Schon mit seinem Debüt drüben! war der Hamburger Zeichner Simon Schwartz sehr erfolgreich. Sein zweiter Comic Packeis sorgte für noch mehr mediale Resonanz und wurde 2012 als „Bester deutschsprachiger Comic“ mit dem Max-und-Moritz-Preis ausgezeichnet.
Das folgende Interview führte Stefan Svik während der Buchlust 2012 in Hannover, wo Schwartz Packeis in einer Lesung vorstellte. Der Comic erzählt die wenig bekannte, wahre Geschichte des schwarzen Polarforschers Matthew Henson, der im Team von Robert E. Peary im Jahr 1909 als erster Mensch den Nordpol erreichte.
Comicgate: Ich beginne mal mit einer total platten, möglicherweise dämlichen Frage: In Packeis fällt mir sofort ins Auge, dass ein schwarzer Mann in einer rundum weißenWelt, nämlich dem Nordpol, zu sehen ist. War das so beabsichtigt, um Rassismus besonders plakativ darzustellen?
Simon Schwartz: Das habe ich mir ja so nicht ausgesucht. Er ist eben dorthin gereist. Ich dachte dabei auch nicht an ein Symbol für das Buch. Das wäre wohl auch etwas zu einfach gewesen.
Es hat sich also einfach so ergeben, weil dich die Geschichte angesprochen hat?
Die Geschichte hat mich angesprochen. Und vor allem dieses Unwissen über diesen Menschen. Nachdem ich seine komplette Lebensgeschichte gelesen hatte, wusste ich immer noch nicht: Was war das für ein Typ, wie tickte der? Es war spannend für mich, das zu füllen. Oder Deutungsansätze zu bieten, warum er so ist, wie er ist.
Ich denke, es gibt eine Parallele zwischen drüben! und Packeis: Die Hauptfiguren sind Außenseiter, sehr einsame und traurige Menschen. Von Franquin ist bekannt, dass er zwar für seine Funny-Comics berühmt ist, aber streckenweise stark unter Depressionen litt. Lucky Luke-Zeicher Achdé sagte dazu, dass Zeichner extrem einsam seien. Findest du dich als Künstler in deinen Figuren aus deinen bisherigen Comics wieder?
Offensichtlich ja, sonst würde ich es nicht machen. Obwohl ich mich nicht als „einsam und verloren“ fühle. Die Geschichten sind natürlich auch nicht so die Gute-Laune-Stories. Aber ich glaube, ich bin nicht der depressive Typ (lacht).
Einsamkeit gibt es dahingehend, dass das Arbeiten einsam ist. Man ist alleine mit dem Blatt. Man verbringt viel Zeit mit sich selbst. Man reflektiert viel, auch über sich oder über die Geschichte. Ganz automatisch. Insofern würde ich nicht „einsam“, aber „allein“ sagen. Aber ich habe eine Beziehung, ich habe meinen Freundeskreis (lacht), ich bin nicht nur im Atelier.
Also betrachtest du dich nicht als jemand, der anders ist als die anderen? Ein Künstler hat ja, vielleicht ein Klischee, immer einen etwas weiteren Horizont, oder?
Na ja, einen größeren Horizont wohl nicht, eher einen anderen (lacht). Ich habe keine Ahnung von Gehirnchirurgie. Nö, das sehe ich so nicht. Ich glaube, dass ich auf einige Dinge vielleicht anders reagiere. Aber als Außenseiter empfinde ich mich nicht.
Dein Debüt drüben! beschreibt die Ausreise deiner Eltern und dir aus der DDR. Dort hast du ja gar nicht lange gelebt. Hattest du denn später noch Kontakt zur DDR?
Ich war anderthalb, als wir ausgereist sind. Als wir in West-Berlin wohnten, bin ich dann immer mal wieder die Eltern meiner Mutter in der DDR besuchen gefahren. Jedes Jahr mehrfach. drüben! basiert viel auf den Erinnerungen meiner Eltern. Das Kennenlernen, der Beschluss zur Ausreise – das habe ich nicht selbst bewusst mitbekommen, weil ich zu klein war.
Aber die Bilder aus drüben! sind dir sicher vertrauter als die aus Packeis, wie der Nordpol oder Nordamerika, wo die Geschichte zum Großteil spielt. Oder sind das Orte, an denen du bereits selbst warst, etwa in New York?
