Das im Frühjahr 2014 erschienene Kinderland des Berliner Zeichners Mawil gehört ohne Zweifel zu den Comics, die in diesem Jahr für das meiste Aufsehen gesorgt haben. Die Erzählung, die im Sommer und Herbst 1989 spielt und aus der Sicht von Kindern von der untergehenden DDR erzählt, fand großen Anklang sowohl beim Publikum als auch bei der Kritik. Kinderland bekam den Max-und-Moritz-Preis für den besten deutschsprachigen Comic, der Verlag Reprodukt hat inzwischen die dritte Auflage gedruckt. Beim Comicsalon in Erlangen sprach Mawil mit Christian Muschweck über Kinderland, Unterschiede zwischen Ost- und West-Kindheiten und Mawils Arbeit mit Schülern und Studenten.
Ich treffe Mawil während der Ausstellung von Originalseiten aus seinem neuen Buch Kinderland am Rande des Comicsalons im Comicladen Ultra-Comix in Erlangen. Es gibt einen kleinen Empfang mit Knabbersachen und Sekt, eine alles in allem sehr zwanglose Veranstaltung. Zu Beginn des Empfangs nutzt Mawil die Gelegenheit, sich bei seinen Unterstützern und Freunden sowie den Veranstaltern zu bedanken: Besonders freut er sich über die eigens aufgestellte Tischtennisplatte, die sehr schnell großen Anklang bei den Besuchern findet. Er hält an diesem Nachmittag keine große Ansprache und veranstaltet keine Führung, stattdessen spielt ein Freund etwas Musik auf einer Gitarre. Die Besucher sollen die Bilder wohl einfach auf sich wirken lassen, während der Autor in lockerer Atmosphäre mit den Besuchern plaudert und hier und da ein Buch signiert. Er macht dabei einen äußerst entspannten und zufriedenen Eindruck – ich denke dabei an die Entspanntheit von jemandem, der kürzlich ein 300 Seiten starkes Buch nach sieben Jahren Arbeit abgeschlossen hat und nun die Früchte seiner Arbeit ernten kann.
Ich sehe mir währenddessen die Ausstellung mit Originalseiten und Materialien zum Buch Kinderland an. Es verwundert mich, dass es in der Ausstellung keine getuschten Seiten gibt, sondern nur Bleistiftzeichnungen und fertige Seiten, die 1:1 so aussehen wie die gedruckten Seiten im Buch. Als ich Mawil, noch vor Aufzeichnung unseres Interviews, darauf anspreche, erklärt er mir, dass die Bleistiftzeichnungen eingescannt und danach am Rechner koloriert werden. Um die Konturen zu verstärken wird der Kontrast dabei einfach nach Bedarf aufgedreht. Das hat den Vorteil, dass der spontane Strich der Vorzeichnung mit weichem Bleistift erhalten bleibt. Mir gefällt der behutsame Farbeinsatz in Kinderland, der so überhaupt nicht nach Photoshop aussieht. Langsam lichtet sich der Kreis der Besucher. Es gelingt mir, einen der Tischtennisschläger zu ergattern und ein paar Bälle gegen den Künstler zu spielen. Ein paarmal gelingt es mir, den Ball geschickt auf die andere Seite zu bringen, aber Mawil hat in Tischtennis sichtlich mehr Übung als ich. Danach beginnen wir unser Gespräch.
Ich habe in dem Gratiscomictag-Interview mit dir gelesen, dass gerade das Tischtennismatch in Kinderland von Mangas inspiriert ist. Das ist mir auch aufgefallen. Ich musste gerade bei dieser Szene sofort an Mangas denken, schon bevor ich das Interview gelesen hatte. Diese lange Sequenz hat mich an eine Szene aus der Boxer-Serie Shamo erinnert, in der über 600 Seiten lang geboxt wird. Das ging damals über drei Bücher. Nun würde ich gerne wissen, welche Bücher du im Hinterkopf hattest?
