessieren. Das müssen nicht immer Geschichten sein, die wir selbst geschrieben haben. Etwa, als wir mit Autoren wie Matt Fraction an Casanova oder mit Gerard Way an The Umbrella Academy zusammengearbeitet haben. Das waren Stories, die uns angesprochen haben. Wir halfen dabei, die Figuren zu gestalten. Die Geschichte und die Figuren waren uns wichtig. Auf diese Weise erzielt man die besten Ergebnisse.

GB: Wenn wir viel Geld hätten verdienen wollen, dann wären wir Anwälte oder Ärzte oder so etwas geworden.

 

Welche Art Geschichten möchtet ihr gerne in zukünftigen Comics erzählen?

FM: Alles mögliche.

 

Seite aus De:TalesMehr Geschichten über Brasilien?

Beide: Nein!

FM: Mehr Geschichten über Beziehungen. Die können überall spielen. Wir sehen allerdings noch viele Möglichkeiten für Geschichten vor einer brasilianischen Kulisse. Aber Brasilien dient mitunter nur als exotischer Hintergrund. Selbst für Brasilianer! Momentan arbeiten wir an der Comic-Umsetzung eines brasilianischen Romans, der in Manaus spielt. Das ist die Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas. Sie befindet sich mitten im Regenwald. Für den Großteil der Brasilianer ist das eine völlig andere Welt. Das möchten wir gerne näher beleuchten. Etwa die Frage: Wie werden die Figuren durch ihre Umgebung beeinflusst? Außerdem macht es Spaß, diese Landschaft zu zeichnen und es gefällt uns, diese Bilder zu betrachten. Wir freuen uns darüber, wie sich diese Geschichte entwickelt. Das will ich weiterverfolgen. Ich suche mir Themen aus, die ich gerne zeichne. Es dauert lange, einen Comic zu beenden, deshalb ist es wichtig, dauerhaft Freude an der Arbeit zu haben.

 

Mexiko hat seine Tijuana Bibles (sehr billige, pornographische Untergrundcomics) und Argentinien hat seinen Funny-Comicstrip Mafalda. Viel mehr Comics aus Südamerka fallen mir spontan gar nicht ein, muss ich zugeben. Gibt es eine große Comicszene in Brasilien und ist es bedauerlich, dass sie nicht mehr Beachtung erhält?

FM: Der Comicmarkt in Brasilien ist nicht sehr groß. Der bekannteste Zeichner, den wir haben, ist Mauricio [de Sousa]. Er ist auch hier auf der Buchmesse. Seine Karriere umspannt nun bereits 50 Jahre. Er macht Comics für Kinder und jeder bei uns lernt mit seinen Werken das Lesen. Seine Comics gibt es an jedem Zeitungsstand, überall im Land, einfach zu finden. Jeder kennt seine Figuren. Alles andere ist viel kleiner. So wie in Deutschland: Auflagen um die 3.000 Stück. Die findet man in Buchhandlungen oder in speziellen Comicgeschäften. Sehr schwer zu finden, diese Comics. Die meisten Leute wissen gar nicht, was für eine Vielfalt es an Comics in Brasilien gibt. Viele suchen auch gar nicht erst danach, was die Sache noch schwieriger macht. Also sucht man sich Verlage in den USA oder Frankreich, in deutlich größeren Märkten also. Damit besteht die Chance, selbst mit einer kleinen Auflage, entdeckt zu werden und anderswo weitere Projekte veröffentlichen zu können. Man kann ein großer Name sein in Brasilien und trotzdem nirgendwo sonst gelesen werden. Nur wenige Leute sprechen Portugiesisch. Und von brasilianischen Comics hat kaum jemand je etwas gehört.

GB: In den brasilianischen Zeitungen erscheinen viele Comicstrips. Die laufen seit 30, fast 40 Jahren. In Brasilien sind die sehr bekannt.

FM: Aber die erscheinen in keinem anderen Land. Das ist bedauerlich.

 

Gabriel Bá mit KaffeeLetzte Frage: Kürzlich habe ich die österreichische Autorin und Zeichnerin Ulli Lust in Hannover zum Interview getroffen (bald hier auf Comicgate). Wir sprachen auch über Daytripper und sie sagte mir, dass sie euch beide sehr gut findet. Habt ihr irgendwelche Favoriten unter den Comickünstlern aus Deutschland, Österreich oder anderen europäischen Ländern?

FM: Wir kennen Ulli. Und wir trafen den Autor des Comics über den fünften Beatle. Das war auf einer Buchmesse in Toronto. Mir fällt gerade sein Name nicht ein …

 

Arne Bellstorf.

FM: Ja, genau! Und wir kennen den Macher von Der Boxer und dem Comic über Johnny Cash: Reinhard Kleist. Außerdem lieben wir die neuen französischen Zeichner. Die sind sehr gut! Leute wie Cyril Pedrosa. Wir mögen Frederik Peeters …

Beide: … aus der Schweiz …

FM: Und auch einige italienische und spanische Künstler. Wir mögen Gipi und David Rubin. Aber wir versuchen uns überall umzuschauen.

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Fábio Moon and Gabriel Bá’s Blog (englisch)
Gabriel Bá bei CrossCult
Fábio Moon bei CrossCult
Daytripper bei MyComics

 

Abbildungen: © Fábio Moon/Gabriel Bá/Panini Comics/CrossCult
Photos: © Stefan Svik