Zum diesjährigen Comic-Salon in Erlangen verabredeten wir uns mit Sascha Hommer, der sich vor allem durch seinen 2006 erschienenen Comic Insekt (Reprodukt), aber auch durch seine Arbeit als Verleger der Comic-Anthologie ORANG hervorgetan hat. Wir sprachen mit ihm über sein Werke, über das Leben als Künstler und über die Sinnhaftigkeit einer Ausbildung als Illustrator.
Inhalt:
Multiple Persönlichkeiten? / Das Zeichnen war schon immer da / Das Insekt kommt nach Hamburg: ORANG /Auf eigenen Wegen / Keine Veranstaltung für Insider / Insekt / In Zukunft ?
Multiple Persönlichkeiten?
Comicgate: Hallo Sascha, steigen wir gleich direkt mal ein: Als ich mich auf dieses Interview vorbereitet habe, fand ich zunächst widersprüchliche Informationen über dich auf deiner Homepage und auf anderen Internetseiten: Während man in deiner Biographie, die auf butterbiene einzusehen ist, lesen kann, dass du im Schwarzwald geboren wurdest, findet man auf Wikipedia ganz andere Informationen. Dort steht, du seist in Hamburg geboren, aber im Schwarzwald aufgewachsen, stimmt das?
Sascha Hommer: Das ist natürlich falsch. Ich bin nicht in Hamburg geboren, sondern im Schwarzwald. Nach Hamburg bin ich erst 2001 gezogen und war vorher noch nie dort.
CG: Da scheint ja eine Vielzahl von Fehlern online über dich zu existieren. Auf lambiek.net steht zum Beispiel, dass Pascal D. Bohr dein richtiger Name sei und Sascha Hommer das Pseudonym. Solche Fehler willst du nicht klären oder ist dir das schlichtweg egal?
SH: Ich denke nicht, dass es meine Aufgabe ist, das zu klären. Das müssen die schon selber recherchieren. Es ist mir auch eigentlich egal, ob das da steht.
CG: Kommen wir aber erstmal zurück in den Schwarzwald. Das Thema „Natur“ hat dich in Insekt ja stark beschäftigt. Resultieren diese Eindrücke aus deiner Heimat?
SH: Auf jeden Fall. Als Kind bin ich sehr viel in der Natur gewesen und habe auch als Jugendlicher sehr viel Zeit im Wald verbracht, manchmal tagelang. Da hat man dann seine Zeit mit Zelten, Feuermachen vertrieben und manchmal hat man sich auch ein Süppchen gekocht.
CG: Dann stellt eine Stadt wie Hamburg das komplette Gegenteil dazu dar?
SH: Ja, am Anfang war es erstmal schwierig, das Stadtleben zu verstehen oder anzunehmen. Aber da ich dann kurz nach der Schule ein paar Reisen unternommen hatte nach Südostasien war ich bereits gewöhnt an Städte und fand Hamburg dann gar nicht mehr so groß und erschreckend, sondern eigentlich ganz niedlich und eher provinziell.
CG: Bist du dann gleich nach dem Abi zur Kunsthochschule? Hast du dich für die HAW (Hochschule für angewandte Wissenschaften) bewusst entschieden? Als du angefangen hast war sie ja noch nicht wirklich Anke Feuchtenbergers Hochschule für Comics.
SH: Da ich damals noch nicht genau wusste, was ich mit meinem Leben anfangen sollte, habe ich zuerst eineinhalb Jahre Freie Kunst an der privaten Kunsthochschule Nürtingen EV studiert. Das war aber eher so eine Notlösung, denn obwohl ich wusste, dass ich zeichnen wollte, wusste ich nicht genau, was das werden soll. Die Richtung, in die ich mich dabei bewegen wollte, war mir noch unklar. An der kleinen Kunsthochschule hatte ich Glück mit einem Dozenten, der sich ein wenig mit Comics auskannte. Nach einem Jahr habe ich dann gemerkt, dass Freie Kunst gar nicht das ist, was ich machen will. Eigentlich wollte ich damals schon Comics zeichnen. Das hatte bereits als kleiner Junge getan, so bis zur fünften oder sechsten Klasse, und die dann an meine Freunde verkauft. Doch irgendwann habe ich damit aufgehört.