Ich hab nicht so superviele Mangas gelesen, aber im Gegensatz zu vielen Comicleuten, die damals ein bisschen anti waren, als der Manga-Boom aufkam, hab ich versucht, das beste von allem mitzunehmen, also mich auch beeinflussen zu lassen von Mangas. Ich finde halt gut, dass du kleinere und dickere Bücher mit viel mehr Seiten hast und dass viel mehr mit der Gesamtseite gespielt wird. Ich finde gut, dass Szenen nicht mitten auf der Seite enden wie bei Tim und Struppi, sondern immer erst beim Umblättern. Konkret fällt mir aber kein Manga ein. Ich hab da eine ganze Menge Material und klau mir halt hier eine Nase, da ein Detail. Wenn ich ein Buch lese, verstehe ich das in einem, dann werden halt ein paar Sachen abgespeichert. Aber konkret jetzt kann ich keinen Manga nennen.
Mir ist eine Seite aufgefallen, auf der der Tischtennisball zum Match hochgeworfen wird; und dann sieht man in den anderen Panels, was im gleichen Moment noch so passiert: Einer sitzt auf dem Klo, Vögelchen sitzen im Baum und gucken, die Zuschauer halten die Luft an … Das ist doch alles irgendwie typisch Manga.
Gibt’s bei Manga, gibt’s aber sicher auch bei Underground-Comics, die sich nicht ganz so ernst nehmen. Ich klau überall. Also ich denke, jeder Zeichenstil ist auch so ’ne Mischung aus 500 Vorbildern.
Gibt’s andere Vorbilder, die du nennen kannst?
Auf jeden Fall Christophe Blain, der Zeichner von Isaak der Pirat und Gus und so. Der schafft’s, komplexe Bewegungsabläufe wirklich in einem Panel einzufrieren. Und die Figuren sind extrem dynamisch. Das sind zwar still stehende Figuren, aber du siehst, wie die laufen, und wie die nach vorne schreiten oder mit der Hand auf den Tisch hauen. Da sind total feine Nuancen drin. Er ist ein superguter Beobachter, was menschliche Bewegungen und Emotionen angeht. Ansonsten Franquin; Lewis Trondheim früher. Aber im Augenblich eben vor allem Christophe Blain.
Wie hat das überhaupt angefangen mit deinem Stil? Hast du davor andere Figuren, andere Möglichkeiten, etwas auszudrücken, ausprobiert, oder hattest du ziemlich schnell diesen persönlichen Stil, den man ja vom ersten Comic an kennt?
Ich sag jetzt mal: Ich hab früher auch geinkt. Also ich hab Bleistiftvorzeichnungen gemacht und geinkt und hatte dann einfach oft eine total krampfige Hand, weil ich versucht habe, mit dem Fineliner eine flüchtige Linie exakt, aber eben auch genauso lebendig nachzuziehen. Am Ende fand ich die Vorzeichnungen immer viel schöner als das Geinkte, viel lebendiger. Von daher mach ich eigentlich nur noch mit Bleistift.
Ja, das habe ich in der Ausstellung schon gesehen. Da sind keine geinkten Seiten zu sehen.
Höchstens mal aus Spaß so eine Seite oder Kurzgeschichte, oder so.
Wird da eigentlich viel abradiert am Ende, oder steht die Vorzeichnung so wie sie ist?
Gut, manchmal wird radiert. Das sieht man auch in den Vorzeichnungen, weil man den weichen Bleistift teilweise schlecht abradieren kann. Viel wird aber auch mit Photoshop retuschiert, weil man damit auch sauberer arbeiten kann. Wenn ich nur ein, zwei falsche Linien habe und ich sehe noch, welche die richtige sein soll, dann lass ich die in der Regel stehen und mach’s mit Photoshop. Wenn das Bild durch das Radieren zu sehr verschmiert, dann muss ich halt auch mal ein Panel neu drüberkleben. In den Originalen findest du manchmal auch Stellen, an denen zwei, drei Schichten Papier übereinander geklebt sind.
Kinderland ist ein ziemlich dickes Buch. Hast du das von Anfang an so groß angelegt, oder ist das im Laufe der Zeit gewachsen?