Jein. Ich war tatsächlich Anfang Oktober in dem Naturkundemuseum, das im Comic zu sehen ist. Endlich mal. Ich war dort mal als Kind, aber daran habe ich keine Erinnerung mehr, auch nicht an die Meteoriten oder so (lacht). Ich war also schon in New York, aber noch nicht am Nordpol oder so. Ich finde Orte und Raum ganz wichtig in einer Zeichnung, auch um Stimmung zu schaffen. Ein Gefühl. Wie steht die Figur emotional da? Es gibt die Szene im Buch, in dem Henson am Nordpol ankommt. Dort ist nichts Besonderes. Es sieht aus wie überall anders auch, wie ganz Grönland oder im Eis oder in der Arktis. Er steht völlig verloren da und wir haben sofort, durch das Bild, eine Aussage darüber, wie sich die Figur fühlt. Insofern finde ich Orte wichtig. Aber ich muss nicht unbedingt selbst dort gewesen sein.
Besteht dann nicht die Gefahr, dass du das Bild überträgst, das du aus Literatur und Film kennst und das Bild darauf projizierst, was andere vorgegeben haben?
Das kann sein. Aber ich versuche immer möglichst viel Recherche zu haben, um auch ganz sicher im Stoff zu sein. Ich habe mir für Packeis auch durchaus einige historische Freiheiten erlaubt. Den Cook etwa führe ich bereits in Nicaragua in die Handlung ein. Tatsächlich ist er erst viel später zum Team dazugestoßen. Oder aus zwei Frauen von Henson mache ich eine, weil es einfach flüssiger zu erzählen ist. Ich finde diese Sachen kann man sich leisten, wenn man sich sonst absolut sicher ist. Denn dann wirken diese Abänderungen auch glaubhaft. Genau so ist es auch mit Orten. Diese Hütte, in der die Forscher waren, da kann ich dir wirklich jede Ecke sagen, die es davon gab. Zumindest kenne ich jedes Bild, das es davon noch gibt, glaube ich.
Als du die Biographien der Forscher gelesen hast, hast du da schon beim Lesen Bilder vor dir gesehen oder brauchtest du noch weitere Fotos als Vorlagen?
Teilweise. Etwa dieses Bild, wo er vor dieser großen, weißen Fläche steht, war ziemlich schnell klar. Ein Bild hatte ich auch recht früh im Kopf, das im Comic ist: wie Henson in einem Waschraum steht. Wie der Raum genau aussieht, wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Aber das Symbol des Bildes war mir schon klar.
Du hattest in deinem Vortrag vor unserem Interview erzählt, dass du eher sprunghaft arbeitest und nicht gradlinig: Mal hast du spontan Lust, etwas aus der Mitte der Geschichte zu zeichnen, dann springst du zum Anfang und wieder hin und her. Davon lasse ich mich jetzt mal beim Interview inspirieren und springe ebenfalls hin und her, also noch einmal zurück zu drüben! und zum Thema DDR: Du bist gebürtiger Erfurter. Es gibt den Verlag Die Biblyothek aus Leipzig, David Füleki aus dem Erzgebirge. Aber so viel mehr ostdeutsche Stimmen sind im Comic gar nicht zu hören, oder?
Es gibt Schwarwel aus Leipzig, der macht Comics für Die Ärzte und verlegt auch selbst. Ich selbst betrachte mich nicht als ostdeutschen Comic-Zeichner. Aber ja, es scheint da wenig Comics aus dem Osten zu geben.
Und ist das schade?
Es ist wohl eine Kultur, die es in der DDR nicht so stark gab wie im Westen. Es gab letzten Endes nur das Mosaik. Und alles, was daraus hervorgegangen ist, bezieht sich immer nur auf das Mosaik. Aber viele Comickünstler, die in den Neunzigern bekannt wurden und aus dem Osten stammen, etwa Anke Feuchtenberger oder Atak, hatten kein Vorwissen über Comics und haben völlig unabhängig für sich das Medium neu erfunden. Das ging dann schon sehr in Richtung freie Kunst. Teils sehr schräge, ganz eigene Bilder. Aus Mangel an Wissen, sozusagen. Aber das war nur diese Gruppe in den Neunzigern. Der Rest bezog sich dann wieder auf das Mosaik und das finde ich eher etwas langweilig.
Ich hatte mich auch mit Felix Pestemer unterhalten [Interview demnächst bei Comicgate], der wie du beim avant-Verlag ist. Er sagt, dass er von der Bildenden Kunst kommt und auch noch wenig mit Comics zu tun hatte. Um seinen eigenen Stil zu behalten, vermeidet er es sogar eher, andere Comics zu lesen. Wie ist es bei dir mit Einflüssen, guckst du, wo du noch etwas lernen könntest oder vermeidest du das eher?
Ich vermeide das nicht. Aber ich lese tatsächlich eher wenig Comics. Ich besitze viele Comics, aber ich lese primär andere Sachen. Für Packeis etwa habe ich keinen Comic als Vorlage gelesen. Es gibt Comics über Henson. Ganz schreckliche, so Schul-Comics. Der erste Comic über ihn erschien 1947, in einem Magazin namens „Negro Heroes“. Die habe ich aber alle nicht gelesen, weil mich das nicht interessiert hat.
