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„Weil man muss“: Interview mit James Sturm (OmU)

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„Keine Bange“, sagte uns Jutta Harms am Reprodukt-Stand gefasst, „er ist sehr zuverlässig. Er wird pünktlich sein.“ Und, tatsächlich, kurz vor der verabredeten Zeit marschierte James Sturm ins Künstlerhaus am Lenbachplatz, den Ort des diesjährigen Comicfestivals München, zurück von seiner Erkundungstour der Stadt.

Ausschnitt aus dem Cover von Markttag

Der US-amerikanische Cartoonist und Eisner-Award-Gewinner hatte seinen ersten Deutschland-Besuch mit einem Zwischenstopp in Berlin begonnen. Der Anlass war Sturms Debüt in deutscher Sprache, Markttag, eine übersetzte Ausgabe seines Buchs Market Day von 2010. Erschienen bei Reprodukt, dessen Chef Dirk Rehm in München mit dem ICOM-Independent-Sonderpreis für eine besondere Leistung ausgezeichnet wurde, befindet sich Markttag hierzulande in der Gesellschaft ansprechend aufgemachter Editionen der Werke von Cartoonisten wie Arne Bellstorf, Joann Sfar und Craig Thompson.

Doch obwohl wir nur 30 Minuten Zeit haben würden für unser Gespräch vor einer geplanten Signierstunde, machte ich mir keine Sorgen, dass Sturm zu spät kommen könnte. Ich hatte am Vorabend seinen Vortrag und das nachfolgende Gespräch mit FAZ-Redakteur Andreas Platthaus im Amerika Haus gesehen, und die Erscheinung des Mannes – kluge und aufmerksame Augen, ein glatt rasiertes Kinn und das Grau auf seinem Kopf gepflegt getrimmt – strahlte Solidität aus. Sturms Stimme klingt weich aber bestimmt, und obwohl er seine Aussagen oft so betont, als wären sie Fragen, ist doch klar, dass der Grund dafür nicht Unsicherheit ist, sondern einfach das Bewusstsein, dass er auch nicht alle Antworten kennt.

Kurz gesagt: Selbst, wenn man mit Sturm und seinem Werk nicht vertraut ist, erlebt man ihn trotzdem als ausgeglichenen Menschen, der einen Weg gefunden hat, seine Muse mit den Notwendigkeiten des Lebens unter einen Hut zu bringen. Und wenn doch, wird durch sein Auftreten nur bestätigt, was man ohnehin vermutet von einem 45-jährigen Ehemann, Vater und Lehrer, der 2004 seine eigene Schule, das Center for Cartoon Studies im US-Bundesstaat Vermont, gegründet hat, und dessen Werke historisch geerdet sind und Motive wie Glauben (The Revival), den Goldrausch (Hundreds of Feet Below Daylight), oder jüdische Identität (The Golem’s Mighty Swing; alle drei gesammelt in James Sturm’s America: God, Gold and Golems) erforschen oder sich, wie Markttag, mit dem Ringen beschäftigen, einen praktikablen Mittelweg zwischen – na bitte – Kunst und Lebensunterhalt zu finden.

James Sturm mit Marc-Oliver Frisch in der Kegelbahn

Der Ort, den wir für unser Interview ergattern konnten, lag, vielleicht angemessener Weise, zwar nicht hunderte von Fuß unter Tage, aber doch wenigstens ein paar, unten in einer abgelegenen Ecke im verwinkelten Keller des im Jahre 1900 eröffneten Künstlerhauses, am anderen Ende einer düsteren historischen Kegelbahn, die der aus dem Spielfilm There Will Be Blood nicht unähnlich schien. Nachdem wir einem besorgten Mr. Sturm mehrfach versichert hatten, dass wir ihn ganz bestimmt nur im buchstäblichen Sinn um die Ecke bringen wollten, erklärte er sich dort zu einer kurzen Fotosession bereit, und danach setzten wir uns endlich hin, um zu reden.

Interview und Übersetzung: Marc-Oliver Frisch; Fotos: Björn Wederhake 

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COMICGATE: Fangen wir mit einer ganz einfachen Frage an: Wenn einer Ihrer Studenten auf Sie zukommen und Sie fragen würde, „Wieso Kunst machen?“, was würden Sie antworten?

