Interviews

Interview mit Joachim Kaps

Dr. Joachim Kaps war sieben Jahre lang beim Carlsen Verlag beschäftigt, die letzten Jahre als Verlagsleiter von Carlsen Comics. Unter anderem hat er die Konzepte der Manga-Magazine „Banzai“ und „Daisuki“ mit aufgebaut, und unter seiner Leitung wurde Carlsen Comics der Comic-Marktführer in Deutschland.
Im Dezember 2003 hieß es dann, für viele sehr überraschend, dass Jo sich wegen unterschiedlicher Ansichten zu „Schwerpunktsetzungen im Programm und die Weiterentwicklung der Marktstrategien“ von Carlsen getrennt habe. Für einige Zeit hörte man nichts über seine berufliche Zukunft, bis er am 19. März 2004 in einer Presseerklärung zum „Managing Director“ der neu gegründeten Tokyopop GmbH, einem europäischen Ableger des bereits in Asien und den USA agierenden Tokyopop K.K., bekanntgegeben wurde.
Anfang bis Mitte März 2004 führten wir per eE-Mail dieses Interview, welches das erste nach seiner Zeit bei Carlsen ist und über das Jo sagte: „Ich glaube, das wird das ausführlichste Interview, das ich je gegeben habe.“ Bringt also ein bisschen Zeit mit, um etwas über seine Vergangenheit (z.B. bei der Comixene), seine Zeit bei Carlsen, seine Pläne für Tokyopop und einiges mehr zu erfahren…

Joachim KapsComicgate: Hallo Jo, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, unsere neugierigen Fragen zu beantworten! Wie fühlst Du Dich gerade?

Jo Kaps: Blendend! Nachdem ich in den letzten drei Monaten ja etwas abgetaucht war, um zunächst einmal für mich zu sortieren, wie (m)ein Leben nach Carlsen aussehen könnte, freue ich mich jetzt von ganzem Herzen darauf, weiter aktiv in meinem Lieblingsmedium mitmischen zu können.

CG: Ich würde gerne erstmal von vorne anfangen und ein bisschen zu Deiner Person erfahren. Du hast ja studiert und bist promoviert. Was genau hast Du studiert, und über welches Thema hast Du Deine Doktorarbeit gemacht? Wann war das?

JK: Ich habe seinerzeit in Marburg Europäische Ethnologie (dahinter verbirgt sich eine empirisch ausgerichtete Kulturwissenschaft), Neuere Deutsche Literatur und Grafik & Malerei studiert. Meine Promotion habe ich Ende 1990 in Europäischer Ethnologie mit einer Arbeit über „Erwachsenencomics in der BRD von 1945 bis 1990“ gemacht – aus heutiger Sicht eine arg trockene Arbeit, die ich inzwischen sicher anders angehen würde. Aber andererseits war das damals eine tolle Möglichkeit, sich quasi „von Berufs wegen“ durch die gesamte Primär- und Sekundärliteratur zum Thema zu lesen, wozu man sonst kaum die Zeit gefunden hätte.

CG: Hättest Du Dir auch einen anderen Beruf für Dich vorstellen können als sich mit Comics zu beschäftigen?

JK: Früher ja, heute würde mir diese Vorstellung ungleich schwerer fallen. Ganz zu Beginn wollte ich eigentlich mal Journalist werden und habe vor dem Studium auch fleißig für Lokalzeitungen in meinem Heimatraum geschrieben. Während des Studiums hat sich das dann zunächst in Richtung akademische Karriere verschoben, weil mir die Uni als eine der letzten Schutzzonen vor wirtschaftlichen Zwängen erschien, was man in dem Alter einfach spannend findet. Ich habe dann nach der Promotion vier Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter an der Uni Marburg gearbeitet und mich in dieser Zeit davon überzeugen dürfen, dass meine Annahme natürlich falsch war. Der akademische Bereich, gerade im europäischen Raum, hat sich anstelle der wirtschaftlichen Zwänge einen seltsamen Standeskodex erschaffen, der freies Denken viel stärker behindert als jedes andere System. Also habe ich dann mit 30 Jahren alles hingeworfen und mich nach neuen Möglichkeiten umgesehen. Wenn man an die jüngsten Ereignisse zurückdenkt, scheint sich in meinem Leben eine gewisse Tendenz abzuzeichnen, meine runden Geburtstage für grundlegende Änderungen zu nutzen. 🙂

CG: In dem Comicmetier sind Achtstundentage sicherlich nicht möglich. Ergibt sich für Dich überhaupt Freizeit, oder bist Du rund um die Uhr mit Comics beschäftigt? Nervt Dich das dann auch irgendwann mal?

JK: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich die richtige Besetzung für einen „9 to 5“-Job wäre. Wenn man seine Brötchen mit etwas verdient, was einem wirklich Spaß macht, kann man sich für meine Begriffe glücklich schätzen und sollte dann nicht meckern, wenn dabei auch mal ein Abend oder ein Wochenende geopfert werden müssen. Die Trennlinie zwischen Arbeit und Freizeit verläuft anders als bei Berufen, die man ausschließlich wegen des Geldes ausübt. Ist es wirklich Arbeit, wenn ich mit kreativen Autoren zusammenarbeiten darf? Ist es Arbeit, wenn ich heute dafür bezahlt werde, auf Messen zu fahren, die ich früher privat besucht habe? Ich wusste nie so recht, wo man da die Grenzen zieht, das war auch zu Zeiten der Uni schon so. Und eigentlich kann ich mir das für mich auch gar nicht anders vorstellen.
Was mein Privatleben angeht, ist mir eigentlich nur wichtig, dass genügend Zeit für meine Beziehung bleibt, da ich mit der wundervollsten Frau der Welt zusammenlebe und mir wünsche, dass das auch so bleibt. Aber zu meinem großen Glück ist sie auch die verständnisvollste Frau der Welt, die weiß, dass ich nicht glücklich wäre, wenn ich jeden Tag um 5 nach Hause gehen würde, dafür aber vorher acht Stunden lang etwas machen müsste, das mich nicht interessiert. Das ist auch der Grund dafür, warum ich für eine einzige Sache, die der Beruf mit sich bringt, kein Verständnis habe: nämlich Leute, die einen notorisch nur abends oder am Wochenende anrufen, weil ich der Meinung bin, dass so etwas unnötigerweise die rare Privatsphäre verletzt. Für so etwas gibt es E-Mails, da kann man sich wenigstens selbst aussuchen, wann man auf sie antworten will. 🙂

CG: Wann und wie bist Du überhaupt mit Comics in Kontakt gekommen?

JK: Ich zähle noch zu der Generation, die all ihre Liebe zu den Comics Rolf Kauka verdankt. Ohne „Fix und Foxi“, „Mischa“, „Pauli“, „Die Pichelsteiner“ und die in den Heften als „Pit und Pikkolo“ oder „Jo-Jo“ auftretenden Frankobelgier hätte ich meine kostbare Jugend bestimmt mit Fußballspielen oder dem Sammeln von doofen Autoquartetten vertrödelt. Aber Rolf Kauka hat das gottlob verhindert. Nachdem ich das erste „Fix und Foxi“-Heft gelesen hatte, war ich für alles andere verloren. Ich habe jede Woche aufs Neue nur dem Freitag entgegengefiebert, weil es dann das neue Heft gab, was ich nach der Schule sofort gekauft und mich darin vergraben habe. Bevor ich die neue Ausgabe nicht mindestens fünf mal von vorne bis hinten durchgelesen hatte, war ich auf nichts anderes ansprechbar. Diese Hefte waren pure Magie.

