Interviews

Interview mit Robert Kirkman (OmU)

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.thumb_Robert_KirkmanRobert Kirkman machte in der nordamerikanischen Comicszene erstmals im Jahr 2000 als Chef des Kleinverlages Funk-O-Tron auf sich aufmerksam.  Neben der Reihe Double Take, in der u.a. „Codeflesh“ von Joe Casey und Charlie Adlard erschien, brachte Funk-O-Tron vor allem das von Kirkman selbst geschriebene Battle Pope heraus. Im Jahre 2002 begann Kirkman, seine Projekte über Image Comics zu veröffentlichen. Nach anfänglich mäßigen Verkäufen stemmen sich Kirkmans fortlaufende Serien, das Superhelden-Epos Invincible und die Zombie-Reihe The Walking Dead, seit 2003 gegen alle Trends und verzeichnen stetig steigende Absatzzahlen.
 
Durch seinen Erfolg bei Image auf den Autor aufmerksam geworden, holte man sich Kirkman 2004 schließlich bei Marvel ins Boot. Dort schrieb er Projekte wie „Sleepwalker“ (erschienen in Epic Anthology #1), einen Vierteiler in Captain America, den X-Men-Ableger Jubilee oder auch die fünfteilige Jubiläumsaktion Marvel Knights 2099, denen aber sowohl bei den Kritikern als auch bei den Käufern der Erfolg bisher weitgehend verwehrt blieb.Kirkmans Serie Marvel Team-Up soll trotz der eher verhaltenen Verkaufszahlen noch mindestens bis Mitte 2006 fortgeführt werden. Weitere künftige Marvel-Veröffentlichungen Kirkmans sind das Einzelheft What If…?: Thor, eine Kurzgeschichte in Amazing Fantasy #15, die Miniserie Marvel Zombies und – ab Januar 2006 – die Reihe Ultimate X-Men. Seit dem Jahr 2005 wird bei Image Comics neben den weiterhin erscheinenden Invincible und The Walking Dead Kirkmans alte Funk-O-Tron-Serie Battle Pope neu aufgelegt, nun erstmals in Farbe.

twd_logoAnlässlich der deutschen Veröffentlichung von The Walking Dead bei Cross Cult hatte Comicgate Gelegenheit, mit dem gefragten Autor zu sprechen. Das folgende Interview wurde zwischen dem 11. Oktober und dem 4. November 2005 per E-Mail geführt.
 
Einen Teil dieses Interviews findet man in gedruckter Form im deutschen Sammelband 1, hier an dieser Stelle kann man die komplette Unterhaltung nachlesen.

Comicgate: Wann kam Ihnen erstmals der Gedanke zu The Walking Dead, und wie lange dauerte es danach, bis die Serie bei Image Comics erschien?
 
Robert Kirkman: Die Idee zu The Walking Dead entstammt meiner Begeisterung für Zombiestreifen. Ich habe mir diese Filme damals reingezogen, als ob es kein Morgen gäbe, und ich wollte immer wissen, wie es eigentlich nach dem Ende des Films weitergeht. Also kam mir die Idee, einen Comic zu machen, der wie ein Zombiefilm sein würde – nur eben ohne jemals zu enden. Ich wollte die Zombie-Apokalypse erforschen, ohne mich dabei auf einen bestimmten Schluss festzulegen, und das bis zur letzten natürlichen Konsequenz durchziehen. Daraus entstand dann The Walking Dead. Das war ungefähr im Oktober 2002. Ich bat Tony Moore, ein paar Seiten zu zeichnen und bewarb mich mit dieser Vorlage im Dezember 2002 bei Image. Ursprünglich sollte das unter dem bekannten Titel „Night of the Living Dead“ laufen, weil ich gehört hatte, dass die Rechte an dem Film verfallen und für jedermann frei zugänglich waren [„Night of the Living Dead“ ist ein Zombie-Klassiker von Regisseur George Romero – Anm. d. Red]. Jim Valentino, der damalige Image-Herausgeber, empfahl mir aber, mir meinen eigenen Titel auszudenken, damit das Ganze dann auch mein Eigentum sein würde. Ich entschied mich dann für „The Walking Dead“. Ich weiß nicht, ob ich Jim Valentino je für seinen Vorschlag gedankt habe. Jedenfalls legte ich ihnen das Konzept für die Serie vor, und es wurde akzeptiert, von der Namensänderung mal abgesehen. Ich wollte die Serie bereits im März 2003 starten, aber bei Image zog man es vor, bis Oktober zu warten, um die erste Ausgabe zu Halloween am Start haben zu können.
 

CG: War The Walking Dead (bzw. Night of the Living Dead) von Anfang an als Comic-Serie gedacht oder gab es einen Moment, in dem Sie ein anderes Medium für die Geschichte in Betracht zogen?
 
RK: Es sollte immer ein Comic sein. Das ist es, womit ich mein Geld verdiene. Ich schreibe keine Romane, Fernsehserien oder Texte für Müsli-Packungen.
 
CG: Können Sie uns Schritt für Schritt erläutern, wie eine typische Ausgabe von The Walking Dead entsteht, von der Idee bis zum Drucker?
 