JAMES STURM: (lacht) Ich wäre überrascht, wenn einer meiner Studenten mich das fragen würde. Denn wenn man erst einmal einer meiner Studenten ist, stellt sich die Frage gar nicht mehr, weil man weiß, dass es einfach ein Drang ist, den man verspürt. Woher dieser Drang kommt, das ist eins der größten Rätsel dieser Welt. Das ist etwas, das aus deinem tiefsten Innern kommt, und dem man einfach nachgeben muss. Und solche Studenten wollen wir für uns gewinnen. In dieser Branche ist es geradezu ein Zwang, Kunst zu machen. Ich würde nicht einmal eine Erklärung dafür anbieten. Ich meine… Man könnte alle möglichen Dinge sagen, die hochtrabend und bedeutungsschwanger klingen, aber unterm Strich gibt es auf die Frage „Warum Kunst machen?“ für einen Menschen nur eine Antwort: weil man muss.

COMICGATE: Ich frage, weil der Protagonist in Markttag, Mendelmann, ein Teppichweber ist, und sein Freund produziert Stühle. Dabei handelt es sich um Gegenstände des täglichen Gebrauchs, und selbst für die beiden ist es schon schwer, Kunst und Kommerz unter einen Hut zu bringen. Ich könnte mir vorstellen, dass das bei Comics noch schwieriger ist, weil sich kein greifbarer Nutzen aus ihrem täglichen „Gebrauch“ ergibt.

JAMES STURM: Ich glaube für mich persönlich, dass die Disziplin des Kunstschaffens mir dabei hilft, die Welt zu verstehen. Das ist mein Weg, all die Bilder und Eindrücke zu sortieren, die auf mich einwirken, und darin eine Art roten Faden, eine Art Motiv zu finden. Wenn ich merke, dass ich mich verliere in dieser Welt, dann kann ich anfangen zu zeichnen. Und das hilft mir, eine Art Schema zu entwerfen, auf das ich mich stützen kann. Und ich glaube, dass darin für mich letztlich der Nutzen liegt, Kunst zu machen. Es gibt mir ein gewisses Gefühl des Verstehens. Manchmal gibt es mir ein gewisses Gefühl der Kontrolle, was wichtig ist. Und es verschafft mir große Befriedigung—sowohl die harte Arbeit als auch der Prozess, auf etwas hinzuarbeiten und dann, natürlich, ein Ziel zu erreichen und ein Buch zu machen, das das Resultat meiner Mühen, meines Forschens und Strebens ist.

Panel aus Markttag

COMICGATE: Im Jahr 1999 gaben Sie zu Protokoll, Sie würden Ihre Arbeit nicht darauf zuschneiden, ein Massenpublikum anzusprechen.

JAMES STURM: Hmm. Ja, das hat sich möglicherweise geändert, seit ich das gesagt habe. Na ja, ich glaube, ich bin mir meines Publikums mittlerweile bewusster. Ich glaube, seit ich Vater bin, weiß ich, dass man seine Ausdrucksweise auf seine Kinder zuschneiden muss. Und als Lehrer musst du vorsichtiger sein, weil deine Studenten dich manchmal als Autorität ansehen, auch wenn du dich gar nicht als Autorität fühlst. Also kannst du nicht mehr so leichtfertig sein. Und ich habe ja auch ein paar Kinder- und Jugendbücher gemacht. Ich würde schon sagen, dass ich mit diesen Büchern etwas Authentisches und Bedeutsames geschaffen habe, auch wenn ich mir dabei des Publikums bewusst war und meine Arbeit entsprechend auf diese Altersgruppen zugeschnitten habe. Ein Buch, das ich für Sechsjährige mache, funktioniert eben ganz anders als, sagen wir, Markttag oder Hundreds of Feet Below Daylight.

COMICGATE: Und Ihre Studenten müssen ja schließlich auch raus in die Welt und einen Weg finden, von ihrer Arbeit zu profitieren…

JAMES STURM: Genau.

COMICGATE: Mussten Sie Ihren Standpunkt vielleicht überdenken, weil Sie Ihren Studenten nicht einfach mitgeben können, dass sie keine Kompromisse eingehen sollen?