CG: Durch was wurdest du in der Jugend dazu inspiriert, Comics zu machen oder hast du damals selbst schon Comics gelesen?
SH: Als ich so zehn Jahre alt war, habe ich Clever & Smart und MAD gelesen. Gleichzeitig wurde ich auch stark durch das Fernsehen beeinflusst, z.B. durch Knight Rider. Das hat sich dann alles so gemischt und es entstand mein erster eigener Comic: KAH: Kommissar Albert Humbert. Das ist so ein Kommissar, der ein bisschen blöd ist, wie man das von Clever & Smart kennt. Es gab da natürlich auch viele andere Figuren in dem Comic, wie z.B. den genialen Erfinder Strich und das Superauto KAHSA (Kommissar Albert Humberts Super Auto), das ständig Witze machte und KAH reinlegt. Also eine Mischung aus vielen verschiedenen Einflüssen. Das Heft konnte man sogar abonnieren. Es hatte eine Auflage von 15 Stück pro Ausgabe und die erschien fast alle zwei Monate. Eineinhalb Jahre habe ich das regelmäßig gemacht. Doch dann kam die Pubertät und ich hatte nicht mehr den Anspruch, das weiter zu machen.
Das Zeichnen war schon immer da.
CG: Andere Sachen wurden wichtiger?
SH: Ja, damals hatte ich begonnen, Musik zu machen. Ich habe mit 14 eine E-Gitarre geschenkt bekommen und zwischen 16 und 18 habe ich dann nur noch Musik gemacht. Als ich dann 18 war, habe ich überlegt, was ich mit meinem Leben anfangen will, welchen Beruf ich wählen soll. Als Musiker hätte ich vielleicht arbeiten können, aber das Zeichnen war halt schon immer da, die Musik kam erst später. Das Zeichnen ist eigentlich die eine Sache, die ich wirklich kann. Deshalb habe ich dann auch wieder angefangen, sehr konzentriert zu arbeiten, sehr systematisch versucht, mir Anatomie beizubringen, mit idiotischen Methoden: Ich habe mir diese Bücher gekauft, wie Gottfried Bammes – Künstleranatomie. Das nutzt aber alles nichts.
CG: Und wie sieht es aus mit Hogarths Zeichenschule?
SH: Genauso! Wenn man sich nur darauf konzentriert, ist das sinnlos. Wenn man direkt am Modell arbeitet z.B. in Aktkursen und die Bücher als Ergänzung hat, um Sachen nachzuschlagen, ist das sehr gut. Aber du kannst dir nicht so ein Buch nehmen und lernen, wie man anatomisch korrekt zeichnet. Das Zeichnen von der Natur weg ist der beste Weg, um das zu verstehen. Das habe ich in der Kunstschule tatsächlich gelernt, deswegen war die Zeit dort auch nicht verschwendet, aber im Prinzip wollte ich eben Comics machen. Nach einem Jahr habe ich gemerkt: das was ich da machen will, heißt gar nicht Kunst. Nach einer längeren Recherche musste ich feststellen, dass es Comicstudiengänge nur im Ausland gab. In ein französischsprachiges Land wollte ich aber nicht, da ich Französisch als Sprache nicht leiden kann. Dann habe ich Anke Feuchtenberger entdeckt, als ich das Schweizer Comicfest Fumetto in Luzern besuchte. Obwohl Anke Sachen gemacht hat, die ganz anders waren als das, was ich damals selbst gemacht habe, hatte ich das Gefühl, ich muss zu ihr (Ich habe damals Fantasycomics á la Richard Corben gezeichnet). Also war meine Entscheidung für Hamburg schon bewusst getroffen. Kurze Zeit später war ich dann zu einem Vorgespräch in Hamburg und habe Anke ein paar Sachen von mir gezeigt. Sie meinte gleich, dass sie sich das vorstellen könne. Also habe mich dann gezielt für die HAW beworben.
CG: Du hast aber trotzdem das ganz Prozedere mit Mappen und Bewerbungen durchlaufen müssen?
SH: Ja, ja klar. Aber da ich sowieso schon an der Kunsthochschule war und mein Dozent sich mit Comics auskannte, hat er mich gut beraten. Es war also keine große Hürde mehr, außerdem hatte Anke mir ja auch schon gezeigt, was passt und was nicht.