An der Stelle muss ich wirklich einmal eine Lanze für die Kauka-Produktionen brechen, über die viele Leute später die Nase gerümpft haben. Es mag ja sein, dass die Übersetzungen nicht immer werkgetreu waren und dass man nicht einfach irgendwelche Panels hätte umzeichnen sollen, aber hinsichtlich des editorischen Konzeptes, dass um die Comics herum aufgebaut wurde, war das Kauka-Team definitiv allen anderen Redaktionen, die der deutsche Comic je gesehen hat, meilenweit voraus. „Fix und Foxi“ und sein gesamtes Umfeld von Publikationen waren nicht „nur“ Comics, sondern ein eigenes Universum. Ohne diese Hefte hätte ich mich niemals dafür interessiert, dass hinter den Geschichten Menschen standen, die sich all diese Geschichten ausdenken. Mal ganz zu schweigen von so großartigen Marketingaktionen wie Postern, die man über einen Sommer hinweg sammeln musste, oder den Vorworten von „Onkel Rolf“, die einem das Gefühl gaben, Teil einer großen Familie zu sein. Das war Magie pur!
Und diese Magie bin ich nie wieder richtig losgeworden. Klar kamen dann später Zack, die Comixene und manches andere, was einem dann noch weitere Aspekte des Mediums nahegebracht hat, aber ohne Rolf Kauka wäre all das nicht möglich gewesen. Und es ist eine Schande, dass dieser Mann dafür nie den Max-und-Moritz-Preis erhalten hat. Ende der Werbeeinblendung! 🙂

CG: Wie hat es sich ergeben, dass Du einer der relativ wenigen Menschen in Deutschland bist, die mit Comics ihr Geld verdienen können?

Joachim KapsJK: Gute Frage! So richtig habe ich das nämlich selbst nie verstanden. 🙂
Nein, im Ernst: In den ersten Jahren der aktiven Auseinandersetzung mit Comics habe ich keine müde Mark damit verdient. Vom Leser zum „Macher“ bin ich ja auf dem Umweg über Sekundärmagazine wie Comic Forum und Comic Info gekommen, wo das Honorar in aller Regel aus wohlwollenden Worten und freundschaftlichem Schulterklopfen bestand. Das hat mich anfangs aber auch nicht wirklich gestört, weil ich zu der Zeit vor allem verstehen wollte, wie die Comic-Welt hinter den Kulissen funktioniert. Die unzähligen Interviews mit Zeichnern und Verlagsmachern waren mir da anfangs Honorar genug.

Das erste Geld habe ich, wenn meine Erinnerung mich nicht völlig täuscht, dann bei Jürgen Janetzky und seinem Splitter-Verlag verdient. Übrigens noch eine Person der deutschen Comic-Geschichte, die manch einer immer viel zu leichtfertig kritisiert hat. Jürgen war ohne Frage ein Rauhbein und ein Schlitzohr, aber er war – zumindest zu mir – auch immer fair. Ein Stück weit habe ich ihm auch den Übergang ins Profilager zu verdanken, weil ich in der Zeit nach meiner Tätigkeit an der Uni meine Miete vor allem mit freien Übersetzungen und Layoutjobs für Splitter bestritten habe. Zum Vollberuf wurde es dann wirklich erst mit dem Wechsel zu Carlsen 1996. Auch wenn ich da zu Beginn deutlich weniger verdient habe als zuvor als freier Redakteur, wollte ich das damals unbedingt machen, weil ich das Label einfach toll fand. Die Botschaft für junge Menschen lautet also: Harte, entbehrungsreiche Jahre sind die Voraussetzung für den beruflichen Einstieg. 🙂

CG: Du hast von 1994 bis 1996 sieben Ausgaben der Comixene (Nr. 51 bis 57) herausgebracht. Erzähl doch bitte mal, wie es dazu kam, schließlich war die alte Comixene bereits 1981 eingestampft wurden.
Was hielten die ehemaligen Herausgeber von der Idee? Was war Deine Motivation, wer arbeite alles mit?

JK: Puh… das sind viele Fragen auf einmal. Vor der Comixene hatte ich ja für Comic Forum und Comic Info geschrieben, dann zwei Ausgaben des Comic Almanach konzipiert und umgesetzt und dabei einfach Spaß an dieser Tätigkeit entwickelt. Mich hat einfach immer interessiert, was hinter dem Endprodukt Comic steht, welche Leute es gestalten und wie sie dies tun. Auf der anderen Seite dann aber auch die Frage, welche Comics „ihren Weg machen“, warum bestimmte Themen ein größeres Publikum erreichen als andere etc. Vielleicht schlägt da dann doch wieder der ehemalige Kulturwissenschaftler durch, wer weiß?

Wie auch immer: Ich war mit den damals exisitierenden Fachzeitschriften nicht so besonders glücklich, weil es im Grunde nur zwei Gruppen gab: Die eine Hälfte der Magazine hatte praktisch reinen Newscharakter, tauchte aber nicht sonderlich tief in die Themen ein, die andere Hälfte ging den behandelten Themen tiefer auf den Grund, wählte dabei aber für meinen Geschmack den Themenmix ziemlich willkürlich aus. Das, was die alte Comixene zu ihrer Zeit so einzigartig gemacht hatte, nämlich ein Konzept, das sich am Markt orientiert, dabei aber gleichzeitig tiefer in einzelne Themen vorstößt, gab es zu dieser Zeit einfach nicht. Die Idee, so etwas zu versuchen, hatte mich schon eine Weile umgetrieben. Dass es zur Umsetzung der Idee kam, war dann einem Abend in Hagen geschuldet, an dem Thomas A.T. Bleicher und ich feststellten, dass wir beide diese Idee mit uns herumtrugen. Als ich wieder nach Hause fuhr, hatten wir eigentlich schon beschlossen, dass wir das machen. Also haben wir uns bei Andreas C. Knigge die Erlaubnis für die Verwendung des Namens geholt, ein Team von freien Mitarbeitern zusammengestellt und einfach losgelegt. Andreas hat mir damals sehr viel Mut gemacht und zu den ersten Ausgaben ja auch Texte beigesteuert, was mir sehr viel bedeutet hat, da ich seine Arbeit immer enorm geschätzt habe. Auch viele andere sehr gute Leute, wie Reto Baer, Alexander Braun, Christian Gasser, Jens Nielsen, Uli Profröck oder Kai-Steffen Schwarz waren vom Start weg sofort mit dabei.
Die Arbeit an diesen Heften hat mir enorm viel Spaß gemacht, obwohl wir natürlich finanziell immer nur draufgelegt haben. Wir hatten den Anspruch, den Autoren zumindest ein Anstandshonorar für ihre Arbeit zu zahlen, was die anderen Magazine derzeit ja – nicht ganz ohne Grund – nicht gemacht haben.

Rückblickend betrachtet sind Thomas und ich aber beide wohl etwas unbedarft in die ganze Sache reingestolpert, weshalb es am Ende ja auch nicht lange gut gegangen ist. Aber ich habe diese Zeit nie bereut, weil ich durch die Comixene so enorm viele interessante Menschen kennenlernen durfte, mit denen mich zum Teil noch heute ein freundschaftliches Verhältnis verbindet. Hartmut Klotzbücher, Dirk Schulz und Delia Wüllner oder Dirk Rehm sind nur einige von ihnen…

Da man bei dem Projekt zudem Redakteur, Übersetzer, Layouter, Herstellung, Vertrieb, Marketing, Presse- und Poststelle in einer Person sein musste, wusste ich später bei Carlsen umso mehr zu schätzen, was die einzelnen Kollegen zu tun hatten. Ich glaube, dieses Grundverständnis für die Herausforderungen und Probleme einzelner Abteilungen fehlt leider vielen anderen Leuten, die in der Verlagsbranche arbeiten.

CG: Hast Du Gegen- oder Rückenwind für diesen Relaunch bekommen? Nachdem sie 13 Jahre flach gelegen hatte, war man sicherlich skeptisch und Du unsicher, oder? Wie war die Stimmung in der deutschen Comiszene bzgl. des Neustarts und Deiner betreuten Ausgaben?