JAMES STURM: Nun. „Kompromiss“ ist ein interessantes Wort. Ich glaube, dass es in Ordnung ist, Kompromisse einzugehen, aber nicht … sich zu kompromittieren. Ich weiß nicht, ob das auf Deutsch einen Unterschied macht, aber…

COMICGATE: Tut es.

JAMES STURM: … wenn man sich selbst kompromittiert, dann verschenkt man etwas von seiner Würde. Das ist nicht gut. Aber auch ein Geben und Nehmen kann gesund sein. Ich glaube … als ich dabei war, mich selbst als Cartoonist zu finden – und selbst heute noch –, habe ich Projekte gemacht und an Sachen gearbeitet, die vielleicht nicht der ultimative Ausdruck meiner selbst waren, mir aber Gelegenheit gaben, mit bestimmten Leuten zu arbeiten oder Zusammenarbeit zu lernen, oder mich in eine Position zu bringen, von der ich den Eindruck hatte, dass ich an der Erfahrung wachsen konnte. Und das war gut so. Ich meine, es macht mir nichts aus, mich in eine solche Position zu bringen, wenn ich glaube, dass ich daraus auch einen Nutzen ziehen kann.

Und, was meine Studenten angeht, das Handwerk eines Cartoonisten … du bringst ihnen all diese Fähigkeiten bei. Sie lernen, wie man schreibt, wie man zeichnet, wie man designt, wie man seine Comics ins Internet stellt, und so weiter – viele unterschiedliche Fähigkeiten also. Und auch, wenn es viele Jahre dauern wird, bis sie eine Graphic Novel verkaufen oder mit Comics ihr Geld verdienen können, glaube ich doch, dass die kreativen Fertigkeiten, die du in dem Ehrgeiz entwickelst, Cartoonist zu werden, sich auch kommerziell vermarkten lassen.

Panel aus Markttag 

COMICGATE: Man hat Sie als „Cartoonist unter den Cartoonisten“ bezeichnet, was…

JAMES STURM: Was bedeutet, dass ich nicht genug Bücher verkaufe (lacht). Ich weiß nicht, ob…

COMICGATE: Ich hab es so aufgefasst, dass Ihre Figuren und Kulissen universeller werden – Sie sagen, dass sich Markttag fast zu jeder Zeit und an jedem Ort so oder so ähnlich abspielen könnte. Die Belange und Motive werden hingegen spezifischer, weil Sie sich nun mit dem Künstler-Dilemma auseinandersetzen – im Gegensatz zu The Revival (1996), zum Beispiel, wo Ort und Zeit sehr spezifisch sind und ein sehr universelles Thema im Mittelpunkt steht, nämlich das Hoffen auf Gottes Hilfe. Würden Sie zustimmen, dass das eine Richtung ist, in die Sie sich mit Ihrer Arbeit bewegen?

JAMES STURM: Es fällt mir schwer, das zu beurteilen von meinem Standpunkt. Wenn mir danach ist, Kunst in einer Art spirituellen Dimension zu machen oder Fragen nachzugehen, die sich mir aus meiner eigenen Arbeit ergeben, dann versuche ich, das in der Arbeit selbst zu tun. The Revival befasst sich mit einer sehr spezifischen Versammlung, die an einem spezifischen Datum stattfand. Markttag ist universeller, aber es gab schon einen geschichtlichen Zeitpunkt, auf den ich mich konzentrierte. Es hätte nicht jeder Ort sein können. Es ist offenkundig Osteuropa, und es ist offenkundig das frühe 20. Jahrhundert. Aber es wird kein spezielles Land genannt, kein spezielles Dorf … da ist eben irgendwo die Siedlung dieses Kerls … die könnte natürlich überall sein.

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COMICGATE: Die Geschichte von Markttag ist einer Parabel nicht unähnlich, in der Art, wie sie erzählt wird – es gibt bloß am Ende keine Moral, wie das normalerweise der Fall ist bei Parabeln. Sie bleibt offen. Was halten Sie davon, eine Geschichte in der Geschichte selbst zu kommentieren? Ist das etwas, das Sie grundsätzlich bewusst vermeiden?