Gibt es zu wenig Comics, die dich ansprechen?
Nö. Es gibt Sachen. Aber … Ich glaube, ich bin sehr kritisch als Leser, weil ich dann sofort die Schere im Kopf habe und mir überlege: Wie hätte ich das denn jetzt gemacht? Wenn etwas toll gelöst wurde, freut mich das! Aber wenn etwas nicht so gut gelöst wurde, glaube ich, merke ich das viel früher als ein Nicht-Comiczeichner. Genau wie andere Comiczeichner vielleicht meine Comics lesen und sagen „Ach nee, das hätte ich anders gemacht“, oder „Das hätte man besser machen können“.
Auf einer Veranstaltung wie der Buchlust steht das Medium Buch im Mittelpunkt. Comics und Graphic Novels sind ein wenig die Exoten. Während deines Vortrags gab es von einem Zuschauer Anmerkungen zu deinen Zeichnungen. Fühlst dich als Zeichner mitunter zu wenig gewürdigt, weil deine Arbeit möglicherweise unterschätzt wird? Künstler wie der Peanuts-Erfinder Charles Schulz scheinen sehr unter so einer Unterschätzung ihrer Arbeit gelitten zu haben, geht dir das auch so?
Ich habe diese Erfahrungen nicht gemacht. Ich glaube aber, dass es bei Schulz noch der Unterschied ist, dass er Amerikaner war. Und in den USA hat der Comic, nach wie vor, ein schlechteres Image als in Europa.
Trotz Will Eisner und Art Spiegelman?
Ja. Doch. Wenn du mal an einen Kiosk gehst, kriegst du nicht mal ein Superheldenheft. Als ich in New York war, hätte ich erwartet, mit Spider-Man-Heften zugeknallt zu werden, aber es gab gar nichts. Und der Begriff „comic book“ gilt ja auch als sehr abwertend. Deshalb hat sich Will Eisner ja auch den Ausdruck Graphic Novel erfunden, als er endlich mal ein Buch gemacht hat.
Du hast vorhin das Thema schreckliche Schul-Comics erwähnt. Wie würdest du auf Packeis als Unterrichtsstoff reagieren, wäre das eher befremdlich für dich?
Nein. Mein Debüt drüben! steht in einigen Bundesländern auf dem Lehrplan, in Thüringen etwa. Zumindest wird es empfohlen. Ob es Lehrer dann wirklich nutzen, weiß ich nicht. Etwas befremdlich wäre es vielleicht dahingehend, weil ich keinen didaktischen Anspruch an meine Comics habe. Ich will der Welt nichts erklären. Aber ich kann mir vorstellen, dass es funktioniert. Ich mache auch öfter Lesungen in Schulen. Vor kurzem habe ich erfahren, dass es eine Lehrerin in Honkong für den Deutschunterricht verwendet, was aufgrund des Inhalts natürlich sehr spannend ist. Was ich allerdings mit „schlimmen“ Comics meinte, war so etwas wie: „Hamlet – der Comic“ oder ähnliches. Dahinter steckt dann der Gedanke, dass die Kinder mal den echten Hamlet lesen sollen. Die Wertschätzung des Comics ist dann diese: Der Comic ist das geringst mögliche Level, auf dem man die Kinder so halbwegs abholen kann. Und das ist beleidigend gegenüber dem Hamlet und gegenüber den Comics (lacht). Ich denke, der Hamlet kommt auch ganz gut ohne Comic aus. Manche Literatur-Umsetzungen als Comics sind gut gemeint, aber nicht immer gut gemacht.
Da schmückt man sich dann mit fremden Federn, wie es auch Denis Scheck in unserem Comicgate-Interview sagte?
Gut, naja. Manchmal hat man aber auch eine Liebe für einen Text. Ich wollte etwa mal ein Theaterstück als Comic umsetzen, wo ich auch dachte, dass es eine Berechtigung für so eine Adaption gibt. Ein Regisseur kann ja ein Theaterstück auch frei interpretieren. Und in diesem Fall wäre ich eben der Regisseur. Bei einem Roman ginge das nicht so leicht. Ich habe aber gemerkt, dass ich dem nicht Herr geworden bin und dass das nicht so meine Sache ist.
Was sind drüben! und Packeis, Comics oder Graphic Novels? Oder ist das ohnehin dasselbe?