JK: Die alte Comixene hatte nicht wirklich flachgelegen, sondern stand trotz des Umstandes, dass sie so lange nicht mehr erschienen war, für Insider immer noch als lebendiger Mythos im Raum, den nie wieder ein anderes Fachmagazin in seinem Anspruch eingeholt hatte. Zu bestimmten Themen findet man, ehrlich gesagt, noch bis heute die besten Artikel in diesen 42 von Andreas C. Knigge und Hartmut Becker gemachten Heften. Die damalige Mannschaft war in ihren analytischen Fähigkeiten einfach allen anderen weit voraus. Natürlich war das auch von einer Zeit geprägt, in der das Hinterfragen von Sachverhalten noch mehr zählte als heute. Wir haben ja generell seit dieser Zeit einen deutlichen Wandel der Medien hin zum reinen Aufzählen von Fakten erlebt, warum sollte sich die Welt der Comics da unterscheiden? Aber zurück zur Frage: Der Mythos des alten Heftes hat uns vor allem am Start durchaus geholfen, weil viele Leute einfach neugierig waren, wie uns der Relaunch gelingen würde. Nach den ersten zwei, drei Heften, die eigentlich sehr gut aufgenommen wurden, wurden wir dann aber – so hoffe ich zumindest – auch für unsere eigene Arbeit gelobt. Als wir merkten, dass wir uns bei all unseren Ansprüchen finanziell überhoben hatten und damit zunehmend Sand ins Getriebe des Erscheinens kam, gab es dann aber durchaus auch Kritik. Durchaus zu Recht, wie ich heute finde, auch wenn wir damals einfach keinen Weg gefunden haben, das grundsätzliche Problem Anspruch vs. wirtschaftliche Notwendigkeiten zu lösen.

CG: Die Comixene wurde also aus finanziellen Gründen wieder eingestellt?

JK: 1996 ist Thomas Bleicher aus dem Verlag ausgestiegen, weil ihm die finanziellen Belastungen zu heikel wurden. Dafür hatte ich durchaus Verständnis, blieb dann aber ob meines Starrsinns, das alles irgendwie doch noch weiterführen zu können, alleine auf den Schulden sitzen. Die endgültige Entscheidung, die Sache nicht fortzuführen, habe ich dann erst gefällt, als ich schon bei Carlsen war und nach und nach gemerkt habe, dass ich es zeitlich einfach nicht hinbekommen kann, neben dem Fulltime-Job dort auch noch das Heft zu machen. So ist dann die Ausgabe 58 schließlich unvollendet in meiner Schublade verschwunden, wo sie noch heute liegt. Und zur Strafe musste ich die ersten zwei Jahre bei Carlsen jede Mark, die damals nach Zahlung der Miete und der Brötchen übrig blieb, noch zum Abzahlen der Schulden aufbringen. Das hat den Traum vom Fachmagazin doch ein Stück weit kuriert… 🙂

CG: Du hast gerade von einer angefangenen Comixene Nr. 58 erzählt. Kannst Du Dich noch an ein paar Themen erinnern?

Ich weiß noch, dass „Mosaik“ die Titelgeschichte geworden wäre, weil die Kollegen damals ein sehr schönes Cover für uns angefertigt haben, aber bei allen anderen Themen müsste ich schummeln und die Sachen raussuchen. Ist einfach zu lange her…

CG: Rückblickend auf die zwei Jahre: was habt Ihr richtig, was falsch gemacht? Mit welchen Gefühlen denkst Du an die Zeit, betrachtest die Ausgaben 51 bis 57?

JK: Wenn ich die alten Hefte mal zur Hand nehme, was ehrlich gesagt heute natürlich nicht mehr so oft geschieht, bin ich mit dem Ergebnis an sich immer noch ganz zufrieden. Und vor allem bleiben einfach sehr viele schöne Erinnerungen, weil mit der Zeit ja zumeist das Schlechte verblasst und das Gute nur noch leuchtender erstrahlt. Zudem wäre ich ohne die „Comixene“ vermutlich nie bei Carlsen gelandet, was ja auch einen gewissen Wert hat. 🙂

So gesehen haben wir wohl schon manches auch richtig gemacht. Falsch gemacht haben wir das, was (fast) alle Kleinverlage falsch machen: Wir haben alle Gedanken auf die Ausgestaltung des Produktes konzentriert und viel zu wenig über seine Vermarktung nachgedacht. Aber rückblickend betrachtet war das ja auch ein „Learning“, wie es Neudeutsch heißt. Als ich später bei Carlsen mehr Verantwortung übernommen habe, habe ich durch den Crash mit der Comixene viel mehr über die wirtschaftliche Seite eines Verlags nachgedacht, als ich es vermutlich sonst getan hätte..

CG: Was hältst Du von der neuen Comixene unter Martin Jurgeit? Geht sein Konzept Deiner Meinung nach auf?

JK: Solche Fragen sind immer heikel, denn dank der Neuen Frankfurter Schule wissen wir ja: „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche!“ Natürlich setzen andere Leute so ein Konzept inhaltlich anders um als man es selbst tun würde, das liegt in der Natur der Dinge.
Manche Bausteine sind mir einfach zu stark eine Auflistung von Fakten, die nicht wirklich hinterfragt werden. In der letzten Ausgabe war zum Beispiel die „Jahresvorschau 2004“ für mich so ein Fall. Da würde ich mir mehr Analyse des Marktes und weniger Namedropping wünschen, gerade in einem Jahr, wo der deutsche Comic meines Erachtens erneut vor einschneidenden Veränderungen steht. Andererseits ist mir aufgrund meiner Vergangenheit aber natürlich auch bewusst, unter welchen Bedingungen solche Artikel und überhaupt das ganze Heft entstehen. Und wenn man das bedenkt, muss man eigentlich den Hut davor ziehen, was da geleistet wird, was ich hiermit tue! Dies umso mehr, als Martin es auch wie kaum ein anderer schafft, das Heft wirklich regelmäßig erscheinen zu lassen. Comixene und Xoomic sind derzeit die einzigen beiden Magazine, die ich wirklich regelmäßig lese und nicht nur durchblättere. Das ist für jemanden, der nicht nur acht Stunden arbeitet, doch auch schon eine Aussage. 🙂

CG: Was genau meinst Du mit „einschneidenden Veränderungen“?

Wir befinden uns meines Erachtens gerade an einem neuen Wendepunkt für Comics in Deutschland. Dass Carlsen auf der Suche nach neuen Strategien ist, ist im Moment ja allen klar. Aber auch bei Egmont Manga und Anime und Panini mehren sich die Zeichen, dass dort ähnliche Diskussionen ins Haus stehen. Die Einstellung der Anime und der vertriebliche Umbau bei Egmont sowie das Zusammenstutzen des Programms bei Panini sind klare Indikatoren hierfür. Davon, dass beide Häuser „Print on Demand“ in Auflagen von ein paar hundert Exemplaren gerade als den großen strategischen Wurf anzusehen scheinen, mal ganz zu schweigen. Kurzum: Die drei großen Label stehen vor Veränderungen, so etwas will hinterfragt und nicht nur erwähnt sein.
Dazu hat sich die Situation im Handel drastisch verändert. Der traditionelle Buchhandel nimmt heute bei Manga eine bedeutsame Stellung ein, verweigert sich zugleich aber immer mehr dem Album. Zugleich kommen viele kleinere Fachbuchhandlungen zunehmend in Nöte, weil sie sich immer noch nicht auf den veränderten Markt eingestellt haben. Beides zusammen führt wiederum zu einer Schere, die auch die kleinen Verlage vor ganz neue Herausforderungen stellt.
Und zu all dem kommt hinzu, dass sich hinter den Kulissen – zum Teil noch sehr versteckt – neue Player aufstellen, die über kurz oder lang versuchen werden, in den Markt einzusteigen. All das wird dazu führen, dass Comic und Manga in Deutschland in zwei, drei Jahren ein ganz anderes Gesicht haben werden.