So pi mal Daumen 150 Seiten waren am Anfang so geschätzt. Das war aber die Phase, in der ich ich auch noch ein bisschen gesammelt habe. Ich wusste einfach, ich werde so bald nichts mehr über Kindheit machen, also wollte ich alles reinstecken, was bei mir im Herzen und im Kopf – so albern es auch klingt – von meiner Kindheit noch da war. Ich hab dann für alle Szenen Sachen aufgeschrieben, die ich gerne dabei hätte, und dann waren es am Ende einfach 300 Seiten. Es gibt in jedem Drehbuch dann natürlich auch Phasen, in denen man sich von Szenen wieder trennen muss, weil sie nicht wirklich die Geschichte voran bringen. Aber das habe ich nicht hinbekommen, und dann sind eben alle 300 Seiten dringeblieben.
Na gut, es gibt ja auch eine Szene, in der über 30 Seiten hinweg Tischtennis gespielt wird – und das ist nicht die einzige Tischtennis-Szene.
Ich habe mir eben gedacht: Wenn es um Tischtennis gehen soll, dann auch richtig. Wäre ja auch blöd, wenn ich jetzt genau in diesem Buch zehn Seiten Tischtennis mache und dann in einem späteren Buch noch mal Tischtennisszenen einbauen würde, weil ich noch Ideen übrig hätte. Wenn schon Tischtennis, dann einmal richtig und im nächsten Buch gibt es dann ein anderes Thema. Von daher musste da jetzt alles reinkommen. Die ursprüngliche Idee ist auch gewesen, eine reine Tischtennis-Saga zu machen: Der Aufstieg eines Tischtennishelden. Von Reprodukt gab’s dann eine Idee, wo es hieß „Mach doch mal eine Geschichte über Kindheit im Osten“. Das fand ich ganz interessant, hatte aber keine Idee, wo ich da jetzt ansetzen sollte, weil ich da ja auch gar nicht so viel erlebt hatte. Und dann kam vom Flix die Idee, „Hey, du könntest doch auch beides kombinieren.“ Und dann hab ich ein bisschen rumgesponnen und versucht, diese Tischtennis-Saga mit einer Ost-West-Kindheitsgeschichte zu verbinden.
Ich möchte jetzt noch mal das 30-seitige Tischtennismatch aufgreifen, weil es mir einfach wirklich gut gefällt. Ist das jetzt eine Schlüsselszene, oder ist diese Szene rein aus Spaß an der gelungenen Inszenierung so lang? Hast du das einfach so weit wie möglich gestreckt?
Ich mach sonst ja auch sehr viele Comics für den Tagesspiegel, wo man auf relativ begrenztem Platz Geschichten erzählen muss und wo man dann auch notgedrungen viel abkürzen muss. Da hat das dann schon extrem Spaß gemacht, sich einfach mal gehen zu lassen und rumzuscribbeln und zu gucken, was einem alles einfällt. Und natürlich ist es auch ein bisschen der Höhepunkt der Geschichte, da ja die Helden, die sonst nicht viel zu melden haben, es den Großen einmal richtig zeigen können. Es ist dann schon von den Actionszenen der Höhepunkt. Es gibt aber außer den Actionszenen natürlich noch weitere Erzählebenen – über Freundschaft, Familie und Mut und so weiter. Aber von den Actionszenen ist das schon der Höhepunkt, auf jeden Fall.
Wenn ich jetzt an die Figuren denke: Inwieweit ist das durchkomponiert? Hast du versucht, Typen zu verwenden, denen du jeweils eine bestimmte Rolle zukommen lässt?
Also ich wusste, dass ich nur über Typen erzählen kann, die so ähnlich ticken wie ich. Es gibt sicher mutigere Helden als den Hauptheld. Aber Mirco Watzke ist schon so ähnlich, wie ich selber auch war. Aber weil ich halt selber so wenig erlebt habe, musste ich diesen Helden in spannende und fiktive Situationen reinversetzen. Ich musste ihm halt auch diesen Torsten zur Seite stellen, als Kontrastprogramm, um den Mirko so ein bisschen aus der Reserve zu locken.
Der Torsten ist eine etwas deprimierende Figur.
Auf jeden Fall. Der scheitert auch irgendwie.
Woran liegt das eigentlich, dass der scheitert?
Es gibt so Leute, die ziehen das Unglück an, und andere Leute, die schlängeln sich so durchs Leben.
Gibt’s in Kinderland denn einen, der sich durchschlängelt?