JAMES STURM: Meiner Ansicht nach geht’s in dem Buch darum, diesen Scheideweg und dieses Dilemma aufzuzeigen. Ich glaube, dass diese großen Schismen oft von Grund auf falsch sind, weil man überall, wo man auch hinsieht, etwas Bedeutendes und Erfüllendes entdecken kann. Aber ja, dieser Mensch, Mendelmann, er steht an diesem Scheideweg, und ich will seine Wahl nicht explizit aussprechen. Der Leser soll das mitnehmen, was er mitnimmt. Manche Leser sind sehr überzeugt, dass er weiterhin seine Teppiche weben soll, was auch kommen mag, während andere ihn in erster Linie seiner Familie verpflichtet sehen. Und in The Revival ist es genauso. Ich wollte nicht klar sagen, ob Gott dieses Mädchen zum Leben erweckt hat. Ich wollte das eher offen lassen. Und die Reaktionen darauf sind gut. Ich mag das. Ich mag Literatur oder Theaterstücke, die sich die Leute ansehen und sie interpretieren … wie etwa bei Antigone. Man hat das Stück im besetzten Paris aufgeführt, und die Deutschen gehen raus und denken sich, es geht um den Vorrang des Staates vor dem Individuum, während der Pariser Untergrund etwas anderes darin erkennt. Ich mag Werke, die sich dem annähern, zu einem gewissen Grad.

Ausschnitt aus dem Cover von America: God, Gold, and Golems

COMICGATE: In einem früheren Interview bieten sie fast die Lösung für Mendelmanns Dilemma an. Sie sagen, er müsse nur akzeptieren, dass der wahre Wert von Kunst nicht vom Markt bestimmt werde – dass das zwei paar Schuhe seien.

JAMES STURM: Stimmt, und er erkennt das noch nicht.

COMICGATE: Würden Sie es in Betracht ziehen, so eine Lösung im Werk selbst unterzubringen?

JAMES STURM: Nein. Ich glaube, ich würde in Betracht ziehen, ein weiteres Buch zu machen, das Mendelmann viele Jahre später zeigt, in seinem täglichen Leben. Und allein dadurch, was er täte, könnte man aufzeigen, welche Entscheidungen er getroffen hat und welche Konsequenzen diese Entscheidungen mit sich bringen. Denn ich glaube, dass es immer Konsequenzen gibt, gleich, welche Entscheidung man trifft, und dass es keine Entscheidungen ohne Risiko gibt. Ich habe Freunde von der Uni, die sehr gute Autoren, talentierte Zeichner waren, und sie haben ihre Arbeit aufgegeben, weil sie sich eine Existenz als Teil der Mittelschicht oder als Teil der Oberschicht aufbauen wollten. Und ich glaube, dass sie eine Menge aufgeben mussten, um das zu erreichen. Sie dachten, sie würden auf Nummer sicher gehen, aber wenn man ihnen dann begegnet, merkt man, sie sind nicht glücklich, sind ruhelos. Sie haben gutes Geld verdient, aber da ist etwas, das ihnen fehlt.

COMICGATE: Sie haben Stabilität ihrer Kreativität vorgezogen.

JAMES STURM: Genau. Wobei ich nicht weiß, wie stabil das genau ist, weil wir uns manchmal an einem gewissen Punkt selber sabotieren. Und jetzt wo ich jenseits der 40 bin, sehe ich Leute, die mal eingefleischte Freigeister waren, und „Kunst!“, und sie wollten weiter Häuser besetzen und sich nicht anpassen. Und jetzt sind sie über 40 und machen sich Sorgen, weil langsam ihre Gesundheit nachlässt und sie nicht krankenversichert sind. Und bei einigen von ihnen hat man das Gefühl, dass sie wünschten, sie hätten vielleicht auch ein bißchen besser vorgesorgt, weil sie so radikal das andere Extrem gelebt haben. Ich weiß also nicht so recht. Es ist schwer zu sagen. Das ist offenkundig eine sehr verzwickte Sache. Ich glaube, als Künstler muss man sich vollkommen seiner Muse verschreiben, und ich glaube, dass das einer der Gründe ist, warum Künstler oft nicht besonders gut klarkommen in dieser Welt. Weil man nicht ohne Scheuklappen auskommt, und man sich vollkommen seiner Arbeit widmen muss. Und manchmal geschieht das auf Kosten anderer Lebensbereiche.