Das Insekt kommt nach Hamburg: ORANG
CG: Dann kam das Insekt nach Hamburg und hat sich da komplett fremd gefühlt. Wie stellt man sich als junger Zeichner das Leben an einer Universität wie der HAW – an der Comics auf dem Lehrplan stehen – vor? Liest man die ganze Zeit Comics? Wie sieht der Unterricht aus?
SH: Es ist immer die Frage, wie man mit der Universität, oder besser mit dem was man vorfindet, umgeht. Für mich war es von Anfang an so, dass ich mit extrem viel Ergeiz nach Hamburg kam und dachte, jetzt geht es richtig los und war dann eigentlich eher enttäuscht von dem, was ich da vorfand. Ich hatte gedacht, dass es da viel mehr Studenten gibt, die im Comicbereich arbeiten, eigene Fanzines herausgeben und so. Es gab aber nur ein Fanzine: Strichnin. Das gefiel mir aber nicht so besonders. Wegen meines großen Ergeizes habe ich dann immer gesagt: Alles scheiße hier!
CG: Das kam bei den anderen Studenten bestimmt gut an.
SH: Bis irgendjemand dann zu mir gesagt hat, ja wenn alles so scheiße ist, dann mach halt ein eigenes Magazin. Und dann musste ich das auch machen.
CG: Und aus dieser Motivation heraus entstand ORANG?
SH: Ja, dann habe ich ORANG gegründet. Was zu Beginn nur so als ein billiges Kopierheft gedacht war, wurde zu einer Plattform für Studenten, auf der sie ihre Werke veröffentlichen konnten. Das Projekt war auch dazu gedacht, das Studium mit anderen Mitteln im Privaten fortzusetzen. Wir hatten damals noch ziemlich viel Freizeit an der Uni, wenig Pflichtkurse, die man besuchen musste. Mittlerweile hat sich das mit dem Bachelor/Master-System etwas geändert. Obwohl ich die Freiheit an der Schule sehr geschätzt habe, fand ich es viel zu wenig Anforderung. Aus diesem Grund wollt ich privat auch über die Arbeiten reden. In den Kursen ging das nicht immer so gut: Die Lehrer mussten viel zu sehr darauf achten, die Studenten nicht zu verletzen. Im Privaten war es dann schon eher möglich den Leuten auch mal ins Gesicht zu sagen, dass es scheiße ist, was sie da machen. So was habe ich damals gesucht.
CG: Du hast gerade über die Lehrer an der HAW gesprochen. Wie muss man sich Anke Feuchtenberger im Seminar oder in der Vorlesung vorstellen?
SH: Es sind Seminare, in denen Anke den Studenten Aufgaben stellt, die diese dann zuhause bearbeiten und anschließend zum Unterricht mitbringen. Dort werden sie der Reihe nach, Student für Student, diskutiert.
CG: Die Bewertungen dieser Arbeit sind dann meist wohlwollend?
SH: Nicht zwangsläufig wohlwollend, aber Anke würde wegen ihrer Herangehenswiese halt nie direkt Leute beleidigen. Das wäre ja auch nicht angebracht. Es ist ja auch nicht ihr Beruf Leute runterzuputzen, sondern Studenten zu unterstützen in dem, was sie machen. Ihren Unterrichtsstil finde ich sehr beeindruckend, weil es ihr gut gelingt, auf die Leute im Einzelnen einzugehen. Sie hat eine Fähigkeit, die vielen anderen Professoren fehlt: Wirklich wahrzunehmen, was die Leute selber wollen und nicht nur das eigene Bild davon wahrzunehmen.
CG: Trotzdem hat man manchmal das Gefühl, dass die Feuchtenberger-Schule viele Studenten beeinflusst.
SH: Ja, das sieht man oft. Aber durch die ganze Arbeit an ORANG, bei der uns Anke unterstützt hat – sie ist z.B. mit mir in die Druckerei gefahren, als wir ORANG zum ersten Mal per Offset gedruckt haben -, habe ich gemerkt, dass sie sehr wohl in der Lage ist, Sachen zu unterstützen, die ganz anders sind als das, was sie selbst macht.
CG: Sie ist dann so richtig ab Ausgabe vier bei ORANG eingestiegen?