Der Mirco.
Ja richtig. Der Mirco macht eigentlich nur, was von ihm verlangt wird.
Und ganz zum Schluss sagt er dann aber mal „Nee, stopp, jetzt will ich aber mal bestimmen.“ Das war auch dringend notwendig, denn wenn man sich auf 250 Seiten so durchschlängelt, dann muss man auch mal mit der Faust auf den Tisch hauen.
Richtig, irgendwann muss mal eine Entwicklung kommen. Was denkst du eigentlich persönlich über die Rowdys der Geschichte? Ich fand die eigentlich auch irgendwie sympathisch.
Ganz wichtig ist, dass eine Figur auch logisch ist. Nur im Märchen gibt es nur ganz böse und ganz gute Menschen. Im realen Leben haben die Bösen ja auch einen Grund, warum sie so sind wie sie sind. Es sind ganz tragische Figuren. Von daher war es mir beispielsweise auch bei der Frau Kranz wichtig, zu zeigen, dass sie schon daran leidet, dass dieses Land, das sie geliebt hat, jetzt untergeht. Die Jungs selber sind halt, wie Menschen so sind. Es gibt Menschen, die sind mir zutiefst unsympathisch und trotzdem verstehe ich, oder versuche ich zu verstehen, warum sie so ticken. Es fällt dann leichter, deren Blödheit oder Doofheit zu ertragen.
Also mir hat an den Rowdys gefallen, dass sie eben auch bereit sind, nach Regeln zu spielen und sich auch auf die Regeln der Kleinen, die ja deutlich schwächer sind, einzulassen. Auch deren „güldet nicht“ zu akzeptieren und dieses „Erst um die Angabe“.
Als Rowdy weißt du, dass du dich eh immer durchsetzen könntest. Es darf aber nicht sein, dass du schummeln musst, weil du nicht gut genug spielst, sowas dürfte ja auf keinen Fall bekannt werden. Also musst du dir natürlich beweisen – auch vor deinem Ego – dass du auch mit Regeln gewinnen kannst.
Na, irgendwie fand ich das schon einen respektablen Zug. Gut, am Ende fangen sie dann das Schlägern an, es sind eben doch auch Unsympathen. Aber gerade bei dem Bolzen, dem mit der Kutte, musste ich immer an den Nelson aus den Simpsons denken. Der hat ja auch sympathische Züge.
Ja, genau. Simpsons ist auf jeden Fall ein gutes Beispiel. Da sieht man gut, wie sich die Figuren im Lauf der Zeit entwickelt haben. Die haben ja vielleicht mit 50 Personen angefangen, später waren es 100. Wenn da 15 Leute ständig an einer Story weiterschreiben, dann entwickeln die Figuren erst mit der Zeit ein Profil. Das entsteht dann irgendwann automatisch durch die verschiedenen Figurenkonstellationen und die Probleme, die sich daraus ergeben. Das sieht man auch in Kinderland, beispielsweise bei der Angela Werkel, die erst nach vielen Szenen ein richtiges Profil erhält.
Sind diese Rowdys eigentlich auch Rebellen?
Das sind einfach ganz normale Jugendliche. Der Prinz ist eher so’n Popper, so’n Schönling, und der Bolzen ist halt ein Metal-Fan. Im Osten mussten sie halt eine blaue Bluse tragen. Im Westen wären es dieselben Jugendlichen gewesen ohne die blauen Hemden. Also im Prinzip war jeder, der nicht hundertprozentig rot war, ein Rebell. Die meisten waren aber mehr so schweigende oder mitlaufende Rebellen, die das System zwar verachtet haben, aber eben trotzdem mitmachten.
Wären das jetzt die typischen Depeche-Mode-Fans gewesen? Immerhin wird das Lied „People are people“ von Depeche Mode in Kinderland mehrfach zitiert.
Auf jeden Fall.
Das war ja in den späten 80ern auch so eine Welle im Osten: Depeche Mode, Bruce Springsteen usw.
