Seit bald zehn Jahren moderiert Denis Scheck das Literaturmagazin Druckfrisch (einmal pro Monat im Ersten) und gehört damit zu den prominentesten Literaturkritikern des Landes. Immer wieder präsentiert er sich auch als bekennender Liebhaber von Comics, etwa bei der Verleihung des Erlanger Max-und-Moritz-Preises, den er von 2006 bis 2010 dreimal moderiert hat und auch der Jury angehörte. Derzeit ist Scheck, der auch als Übersetzer und Herausgeber arbeitet, unterwegs auf einer Lesereise, auf der er zusammen mit dem Synchronsprecher Andreas Fröhlich den Hobbit von J.R.R. Tolkien präsentiert. Stefan Svik hat Denis Scheck per eMail befragt, es ging unter anderem um Erika Fuchs, Graphic Novels und den ewigen Kampf zwischen E und U. Und Scheck beweist in seinen Antworten, dass er seinen süffisanten Humor nicht nur vor Fernsehkameras einsetzen kann.
COMICGATE: Sie hatten in einer Ausgabe von Druckfrisch das Buch „Alles was ein Mann wissen muss“ mit dem Handbuch von Fähnlein Fieselschweif verglichen. Kluge Menschen wie Max Goldt und Klaus Jöken (Übersetzer von Lucky Luke und Asterix) loben die Übersetzer-Legende Dr. Erika Fuchs für ihre Bereicherung der deutschen Sprache. Als eifriger Leser sind Sie wahrscheinlich mit den Disney-Heften groß geworden? Geschadet hat es offensichtlich nicht, ganz im Gegenteil! Lesen Sie heute noch Comics?
Denis Scheck: Natürlich. Als Kritiker ist mir offen gestanden jeder suspekt, der ein Genre aus welchen Gründen auch immer ganz und gar ausschließt und zum Beispiel keine Krimis, keine Fantasy oder keine Comics liest. Da nimmt man der literarischen Palette doch ohne Not einige Farben weg. Oder um ein anderes Bild zu wählen: wenn jemand nun partout keinen Fisch oder kein Fleisch mag, wird aus diesem Menschen selten ein guter Gastrokritiker. Ich hatte in den 90ern das große Vergnügen, Dr. Erika Fuchs persönlich kennenzulernen, und durfte dazu beitragen, dass sie, noch zu Lebzeiten, einen Literaturpreis erhielt. Erst nach ihrem Tod bemerkte ich, dass sie sich dafür revanchierte, indem sie einen Spielzeughändler in Entenhausen nach mir benannte. Seither weiß ich, was literarische Unsterblichkeit heißt.
Comic-Literatur dürfte für manche Verfechter der Hochkultur eher ein Euphemismus sein. Stan Lee sagte in einem Interview, dass in den 1950er Jahren das Image der Comic-Leser wie folgt aussah: Kinder und geistig minderbemittelte Erwachsene. Dieses Image hält sich bis heute bei vielen Außenstehenden, denke ich.
Diese uralten U- versus E-Kontroversen sind in meinen Augen längst geschlagene Schlachten. Heutzutage scheint mir die sogenannte Hochkultur ein viel schutzbedürftigeres Pflänzlein als etwa der Comic. Aber für beide gilt: jede Lektüre beginnt mit Demut. Ressentiments sollte man anderswo pflegen.
Manche Menschen sind der Meinung, dass Musik- und Literaturgeschmack etwas über Intelligenz und die Werte eines Menschen aussagen. Wer seichten Pop hört, ist selbst seicht und wer Klassik hört, ist kultivierter und gebildeter. Anthony Burgess hat in seinem Buch A Clockwork Orange das Vorbild von Dr. Mengele in seine Geschichte eingebaut. Ein Mann, der gerne schöne klassische Musik hörte, und dennoch in die Barbarei zurückfiel. Was meinen Sie dazu?