 

Teil 2: Die Zeit bei Carlsen

Comicgate: Kommen wir nun zu Deiner Zeit bei Carlsen.
Ein paar Antworten vorher hast Du geschrieben: „Zudem wäre ich ohne die Comixene vermutlich nie bei Carlsen gelandet, was ja auch einen gewissen Wert hat.“ Die haben Dich also quasi bei der Comixene „entdeckt“?
Wie war Carlsen damals überhaupt in der deutschen Comiclandschaft einzuordnen?

Jo Kaps: Carlsen, bzw. Andreas C. Knigge, auf dessen Initiative hin ich zu Carlsen kam, hat mich nicht direkt durch die Comixene entdeckt, wir kannten uns auch schon vorher. Ich glaube aber schon, dass ich mit der Konzeption des Magazins unter Beweis gestellt habe, dass mich die ganze Breite der Ausprägung des Mediums interessiert, und ein Verlag wie Carlsen brauchte und braucht solche Leute, die sich nicht nur für einzelne Nischen in der Nische interessieren.

Wie Carlsen damals einzuordnen war, kann ich nur sehr persönlich beantworten. Für mich war und ist Carlsen bislang der einzige Comic-Anbieter im deutschen Sprachraum, der es geschafft hat, Mainstream mit Innovation zu verbinden und zu beweisen, dass man damit auf lange Sicht wirtschaftlich überleben kann. Man möge mir die Ansicht in Berlin, Köln und Stuttgart verzeihen, aber mit Blick auf das Geschäft im Buchhandel hat Egmont in den letzten 15 Jahren eigentlich immer nur das kopiert, was Carlsen jeweils ein halbes Jahr vorher gemacht hat. Und Dino war – und hier sage ich sehr bewusst leider – eben nur ein recht kurzfristig aufflackerndes Licht.
Auch nach meinem Weggang bleibt Carlsen – zumindest bis Oktober 🙂 – mein All-Time-Favorit in Sachen Comics in Deutschland.

CG: Carlsen ging es dann bald nicht mehr besonders gut, war ein sinkendes Schiff, stand sogar kurz vor dem Aus. Es war noch nicht abzusehen, dass Mangas der nächste große Trend werden würden. Mit welchen Gefühlen und Gedanken verlief damals Deine / Eure Entscheidung, auf diese Karte (als erstes mit „Dragon Ball“) zu setzen?

JK: Danke für diese Frage, weil sie mir die Gelegenheit gibt, gegen ein Gerücht anzukämpfen, das anscheinend unzerstörbar ist, obwohl ich es schon ein paar Mal dementiert habe. Möge die Botschaft nun endlich alle erreichen, die sich für Comics in Deutschland interessieren:
Ich hatte nicht das Geringste mit der grundsätzlichen Entscheidung zu tun, dass und wie „Dragon Ball“ bei Carlsen gemacht wurde. Diese Entscheidung hatte Andreas C. Knigge bereits durch die Gremien gekämpft, bevor ich dort anfing. Ich war nur der Redakteur der ersten Bände und habe dann später zusammen mit der neuen Mannschaft das Programm nach „Dragon Ball“ aufgebaut.
Die Ehre, die Erfolgsformel für Manga-Taschenbücher unter 10,- DM in Deutschland eingeführt und damit das Geschäft mit Comics im Buchhandel gerettet zu haben, gebührt aber wirklich nur Andreas und sonst niemandem. Ich denke, dass ich aber auch in seinem Namen spreche, wenn ich sage, dass „Dragon Ball“ in der Tat eine Art „Last Exit“ für Carlsen war. Nur hat man diesem „Last Exit“ zum Glück eine gewisse Zeit gelassen, sich zu entwickeln, denn zu Beginn ist „Dragon Ball“ ja nicht gleich abgegangen wie eine Rakete, sondern hat sich für mehr als ein Jahr durchaus schwer getan.

CG: Ihr habt dann das Ruder komplett herumreißen können, entwickeltet Euch sogar zum Comic-Marktführer in Deutschland. Wie habt Ihr das hinbekommen? Staunst Du manchmal selber noch darüber?

JK: Über das Ausmaß des Erfolgs der letzten Jahre staune ich in der Tat immer noch. Dass Carlsen Comics 2002 alle früheren Rekordumsätze der über dreißigjährigen Geschichte um rund 300 % übertroffen hat, hätte anfangs keiner von uns für möglich gehalten. Ich glaube ehrlich gesagt auch, dass man eine solch extreme Entwicklung in seinem Leben vermutlich auch nur einmal erleben kann. Das lässt sich später prima mal den Enkeln am Elektrokamin erzählen, und sie werden Opa dann sicher „irgendwie cool“ finden. Darauf freu ich mich schon jetzt. 🙂

Aber im Ernst: Wie man das macht? Durch ein Teamplay, bei dem jedem einzelnen Spieler bewusst ist, wo seine persönlichen Stärken liegen und wie wichtig sein persönlicher Beitrag zum Gelingen des Ganzen ist. Nach außen wirken solche Erfolgsgeschichten immer so, als hätte irgendwer eben ein glückliches Händchen mit dem Programm gehabt. Das halte ich für kompletten Unsinn. Das Programm selbst macht bestenfalls 50 % des Erfolgs aus, wenn überhaupt. Viel wichtiger für den Erfolg war der Umbau der internen Strukturen, den wir von den meisten unbeachtet hinter den Kulissen vollzogen haben.

Carlsen Comics hatte zu Beginn die massive strukturelle Schwäche, dass es zwar eine Comic-Redaktion gab, alle anderen Arbeiten wie Herstellung, Vertrieb, Marketing und Pressearbeit aber in Abteilungen umgesetzt wurden, die allesamt für Comic und Kinderbuch gleichzeitig zuständig waren. Nun haben Comics und Kinderbücher ungefähr so viel gemein wie Kartoffeln und Handys, dadurch befanden sich die entsprechenden Leuten damals in einem täglichen Interessenspagat, der nicht aufzulösen war. An die angeblichen Synergieeffekte, die irgendwelche Planer sich am grünen Tisch aus solchen Strukturen versprechen, glaube ich dezidiert nicht.

Als Herr Humann, der damalige und heutige Verleger von Carlsen, mich nach dem Weggang von Andreas C. Knigge dann gefragt hat, ob ich mir vorstellen könne, die Leitung für den Comicbereich zu übernehmen, habe ich dem nur mit der Auflage zugestimmt, diese Strukturen ändern und Comic-Spezialisten in allen Bereichen benennen und anheuern zu dürfen, weil ich davon überzeugt bin, dass Leute einfach besser agieren können, wenn sie sich auf eine Sache konzentrieren können. So haben wir nach und nach einen „Verlag im Verlag“ aufgebaut, der am Ende auch ein eigenes Vertreterteam hatte – und damit kam der große Erfolg.

CG: Deinen Werdegang bei Carlsen kann man u.a. in dem älteren Comicgate-Interview aus dem Jahre 2001 nachlesen, das Fritz Saalfeld mal mit Dir geführt hat.
Ich hoffe, ich darf so frech sein und Dich bitten, das noch mal zu überfliegen. Könntest Du bitte kurz erzählen, was sich noch geändert hat und was anders gekommen ist, als Du es damals erwartet hast?

JK: Moment… bin mal kurz in meiner Leseecke… 🙂
[verschwindet für mehrere Stunden]
Hm… eines ist anders gekommen als erwartet. Trotz bestem Willen und enormem Engagement ist es uns ganz offensichtlich nicht gelungen, das Fantasy-Segment inklusive Magic Attack auf einem Level zu etablieren, den die Stoffe an sich verdient hätten. Finde ich immer noch schade…

CG: Hat man es eigentlich auch in der Comicszene, wenn man in der Position, in der Du warst, ist, mit Radfahrern (nach oben buckeln, nach unten treten) zu tun, oder geht da wirklich alles entspannter zu, wie man sich das vielleicht denken könnte?