Das haben alle gehört, auf jeden Fall. Ich war ja selbst immer mehr so ein Beatles-Fan, deswegen war ich immer in Opposition zu den anderen, weil ja wirklich alle Depeche Mode gehört haben, aber heimlich geil fand ich’s auch. Passte auch gut zu dieser unterkühlten 80er-Jahre-Atmo und zum Kalten Krieg, diese synthetischen Klänge, aber trotzdem so moll und mit viel Melancholie. Das war auf jeden Fall der perfekte Soundtrack zu den 80er Jahren im Osten.
Hast du auf eine Aussage hingearbeitet?
Es war nicht alles schlecht und es war auch nicht alles geil. (Mawil gibt deutlich zu erkennen, dass er es ironisch meint.) Nee, es sollte einfach nur ein ganz normales Kindheits-/Jugendabenteuer sein, einfach ein spannendes Abenteuer. Für die Ossis mit vielen Wiedererkennungssachen, worüber sie sich freuen, und für die Westler ein ganz normales Jugendabenteuer, wo sie aber am Rande so viele exotische Sachen wie möglich mitkriegen. Ist halt ein Kindheitsabenteuer, wo sich die Erwachsenenwelt aber manchmal so reindrängelt.
Das tut sie eindeutig. Ich glaube, du hattest irgendwann mal gesagt, es sollte eigentlich nur um Kinder gehen, wie bei den Peanuts.
Ich selbst kenne halt die DDR auch nur aus der Kindheit. Ich könnte jetzt nicht „den Comic“ über das ganze Land machen. Wenn man was über den Osten wissen will, dann muss man neben Kinderland eben wahrscheinlich auch noch Das Leben der anderen oder Sonnenallee und die ganzen anderen Filme angucken, um wenigstens ein grobes Bild zu bekommen, denn jeder kann ja immer nur aus seiner Szene erzählen.
So ein grobes Bild haben wir ja in der Regel schon, wir kennen ja alle Sonnenallee und die einschlägigen Filme. Ich denke, da bringt es uns inzwischen wirklich weiter, wenn irgendein unbekannteres Detail erzählt wird. Ich muss aber sagen, Kindheit im Westen war gar nicht so viel anders. Kinder haben eigentlich überall ähnliche Probleme.
Ja, eben. Das sehe ich auch so. Ich wollte eben nicht sagen „He, guckt mal, hier, wir sind so weil …“. Ich kann nur zeigen, wie es bei uns eben so war. Wir hatten nun mal komische Sachen an und hatten komische Bräuche, aber ansonsten hat sich das recht normal angefühlt.
Wir hatten als Kinder im Westen ja auch teilweise komisches Zeug gemacht. Da gab’s auch die ganzen Vereine, die Schule …
Aber ihr konntet in die Vereine, ihr musstet nicht. Und es waren wohl verschiedene Vereine, nicht jeder im selben.
Ja, richtig. Als Kind merkt man das vielleicht aber gar nicht so. Die Eltern merken es viel mehr, wenn so etwas Pflicht ist.
Es ist halt auch so: Wenn in der ganzen Klasse jeder einen Pelikano-Füller hat und nur einer einen Geha-Füller, dann sage alle „He, was hast denn du da Komisches“.
Das stimmt, dann ist der eine mit dem Geha-Füller schnell der Doofe. Wer ist denn nun eigentlich vernünftiger: Die Kinder oder die Erwachsenen?
In welcher Hinsicht? In der Kinderwelt oder in der Erwachsenenwelt?
Naja, die Erwachsenen machen so absurdes Zeug wie Grenzen und stellen irgendwelche unverständlichen Regeln auf. Die Kinder dagegen wurschteln sich einigermaßen unschuldig durch das ganze durch. Und die Ältesten sind die Kaputtesten, weil sie am meisten Stress machen.
Kannst du gerne so als Schlusssatz verwenden. Musst aber deinen Namen dazuschreiben. (Allgemeines Gelächter) – Ich meine, die Kinder machen ja auf dem Spielplatz auch nur die Sachen nach, die sie von den Erwachsenen kennen. Das geht ja schon ins Philosophische. Die Kinder sind halt noch eine unbeschriebene Festplatte, mit ganz wenig Programm drauf. Die Erwachsenen müssten aber ab und zu mal defragmentiert werden.