Das ist für mich ein und dasselbe. Das Problem vom Comic ist immer, dass er als Genre wahrgenommen wird und nicht als Medium. Somit denken viele sofort an lustige Geschichten oder an Superhelden. Bei meinen Vorträgen sagen ich immer ganz gerne, das wäre so, als würde man sagen, dass Filme immer Western seien. Weil der erste Film 1913 ein Western war: The Great Train Robbery. Und die ersten Comics waren Funnies und Abenteuergeschichten. Beim Film ist bei den Leuten diese Schere im Kopf irgendwann weggegangen. Das dürfte beim Comic aber auch daran gelegen haben, dass in den ersten Jahren Quantität und Qualität nicht besonders ausgewogen waren. Jahrzehnte, muss man sagen (lacht trocken).
Der Begriff Graphic Novel ist nun aber ein weiterer Genrebegriff. Und er ist total schwammig. Ich kann nicht mal genau sagen was eine Graphic Novel genau ist. Ich bin da sehr zwiespältig. Einerseits profitiere ich davon, denn meine Bücher stehen als Graphic Novels auch in den Buchhandlungen und erhalten dadurch eine besondere Aufmerksamkeit. Andererseits sehe ich den Begriff kritisch und denke: Warum kann man nicht einfach Comic sagen? Dazu fällt mir Nicolas Mahler ein. In einer Geschichte von ihm sagt ein Kunstprofessor zu ihm: „Sie verwenden ja … erzählende Bildfolgen …“ – „Sie können ruhig COMIC sagen.“ – „Ich wollte Sie nicht beleidigen.“ (lacht)
drüben! und Packeis sind ernste Geschichten. Wird dein nächster Comic wieder ein ernstes Thema behandeln?
Das wird, glaube ich, eine sehr ernsthafte, abgründige Geschichte (lacht).
Weil du so ein ernsthafter Mensch bist?
Nein, ich glaube, die Geschichte verlangt das einfach so.
Also könntest du dir auch mal was Lustiges vorstellen?
Ja, schon. Ich glaube, der Comic im Freitag, den ich mache, Vita Obscura, der ist durchaus lustig.
Was ist denn das Thema von deinem nächsten Buch?
Darüber rede ich nicht (lacht).
Ist die Arbeit als Illustrator und als Comiczeichner sehr unterschiedlich oder sehr ähnlich?
Es ist schon unterschiedlich. Denn am Comic sitze ich wirklich jahrelang dran. Muss mir Figuren überlegen, ausdenken, wie die ticken. Eine Illustration ist eine sehr schnelle Sache. Man hat zwei, drei Tage Zeit, sich einen Text anzueignen und dann die Essenz davon in ein Bild zu fassen. Das ist ein ganz anderes Arbeiten. Aber ich mache das tatsächlich sehr gerne. Ich lebe primär von der Illustration und betrachte das nicht als Broterwerb, der es mir ermöglicht, Comics zu machen. Es ist auch ganz gut, mal den Kopf freizukriegen. Manchmal sind auch Texte dabei, die einem was bringen. Ich hab mal eine Zeichnung für die FAS gemacht über Schamanismus, mit dem ich mich sonst nie beschäftigt hätte. Das war unheimlich interessant! Vielleicht hat das sogar indirekt einen Einfluss auf Packeis gehabt. Ich weiß es nicht.
In deinem Vortrag sagtest du, dass du ein politischer Mensch bist. Wie äußert sich das?
Politischer Mensch trifft es vielleicht nicht ganz. Mit dem Begriff tue ich mich immer etwas schwer. Das ist für mich jemand, der wirklich losgeht und etwas ändern will. Jemand, der in einer Partei ist. Das bin ich nicht. Ich denke, bei mir ist es eher eine Art Aufmerksamkeit. Auch ein Reagieren-müssen. Wenn jemand Unsinn redet, dann rede ich dazwischen (lacht).
Ein Klischee über die DDR ist, dass die Bildung dort besser, der Zusammenhalt größer und das politische Interesse höher war – du selbst betrachtest dich nicht als Ex-DDR Bürger. Was meinst du dazu?
Ich glaube, das ist ein Mythos. So wie es viele Mythen über BRD und DDR gibt. Ich behaupte einfach mal, das ist Quatsch (lacht).
Mich hat überrascht, dass du während deiner Lesung tatsächlich aus Packeis vorgelesen hast. Wäre das ein Thema: ein digitaler Comic, ein Hörbuch?
Ich hatte dazu tatsächlich mal ein Gespräch mit einem Radio-Redakteur. Aber es ist nichts daraus geworden. So ein Hörspiel fände ich spannend. Christian Möller, der einige Rezensionen zu meinen Büchern fürs Radio produziert hat hat, ließ Schauspieler einige Passagen aus meinen Comics sprechen – ich finde das ganz reizvoll.
In deinem Vortrag hast du dich dazu geäußert, dass es in Packeis einige Passagen ganz ohne Text gibt. Begründet hast du das damit, dass du nicht genau wusstest, was die Figuren in den gezeigten Situationen wohl gedacht haben mögen.
