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Interview mit Uli Oesterle

 Ein Besuch in der Münchener Künstlergemeinschaft „Die Artillerie „ eröffnet den Blick auf hohe, weiße Altbauräume, in denen zehn Kollegen an Comics, Illustrationen, Designs und vielen anderen Sachen arbeiten. Hier findet sich neben bekannten Gesichtern wie Thomas von Kummant und Benjamin von Eckartsberg (Die Chronik der Unsterblichen) eine schiere Fülle an Zeichnern, die mit Computern, Pinseln, Federn und Stiften arbeiten. Unter ihnen auch Uli Oesterle , der nach mehr als sechs Jahren seine Gesamtausgabe von Hector Umbra bei Carlsen vorgelegt hat. Mit unserem Redakteur Daniel Wüllner unterhielt er sich über Sympathiefiguren, unsympathische Entscheidungen und den WG-Alltag einer Künstlergemeinschaft.

Comicgate: Ich sitze hier mit Uli Oesterle in der Künstler-Gemeinschaft „Die Artillerie“. Wie muss ich mir die Arbeit in einem Atelier vorstellen? Zehn Künstler in einer Münchener Altbauwohnung, ist das wirklich förderlich oder steht man sich dabei auch schon mal im Weg?

Uli Oesterle: Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Zusammenschluss von Künstlern nicht nur funktioniert, sondern auch wirklich förderlich ist. Nach der Grafikerschule habe ich zuerst fünf oder sechs Jahre allein zuhause gearbeitet, wollte aber eigentlich immer ein Studio mit mehreren Leuten zusammen haben. Dieses Ziel habe ich erreicht, als wir 1995 „Die Artillerie“ gegründet haben. Wir haben damals relativ klein angefangen: Mit fünf Leuten. Von den mittlerweile zehn Leuten sind nicht alle so von der Idee angetan wie ich, aber es passt dennoch. Nicht jeder möchte gern, dass man ihm bei der Arbeit über die Schulter schaut, ständig anklopft oder Teil an seinem Projekt hat. Manche zeigen auch gar nichts her. Das sind dann eher so unsere Geheimniskrämer, die wollen überhaupt nicht, dass jemand etwas über ihr Zeug sagt. Ich hingegen bin da ganz anders: Ich finde den Austausch sehr gut und ich halt mich dann eben an die Leute, die das genauso sehen. Ich würde niemandem etwas zeigen, der nicht selbst bereit ist, etwas von sich Preis zu geben. Es gibt drei oder vier Leute, bei denen das gut klappt. Das fängt schon beim Manuskript an. Wenn ich eine Geschichte schreibe, quasi mein Drehbuch für den Comic, dann bespreche ich das auch gerne mit einem bestimmten Artilleristen. Das ist in den meisten Fällen der Benjamin von Eckartsberg, weil er selbst auch schreibt und schon ein Drehbuch geschrieben hat. Er hat eine sehr analytische Art, Dinge zu begreifen und unter Umständen auch Fehler aufzudecken. Man spricht gemeinsam drüber und ich lass mir das durch den Kopf gehen, ob ich gut finde, was er gesagt hat und was ich damit anfange. Je nachdem welchen Artilleristen ich mir herausgesucht habe, weiß ich, okay, der steht auf Schwertkampf und Fantasy, dann kann ich seine Meinung in Bezug auf meine Geschichte auch gleich besser beurteilen. Ich selektiere auch ein bisschen. Ich kann mich halt auf die jeweilige Einschätzung meiner Kollegen verlassen. Und dann frage ich nur den Artilleristen, der sich damit auskennt.

 

 CG: Dann weißt du aber doch vielleicht vorher schon, welche Meinung du zu erwarten hast? Verwischt das nicht die objektive Betrachtung?