Ja, man kommt halt nicht aus. Irgendwann steckt man als Erwachsener halt so drin in der Maschine und als Kind tut man das eben noch nicht.
Ja, man merkt manchmal als Erwachsener, dass man sich über etwas aufregt, weil es so und so gemacht wird, dabei würde man es gerne ganz anders machen. Und dann überlegt man und merkt, dass man es nur so macht, weil man es früher auch schon so machen musste – und denkt sich, es wäre fair, wenn das jetzt alle anderen auch so machen müssten. So war es schon immer und so muss es eben weitergehen. Wenn man darüber nachdenkt, ist es eigentlich eine absurde Logik. Da könnte ja jeder eigentlich auch ohne Not ausbrechen. Nur weil die Eltern einen gezwungen haben das und das zu machen, muss man ja nicht seine eigenen Kinder zwingen das und das ebenfalls so zu machen.
Tja, stellt man sich so einfach vor.
Ja, man kommt da nur schwer raus.
Du hast sechs Jahre für Kinderland benötigt und konntest mit Comiczeichen nur wenig Geld verdienen. Ich habe mal gehört, dass du deine Arbeit vor allem über deine Lehrtätigkeit finanzierst.
Unter anderem. Momentan so etwa zur Hälfte, oder zu einem Drittel.
Und sonst?
Alles, was anfällt. Illustrationssaufträge, Tagesspiegel in Berlin oder ähnliches. Und durch die Verkäufe der Bücher kommt zwar wenig, aber regelmäßig immer wieder was rein.
Auch von den ganz alten?
Ja, aber wie gesagt wenig. Durch die Bücher macht man jetzt nicht das große Geld. Das Geld verdient man eher, weil man sich durch die Bücher wieder ins Bewusstsein zurückruft und dann plötzlich wieder Aufträge bekommt – und auch wieder nach Workshops mit mir angefragt wird.
Ich denke, da wird Kinderland wieder ein guter Motor für sein.
Wahrscheinlich wird es demnächst ein paar Einladungen zu Geschichtsunterrichten geben, oder zu irgendwelchen Workshops. Das wird sich zeigen.
Wie ist das eigentlich mit deiner Lehrtätigkeit? Was bringst du Schülern bei, die Zeichnen lernen wollen?
Ich kann denen nicht beibringen, wie man den perfekten Comic macht. Ich kann ihnen Übungen geben. Aufgaben, wo sie es selbst probieren. Und dann überprüfen wir natürlich, ob es bei ihren eigenen Geschichten Stellen gibt, die man verbessern könnte. Dann lassen wir das einfach mal einen anderen lesen, der es noch nie vorher gesehen hat. Und wenn Sachen missverständlich sind, dann überlegt man, woran das liegen könnte. Ich kann da nur die Begeisterung vermitteln. Also ich mach es einfach gerne – und ich glaube, es ist ganz gut, einmal einen Lehrer zu haben, der die Thematik gerne behandelt.
Gibt man dann da ein Thema vor? Zum Beispiel: Jetzt macht mal fünf Seiten über Sehnsucht? Oder Liebeskummer?
Das soll jeder selber machen. Ich mach immer ganz, ganz viele Übungen, kleine Aufgaben zum Nachdenken, aber wo man nicht viel Zeit hat, etwas auszuarbeiten. Mir geht’s vor allem um die Storyboards, also die ersten Skizzen. Ich selbst arbeite mit Storyboards auch sehr, sehr lange, auch wenn sie sehr primitiv gemalt sind. Aber ich überlege mir da sehr genau, wie viele Bilder ich brauche und was in jedem einzelnem Bild zu sehen sein soll. Wie groß sind die Lücken zwischen zwei Bildern? Wo raffe ich Zeit, wo strecke ich Zeit? Dann erst mal liegen lassen und am nächsten Tag noch mal kurz durchlesen, wie der Lesefluss ist, ob es funktioniert.