Das stimmt so nicht . Ich wollte es für den Leser offen lassen, damit er gezwungen ist, zu partizipieren und durch das Handeln der Personen ihre Motivation selbst mit seinen Gedanken füllt.
Ist in Packeis für dein Empfinden eher noch zu viel Text vorhanden?
Nö, das ist so, wie ich es haben will. Ich habe aber auch durchaus gestrichen. Und manchmal musste auch ein Bild rausgenommen werden, weil es nicht funktioniert hat. Ich streiche allerdings eher Text als Bild.
Sind dir persönlich die Themen USA und Rassismus sehr wichtig, beides ja zentrale Themen in Packeis?
Nicht unbedingt. Ich bin ein großer Blues-Fan. Mich hat vor allem die Biographie von Henson sehr interessiert. Rassismus ist bei dieser Geschichte natürlich eine wichtige Komponente, aber für mich ist es nicht die Hauptsache. Es ging mir primär um die unterschiedlichen Geschichtswahrnehmungen, von denen am Ende nur eine überlebt hat.
Henson geriet in Vergessenheit. In deinem Vortrag nanntest du Zeichner der 1950er Jahre als deine Einflüsse. In dieser Zeit war es nicht üblich, die Namen von Autoren und Zeichnern überhaupt zu nennen. Disney-Comics wurden als Werke von Walt Disney vermarktet usw. Ist das auch etwas, worüber du für Packeis nachgedacht hast: Wie werde ich wohl in 50 Jahren noch wahrgenommen werden?
Nee. Ich freue mich immer über alle positiven Reaktionen auf meine Bücher, aber ich sehe es auch ambivalent und sage mir: Na ja, das ist eben jetzt so. Das nächste Buch kann auch voll gegen die Wand gehen. Das drüben! kam sehr gut an. Als ich an Packeis saß, war ich fest davon überzeugt: Das wird ein Mega-Flop! Das will niemand lesen. Und dann lief es sogar besser als drüben!. Nun sitze ich am dritten Buch. Vielleicht wird’s besser, vielleicht auch nicht. Es muss ja nicht unbedingt verrissen werden, vielleicht produziere ich auch einfach Mist (lacht). Es gibt z. B. bei drüben! Seiten, da würde ich heute sagen, das würde ich anders zeichnen und besser machen. Das hätte ich sogar schon damals besser machen können. Aber in dem Moment, an dem Tag, war es das Beste, was ging! Das kann ich dann gut akzeptieren. Es ist dann abgeschlossen.
War die Arbeit an drüben! und Packeis unterschiedlich?
Die war bei beiden gleich.
Hast du Ambitionen, mal ganz anders zu zeichnen als bisher?
Ja, ich versuch‘s (lacht). Für das neue Buch wird man schon noch meinen Stil erkennen. Den kann ich auch nicht ablegen. Aber ich glaube, es wird schon ein bisschen … anders. Wie, kann ich noch nicht sagen. Das ist auch ein Entwicklungsprozess. Ich bin gerade erst an den ersten Seiten. Da sie stilistisch etwas anders sind, kann ich mir auch vorstellen, dass die am Ende in der Tonne landen und ich das neu machen muss, bis es so ist, wie ich es haben möchte.
Ich war kürzlich bei einer Signierstunde von Tyler Kirkham. Bei einigen der US-Zeichner fällt auf, dass sie bereits bei den Terminen Zeichnungen verkaufen. Kirkham etwa verkauft zusätzlich im Internet Originale. Wäre das auch für dich denkbar?
Mich hat noch nie jemand gefragt. Wenn mich jemand fragen würde, klar, könnte man drüber reden.
Gehst du auch auf Signier- und Zeichentour?
Das mache ich sehr oft. Ich halte viele Vorträge und da signiere ich dann auch.
Packeis wird auch in Frankreich erscheinen. Welche Länder sind noch interessiert?
In Frankreich ist bereits drüben! erschienen und Packeis wird im Herbst dort veröffentlicht. Zu anderen Ländern laufen noch Gespräche. Das zu verkünden, überlasse ich meinem Verleger.
Wie ist es für dich, Teil der deutschen Comicszene zu sein? Dein avant-Kollege Felix Pestemer meinte, dass er durchaus Kontakte zu anderen Comickünstlern hat. Eine besonders starke Zusammenarbeit sei allerdings nicht angedacht. Wie ist das bei dir, tauschst du dich viel mit anderen Künstlern aus?
Das ist bei mir auch nicht so ausgeprägt. In Hamburg gibt es natürlich sehr viele Comickünstler. Alles zum Thema Graphic Novels sind ja fast nur Hamburger: Sascha Hommer, Arne Bellstorf, Isabel Kreitz usw. Man kennt sich, aber ich bin nicht so eng mit ihnen befreundet. Ich habe viele Freunde aus dem Studium, die als Illustratoren arbeiten, aber nicht an Comics.