Auch wenn ich nicht glaube, dass ein bestimmter Literatur- oder Musikgeschmack das untrügliche Merkmal schöner Seelen ist, kann ich aus eigener Lebenserfahrung nur empfehlen, sehr darauf zu achten, was bei den Menschen, mit denen man das Bett teilt, auf dem Nachttisch liegt. Im Grunde ermöglicht Liebe die leichteste Transzendierung der eigenen Beschränktheit.
Sie fliegen nach Santa Fe und reden dort zwei Minuten über den neuen Haas. Sie loben 75 Jahre DC-Comics. Steigen die Leser von Martin Walser und anderen Literatur- Größen nach solchen Beiträgen auf die Barrikaden? Etwa: Warum fliegt Denis Scheck auf GEZ-Kosten in die USA und warum redet er über „Schundliteratur“ – gibt es solche Reaktionen?
Von solchen Reaktionen ist mir nichts bekannt. Die Postmoderne ist längst auch in den Köpfen der Fernsehzuschauer angekommen. Im übrigen halte ich diese Frontstellung von Walser-Lesern gegen Comic-Afficionados auch für absurd. Martin Walser hat, wie man seinen Tagebüchern entnehmen kann, selbst mal mit dem Gedanken gespielt, einen Science-Fiction-Roman zu schreiben. Wer verkörpert die Idee des radikalen Pops im Moment denn glaubwürdiger als der Autor von Muttersohn? Im Kölner Museum Ludwig ist zur Zeit eine Art-Spiegelman-Ausstellung zu sehen, gleichzeitig feiert das Stadtmuseum Ralf Königs Ursula.
Der Literaturnobelpreisträger Seamus Heaney lobt den US-Rapper Eminem für die „Energie seiner Worte“. Undenkbar, dass Günter Grass Fettes Brot, Fanta 4 oder Fünf Sterne Deluxe lobt oder überhaupt den Eindruck vermitteln würde, dass er sich mit den Werken jüngerer Menschen beschäftigt oder mal einen Tag in seinem Leben Spaß hat. In Deutschland haben Literatur und Kunst trocken, sperrig und freudlos zu sein, oder? Wäre ein Literatur-Nobelpreis für Bob Dylan ein längst überfälliger Durchbruch oder der Untergang des Abendlandes?
Ein Nobelpreis für Dylan erscheint mir so albern wie ein Michelinstern für eine Currywurstbude. Einer der für mich wichtigsten Sätze stammt aus einem Comic, aus Pogo von Walt Kelly: „We have met the enemy and he is us.“ Das ist die amerikanische Antwort auf Carl Schmitts berühmte Formulierung, wonach der Feind unsere Frage in Gestalt sei. Wir selbst sind die Barbaren, die das Abendland untergehen zu lassen drohen, und wir selbst haben es durch einen Akt fortwährender Selbstzivilisation auch in der Hand, das Abendland zu retten.
Prousts Opus Magnum Auf der Suche nach der verlorenen Zeit wurde, ebenso wie Kafkas Verwandlung, auch als Graphic Novel umgesetzt. Der Pionier dieser Gattung ist der Amerikaner Will Eisner. Die Franzosen sprechen von Comics als Neunte Kunst. Die Peanuts-Werkausgabe wird mit Lobeshymnen von Umberto Eco und einem Vorwort von Jonathan Franzen „aufgewertet“. Nur die Deutschen, das Volk der Dichter und Denker (und Wilhelm Busch!) und Erfinder des Buchdrucks, teilen die Welt in U und E ein, verwenden Fix und Foxi-Heftchen als Schimpfwort und betrachten Comics als Kinderkram, um es mal sehr stark zu verallgemeinern. Warum sind die Amerikaner, Japaner und Franzosen so viel unverkrampfter im Umgang mit Comics – oder sind sie das gar nicht?