Es gibt so viele Leute, die haben ein ganzes Jahr an einer Riesen-Mappe gearbeitet; und dann kommen sie mit so einer A2-Mappe an, mit fertig getuschten Zeichnungen. Man kann das aber nicht lesen, weil man die Sprünge zwischen den Panels nicht erkennt und den Überblick zwischen den Figuren verliert. Da sage ich, lieber ein Storyboard fünfmal neu zeichnen und Variationen ausprobieren. Vielleicht mehr Kästchen hier und weniger Kästchen da. Oder überlegen, ob man jetzt wirklich einen Erzähltext braucht, oder ob das nicht klarer geht; habe ich einen Achsensprung drin oder sonstige Unklarheiten? Lieber einmal öfter radieren. Und lieber eine einfachen Zeichenstil haben, den man aber dafür öfter Probe lesen lassen kann, bis das Ergebnis stimmt.
In den Workshops kenne ich meistens die Geschichten von der Entstehung an. Ich weiß dann selber schon, was geschehen soll. Manchmal gehen wir wirklich auf die Straße raus und sprechen Passanten an. Dann sagen wir „Verzeihung, da oben ist gerade ein Workshop – Könnten Sie uns die folgende Seite mal laut vorlesen?“ Man erfährt dann meist recht schnell, ob man eine Szene nicht besser noch mal überarbeiten sollte.
Was wäre da eine typische Aufgabenstellung?
Zum Beispiel „Denkt euch selber eine Geschichte aus und malt die auf drei Haftnotizzettel, fünf Minuten Zeit.“ Und fünf Minuten später sage ich dann „Jetzt nehmt noch mal zwei Zettel und füllt damit die Lücken aus.“
Also wirklich ganz frei.
„Und dann fügt vorne und hinten noch ein Post-It dran, als Anfang und als Ende – und dann baut noch einen Extra-Anfang und ein Extra-Ende. Und zum Schluss gibt’s noch ein einziges Post-It, steckt’s einfach irgendwo dazwischen. Dann gebt das ganze eurem Nachbarn und lasst euch von dem zwei Post-Its rauskürzen.“ Oder sie könnten auch einen freien Comic machen, und ich gebe ein Stichwort vor, das im Comic auftauchen muss, zum Beispiel „Wasser“. Ich mach das einfach nur, um Ideen anzuregen.
Wer besucht eigentlich deine Kurse?
Ich mach das für Schulklassen, für Freizeitcomiczeichner und für Kunststudenten an der Hochschule, also das ist wirklich ganz offen.
Und sonst kommen da Leistungskurse in Kunsterziehung, die sagen „Wir machen jetzt mal einen Monat lang als Schwerpunktthema Comic, buchen wir uns doch den Mawil“?
Wenn die sich das leisten können … ein Monat ist schon nicht ganz billig.
Oder zwei Wochen. Wer würde denn sowas zahlen?
Meistens sind das irgendwelche Vereine, oder manchmal auch das das Goethe-Institut – auch Einrichtungen, die Fördergelder kriegen. Komischerweise funktioniert das meistens mit irgendwelchen Trägern. Klar könnte ich mir auch einen Raum oder eine Unterkunft mieten, und Tische und Schreibtischlampen ranholen und Ausschreibungen machen, aber dann bleibt mir halt keine Zeit mehr fürs Lehren oder für die Comics.
Lässt sich Kinderland eigentlich gut ins Ausland vermarkten? Oder geht da zu viel an Lokalkolorit und Zeitkolorit verloren?
Es funktioniert auf jeden Fall auch im Ausland. Wir haben es auch schon nach Frankreich verkauft. England ist auch schon in der Mache. Es werden wohl so 20 Prozent der Insidergags verloren gehen, aber die Geschichte ist schon verständlich.
Das geht uns bei vielen englischen und amerikanischen Dingen wohl ähnlich. Oder japanischen. Aber die Bedeutung von den Musikeinblendungen in Kinderland, eben z.B. dem Text zu „People are people“, die wird wohl keiner nachvollziehen können, wenn’s keine Anmerkungen gibt.
Ja, kann sein.
Oder die ganze Pioniersache. Aber irgendwie wird wohl schon klar sein, wer der Außenseiter der Geschichte ist, und dann wird man sich auch so einiges zusammenreimen können.
Klar, gerade diese zwischenmenschlichen Beziehungen werden wohl überall verstanden werden.
Denke ich auch. Vielen Dank für das Interview!
Abbildungen: © Mawil, Fotos: Christian Muschweck