UO: Ein wenig vielleicht. Ich bin aber auch durchaus selbstkritisch. Nur wenn man lange an einem Projekt gearbeitet hat, verliert man oft den Blick und die notwendige Distanz. Man weiß nicht mehr, ob eine gezeichnete Szene wirklich funktioniert oder nicht. Dann frage ich halt noch mal nach und es kommt raus, welchen Teil man versteht und welchen nicht. Mit dem Feedback setze ich mich noch mal dran und gucke, was man da vielleicht anders machen könnte und ob Zeichnungen überarbeitet werden müssen. Bei den Manuskripten gibt es keine konkreten Änderungen, sondern meist nur noch Vorschläge; einer sagt zum Beispiel, hier ist noch eine Länge drin, die man vielleicht kürzen kann. Im Allgemeinen ist es immer ein gutes Feedback, das man hier bekommt. Dann zeige ich es noch meiner Frau, die völlig frei von Vorurteilen dran geht. Hin und wieder bekommt es noch mein alter Kumpel Boris zu sehen, der sich vor allem in Action-Sequenzen gut reindenken kann. Dann habe ich einen guten Querschnitt aus drei völlig unterschiedlichen Meinungen.

CG: Gibt es eine bestimmte Rollenverteilung in der „Artillerie“? Vielleicht macht ja einer immer den Kaffee und der andere räumt immer auf, wie so eine richtige Familie?

UO: Ja, letztendlich ist es ja schon wie in einer WG hier, oder vielleicht auch wie in einer Ehe mit neun Partnern (lacht). Es gibt die Leute, die Ordnung halten, die immer so ein bisschen hinterher sind, und wiederum andere, die scheren sich da nicht drum. Die lassen den Klodeckel immer oben oder die Klobrille immer unten, wenn sie im Stehen pinkeln. Das gibt es alles, wie in einer normalen WG, bloß mit dem Unterschied, dass wir zu zehnt sind und dafür funktioniert es ziemlich gut, schon seit vierzehn Jahren. Natürlich gibt es auch immer wieder kleine Streitigkeiten.

 CG: Du hast am Anfang über Feedback gesprochen. Das ist ja gerade bei so einem langwierigen Projekt wie Hector Umbra wichtig. Wie lange hat es jetzt insgesamt gedauert?

UO: Der erste Band ist ja vor sechs Jahren (bei Edition 52) erscheinen und da hatte ich ja bereits zwei Jahre dran gearbeitet. Wenn man aber die gesamte Arbeit an einem Stück nehmen würde, wären es wahrscheinlich nur zweieinhalb Jahre.

CG: Dann ist ständiges Motivieren und Feedback eine wichtige Angelegenheit, um wirklich dran zu bleiben, oder? Hattest du bestimmte Methoden dich selbst zu motivieren, dich zu inspirieren? Oder hattest du zwischendurch auf einfach mal keinen Bock mehr drauf?

UO: Na klar, solche Phasen gibt es immer. Du musst ja zwischendurch immer wieder Jobs annehmen, um zu überleben und da bist du halt mal zwei Wochen raus und musst erst wieder reinkommen; das geht ja noch. Aber wenn du wirklich mal drei – bei mir auch mal fünf – Monate was anderes machst und du keine Chance hattest, zwischendurch dran zu arbeiten, da brauchst du zwei Wochen, um dich überhaupt wieder ins Thema zu finden. Hinzu kommt noch, dass man sich alle paar Monate mal denkt, „Was mache ich hier eigentlich?“ oder „Ich habe keinen Bock mehr“. Sich da so lange durchzuquälen ist schon schwer. Es ist aber dennoch schön, wenn man die Möglichkeit hat so etwas durchzuziehen, und die gibt es selten. Da hat es ein Berliner Comic-Zeichner einfacher, weil er für sein Atelier nur ca. 100 Euro im Monat zahlt, und seine Wohnung kostet noch mal 300 Euro. Viele Comic-Zeichner haben noch keine Familie, wie zum Beispiel Mawil oder Reinhard Kleist. Da besteht natürlich die Möglichkeit, alles schneller durchzuziehen. Die haben halt wesentlich weniger Druck, Jobs annehmen zu müssen, da sie mit zwei oder drei Storyboards soviel Geld machen, dass sie die nächsten vier Monate am Stück arbeiten können.