Was meinst du zum Thema Computer als Hilfsmittel? Ich hatte darüber mit Achdé geredet und er lobte Zeichner wie Franquin oder Jean Giraud/Mœbius für ihre Zeichnungen von Hand, auch und gerade weil darin Fehler sind …
… aber Mœbius hat zum Schluss nur noch am Computer gezeichnet.
Bei den frühen Blueberry-Comics aber wohl nicht. Jedenfalls könnten durch zu viel Computereinsatz manche Zeichnungen kalt wirken. Was meinst du dazu?
Nach der Optik kann ich das nicht beurteilen. Als Illustrator bin ich manchmal aufgrund von Zeitdruck gezwungen, den Computer zu benutzen, weil es einfach schneller geht. Aber das macht mir einfach nicht so viel Spaß. Ich mag es, mir mit Kohle oder Pinsel die Finger dreckig zu machen.
Ist die Wirkung einer Zeichnung anders, wenn man sie am Computer erstellt?
Ja. Wie soll ich das sagen? Man merkt das ja schon, wenn man schreibt. Man schreibt heute viel weniger von Hand als dass man tippt. Man merkt schon, dass man eine ganz starke Bindung an das Papier hat. Einen konkreten Kontakt. Das fällt mir beim Zeichnen natürlich noch leichter als von Hand zu schreiben. Aber es ist unmittelbarer. Ich kann das ganz schlecht beschreiben, habe es aber auch schon von vielen anderen gehört. Diese Glasscheibe sorgt irgendwie für eine Distanz.
Hast du eine Hemmschwelle, sei es als Autor oder als Leser, dich mit E-Books zu beschäftigen?
Das interessiert mich nicht so, weil ich das Buch als Objekt mag. Papier hat einen Geruch. Es hat auch ein Gewicht. Das gesamte Programm von avant ist auch darauf angelegt, etwa, dass gutes Papier verwendet wird. Das ist mir sehr wichtig! Bei Superhelden-Heften und Mangas, die wie eine Daily Soap sind, funktionieren E-Comics aber, denke ich. Etwas, das man sich dann in zwei Jahren auch nicht noch mal durchliest.
Ich glaube, es gibt eine digitale Version von Cash von Reinhard Kleist, in dem auch die Songs von Johnny Cash eingepflegt sind. Aber ich würde lieber das Buch haben wollen, denn sonst müsste ich ja lesen und die Musik hören … das ist mir irgendwie zu … (lacht). Ich bin vielleicht nicht so gut im Multitasking. Anders wäre das bei reinem Text, bei einem Buch als E-Book hätte ich, glaube ich, gar keine Probleme.
Nun kann man auch Comics und andere Medien miteinander verknüpfen, so wie etwa bei Atlantic 12 von Francois Schuiten. Wäre das für dich interessant? Du interessierst dich für Blues, wäre das ein Ansatz? Vielleicht auch das Medium Film?
Müsste man gucken, was sich ergibt.
Hast du bei Packeis über eine Verfilmung nachgedacht?
Wenn ich so etwas mache, dann denke ich nicht über einen Film nach.
Benjamin Schreuder, der Autor von Steam Noir, widmet sich inzwischen mehr dem Medium Film, auch weil es dafür gute Möglichkeiten gibt, Fördergelder zu bekommen und es somit vielleicht mehr Sicherheit bietet als Comics. Bei dir scheint es mit den Comics allerdings sehr gut zu laufen?
Das kann sein. Ich kann mich allerdings überhaupt nicht beschweren. Da habe ich echt viel Glück. Ich denke allerdings mehr in Sequenzen und nicht in den bewegten Bildern eines Films. Mich interessiert, was zwischen den Panels passiert.
Warum ist drüben! so ein Erfolg? War das ein Zufall oder hattest du da ein besonders gutes Gespür dafür, was gerade in der Luft lag?
Einerseits war das meine Diplomarbeit 2009. Dafür galt die Richtlinie: Man darf nichts als Diplomarbeit verwenden, was bereits vorher veröffentlicht wurde. Deshalb kam es zwangsweise erst 2009 raus. Das war glücklicherweise gerade das 20. Jubiläum der Maueröffnung von 1989. Dadurch hat es, denke ich, eine große Aufmerksamkeit bekommen. Außerdem wurden bereits vorher die Bücher von Sascha Hommer und Arne Bellstorf in der FAZ besprochen. Die Feuilletons waren schon etwas offener damals. Es gab einen Nährboden. Und durch das Thema DDR haben es sicher auch noch Medien aufgegriffen, die sonst nicht über Comics berichten würden. Das war sicher auch Glück. Mehr kann ich dazu nicht sagen, denn drüben! läuft ja seitdem weiterhin gut. Es ist jetzt in der fünften Auflage erschienen. Der Witz ist: Ich kenne meine Leser nicht. Ich weiß nicht, wer meine Bücher liest.