SH: Genau. Da hat sie gleich einen Beitrag gemacht. Ich glaube, dass sie ab Ausgabe drei das Gefühl hatte, dass es sich bei ORANG um ein lang anhaltendes Projekt handelt, in das es sich lohnt, Zeit zu investieren.
CG: Mir ist bei ORANG aufgefallen, dass du nicht unbedingt in jeder Ausgabe mit einem Beitrag vertreten bist. Du bist mehr mit der Organisation beschäftigt. Du hast Ausgabe sechs und sieben zu Reprodukt gebracht. Wie lässt sich diese Position mit der Figur in Insekt, dem schüchternen Jungen vom Land verbinden? Hast du jetzt mehr die Rolle des Leitwolfs übernommen? Jemand, der sich um die Organisation eines gesamten Heftes kümmert, kann doch kein Außenseiter sein?
SH: Sicher beinhaltet Insekt viele Dinge aus meiner Vergangenheit. Die Rolle, die man selbst spielt, ändert sich aber auch im Laufe des Lebens. Gegen Ende meiner Schulzeit war ich wirklich dieser Außenseiter. So etwas wie ORANG zu machen, war für mich auch ein Weg, mit anderen Leuten klar zu kommen. Das ist halt einfach ein Projekt, über das man Leute kennen lernt und auch lernt, mit ihnen zusammen zu arbeiten. Wie meine jetzige Rolle aussieht, das muss jemand anderes beantworten. Aber ich mache das ja auch nicht allein. Arne Bellstorf mischt viel mit, kümmert sich um die Internetseite und das Layout. Auch andere Hamburger investieren viel Arbeit in ORANG, für die sie auch nicht bezahlt werden.
CG: Bei meiner Recherche habe ich nichts über deinen Abschluss gefunden. Wann bist du fertig geworden?
SH: Ich habe keinen Abschluss gemacht.
CG: Das heißt, du bist noch an der Uni?
SH: Nein, ich bin exmatrikuliert. Ich hatte keine Lust mehr zu studieren und auch keine Lust mehr die Studiengebühr zu bezahlen, deswegen habe ich keinen Abschluss.
CG: In Hamburg wurde ja auch gegen die Studiengebühren protestiert. War die HAW auch davon betroffen?
SH: An unserer Schule ist nicht soviel passiert, man ist da eher unpolitisch und verpennt. Aber an der HfBK, da ist fast die Hälfte der Studenten exmatrikuliert worden, da sie die Studiengebühren nicht akzeptieren wollten. Da hat der Senat sie einfach rausgeschmissen.
CG: Aber um noch einmal auf den Abschluss zurückzukommen: Beeinträchtigt dich das in keiner Weise? Es gibt jetzt keinen Arbeitgeber, der sagt, wir würden schon gerne sehen, dass sie einen Abschluss haben?
SH: In dem Illustratorenberuf ist das ziemlich egal, da es sowieso so viele Quereinsteiger gibt, die alle nicht studiert haben. Ein international bekannter Illustrator wie Stefano Ricci hat auch nie studiert [Anmerkung der Redaktion: Ricci unterrichtet derzeit an der HAW]. Das ist eigentlich egal. Das Studium ist eher dazu da, in bestimmte Strukturen reinzukommen und um Leute kennen zu lernen, Leute mit denen man gut zusammenarbeiten kann. Was ja bei mir auch gut geklappt hat. Vielleicht mach ich den Abschluss auch noch nachträglich irgendwann. Vielleicht möchte ich ja auch irgendwann selber Professor werden, dafür könnte ein Abschluss nützlich sein.
CG: Kannst du dir vorstellen, selber Kurse zu geben?
SH: Vorstellen kann ich mir das schon, da ich ja auch schon durch ORANG die Arbeiten von anderen bewerten musste. Ich habe halt gemerkt, dass es mir gut liegt, über die Arbeiten von anderen zu sprechen. Man lernt irgendwann, nicht nur alles scheiße zu finden, sondern auch die Leute zu ermutigen. Ich finde gerade die Entwicklung von jungen Studenten faszinierend. Das geht so schnell. Gerade bei jemandem, der gerade mit dem Studium beginnt, können sich die Arbeiten innerhalb von einem oder zwei Jahren total verändern. Als ich noch selbst Student war, habe ich das nicht so wahrgenommen.