CG: Gerade wo du Kleist und Mawil erwähnst: Ist das so ein bisschen der Unterschied zwischen München als Comicstadt und seinen Künstlern, verglichen mit Berlin oder Hamburg? Die Zeichner sind jünger und schlagen unterschiedliche Lebenswege ein? München dagegen steht mit dem ComicStrich für eine andere Generation von Zeichnern, eine andere Art von Comics.

UO: Eine bestimmte Art von Comics würde ich jetzt nicht sagen, da sowohl ich als auch Reinhard Kleist fiktive Geschichten erzählen. Klar, gibt es in Berlin mehr Zeichner, die klassische autobiografische Comics machen. Es gibt mehr Zeichner, die Alben herausbringen. In München gibt es Christian Moser, aber er ist ja kein klassischer Comiczeichner in dem Sinne. Mir fallen noch Thomas und Benjamin aus der Artillerie ein. Aber du siehst ja selbst, wann der nächste Band von Die Chronik der Unsterblichen rauskommt. Es ist jetzt schon fünf Jahre her, seit der erste Teil erschienen ist.

CG: Darf man solche Themen im Atelier ansprechen oder sind die ein Tabu-Thema?

UO: Na klar, manchmal frotzeln wir uns schon gegenseitig an und ziehen uns damit auf. Aber der Thomas ist ja auch ein relativ guter Geschäftsmann und war sehr erfolgreich mit seinem ersten Comic im Gegensatz zu meiner ersten Veröffentlichung. Wobei Hector Umbra bei Carlsen sehr erfolgreich läuft. Nach knapp drei Monaten sind schon mehr Exemplare weggegangen als vom ersten Band in fünf Jahren.

CG: Aber es ist ja auch schwer, einen abgeschlossenen Band mit einer ersten Ausgabe zu vergleichen.

UO: Klar. Noch dazu hängt das ja stark von der Vermarktung durch den Verlag und der Platzierung im Buchhandel ab. Da steht Carlsen natürlich mit seinen Vertriebswegen, der Pressearbeit und Verbindungen zum Buchhandel einfach wesentlich besser da als ein kleiner Verlag.

muenchenalsheld.jpg CG: Lass mich kurz noch mal auf die Stadt München zurückkommen, die ja im Comic auch zum Helden wird. Ist das wirklich als Hommage zu verstehen oder hatte das einfach nur einen praktischen Nutzen?

UO: Beides. Es hatte zwar einen praktischen Nutzen, aber letztendlich erzähle ich gerne Geschichten, die in meiner Stadt spielen, weil ich mich dort einfach gut auskenne. Ich kenne die Orte, ich weiß über die Eigenarten Bescheid. Na ja, mittlerweile kenne ich die Clubszene vielleicht nicht mehr so gut wie früher. Aber ich glaube man merkt es dem Comic einfach an, wenn der Held sich in derselben Stadt bewegt wie sein Zeichner. Wenn ich die Geschichte nach New York verlegt hätte, wäre sie sicherlich massenkompatibler gewesen, aber letztendlich wäre sie dann auch nicht mehr so authentisch. Ich mag meine Stadt einfach und will es auch als Hommage verstehen, wobei ich immer darauf geachtet habe, dass die Stadt nicht immer so geleckt rüberkommt wie sie in Wirklichkeit ist. Und vor allem ist das München, so wie ich es darstelle, ein Zerrbild und spiegelt mehr die Befindlichkeiten der Akteure wieder.

 CG: Im Comic selbst sind die Zeugen Jehovas sehr präsent, deutlich erkennbar durch ihre kleinen Wachtürme. Wie gehst du mit denen um, wenn die vor deiner Tür stehen?

UO: Machen die jetzt auch Hausbesuche? Wenn ich an den vorbeigehe, dann lächle ich nur über sie. Wir haben in dem Fernsehbeitrag für den Bayerischen Rundfunk tunlichst vermieden, welche mit ins Bild zu bringen oder auch nur zu erwähnen. Man weiß ja nie, ob die vielleicht doch BR gucken. Aber sie heißen bei mir ja auch gar nicht Zeugen Jehovas, sondern Jünger des Herrn (grinst).