Und soziale Netzwerke oder so bringen dir darüber auch keine Erkenntnisse, ist das kein Thema für dich?
Nein, bis auf meine Homepage bin ich eher analog.
Die Buchlust bietet ja Kontakt zu Lesern …
Ja. Ich weiss gar nicht, ob das meine typischen Leser sind. Hier sind es sicher überwiegend, ich sag mal so, klassische Bildungsbürger. Oder ist mein typischer Leser der klassische Comicnerd? Oder jemand, der sonst nie einen Comic anrühren würde? Keine Ahnung! Aber zumindest gibt es ja wohl Leser (lacht).
Kommt denn Feedback dazu von deinen Verlag?
Eigentlich nur auf Messen. Es gibt keine Fanpost oder so.
Also nutzt du Facebook und solche Dienste nicht?
Nein. Ich habe eine Homepage. Und ich müsste das eigentlich auch mal machen … (lacht)
Ich produziere meine Bücher aber auch nicht für einen bestimmten Markt oder eine genaue Zielgruppe. Deshalb ist es vielleicht auch gut, dass ich meine Leser nicht kenne. Denn so mache ich Comics, die ich auch selbst lesen würde. Da greife ich dann vielleicht auch mal voll daneben, aber ich mache was, das mich überzeugt.
Dann biederst du dich nicht bei den Lesern an.
Ja, genau. Und das macht die Arbeit für mich reizvoller, an dem zu arbeiten, was mich interessiert. Und wenn ein Buch nicht gut läuft, dann lebe ich immer noch von meinen Illustrationen.
Bald, nämlich 2014, nähert sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum hundertsten Mal. Wäre das auch ein interessantes Thema für dich? Nicht, dass ich dir etwas einreden möchte, aber es wäre ja ein düsteres, ernstes und spannendes Thema.
(überlegt) Ich will noch nichts über das neue Buch verraten. Ich sag mal: jein. Also, der Comic handelt nicht vom Ersten Weltkrieg. Vielleicht kommt es ja darin vor, aber das ist kein Thema, das mich persönlich besonders interessiert.
Du magst Blues und spielst Saxofon – böte sich das als Thema an?
Darüber habe ich schon nachgedacht, als ich dieses Theaterstück umsetzen wollte, weil es da auch viel Musik gibt. Das ist spannend. Im Comic gibt es alles, außer Musik und Ton. Und wie stelle ich Ton dar? Aber da ist mir noch nicht die passende Geschichte gekommen. Über Blues und Jazz gibt es Comics. Das ist aber meist super-klischeebeladen. Das ist oft so idealisiert. Und ich habe Angst, in diese Falle zu tappen, weil es sehr bequem ist, dahin zu gehen. Ich mache gerne Geschichten, wie über Henson bei Packeis, wo ich weiß: da kommt auch kein anderer drauf. Ich weiß nicht, ob das andere Zeichner auch haben, aber ich lebe immer zweieinhalb Jahre in der Panik „Hoffentlich macht nicht gerade jemand anders was zum gleichen Thema!“ (lacht)
Zum Thema Klischee und dem Zwang, im Comic mitunter vereinfachen zu müssen und in Schwarz und Weiss zu denken, fällt mir ein, was mir Colin Wilson im Interview erzählte: Im Mainstream wird das oft so vorgegeben. Von solchen Zwängen bist du frei, oder?
Das mag ich auch. Die Figur des Peary etwa ist ein Unsympath im Comic. Aber er hat auch Seiten, in denen er einem sympathisch ist. Der hat auch seine Zweifel. Er ist auch am Jammern. Dadurch werden Figuren ja auch erst glaubwürdig. Guck mal, mich muss eine Geschichte zweieinhalb Jahre lang interessieren! Wenn ich dann nicht dahinterstehe, würde das Buch nie fertig werden. Etwas Kommerzielles? Eine Auftragsarbeit machen? Das müsste schon sehr gut bezahlt sein, damit ich das mache (lacht).
Spielst du denn live mit deiner Band?
Zur Zeit nicht. Aber es gibt das komplette Album auf Facebook … da gibt es dann mal Facebook (lacht)! Wir sind seit gut einem Jahr nicht mehr gemeinsam aufgetreten. Ich glaube das stirbt gerade so etwas. [Anm. d. Red.: Laut Simon Schwartz hat sich die Band mittlerweile aufgelöst.]
Zu dem Thema, seine Leser nicht zu kennen, fällt mir ein, was Lutz Mathesdorf mir sagte: Das Schönste für ihn sei es, auf Menschen zu treffen, die seine Comics lesen! Dir ist das weniger wichtig?