JK: Auch wenn man es sich natürlich wünschen würde, unterscheidet sich die Welt der Comics gar nicht so sehr vom Rest der Welt. Radfahrer, Missgünstlinge, Hochstapler, Nörgler, Schlaumeier, Zuschaueraberniewasselbstmacher und andere unerfreuliche Menschen gibt es in der Comicszene genau so oft oder selten wie in allen anderen Bereichen, sogar innerhalb von Carlsen. Das finde ich an sich auch nicht ungewöhnlich, warum sollten Leute, die Comics machen, anders sein als alle anderen Menschen. Und die meisten dieser Menschen machen das ja nicht mal aus böser Absicht, sondern oftmals nur, weil sie sich ungeschickt anstellen.
Die Frage ist aber, wieviel Zeit man ihnen widmen möchte. Ich muss gestehen, dass meine Schmerzgrenzen sich da in den letzten Jahren deutlich verschoben haben, weshalb ich solchen Leuten, wo immer es geht, aus dem Weg zu gehen versuche, was ihnen dann wiederum die Gelegenheit gibt, mich arrogant zu finden. So sind am Ende alle glücklich. 🙂
Ich widme mich inzwischen eben lieber Leuten, die selbst etwas auf den Weg bringen wollen und dies auch aktiv betreiben, statt ihre Zeit damit zu vertrödeln, immer nur anderen zu erzählen, wie man es machen sollte. Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder aus seinem Leben genau das machen kann, was er will und verdient hat, wenn er es ernsthaft anpackt und nicht rumjammert oder gar seine Zeit mit Intrigen verplempert, die am Ende ja doch auffliegen.
Klingt nach Sozialdarwinismus, meint aber vor allem, dass meines Erachtens zu viele Leute ihre Zeit mit Destruktion statt Konstruktion verbringen.

CG: Wenn Du auf Deine Zeit bei Carlsen zurückblickst: welche Entwicklungen tragen Deine persönliche Handschrift, um die Du vielleicht sogar kämpfen musstest? Haben sich welche im Rückblick als besonders glücklich oder unglücklich herausgestellt? Was lag Dir besonders am Herzen?

JK: „Persönliche Handschrift“ klingt wieder so, als könnte man irgendwas auf der Welt im Alleingang erreichen, woran ich nicht glaube.
Aber wenn es darum geht, wofür man mit anderen zusammenkämpfen musste, es den Kampf aber lohnte, sind es vor allem drei Sachen, an die ich gerne zurückdenke:

– der Aufbau einer eigenen Struktur für Comics im Verlag
– die Entwicklung der Magazinformel für Banzai und Daisuki, die inzwischen in vielen Ländern kopiert wird oder noch kopiert werden soll
– die konsequente Arbeit mit deutschen Zeichnern, auch wenn sich das vielleicht nicht immer auf den ersten Blick rechnet

Unglücklicherweise stehen zumindest zwei dieser drei Punkte für die Zukunft bei Carlsen in Frage, weil die Geschäftsführung für die kommenden Jahre andere Schwerpunkte setzen möchte, was – um auch das klarzustellen – ihr gutes Recht ist. Nur halte ich persönlich den neuen Kurs für falsch und bin deswegen ja auch gegangen.

CG: Diese „zwei Punkte“ sind sicherlich Nr. 1 und 3?

JK: Ja, das ist richtig.
Carlsen wird sicher auch weiterhin mit deutschen Zeichnern arbeiten, will sich aber offensichtlich auf die Autoren konzentrieren, die schnell zum Erfolg geführt werden können. Ich dagegen war immer der Meinung, dass man Geduld haben und in Kauf nehmen muss, dass man auch einige Fehlschläge produziert, bevor man Hits ernten kann.
Nicht alle Autoren haben das Glück einer Joanne K. Rowling, dass gleich der erste Versuch ein Megaseller wird. Akira Toriyama hat zum Beispiel eine ganze Reihe von Flops produziert, bevor er den meistverkauften Comic aller Zeiten gezeichnet hat. Hätte man ihn nach den ersten drei Versuchen bewerten wollen, hätte es „Dragon Ball“ nie gegeben.

CG: Zwei konkrete Fragen:
a) Flix hat sich, soviel ich weiß, sowohl mit „Radio Ohrgasmus“ wie auch mit „Held“ bei Carlsen vorgestellt. Letzteres wurde erst abgelehnt, um dann nach Veröffentlichung des ersten Bandes bei Zwerchfell doch noch als Gesamtwerk bei Carlsen zu erscheinen.
Kannst Du Dich noch an die Gründe der Absage erinnern, und wie kam es zu dieser Umorientierung?
b) Hast Du noch im Kopf, warum es 2001 keiner der „Teamwork“-Fantasycomics geschafft hat, Euer Interesse zu wecken?
War diese Aktion (an dieser Stelle ein Dankeschön, dass Ihr Euch überhaupt dafür interessiert habt!) ein Experiment, das schief ging und nicht wiederholt werden sollte, oder denkst Du, so ein bunt zusammengewürfeltes Team aus Deutschland könnte doch irgendwann seine Chance haben?

JK: zu a) Das ist sehr leicht zu beantworten: Als Flix „Held“ das erste Mal vorgestellt hat, wollte er gerne noch das Konzept der vier Heftchen umgesetzt sehen. Durch die Erfahrungen mit „Mabuse“ wussten wir aber, dass Carlsen für dieses Konzept der falsche Verlag war. Zudem haben wir uns wirklich immer bemüht, nicht unnötig in Konkurrenz zu anderen Verlagen, ob nun groß oder klein, zu treten. Also haben wir uns darüber gefreut, dass Zwerchfell das Projekt umsetzt und uns für „Radio Ohrgasmus“ entschieden.

Dann gab es aber Unstimmigkeiten zwischen Flix und Zwerchfell, zu denen man die beiden befragen sollte, und Flix stand wieder ohne Verlag für das Projekt da. Daraufhin sind wir dann mit dem Sammelband eingesprungen, weil es wirklich ein Jammer wäre, wenn dieser wundervolle Comic nicht verlegt worden wäre. Das war’s auch schon! 🙂

zu b) Der erste Anlauf, das seinerzeit umzusetzen, ist eigentlich aus zwei Gründen gescheitert: Bei den vorgestellten Konzepten stimmten aus unserer Sicht zwar immer einzelne Bausteine, aber sie waren noch nicht wirklich marktreif, das heißt, man hätte sehr viel Zeit investieren müssen, um die Konzepte noch zu verfeinern und weiter zu entwickeln. Genau in dieser Zeit waren wir aber leider auch chronisch unterbesetzt und haben einfach die Kurve nicht mehr gekriegt, diese Entwicklungsarbeit gleich mit mehreren Teams anzugehen, um herauszufinden, welches Konzept am Ende wirklich erfolgversprechend hätte werden können. Das war uns ehrlich gesagt ungemein peinlich und am Ende wohl auch für die betreffenden Autoren unbefriedigend.
Wenn man in dieser Art noch einmal einen Contest ausschreiben sollte, müsste man von vorneherein eine ganze Kraft einstellen, die das kontinuierlich betreuen kann, das habe ich aus der Aktion gelernt… Aber generell glaube ich fest daran, dass sich so etwas in Deutschland realisieren lässt und eines meiner letzten für Carlsen angeschobenen Projekte war (und ist) eine in Deutschland kreierte Studioproduktion, die nach meinem letzten Stand der Dinge tatsächlich auch in ganz Europa erscheinen wird. Vermutlich startet die Serie Anfang 2005, wenn alles so umgesetzt wird, wie es geplant war. An den Autoren wird es zumindest nicht scheitern, da bin ich mir sicher.

CG: Carlsen wurde immer mal wieder vorgeworfen, dass sie sich nur zögerlich dem deutschen Nachwuchs annehmen. Zwar immer mal wieder ein bisschen, aber nichts halbes und nichts ganzes. Richtig groß rausgekommen ist aus Deiner Zeit nur Robert Labs, oder? Wie siehst Du diesen Vorwurf?