CG: Eine Frage noch speziell zum Comic: Es läuft die ganze Zeit im Comic irgendwo Musik, und alles wird durch Soundeffekte begleitet. Läuft bei dir während der Arbeit auch Musik? Wenn ja, welche und wie laut?

UO: Bei mir ist das so: Wenn ich nachdenken muss und meine Geschichten schreibe, dann höre ich entweder gar keine Musik oder setzte die Kopfhörer wirklich nur auf, um Ruhe zu haben, wenn ich zum Beispiel in Cafés sitze. Vor ein paar Jahren war ich mal fünf Tage in Wien und habe mir die Stadt angesehen, um mich inspirieren zu lassen. Ich habe mich in eine richtig schöne Pension im Museumsquartier gesetzt und dann einfach mal fünf oder sechs Stunden am Stück geschrieben. Das war einfach super! Ich bin anschließend mit 30 neuen Ideen zurückgekommen; mit Ansätzen für neue Geschichten.

CG: Aber Wiener Kaffeehäuser sind ja nicht gerade für ihre Ruhe bekannt…

UO: Ja, genau. Ich habe es zunächst ohne Kopfhörer und Musik probiert, aber dann schnell den Kopfhörer aufgesetzt und sphärische Sachen oder Filmmusik gehört; also viel ohne ablenkende Texte – nur ausnahmsweise ein bisschen Tom Waits. Eine solche Musik versetzt mich in eine Stimmung, in der ich gut schreiben kann. Wenn zu viel Gesang dazu kommt, wird es schwierig mit der Konzentration. Im Atelier schreibe ich meistens ohne Musik.

CG: Die Musik kommt dann erst beim Zeichnen dazu?

UO: Ja, genau. Aber da muss man natürlich schauen, was der jeweilige Zimmerpartner (In Ulis Fall Florian Mitgutsch) dazu sagt. Und wenn der gerade mal keine Lust auf Musik hat, setze ich mir halt meinen Kopfhörer auf.

 CG: Tom Waits hat ja sogar eine Widmung hinten im Comic bekommen. Was für Songs wären auf einem Soundtrack für Hector Umbra alle drauf?

UO: Die Musiker, die ich im Comic angesprochen habe, treffen es schon ganz gut. Es gibt dann noch ein paar Stücke, die rein müssten, wie zum Beispiel Jimi Tenor, der macht sehr strange Sachen. Eigentlich müssten Songs drauf sein, die etwas Morbides und Gespenstisches an sich haben, wie in diesen Alien-Trash-Filme der 1960er Jahre. Das finde ich ganz nett. Dann mal wieder ein paar Songs mit ein bisschen mehr Beats, so Sachen von Beck zum Beispiel. Die Tragikkomik übernimmt natürlich Tom Waits. Aber auch Peter Fox passt gut. Stadtaffe ist eines der hervorragendsten Alben der letzten Jahre, wie ich finde. obwohl ich mit Seeed nie was anfangen konnte. Da ist so ein wahnsinnig trauriges Lied drauf, „Ich Steine, du Steine“, da möchte man am Liebsten das Flennen anfangen. Oder auch die Sofa Surfers würden gut passen. Abrunden würden den Soundtrack sicherlich ein paar Klangteppiche.

CG: Wie sieht es denn mit Verfilmungen aus? Steht da bei Hector Umbra irgendwann mal was an?

UO: Ja, bitte! Jederzeit! Ich habe erst letztens im Comicforum etwas gelesen: „Hey, habt ihr schon von der Verfilmung von Hector Umbra gelesen? Das sollen ja Jeunet & Caro (Stadt der verlorenen Kinder und Delikatessen) machen.“ Ja warum eigentlich nicht, die beiden würden gut passen.

CG: Wäre dir ein Trickfilm oder doch eher eine Realverfilmung lieber?