CG: Wenn man selbst diese Stadien durchlaufen hat, weiß man sicherlich besser, wann man helfen muss und wann jeder selber daran arbeiten muss. Nimmst Du viel Einfluss bei ORANG, gerade von der künstlerischen Seite? Liest du die Geschichten vorher an?
SH: Das hängt jeweils von den Künstlern ab. Es gibt Zeichner, die das eher wollen, dass man ihnen reinredet und ihnen Themen oder Ideen vorgibt. Andere Zeichner wiederum können so gar nicht arbeiten, die weichen Themen konsequent aus, wenn man ihnen welche vorschlägt. Das ist von Fall zu Fall verschieden. Aber wir machen schon Redaktionssitzungen, wo dann die einzelnen Arbeiten besprochen werden. Wo auch nach den Schwächen in der Erzählung geschaut wird. Es ist mir auch ganz wichtig, dass Comiczeichnen ein Handwerk ist. Das befindet sich nicht irgendwo so in einem luftleeren Raum, es ist keine reine Selbstbetrachtung, sondern richtet sich an einen Adressaten.
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Auf eigenen Wegen
CG: Nach der Uni hast du dich dann mit Kikipost Deinen eigenen Projekten zugewandt. Bist du mit der Arbeit, die du und Arne machen, zufrieden?
SH: Also eigentlich nicht, weil wir beide zu wenig Zeit haben, um unsere Projekte professionell zu betreuen. Es hat gut angefangen, aber dann haben wir irgendwann bemerkt, dass wir keine professionelle PR machen können, dafür sind zwei Leute einfach zu wenig. Es ärgert uns zum Beispiel, wenn ein Buch Erfolg hat. Dann müssen wir ständig mit der Presse telefonieren, wofür wir neben unseren eigenen Projekten nur wenig Zeit haben. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, in Reprodukt aufzugehen. Wir sind dann sozusagen ein Unterlabel von Reprodukt. Obwohl es Kikipost auch in Zukunft als Produktionsgemeinschaft von Hamburger Künstlern geben wird, erscheinen unsere Comics bei Reprodukt. Kikipost wird auch weiterhin für die Interessen der Hamburger Künstler stehen und z.B. wieder das Comicfest Hamburg organisieren, das im kommenden Dezember stattfinden wird.
Keine Veranstaltung für Insider
CG: Ansonsten scheinst du in allen Printmedien gleichzeitig zu arbeiten: Es gibt den Zeitungsstrip Im Museum mit Jan Frederik Bandel, du zeichnest Comics für literaturwissenschaftliche Publikationen wie das Schreibheft und Kultur und Gespenster, als Herausgeber von Spezialausgaben des Comicmagazins Strapazin arbeitest du auch. Du scheinst deine Fühler in alle Richtungen auszustrecken. Aber wenn ich deine Comics in Publikationen wie dem Schreibheft sehe, ist das zunächst etwas ungewohnt.
SH: Ich finde es sehr wichtig, dass man mit dem Comic auch in andere Bereiche reingeht. Es ist furchtbar, wenn Comics eine Veranstaltung für Insider bleiben und sich das Tummelfeld von Independent Comics auf das ICOM-Umfeld beschränkt.
CG: Und das Ganze scheint ja auch auf internationaler Basis zu funktionieren, wenn man sich die Übersetzungen von Insekt so anschaut.
SH: Neben einer spanischen (Sins Entido) existieren mittlerweile auch eine französische (Edition Sarbacane) und eine polnische Übersetzung, die bei dem Verlag Kultura Gniewu erschienen ist. Dort erscheinen auch die Comics von Mawil und von Arne. Die bringen gute Sachen heraus. Die Franzosen haben auch eine sehr schöne Ausgabe herausgebracht, die etwas größer ist und als Hardcover erscheint. Die Ausgabe von Sins Entido habe ich noch gar nicht gesehen. Dort erscheinen aber viele gute Leute wie z.B. David B. und Max.
CG: Wie sieht dein Tagesablauf aus, wenn Du nicht gerade in Erlangen bist?