Diesen Vorwurf habe ich nie verstanden. Carlsen hatte in meiner Zeit mit Abstand mehr deutsche Autoren unter Vertrag als alle anderen vergleichbaren Anbieter, auch wenn man sicher nicht alle als Nachwuchs bezeichnen kann. Und bei allen war seitens der Verlages die Bereitschaft da, alle Projekte mindestens über drei Bände hinweg zu, wie ich denke, fairen Konditionen umzusetzen und sie zu promoten, so gut es geht.
Ich zähle das gerne mal auf: Jin Baron, Harm Bengen, Tom Breitenfeldt, Eckart Breitschuh, Flix, Haggi, Jamiri, Katz & Goldt, die Greyhound Studios, Ole Könnecke, Isabel Kreitz, Robert Labs, Lutz Mathesdorf, Judith Park, Christina Plaka, Ralph Ruthe, Joscha Sauer, Kim Schmidt, Dirk Schulz, Christian Turk, Jan Velbinger, Nina Werner, Partick Wirbeleit, Delia Wüllner und Timo Würz – ich hoffe, ich hab jetzt niemanden vergessen…

Aber ich bin mit der Bilanz an sich ganz zufrieden. Zumal ich gerade am Ende meiner Zeit bei Carlsen gemerkt habe, dass nicht die Zahl der deutschen Zeichner alleine zählt, sondern viel stärker, wie man mit ihnen zusammenarbeitet. Wenn man es richtig machen will, kostet das sehr viel Zeit. Und dadurch sind der Menge dann einfach Grenzen gesetzt, weil auch für Comic-Redakteure, die ihren Job noch so lieben, der Tag eben nur 28 Stunden hat. 🙂

Speziell für den Nachwuchs haben wir zusammen mit der Leipziger Messe den Manga-Talentwettbewerb erdacht und umgesetzt, den ich für ein phantastisches Tool halte, um neue Talente zu entdecken. Und die dort entdeckten Zeichner und Zeichnerinnen sind und werden mit viel Trommelwirbel in hochauflagigen Magazinen einem großen Publikum vorgestellt und bringen auf den Signiertouren ganze Bahnhöfe zum Überlaufen. Was sollte man denn darüberhinaus noch machen…? O_o

Aber wenn jemandem was einfällt, ich nehme Tipps gerne entgegen.

 

Teil 3: Trennung von Carlsen, Zukunft bei Tokyopop

Comicgate: Im Dezember 2003 verlässt Du dann Carlsen (aus eigener Entscheidung, wenn ich das richtig verstehe). Laut Presseerklärung habt Ihr Euch nicht über die „Schwerpunktsetzungen im Programm und die Weiterentwicklung der Marktstrategien“ einigen können. Haben sich die Spannungen schon länger angedeutet, oder kam das eher spontan?
Hast Du lange überlegen müssen, ob Du diesen Schritt unternimmst? So eine Entscheidung tut ja sicherlich sehr weh.

Jo Kaps: Ja, diese Entscheidung hat sehr weh getan. Ich hing und hänge – so etwas verschwindet ja nicht einfach – an diesem Laden, seinen Mitarbeitern, den Projekten und Zeichnern. Deswegen fiel die Entscheidung auch nicht Knall auf Fall.
Die Geschäftsführung und ich haben ein gutes halbes Jahr mit uns gerungen und endlose Diskussionen darüber geführt, welche Wege wir in die Zukunft gehen wollen – und mussten am Ende feststellen, dass wir uns einfach nicht einig werden. Ich glaube, eine solche Position kann man nicht sinnvoll ausfüllen, wenn man nicht mehr hinter den Zielen des Hauses steht. Und die definiert nun einmal die Geschäftsführung.
Also habe ich die Konsequenzen gezogen und bin gegangen. Ich halte das noch immer für die einzig richtige Entscheidung in einer solchen Situation, weil unter einem ewig andauernden Richtungsstreit am Ende nur das Label und seine Mitarbeiter gelitten hätten. Und das wollte ich vermeiden. Nun können Herr Humann und Herr Kämpfe-Burghardt ihre Ideen umsetzen und den Comic bei Carlsen in ihrem Sinne gestalten. Ich drücke den beiden und allen verbleibenden Mitarbeitern die Daumen, dass die Konzepte aufgehen. Ich habe keinerlei Veranlassung, im Groll nach hinten zu schauen, die sieben Jahre waren eine wunderbare Zeit.

CG: Was heißt diese Erklärung jetzt konkret? Viele Leute gehen ja davon aus, dass der Verlag noch mehr auf Mangas setzen wollte, während Du – wie vorher auch – mal ein wenig über den kommerziellen Tellerrand schauen wolltest.

JK: Es ist immer wieder spannend zu sehen, was für Gedanken sich die Leute über solche Vorgänge machen und welche Gerüchte in Umlauf kommen, obwohl doch eigentlich recht klar gesagt war, wo unser Problem lag.
Es ging um die Zukunftsplanung – und damit nicht um irgend etwas, was man jetzt schon von außen sehen kann. Also ganz klar: Es ging nicht um die Frage Comic oder Manga oder Kunst gegen Kommerz – in diesen Fragen lagen wir gar nicht so weit auseinander.
Es ging eher um strukturelle Fragen wie z.B. ob ein Buchverlag ausschließlich Bücher verlegen muss oder ob die durchgeführte Strukturreform, von der ich oben sprach, auch für die Zukunft Bestand haben soll. Niemand würde eine solche Position aufgeben, weil er sich eine Manga-Serie mehr oder einen Schlumpf-Band weniger wünscht, das wäre Unsinn. So wurden auch keine Projekte abgelehnt oder gestoppt, so lange ich noch Verlagsleiter für den Comic war. Und nach all den Jahren wollte ich dann lieber gehen, bevor sich das ändert. 🙂

CG: Welche Gefühle hast Du nun gegenüber Carlsen? Dein Team weißt Du sicherlich noch immer sehr zu schätzen, aber bist Du auch verärgert oder verbittert? Schließlich hat es Carlsen Dir zu verdanken, dass sie heute der erfolgreichste Comicverlag am deutschen Markt sind, während sie noch vor ein paar Jahren beinahe dicht gemacht hätten.

JK: Das sehe ich anders. Die Erfolgsgeschichte von Carlsen Comics war ja nicht allein mein Verdienst, sondern eindeutig eine Teamleistung. Niemand kann so etwas alleine schaffen, auch wenn viele Leute in den Chefetagen das leider allzu oft vergessen.
Leitung, wie ich sie verstehe, ist am Ende eher eine Kraft, die das gesammelte Know How und die Ideen bündelt, sie aber nicht alleine schaffen muss. Die Mannschaft, mit der ich spielen durfte, hätte das sicher auch genauso gut ohne mich geschafft, aber zum Glück hat das keiner gemerkt. 🙂
Aber im Ernst: 35 Leute haben den Erfolg gebaut, und nun ist eben einer davon gegangen. Nicht mehr und nicht weniger ist passiert.

CG: Gibt es eigentlich Parallelen zu Deiner Trennung von Carlsen und des damaligen Weggangs von Andreas C. Knigge? Die Argumentation („keine Einigkeit über die Zukunft des Comic-Programms“) ist ja ähnlich.