UO: Am besten würde mir ein 3D-Film gefallen. Aber das ist sowieso zu teuer, hab ich mir sagen lassen. Aber ein Realfilm wäre auch super. Dann müsste man natürlich viel mit special effects und 3D machen, was die Monster und Wahnvorstellungen angeht. Ist eine schöne Vorstellung; ich fände es extrem interessant, den in Englisch zu machen. In Amerika sind ja Comicverfilmungen eh grade groß in Mode. Liegt ja daran, dass viele Regisseure auch Comicfans sind. Die kennen sich mit den Geschichten aus, die sich gut adaptieren lassen. Vielleicht wird der Comic ja wirklich mal verfilmt; da spekuliere ich schon etwas drauf, weil ja bereits eine Kurzgeschichte von mir aus einer Dark Horse-Anthologie schon verfilmt wurde (Anm. d. Red.: Forever von Jonas Govaerts, in zwei Teilen bei YouTube verfügbar). Ich würde mich natürlich auch freuen, falls jemand aus Deutschland sich interessiert zeigt.

CG: Interessenten können sich also gerne bei dir melden?

UO: Na klar, jederzeit.

Uli an seinem Arbeitsplatz CG: Ich habe auch ein bisschen auf deiner Homepage gestöbert und habe mir dort die Illustrationen angeguckt – das sind die bösen Dinger, die man als Zeichner anfertigen muss, um zu überleben. Dabei bin ich auf was gestoßen, das sich „Sympathiefigur“ nennt. Das sind Figuren, die du für Image-Kampagne für Audi und ähnliche Unternehmen entwickelt hast.

UO: Ja, das ist halt dieser Fachjargon. Mittlerweile gibt es ja auch den Fachbegriff Characterdesign, der oft auch auf solche Kampagnenfiguren angewandt wird. Aber die ganzen Begriffe entstammen wirklich nur der Werbung. Das sind eben Jobs, die ich auch schon gerne mache und die mir in dem Bruchteil der Zeit wesentlich mehr Geld einbringen. Man sitzt dann schon mal eine Woche an einem Auftrag, der im Endeffekt genau so viel einbringt wie der komplette erste Band von Hector Umbra. Das steht in überhaupt keinem Verhältnis. Aber die Arbeit am Comic ist für die Seele wichtig.

CG: Würdest du Hector als Sympathiefigur bezeichnen?

UO: (lacht) Grundsätzlich würde ich ihn nicht als Sympathiefigur bezeichnen; höchstens gegen Ende des Buches.

u-bahnfahrt.jpg CG: Liegt das auch vielleicht an der Entwicklung des Charakters? Im ersten Band, der damals bei Edition 52 erschienen ist, sehen alle Figuren ja ein bisschen kantiger und dunkler aus. In der Gesamtausgabe hingegen werden die Gesichter weicher und die Profile cartooniger.

UO: Benutzt bitte nicht das Wort „cartoonig“. Das ist ein hässlicher Ausdruck!

CG: Aber siehst du diese Entwicklung auch so?

UO: Im Laufe der Jahre habe ich mich natürlich weiterentwickelt. Das ist ja ganz klar. Deshalb sehe ich auch die Veränderung und fasse sie unter den Begriff „künstlerische Freiheit“ zusammen. Wenn ich schon meinen Comic mache, dann will ich den verdammt noch mal so zeichnen, wie es mir passt. Wenn sich denn etwas leicht ändert, was eh kaum auffällt, ist es mir auch egal. Man sieht das nur ein bisschen bei den Charakteren. So waren die Kinnbärte von Frantisek und Osaka im ersten Teil noch ganz spitz und sind nachher rund geworden. Letztendlich würde ich mir für meinen nächsten Band mehr Mühe für das Characterdesign machen, es ein bisschen besser austüfteln, damit so was nicht mehr vorkommt. Aber bei diesem Projekt war es wegen der Zeitspanne einfach nicht perfekter möglich. Es entstehen einfach automatisch Veränderungen. Schön ist es dann natürlich, wenn man durch den Erfolg eines solchen Buches die Ruhe und Zeit hat, intensiver am nächsten zu arbeiten und das vielleicht schneller durchzuziehen.