SH: Sehr gestresst, da ich immer versuche, zu viel in eine Woche zu quetschen. Da gibt es ja zunächst den Zeitungsstrip Im Museum, der jeden Tag erscheinen muss. Das bedeutet viel Arbeit, die meistens einige Tage der Woche auffrisst. Danach habe ich etwas Luft für meine eigenen Sachen, wie z.B. die Arbeit an Vier Augen, dem neuen Buch bei Reprodukt, das ja schon seit Februar erscheinen sollte, jetzt aber erst gegen Ende des Jahres rauskommen wird. Zwischendurch heißt es viel telefonieren, um Ausstellungen oder die Arbeit an ORANG zu organisieren. Meistens sitze ich dabei zuhause in meinem Zimmer, in dem ich schlafe und arbeite. Das ist ein bisschen nervig.
CG: Ist der Erfolg noch nicht so groß, dass man sich eine Zweizimmerwohnung leisten kann?
SH: Ich arbeite dran, aber Hamburg ist auch ziemlich teuer. In Leipzig oder Dresden wäre das sicherlich kein Problem.
CG: Aber Hamburg steht ja auch stellvertretend für ein Gefühl, das deine Comics repräsentieren. In einem Interview in der Intro mit dir und Andreas Michalke habe ich gelesen, dass die Hamburger Comicszene eher introvertiert und Berlin ein bisschen lauter sein soll.
SH: Sicherlich gibt mir Hamburg etwas, das mir entgegenkommt. Ich selbst bin auch nicht so extrovertiert, aber ich weiß nicht … Hamburg kann auch ein Gefängnis sein.
CG: Du sprichst von deiner Einzimmerwohnung?
SH: Nein wirklich, Hamburg ist sehr eng; es gibt wenig Freiräume. Man muss sich dort alles sehr hart erarbeiten. In Berlin gibt es nach meiner Beobachtung mehr Freiräume.
Insekt
CG: Kommen wir zu deinem Comic Insekt. Wenn man das Buch aufschlägt, springen einem zunächst die Figuren ins Auge. Wie bist du auf diese Darstellungsform gekommen, die ja sehr speziell wirkt?
SH: Mit dem Insektenjungen hatte ich bereits in Kurzgeschichten für ORANG gearbeitet. Was mich dazu bewogen hat, ihn für den Comic zu benutzen, kann ich gar nicht sagen. Es war wohl eine Mischung aus Dingen, die mir gefallen: ein Amalgam aus der unheimlichen Atmosphäre bei Charles Burns und der extremen Reduktion der Peanuts von Charles M. Schultz. Der Rest hat sich dann so ergeben. Für mich steht das Insekt als Metapher für das Anderssein, das ja im Zentrum der Geschichte steht.
CG: Die Form ist der zweite Aspekt, der an Insekt auffällt. Es ist ein sehr ungewöhnliches Format, wenn man es zum ersten Mal in die Hand nimmt, das Papier erinnert eher an Recyclingpapier aus den Neunzigern als an einen Comic. Auch die Helligkeit des Papiers dient ja der Erzählung. Mehr wollen wir an dieser Stelle aber nicht verraten. Alles wirkt perfekt aufeinander abgestimmt. Waren das alles bewusste Entscheidungen von dir?
SH: Es waren verschiede Papiersorten im Angebot, es war eine bewusste Entscheidung. Auch das Thema Luftverschmutzung spiegelt das Papier durch die kleinen Partikel gut wider. Ich bin sehr zufrieden mit dem Endprodukt, obwohl ich die französische Ausgabe jetzt fast noch schöner finde. Die ist auf hellerem Papier gedruckt und das Format ist etwas größer. Es wird aber auch demnächst eine deutschsprachige Neuauflage von Reprodukt geben. Derzeit überlege ich noch, ob man mit dem Papier noch etwas spielen sollte, aber das Format wird gleich bleiben, denn ich finde es schön, wenn man Bücher überall mitnehmen kann.
CG: Eine thematische Zwischenfrage: Wenn man über Insekt spricht, kommt in fast jeder Diskussion die Sprache auf die Anpinkelszene. Welche Reaktionen hast du dazu bekommen?
SH: Oft sagen Leute, dass sie die Szene sehr extrem finden. Das freut mich im Grunde sehr, da es ja ein Kompliment ist; Genau diesen Effekt wollte ich erzeugen. Jemanden anzupinkeln ist zwar nicht so schlimm wie jemanden zu verstümmeln und auch nicht so gewaltsam wie jemanden zusammenzuschlagen, dennoch ist es eine sehr starke Form, jemanden zu degradieren. Sie hätten mit ihm in dieser Szene machen können was sie wollen, als ob er keine eigenen Gefühle hätte. Genau das wollte ich darstellen.