JK: Als ich die Meldung das erste Mal zu Gesicht bekam, dachte ich auch, dass Carlsen die Formulierung anscheinend irgendwo als Textbaustein abgespeichert hat. 🙂

Aber im Ernst: Ich glaube, man sollte die Erklärungen in solchen Meldungen nicht allzu ernst nehmen, weil natürlich kein Unternehmen der Welt bei einer solchen Meldung ins Detail gehen würde, deswegen verwendet man dann solche Floskeln. Dennoch gibt es durchaus eine Parallele: Der Umstand, dass die Geschäftsführer bei Carlsen immer Leute waren, die sich stärker mit den Kinderbüchern als mit den Comics identifizieren konnten, macht jede leitende Funktion im Comic, ob sie nun Cheflektor oder Verlagsleiter heißt, zu einem schwierigen Unterfangen. Comics verkauft man an die jungen Leser selbst, Kinderbücher zumeist an ihre Eltern, Onkel und Tanten. Dadurch muss man, wenn man mit Comics erfolgreich sein will, fast alles anders machen als in einem Kinderbuchverlag. Und das führt anscheinend irgendwann zwangsläufig zu Konflikten…

CG: Mit welchen Gefühlen hast Du Andreas beerbt? Und wie ist Euer heutiges Verhältnis zueinander?

JK: Diese Formulierung mag ich nun so gar nicht. Man „beerbt“ niemanden, wenn man in einer Firma eine Position einnimmt, die zuvor ein anderer innehatte. Und ich hatte und habe viel zu viel Respekt vor den Leistungen von Andreas, als dass ich je vorgehabt hätte, sein „Erbe“ anzutreten. Zumal Andreas sich ja nicht in Luft aufgelöst hat, sondern noch immer aktiv im Comic mitmischt. Gerade wurden bei Europa und Gerstenberg wieder zwei neue Bücher von ihm angekündigt, auf die ich sehr gespannt bin. Also: Kein Erbe, sondern nur die Nachfolge in einer bestimmten Position.
Als Andreas damals ging, war Carlsen Comics ja zunächst auch etwa drei Monate „kopflos“, bevor ich gefragt wurde, ob ich mir vorstellen könnte, die Nachfolge anzutreten. Heute darf ich es ja auch gerne zugeben, dass ich die Hosen gestrichen voll hatte, als ich nach einiger Bedenkzeit diese Frage dann mit „Ja“ beantwortete, weil die Chancen 50:50 standen, dass ich ebensogut zum Totengräber meines Lieblingslabels hätte werden können, weil die Lage im Comic zu der Zeit wirklich nicht einfach war. Daran, dass ich Andreas und seine Arbeit schätze, hat sich für mich bis heute nichts geändert.
Persönlichen Kontakt haben wir allerdings keinen mehr. Ich glaube, da standen uns einfach die Abfolge der Ereignisse und eine Menge Missverständnisse im Wege, was ich noch immer bedaure. Aber ich muss natürlich akzeptieren, dass Andreas seine eigene Sicht der Dinge hat.

CG: In Verbindung mit Deinem Namen und dem Weggang von Carlsen hört man immer wieder die Stichworte „Einstellung „Monster Allergy““. Könntest Du Dich bitte zu dieser Serie – und wie sie gehandhabt wurde – äußern?

JK: Einen direkten Zusammenhang zwischen der Einstellung von „Monster Allergy“ und meinem Weggang gibt es nicht. Die Einstellung war nach dem schwachen Verkaufsstart auch meiner Meinung nach die richtige Entscheidung, weil sonst dem Thema unnötig Schaden zugefügt worden wäre. Auch die Kollegen von Red Whale in Italien waren mit uns der Meinung, dass ein Abbruch und – wie zumindest damals noch geplant – ein Neustart vernünftig ist.
Inzwischen steht nach meinen letzten Informationen aus Italien allerdings auch der Neustart in Frage, das hielte ich dann für einen Kardinalfehler. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass „Monster Allergy“ für den europäischen Comic ein bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung ist, aber es kann eben auch vorkommen, dass man diesen Schritt einfach zu früh geht. Egmont kann davon mit Blick auf „Sailor Moon“ ja auch ein Liedchen singen.
„Monster Allergy“ wird noch ein Hit werden, davon bin ich überzeugt – ob nun bei Carlsen oder unter einem anderen Label. Worüber sich die Geschäftsführung von Carlsen bei solchen Projekten aber klar sein sollte, dass man Magazine nicht zum Erfolg führen kann, wenn man sie intern als Bücher mit einem niedrigen Verkaufspreis behandelt. Magazine folgen eigenen Gesetzen, brauchen andere Budgets, mehr Personal und einen längeren Atem, wenn man dieses Geschäft ernsthaft betreiben will.

CG: Hattest Du eigentlich nach dem Ende von Carlsen überlegt, ob Du Dich selbständig machen solltest oder aber aus dem Comicgeschäft zurückziehen möchtest?

JK: Als ich gegangen bin, hatte ich, ehrlich gesagt, überhaupt keinen Plan, was nun für mich folgen würde, da ich mich bis zur letzten Minute voll auf Carlsen Comics konzentriert hatte und immer noch hoffte, es würde sich ein Weg finden lassen, den alle gemeinsam gehen können. An sich wollte ich zuerst einige Wochen Auszeit nehmen, um in Ruhe zu überlegen, wie es weitergehen soll. Dann haben aber verschiedene Häuser sehr schnell Kontakt mit mir aufgenommen und mir konkrete Vorschläge unterbreitet, die ich sorgfältig geprüft habe. Dadurch habe ich dann recht schnell wieder nach vorne geschaut und Carlsen gedanklich hinter mir gelassen.

CG: Mit Deiner Aussage „Auch nach meinem Weggang bleibt Carlsen – zumindest bis Oktober 🙂 – mein All-Time-Favorite in Sachen Comics in Deutschland“ spielst Du sicherlich auf Deine Zukunft im Comicgeschäft an.
Was erwartet uns denn nun genau ab Oktober?

JK: Wie ich hoffe, der spannendste Comic-Verlag Deutschlands. Ich bin seit dem 1. März diesen Jahres Managing Director von Tokyopop Deutschland und bereite gerade den Aufbau des Verlags und den Launch des ersten Programms vor.

In den Vereinigten Staaten war Tokyopop in den letzten Jahren meiner Meinung nach DER entscheidende Impulsgeber im Comic-Markt, und ich bin stolz darauf, dass Stuart Levy und John Parker das Vertrauen in mich setzen, ihre phantastische Marke nun auch im deutschsprachigen Raum einzuführen.
Bei der Ausgestaltung dieses Ziels habe ich völlig freie Hand, das heißt, das Programm in Deutschland wird keine simple Kopie des amerikanischen Verlags, sondern kann auch ganz eigene Wege gehen.
Ich bin sehr glücklich darüber, dass mit Aranka Schindler, Stefanie Schnürer, Stefanie Schrader, Michael Schweitzer und Claudia Witt in den nächsten Monaten einige Leute zu Tokyopop wechseln werden, die in den letzten Jahren ganz entscheidende Beiträge zum Erfolg von Carlsen Comics geleistet haben. Zusammen mit ihnen und weiteren Mitarbeitern, deren Namen ich hier noch nicht alle nennen kann, wollen wir dem deutschen Comic-Markt entscheidende neue Impulse geben.

Der Oktober ist dabei ein wichtiges Datum, weil wir uns auf der Frankfurter Buchmesse erstmals der breiten Öffentlichkeit präsentieren und dem Publikum unser erstes Programm vorstellen werden. Wir starten mit acht bis zehn Titeln im Monat und bauen das Angebot dann Schritt für Schritt aus. Auch Eigenproduktionen sollen dabei ein wichtiger Bestandteil unseres Engagements werden.

CG: Du hast öfters betont, dass es nur ein Mann sei, der das Boot verlässt; das Team selber, das Carlsen zum Marktführer gebracht hat, bliebe ja bestehen. Nun erwähntest Du aber gerade diverse Namen (ehemaliger) Carlsen-Mitarbeiter, die mit Dir zu Tokyopop wechseln. Also ist das doch nicht so einfach, wie es vorher klang.
Wie kam es zu diesen Wechseln, und hast Du deswegen auch ein etwas mulmiges Gefühl gegenüber Carlsen?