Fix und Foxi war ja auch ein ziemlicher Murks als Comic – so wie die Hervorbringungen in allen Künsten zu 90 Prozent erbärmlich wenig taugen. Der amerikanische Schriftsteller Theodore Sturgeon verwahrte sich einmal dagegen, dass Science Fiction immer nur an ihren dämlichsten Repräsentanten gemessen wurde, mit dem schönen Hinweis: „ninety percent of everything is crap.“ Das wurde als Sturgeon’s Law sprichwörtlich. Ähnliches gilt für den Comic. Aber man muss dann schon auch in der Lage sein, so viel Selbstkritik aufzubringen, diese 90 murksigen Comics zu benennen. Was die Übersetzungen literarischer Meisterwerke in die Form des buchlangen Comics angeht, erscheint mir das eher ein Zeichen mangelnden Selbstbewußtseins, ein Leuchten im geborgtem Licht. Auch ist es mir ziemlich gleichgültig, ob es der Comic in Japan leichter hat. Das sind so Passepartouts der Kulturkritik: „Anderswo ist besser“ und „Früher war mehr Lametta.“ Schon wahr, dann sollen die Leute eben anderswo leben oder meinetwegen auch gern früher.
Ähnlich wie Comics leidet auch das Genre Fantasy unter großen Vorurteilen. J. R. R. Tolkien hat es, ebenso wie Hermann Hesse, wahrscheinlich ungewollt, geschafft, zu einem Helden der Hippie-Generation zu werden. Aus der Vorliebe für „pipe weed“ wurde eine Metapher für Gras und der Ring könnte für die Geld- und Machtgier der älteren Generation stehen. In Tolkiens Werken steckt so viel mehr als nur Unterhaltung für Kinder. War Ihnen deshalb der Termin in Hannover eine Herzensangelegenheit? Meiden andere Berufskritiker dieses Genre, um nicht ihren Ruf zu gefährden?
Meine Herzensangelegenheiten trage ich nicht in Hannover aus. Und daß die Fantasy „leidet“, wäre mir neu. Harry Potter ist der größte Bucherfolg des 21. Jahrhunderts, Der Herr der Ringe wurde von den Briten zum populärster Roman aller Zeiten gewählt, Dietmar Dath schreibt jeden zweiten Tag das FAZ-Feuilleton voll, den Rest erledigen Andreas Platthaus und Patrick Bahners, im Kino läuft gerade Cloud Atlas, die halbe Welt wartet auf die dritte Staffel von Game of Thrones. Wen scheren da die Limitierungen in den Hirnen von ein paar deutschen Literaturkritikern?
Sie haben als Übersetzer (u.a. von Alison Bechdels Fun Home) gearbeitet: war es sehr anders, einen Comic zu übersetzen als einen Roman? Und gab es dabei Schwierigkeiten, mit denen Sie nicht gerechnet hätten?
Mich hat bei der Übersetzung des Bechdel-Comics sehr die Zusammenarbeit mit Sabine Küchler gereizt. Stärker noch als bei anderen Übersetzungen legte uns die Größe der Sprechblasen einen Zwang auf, mit dem es zu spielen galt. Ganz furchtbar verhauen haben wir uns mit der Umfangberechnung – dieser Comic ist schrecklich textlastig.
Wie ist Ihre Meinung zum Stand der Comic-Kritik (in Deutschland)?
Sie hält jeden Vergleich mit der Lyrikkritik Molwaniens aus. Im Ernst: Es gibt sagenhaft fundierte Sachen und jede Menge oberflächlichen Mist. Wie heißt’s im Rosenkavalier? „Ist doch der Lauf der Welt …“
Sie waren auch Moderator und Jury-Mitglied beim Max-und-Moritz-Preis. Wie wichtig sind Preise für Bücher allgemein und für Comics im Besonderen? Gibt es etwas, was Ihnen auf dem Gebiet der Comicpreise fehlt?
Erstens gibt es zu viele, und zweitens sind sie zu schlecht dotiert.
Sollten Comics im Fernsehen mehr stattfinden? Wenn ja, auf welche Weise?
Selbstverständlich sollte jedes Erscheinen eines außergewöhnlich guten Comics im Anschluß an die Tagesschau um 20:15 durch eine mindestens viertelstündige Sondersendung gewürdigt werden. Aber außergewöhnlich gute Comics sind sehr, sehr selten.
Vielen Dank für das Gespräch.
Abbildungen: Elke Wetzig/CC-BY-SA, Torsten Goltz/CC BY-NC-SA, Bernd Glasstetter/CC BY-NC-SA