Cover der 1. Albenausgabe 2003 CG: Apropos Erfolg: Du bist ja mit dem ersten Teil bereits 2004 für den Prix du Primer Album in Angoulême nominiert worden und hast den ICOM-Preis im gleichen Jahr gewonnen. Erhofft man sich da ähnliches für die Gesamtausgabe?

UO: Eingereicht wird es natürlich für die Preise, wie den Max-und-Moritz-Preis 2010. Ob es was wird, kann ich nicht sagen. Im Moment bin ich ja auch für den PENG in München nominiert und habe es unter die ersten drei geschafft (Anm. d. Red.: Der Preis für den „Besten deutschen Comic“ ging dann an Flix für Der Swimmingpool des kleinen Mannes). Man freut sich zwar, aber wie wichtig sind diese Preise denn überhaupt? Klar, der Max-und-Moritz-Preis ist der anerkannteste Comicpreis im deutschsprachigen Raum. Wäre schon schön, den mal zu gewinnen, außerdem winken dem Sieger in der Kategorie Bester Zeichner ja 2000 Euro als Siegerprämie.

CG: Wir haben uns ja dieses Jahr bereits auf dem Fumetto in Luzern getroffen. Wenn man da so über das Festival schlendert, dann sieht man eigentlich nur Kunst-Comics und avantgardistische Zeichen-Techniken. Wie passt Hector Umbra da rein, der von der Erzählung doch eher als konventionell zu bezeichnen ist? Wie wurden deine Arbeiten dort aufgenommen?

UO: Klar baut man in der Schweiz bei Magazinen wie Strapazin auf eine ganz spezielle Riege von Zeichnern, aber dennoch finden sich immer noch Ausnahmen, wie Gipi oder Blutch, die zwar avantgardistische Züge haben, aber dennoch sehr schön erzählen. Ich finde, dass gerade Gipi den Spagat zwischen dem Kommerziellen – was hier nicht negativ gemeint sein soll – und der Avantgarde schafft. Das sehe ich bei mir ganz genauso. Ich sitze auch zwischen diesen Stühlen. Die Einladung wiederum habe ich ein bisschen den Verbindungen von Carlsen zu verdanken. Vielleicht mag es nicht ganz in den Rahmen passen, aber mit dem neuen Festivalleiter Lynn Kost, wird man in der Zukunft bestimmt den ein oder anderen klassischen Comicerzähler auf dem Fumetto antreffen. Aus meiner ganz persönlichen Erfahrung kann ich nur sagen, dass das Fumetto als Inspirationsquelle wirklich großartig ist. Dort entdeckst du neue Möglichkeiten der grafischen Darstellung, die man so noch nicht gesehen hat. Die Comic-Geschichten dort lese ich nicht, die kann man oftmals gar nicht lesen. Die Comics befriedigen meist nur optisch. Mir persönlich ist das Erzählen von Geschichten einfach wichtiger. Dabei möchte ich keine Verwirrung erzeugen, außer der Verwirrung, die beabsichtigt ist. Zeichnungen und Stil müssen der Geschichte folgen.

CG: Du hattest die Metapher des Zwischen-den-Stühlen-Sitzens angesprochen – zwischen Kunst und Kommerz. Über Kunst haben wir jetzt gesprochen, lass uns doch etwas näher auf den Kommerz eingehen. Den Wechsel von Edition 52 zu Carlsen, wie kann man sich den vorstellen? Wie reibungslos ging der vonstatten?

UO: Das verlief leider nicht so ganz reibungslos. Ich wollte die Edition 52 wirklich nicht vor den Kopf stoßen. Ich hatte eigentlich einen Wechsel erst nach den drei Bänden vorgesehen. Ich zieh das hier jetzt noch durch und dann kann ich mir einen anderen Verlag suchen, habe ich mir stets gesagt. Allerdings habe ich diese Einstellung noch mal überdacht. Man muss sich einfach mal vorstellen, dass ich damals bereits drei oder fast vier Jahre an diesem Projekt saß und so viel Herzblut da reingesteckt habe, von durchgearbeiteten Nächten und der Vernachlässigung meiner Familie mal ganz abgesehen.