JK: Mein Weggang von Carlsen und der nun einsetzende Wechsel einiger meiner besten Mitarbeiter von früher sind an sich zwei voneinander unabhängige Vorgänge, auch wenn dies seltsam klingt.

Drei Kollegen hatten bereits bei Carlsen gekündigt, bevor überhaupt feststand, dass es Tokyopop geben wird, weil sie wie ich mit dem neuen Kurs des Hauses unzufrieden waren. Erst nachdem sie bei Carlsen gekündigt hatten, habe ich Gespräche mit ihnen aufgenommen. Das wiederum haben die anderen beiden mitbekommen und sich dann ebenfalls zu diesem Schritt entschlossen.
Da ich mein gesamtes Team bei Carlsen, wie schon erwähnt, sehr geschätzt habe, hat mich das Interesse dieser Kollegen an meinem neuen Projekt aber natürlich mehr als gefreut. So kann Tokyopop vom Start weg mit einer Mannschaft arbeiten, die ein fundiertes Wissen über Manga hat und hohes Ansehen bei den japanischen Partnern genießt. Das ist ohne Frage ein echter Pluspunkt.
Ein mulmiges Gefühl gegenüber Carlsen habe ich nicht. Zum einen, weil solche Vorgänge in der deutschen Verlagswelt an sich nicht ungewöhnlich sind, zum anderen, weil ich davon überzeugt bin, dass auch Carlsen davon profitieren kann, wenn sich ein zusätzlicher Verlag in Deutschland für Comics und Manga stark macht.

CG: Ist auf dem deutschen Comicmarkt überhaupt noch Platz für neue Produkte?

JK: Auf jedem Markt ist Platz für neue Produkte, wenn sie gut gemacht sind und professionell vermarktet werden. Und in dieser Hinsicht darf man von Tokyopop durchaus einiges erwarten. Wir erhalten eine finanzielle und personelle Ausstattung, die sich sehen lassen kann. Und mit der wollen wir eine Menge neuen Schwung in den Markt bringen, von dem, so hoffe ich, durchaus auch die anderen Verlage profitieren werden.
Schon zu meinen Zeiten bei Carlsen habe ich mich darüber gewundert, wieso sich in Frankreich alleine 19 Verlage auf dem Markt tummeln, die Manga herausgeben, während es in Deutschland nur drei sind. Das Potenzial der Märkte ist dabei grundsätzlich miteinander vergleichbar, wenn es allen zusammen gelingt, die Aufmerksamkeit für das Medium Comic noch weiter zu steigern. Und dazu wollen wir unseren Beitrag leisten.

CG: Was ist Deiner Meinung nach das Besondere an den Comics, die Du von nun an betreust? Warum sollten sie die Leser interessieren?

JK: Über das konkrete Programm möchte ich an dieser Stelle an sich noch keine Details verraten, aber die Leser können sich auf ein wirklich spannendes, bunt gemischtes Programm freuen. Bislang ist in Sachen Manga ja nur ein winziger Bruchteil des Spektrums nach Deutschland gelangt, das japanischen Lesern zur Verfügung steht. Alleine da ist noch vieles zu erschließen.

Aber wie schon angedeutet wird unser Engagement nicht auf Manga beschränkt bleiben. Auch europäische und amerikanische Stoffe werden ihren Platz in unserem Programm finden, so lange sie sich an junge Zielgruppen wenden und ein modernes Gesicht haben. In den Staaten hat Tokyopop mit den Titeln zu Disney und Nickelodeon ja ebenfalls Stoffe im Programm, die nicht aus Japan kommen. Und neue Formen wie die Music-Manga, die in Kürze mit einem Buch über „Nelly“ an den Start gehen, sind ein nicht minder spannendes Format.

Ganz sicher wird im ersten Programm aber natürlich „Princess Ai“ vertreten sein. Wenn Courtney Love den Rahmen für eine Geschichte liefert, die mit DJ Milky ein amerikanischer Autor zur Serienreife bringt, dieses Konzept dann von einer japanischen Zeichnerin nach Charakter Designs von Ai Yazawa umgesetzt wird und das Ganze in Japan in „Wings“ zum Vorabdruck kommt, bevor die Bücher in Asien, den USA und Europa erscheinen, dann beschreibt ein solches Projekt für mich auf ideale Weise das Potenzial, das hinter Tokyopop steckt: kreative Ideen, die verschiedene Medien und Kulturen miteinander ins Gespräch bringen wollen. In solchen Themen liegt die Zukunft, davon bin ich überzeugt.

CG: Was gehört alles zu Deinem neuen Aufgabengebiet? Wieviel Verantwortung wurde Dir übertragen?

JK: Ich trage die komplette Verantwortung für das Geschäft im deutschsprachigen Raum. Natürlich wird die Mannschaft im engen Austausch mit unseren Büros in Los Angeles und Tokyo stehen, und ich glaube, wir können von diesem drei Kontinente verbindenden Netz auch alle sehr stark profitieren. Was am Ende in den einzelnen Ländern aber wie umgesetzt wird, wird jeweils dezentral vor Ort entschieden. Die Zeit der Verhandlungen auf dem Weg zur Gründung von Tokyopop Deutschland hat mir gezeigt, dass das auch keine leeren Sprüche sind, sondern gelebte Realität des Unternehmens ist. Und das macht die Gesamtstruktur in meinen Augen auch so stark.

CG: Es ist sicherlich spannend, noch einmal von vorne anzufangen. Worin siehst Du die besonderen Hausforderungen?

JK: Die größte Herausforderung besteht natürlich darin, in diesem Land zu dieser Zeit gegen den Strom des allgemeinen Jammerns anzutreten und unter Beweis zu stellen, dass Ziele sich erreichen lassen, wenn man es wirklich will. Erste Reaktionen aus dem Handel zeigen uns aber schon jetzt, dass der Mut, positive Signale gegen den Trend setzen zu wollen, alleine schon mit sehr viel Wohlwollen goutiert wird. Alle warten ja auf positive Zeichen – und wir wollen und werden für den Comic in Deutschland ein solches Zeichen setzen.

CG: Wie kam es zum Kontakt mit Deinen neuen Arbeitgebern, und wann kristallisierte sich diese neue Beschäftigung für Dich heraus?

Tokyopop hat mich genau zwei Tage nach meinem letzten Arbeitstag bei Carlsen angerufen und Gespräche vorgeschlagen. Seit diesem Tag waren wir in ständigem Kontakt. Parallel dazu gab es zu Beginn, wie schon erwähnt, auch Gespräche mit anderen Häusern, aber nach etwa vier Wochen zeichnete sich doch sehr klar ab, dass die Herausforderung des Neuaufbaus von Tokyopop Deutschland fast schon eine logische Folge meines bisherigen Weges ist. Unsere Vorstellungen über die Weiterentwicklung des Comic-Marktes liegen einfach enorm dicht beieinander, und ich bewundere die Energie und den Sachverstand des Teams in den Staaten und in Japan.
Den endgültigen Ausschlag hat dann ein Besuch im Büro in Los Angeles gegeben, weil mich das, was ich dort gesehen und erlebt habe, wirklich nachhaltig beeindruckt hat. Ich glaube, dass ich in der Zusammenarbeit mit den Kollegen auch für mich noch sehr viel lernen kann, was mich einfach reizt. Dieser Verlag ist so unglaublich rührig und entwickelt hinter den Kulissen derzeit so viele phantastische neue Projekte, dass ich unbedingt ein Teil des Unternehmens werden und meinen Beitrag zu seinem weiteren Aufstieg leisten wollte.
Und jetzt freue ich mich unbändig darüber, dass die aufregendste Zeit meines Lebens in der Welt der Comics zu meiner eigenen Überraschung vor und nicht hinter mir liegt. 🙂

CG: Danke für die ausführliche Beantwortung der Fragen, Jo!
Ich wünsche Dir und Deinem neuen Team alles Gute für Euren Start und die Zukunft.

JK: Danke! 🙂