Panel aus Markttag 

COMICGATE: Ein weiterer Punkt, den Sie 1999 ansprachen und den ich gut nachvollziehen konnte, war, dass Sie Comics nicht so genießen konnten wie Romane. Den Grund dafür sahen Sie nicht beim Medium selbst, sondern darin, dass Romanautoren mitreißendere und tiefgründigere Arbeit ablieferten. Glauben Sie immer noch, dass das der Fall ist?

JAMES STURM: Das ist eine gute Frage. Nun, eigentlich sind es ja Äpfel und Birnen, aber ich habe schon das Gefühl, dass ich mich in einem Roman länger und nachhaltiger verlieren kann. Einen Roman von A bis Z durchzulesen, dauert ein, zwei Wochen, und man ist auf bestimmte Weise gefesselt dabei. Es gibt nur sehr wenige Comics – sehr wenige Comics –, die das bewirken können und mich so in ihren Bann ziehen. Ich schaue mir zwar viele Comics an und finde Gefallen an den Zeichnungen, oder die Gesten oder Illustrationen haben etwas, das mich anspricht. Aber, dass mich das alles so fasziniert und fesselt, wie ich das bei der Lektüre eines Romans empfinde … Nicht viele Comics schaffen das. Es gibt wenige Cartoonisten, die mit ihrer Arbeit bei mir den gleichen Effekt erzielen.

COMICGATE: Was denken Sie, woran das liegt?

JAMES STURM: Nun, es liegt wahrscheinlich einfach an mir selber, meinem Wesen … Ach, keine Ahnung (lacht).

COMICGATE: Glauben Sie, dass Cartoonisten vielleicht das Schreiben vernachlässigen?

JAMES STURM: Das würde ich nicht unbedingt sagen, denn einigen Cartoonisten geht es darum gar nicht in ihrer Arbeit. Es geht eher um Gesten und darum, eine gewisse Energie zu schaffen und auf den Leser zu übertragen, statt ums Erzählen. Und ich halte das auch für einen sehr legitimen Umgang mit Comics. Es ist ein von visuellen Eindrücken bestimmtes Medium. Ich schätze diese Art von Arbeiten, aber sie berühren mich nicht immer so tief, wie sie vielleicht andere Leute berühren. Und, nochmal, das ist einfach Geschmackssache, was mich angeht. Ich will diese Art von Comics nicht verdammen, weil es mir zu einem gewissen Grad ja Spaß macht, sie mir anzuschauen. Ich schau sie mir schon an und habe Freude daran, aber sie beschäftigen mich eben nicht so nachhaltig oder so lange.

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COMICGATE: Gestern bei Ihrem Vortrag wurden Sie aus dem Publikum gefragt, ob Sie nochmal so etwas wie Unstable Molecules machen würden, Ihre mit dem Eisner Award ausgezeichnete Marvel-Miniserie mit den Fantastischen Vier von 2003. Und Sie hatten diese sehr faszinierende Idee für ein Projekt mit Thor und Herkules in den Hauptrollen, die auf Motorrädern kreuz und quer durch Amerika fahren müssen, um Bescheidenheit zu lernen, nachdem ihre Väter Odin und Zeus sie ihrer Kräfte beraubt haben …

JAMES STURM: Oje, das war bloß blah-blah-blah … (lacht)

COMCGATE: … gezeichnet von Steve Rude. Das klingt sehr verlockend.

JAMES STURM: Oh ja. Vielleicht liest er ja dieses Interview und ruft mich an … (lacht)

COMICGATE: Genau, darauf spekuliere ich … (Lachen) Würden Sie in Betracht ziehen, das auf eigene Rechnung zu machen, denn …

JAMES STURM: Nun, auf eigene Rechnung könnte ich das nicht machen, weil es sich ja um das Eigentum einer großen Firma handelt …

COMICGATE: Na ja, „Thor“ und „Herkules“ sind ja nicht unbedingt Marvel-Figuren…

JAMES STURM: Nun ja. Bei den Fantastischen Vier hat damals einfach alles gepasst bei Marvel, und es war eine einfache Sache. Es hat keiner großen Mühen bedurft, die Geschichte ins Rollen zu bringen, und man hat mich mein Ding machen lassen, und … Das ist nicht unbedingt die Art von Projekt, für deren Verwirklichung ich mich übermäßig ins Zeug legen würde, verstehen Sie, was ich meine? Und das Timing spielt auch eine wichtige Rolle. Ich stecke gerade mitten in vielen großen Projekten. Wenn alles passen würde, vielleicht, aber wenn es nie dazu kommt, kann ich das gut verschmerzen.