CG: Wenn man über Comics schreibt, schaut man fast automatisch auf das Verhältnis von Wort und Bild und spricht dann sofort von text- oder bildlastigen Comics. Würdest du sagen, dass du mehr bildlastig arbeitest oder wie bist du bei Insekt vorgegangen?
SH: Meine Arbeitsweise geht meist vom Bild aus. Für Geschichten habe ich immer erst graphische Ideen. Die Texte müssen sich dann einfügen. In der Zusammenarbeit mit Jan Frederik Bandel sieht das schon wieder ganz anders aus. Für Im Museum schickt er mir die Texte, die ich dann graphisch umsetzen muss.
CG: Ist die Arbeit im Team für dich komplizierter?
SH: Das funktioniert so gut, dass wir beide selbst überrascht sind. Aber obwohl wir uns so gut ergänzen, ist es sehr anstrengend, die Ideen eines anderen zu umzusetzen.
CG: Das Illustrieren von Texten scheint dich schon beeinflusst zu haben. In deinem Blog kann man ja bereits die ersten Bilder von Vier Augen bewundern. Obwohl die Sprechblasen noch nicht ausgefüllt sind, scheint dein neuer Comic textlastiger zu werden. Hast du jetzt mehr zu erzählen?
SH: Es wird in der autobiographischen Geschichte Vier Augen darum gehen, dass ich Dinge erzähle, die so oder so ähnlich passiert sind. Man muss ja immer ein wenig vorsichtig sein mit der Authentizität von solchen Geschichten, da die Erinnerung immer stark verklärt ist. Und der Comic bringt durch die Zeichnungen noch eine weitere Ebene der Realität in die Geschichte. Das Buch handelt von jungen Erwachsenen und deren Verhalten untereinander. Aus diesem Grund benötige ich bei diesem Comic mehr Text, um über die Gespräche den Charakter und die Einstellungen der einzelnen Figuren zu beschreiben. Es werden im weitesten Sinn auch philosophische Fragen diskutiert, da sind längere Dialoge einfach unerlässlich.
In Zukunft?
CG: Da wir nun sehr viel über deine laufenden Projekte geredet habe, bringt es wohl nichts zu fragen, ob wir von dir noch weitere Veröffentlichungen dieses Jahr zu erwarten haben, oder?
SH: Doch, die Frage lohnt sich schon, da im Juni die neue Ausgabe von Strapazin erscheinen wird, die ich zusammen mit Kati Rickenbach betreut habe. Das Thema der Ausgabe ist „Spielkiste“. Darin befinden sich Originalbeiträge über jegliche Art von Spielen. So wird zum einen die Ästhetik von Spielen nachgeahmt, zum anderen werden tatsächlich spielbare Comics präsentiert, bei denen der Leser interaktiv mitarbeiten muss. Ansonsten muss ich aber erstmal die Arbeit auf meinem Schreibtisch bewältigen.
CG: Zum Abschluss eine letzte Frage: Was liest du gerade? Kannst du unseren Lesern etwas empfehlen?
SH: Leider muss ich zugeben, dass ich relativ wenig Comics lese. Wenn ich doch Comics lese, dann sind das meistens Neuerscheinungen von Reprodukt. Oder zum Beispiel die Geschichten von Amanda Vähämäki aus Helsinki. Sie arbeitet viel für Anthologien; wir werden demnächst aber auch mal eine längere Comicerzählung von ihr erwarten können. Dann habe ich derzeit viel Material aus Hong Kong zugeschickt bekommen, das ich zwar nicht verstehen kann, aber man kann ja immer noch die Bilder anschauen. Ich habe ein paar von diesen chinesischen Comics mit zum Salon gebracht, um ein bisschen Werbung für sie zu machen, aber daraus ist bisher noch nichts geworden, da ich mit anderen Dingen beschäftigt war.
CD: Dann will ich auch gar nicht länger stören und bedanke mich für das Interview.
SH: Gar kein Problem.
Sascha Hommer bei Reprodukt
Hommers Blog
Hommer und Bellstorfs kikipost
Fotos: Marc-Oliver Frisch, Zittel Wassily (A. Feuchtenberger)
Bildquellen: reprodukt.com, saschahommer.blogspot.com