Oh, doch, sehr. Es ist nur oft so: Die meisten Leute, die ich treffe, kaufen das Buch gerade erst. Ich erfahre also eher selten wie sie es fanden. Ich hatte mal ein tolles Erlebnis in Erlangen. Da kam ein kleines Mädchen, vielleicht 7 oder 8 Jahre alt und wollte drüben! signiert haben. Ganz schön komplex für das Alter! Sie meinte aber, das hat sie in der Buchhandlung gesehen, es hat sie interessiert und sie hat es gelesen. Die war total fit in dem Buch! Das war toll! Und 2012 war sie dann wieder ein Erlangen! Und jetzt hatte sie schon Packeis, war schon etwas älter, hatte einen Freund. Ich bin schon gespannt, sie in zwei Jahren wiederzusehen …
… da ist sie dann vielleicht Comiczeichnerin.
Ja, vielleicht (lacht). Das war so was von schön!
Ich behaupte mal, Frauen sind im Comic gewaltig auf dem Vormarsch. Lutz Mathesdorf hatte erzählt, dass zu einem Zeichenkurs von ihm fast ausnahmslos Mädchen erschienen sind. Kannst du diesen Eindruck bestätigen?
Ich habe mit sehr vielen Frauen studiert! Auf jeden Fall. Frauen haben eher Comics gemacht als die Typen. Begründen kann ich das nicht. In Hamburg etwa unterrichtet Anke Feuchtenberger. Sie hat in den Neunzigern sehr frauenbewegte Sachen gemacht. Aber ihre Studentinnen machen das nicht unbedingt. Die machen völlig andere Sachen. Aber sie ist sehr charismatisch und das wirkt dann vielleicht auch anziehend. Vielleicht nimmt das Frauen die Hemmschwelle vor der vermeintlichen Männerdomäne Comic, wenn es eine weibliche Professorin gibt, die Comics macht. Und es gibt richtig gute deutsche Comiczeichnerinnen: Isabel Kreitz, Anke Feuchtenberger, Line Hoven, Marijpol, Birgit Weyhe, die letzten beiden sind auch beim avant-Verlag. Da gibt es noch viel mehr, die ich kenne, die aber noch bei keinem Verlag untergekommen sind. Da sage ich, das wird Zeit! Ich find’s auch tatsächlich oft spannender, als das, was die Typen machen. Aus dem gleichen Grund, aus dem ich vorhin Atak und andere gelobt hatte, weil sie nämlich kein Comic-Vorwissen hatten. Sie wuchsen nicht damit auf. Comics sind eher ein Jungs-Medium. Wir haben alle Batman oder Asterix gelesen. Und das haben die Mädchen nicht unbedingt. Somit fangen sie quasi bei Null an und somit etwas frischer und unbelasteter von Klischees und Stereotypen. Allerdings gibt’s auch wieder einen Wechsel. Ich unterrichte ja auch. Da merke ich, dass jetzt viele Mädchen aus dieser Mangaecke kommen. Das ist eine Generation die nochmal um eins jünger ist als ich. Da merke ich dann, wie sehr sie Mega-Scheuklappen haben. Jetzt wiederum kippt es und die Jungs machen die interessanteren Comics, denn in ihrer Kindheit gab es keine Comics, sondern nur Mangas für Mädchen, die sie nicht interessiert haben.
Es gibt natürlich auch immer andere Arten von Mangas.
Ja, aber diese Sorte Mangas war dominierend, während bei meiner Generation Asterix oder so dominiert hat. Bei diesen Mangazeichnern erinnert mich das an Ikonenmalerei. Es muss immer alles exakt gleich aussehen. In den Handlungen finden sich viele Stereotypen. Weil die Mangas, die sie früher gelesen haben … das waren die Mädchen, die früher Wendy gelesen haben. Oder die Gartenlaube. Die richtig innovativen Meister haben sie nicht unbedingt gelesen. Was auch hängengeblieben ist: Was zählt, ist eher die Optik und weniger die Handlung. Bei der Frauengeneration Mitte 20 bis Anfang 30 gibt es aber viele tolle Künstlerinnen und ich hoffe, dass da noch viele Bücher kommen!
Manga ist für dich etwas, das du ablehnst?
Das nicht, aber das meiste interessiert mich einfach nicht. Das meiste, was in Deutschland an Mangas veröffentlicht wird, ist wie eine Daily Soap.
Vielen Dank für das Gespräch!
Homepage von Simon Schwartz
drüben! beim Avant-Verlag
Packeis beim Avant-Verlag
Comicgate-Rezension von drüben!
Mehr Eindrücke von Stefan Svik zur Buchlust 2012 im Artikel beim Comic-Report
Abbildungen: © Simon Schwartz
Fotos: © Stefan Svik