COMICGATE: Unstable Molecules war fast eine Art „All-Star“-Indie-Projekt…

JAMES STURM: Na ja…

COMICGATE: …von Ihnen geschrieben und mit Titelbildern von Craig Thompson. Haben Sie das Team zusammengestellt?

JAMES STURM: Ich habe Craig vorgeschlagen, die ganze Serie zu zeichnen. Er war damals gerade dabei, Blankets abzuschließen. Er zeichnete dann eine Seite, aber ich hatte ein ganz bestimmtes Layout im Sinn, und ich glaube, Craig fühlte sich davon etwas eingeengt. Und er ist ein echtes Genie, was seine Zeichnungen angeht. Sie sind so ausdrucksstark. Er war der Ansicht, dass er sich zu sehr einschränken musste. Er zeichnete ein paar Seiten, und ich wollte mich nicht in die Lage bringen, ihm sagen zu müssen, „Kannst du das ändern?“, „Kannst du das hierhin verschieben?“, und so weiter. Das wäre nicht richtig gewesen. Es war also für uns beide schon sehr früh klar, dass er sich damit nicht herumschlagen sollte. Aber ich sagte, „Hey, warum machst du nicht die Titelbilder?“, und er meinte, „Na klar“, und das war klasse. Und ich glaube, jemand von Marvel … Ich war nicht vertraut mit Guy Davis’ Arbeiten, aber jemand von Marvel empfahl ihn. Und als ich seine Zeichnungen sah, mochte ich sie auf Anhieb. Es machte Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Ausschnitt aus einem Cover von Unstable Molecules

COMICGATE: Nun, ich bin froh, dass Sie die Serie gemacht haben, weil ich so auf Ihre Arbeit gestoßen bin…

JAMES STURM: Okay, gut.

COMICGATE: … und, nach Ihrem Vortrag gestern wurde mir bewusst, dass Superhelden für Sie thematisch gar nicht so weit abseits liegen … In Ihrer America-Trilogie haben Sie sich mit Glaube, mit dem Goldrausch und mit Baseball beschäftigt – alles sehr amerikanische Themen – und Superhelden sind ja auch ein urtypisch amerikanisches Genre …

JAMES STURM: Ja, ich liebe Superhelden.

COMICGATE: … das Thema ist für Sie also beileibe nicht der Fremdkörper, den die meisten vielleicht darin sehen im Kontext Ihrer anderen Werke.

JAMES STURM: Nein, ich arbeite sogar gerade an einer Science-Fiction-Geschichte zusammen mit einem anderen Zeichner, und die Inspiration dafür geht zum Teil auf meine Liebe zu den frühen Marvel-Comics aus meiner Kindheit in den ’70ern zurück. Es kommen darin Figuren mit Superkräften vor, und es macht Spaß, an dem Projekt zu arbeiten. Momentan sind wir allerdings noch in der Entwicklungsphase.

 


 

James Sturm beim Interview

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und damit zeigte meine Uhr an, dass es zwei Minuten vor Drei war – Zeit für uns, wieder aus den Tiefen des Künstlerhauses emporzusteigen, um die Fans, die oben für Signaturen und Skizzen Schlange standen, nicht warten zu lassen. Und James Sturm enttäuschte nicht und kam pünktlich wie die Maurer, natürlich.

QUELLEN:

ABBILDUNGEN:

  • Market Day und James Sturm’s America: James Sturm/Drawn & Quarterly, 2010/2007
  • Markttag: James Sturm/Reprodukt, 2011
  • Fantastic Four: Unstable Molecules: Marvel, 2003
  • Ausschnitte Markttag: deutsche Übersetzung von Tina Hohl, Lettering von Céline Merrien
  • Ausschnitt Fantastic Four: Unstable Molecules: Zeichnung von Craig Thompson

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