Sicher, ein Kleinverlag kann nicht so viel leisten, wie ein großer. Das ist mir klar. Aber zusätzlich hielt sich das Engagement bei der Edition 52 in Grenzen; die wichtigen Pressekontakte stammten fast ausschließlich von mir und auch meine Vorschläge für Vermarktungsideen sind immer im Sand verlaufen. Das hat mich natürlich frustriert. Ich wollte einfach, dass mein Herzensprojekt besser betreut wird. Das war der Hauptgrund für den Wechsel zu Carlsen.

Aufgrund des Verlagswechsels und einiger Unstimmigkeiten deswegen musste ich die Arbeit an Hector Umbra für ein halbes oder dreiviertel Jahr komplett niederlegen. Schließlich hat der Wechsel geklappt. Die Vertragsverhandlungen mit Carlsen verliefen reibungslos. Mein Redakteur,Michael Groenewald,und seine Frau Claudia Jerusalem-Groenewald, die sich um die Pressearbeit kümmert, sind wirklich ein gutes Team und leisten sehr gute Arbeit. Ich bin sehr froh über den Wechsel und stehe zu meiner Entscheidung.

Cover der Luxusausgabe CG: Aber man redet jetzt wieder normal miteinander?

UO: Ja, selbstverständlich. Die Edition bringt ja jetzt auch die Luxusausgabe heraus, damit sie noch etwas von Hector Umbra haben.

CG: Wie sieht die Zukunft bei Carlsen aus? Gibt es schon neue Projekte, von denen man was wissen darf?

UO: Jetzt versuche ich erst einmal durchzuatmen. Außerdem stehen jetzt noch die Nachwehen an: die Interviews, die Signierstunden und die Comic-Festivals. Das frisst alles Zeit. Gerade sitze ich zum Bespiel an der Vorbereitung für die Ausstellung zum Münchner Comicfestival. Nebenher kommt man kaum zum Arbeiten. Nach dem Comicfestival kommen wieder neue Festivals in Holland und Frankreich. Es gibt also noch eine Menge Arbeit, die mit dem Zeichnen von Comics rein gar nichts zu tun hat.

CG: Aber es liegen doch bestimmt schon Ideen ganz oben in der Schublade?

UO: Da gibt es zwar wieder ein paar größere Projekte, doch würde ich bei Carlsen erstmal was Kleineres machen, vielleicht fünfzig bis achtzig Seiten in schwarz-weiß. Man will ja auch zeigen, dass man noch da ist. Ein weiteres Projekt, von dem ich leider noch nicht sprechen darf, steht auch zur Debatte.

CG: Eine Frage hätte ich noch: Gibt es ein künstlerisches Gegenstück zu Uli Oesterle? Also einen Zeichner, der das komplette Gegenteil von dem macht, was du so machst?

UO: Eigentlich denke ich nicht in solchen Kategorien, da ich offen für Alles bin. Aber wenn ich jetzt sagen müsste, wer komplett das Gegenteil meiner Arbeit macht, dann ist das sicherlich Joscha Sauer (Nichtlustig). Das soll gar nicht böse sein; ich finde seine Arbeiten gut, und in dem was er da macht gibt es in Deutschland wenige, die ihm das Wasser reichen können. Vor seiner Arbeit und den entsprechenden Verkaufszahlen kann man wirklich nur den Hut ziehen. Während Joscha und auch Ralph Ruthe die Kunst beherrschen, ihren Humor in einem Bild zu komprimieren, bemühe ich mich eben, meine Geschichten in epischer Breite zu erzählen.

CG: Ja, dann sind wir auch schon durch. Vielen Dank, Uli.

UO: Ich habe zu danken.

Links zum Thema
Uli Oesterles Homepage
Die Artillerie
Hector Umbra bei Carlsen Comics

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Abbildungen © Uli Oesterle, Carlsen Verlag, Edition 52
Foto © Daniel Wüllner