RK: Nun, zuerst sammle ich Ideen dafür, was mit den Figuren passieren soll. Ich habe schon jede Menge Zeug für bestimmte Figuren geplant, und dastwd03 schon seit geraumer Zeit. Aber ich weiß noch nicht, wann genau diese Ereignisse stattfinden werden, also muss ich das austüfteln. Während ich das mache, überlege ich mir all das, was vor und nach diesen Ereignissen geschieht. In meinem Kopf gehe ich diese Dinge also ständig durch: wenn ich dusche, wenn ich Auto fahre, wenn ich esse, wenn ich mich eigentlich mit jemandem unterhalten sollte … mein Leben wird mittlerweile bestimmt davon. Wenn ich dann soweit bin, eine bestimmte Ausgabe zu schreiben, versuche ich meine Gedanken in einer groben Gliederung zu sortieren. Ich schreibe alles auf, ordne es chronologisch und kritzele Dialog-Notizen dazu. Am Ende habe ich dann ein Blatt Papier mit Nummern von eins bis 22, auf welchem die ungefähre Handlung für jede einzelne Seite aufgelistet ist [der Standard-Comic in den USA hat 22 Seiten – Anm. d. Red.]. Dann setze ich mich damit an die Tastatur und verwende das als Richtlinie für das Skript. Ich halte mich nicht streng an diesen Umriss der Geschichte, sondern entferne mich auch schon mal ziemlich davon – ich habe sogar die letzten anderthalb Ausgaben in letzter Minute komplett verworfen, weil ich’s mir anders überlegt habe. Vielleicht entscheide ich mich, eine Figur sterben zu lassen, oder vielleicht entscheide ich mich auch, sie nicht sterben zu lassen … bis ich es getippt habe, steht alles in den Wolken.
 
Als nächstes schicke ich das Skript an Charlie [Charlie Adlard, der The Walking Dead seit Sammelband 2 zeichnet – Anm. d. Red.]. Normalerweise braucht er einen Monat oder weniger für eine Ausgabe. Es ist traumhaft, mit ihm zu arbeiten: wunderschöne Seiten, und das immer pünktlich. Ich würde ihn heiraten, wären wir beide nicht schon mit jemand anderem verheiratet … und heterosexuell. In der Regel skizziert er die gesamte Ausgabe erst mal mit dem Bleistift (es sei denn, ich schicke ihm nur den Teil eines Skripts – was, wie wir beide zugeben werden, öfter passiert, als wir uns das wünschen würden). Er teilt die Seiten in Kästchen auf, skizziert die Figuren, zeichnet komplexe Gegenstände detaillierter und geht dann zum Tuschen über. Sobald alle Seiten getuscht sind, schickt er sie an mich.
 
Als ich die Serie noch selbst letterte, was bei allen Ausgaben bis zur Nummer 19 der Fall war, tat ich das an dieser Stelle. Mittlerweile macht das aber Rus Wooton, also schicke ich ihm das Heft. Gleichzeitig schicke ich es auch an Cliff Rathburn, der für die Grautöne zuständig ist.
 
Für Rus erstelle ich verkleinerte JPEGs [Bilddateiformat – Anm. d. Red.] und kümmere mich um die Platzierung der Sprechblasen. In Photoshop zeichne ich mit der Maus kleine, grobe Blasenumrisse an die Stellen, wo die Sprechblasen später hinkommen sollen. Während ich das mache, gehe ich ein letztes Mal durch die Dialoge, verändere, verlängere oder verkürze Sachen, verbessere den Lesefluss und sorge dafür, dass es perfekt zu den Zeichnungen passt … oder versuche es zumindest. Ich habe in dieser Phase schon ganze Seiten neu geschrieben. Ich streiche regelmäßig Dialogzeilen, wenn sich herausstellt, dass sie überflüssig sind. Sobald Rus dann das Skript und die Platzierung der Blasen vorliegen hat, lettert er das Heft mit irgendeinem Computerprogramm.
 
In der Zwischenzeit ist Cliff Rathburn mit den Schattierungen beschäftigt und malt seine schönen, melierten Grautöne über Charlies Tuschezeichnungen. Das macht er ebenfalls mit Photoshop, glaube ich. Ich halte die Grautöne für einen wichtigen Bestandteil der Serie, weil sie dadurch mehr Tiefe bekommt und näher bei farbigen Veröffentlichungen liegt als bei schwarzweißen, die einfach die nackten Zeichnungen abbilden. Andererseits muss ich sagen, es ist schade, dass die Leute Charlies Zeichnungen so selten in schlichtem Schwarzweiß zu sehen bekommen. Man wird geradezu hypnotisiert davon, wenn man sie sich anschaut. Ich habe schon oft erwähnt, dass ein ganzer Tag draufgeht, wenn er mir seine Seiten schickt. Ich starre sie einfach den ganzen Tag lang an, wenn ich sie bekomme. Und wenn Cliff dann die grau melierten Seiten abliefert, wird mein Zeitplan ein weiteres Mal zurückgeworfen.
 
Wenn die Grautöne und das Lettering fertig sind, fügt Rus alles zusammen und macht daraus die fertigen Seiten. Die gehen dann an Image Comics und von dort aus weiter an den Drucker.
 

CG: Wie die meisten Ihrer Arbeiten wird The Walking Dead zuerst in monatlichen, 22-seitigen Einzelausgaben veröffentlicht (dem Standardformat in Nordamerika), bevor diese schließlich in Paperbacks gesammelt werden. Welche Rolle spielen die beiden unterschiedlichen Formate bezüglich der Struktur und des Tempos Ihrer Geschichten?
 
RK: Um das monatliche Format optimal zu nutzen, versuche ich immer, auf der letzten Seite einer Ausgabe einen Cliffhanger zu haben. Das heißt, ich versuche, mit einem Moment zu schließen, der den Leser motiviert, im nächsten Monat wiederzukommen. Nun kann nicht jeder Cliffhanger ein sensationelles Ereignis sein, sonst stumpft der Effekt nach einer Weile ab. Also gibt es von Zeit zu Zeit ziemlich unspektakuläre Cliffhanger. „Boah, jetzt haben sie einen Generator gefunden.“ So was in der Art. Aber ich versuche immer, ein Heft mit etwas enden zu lassen, das zumindest interessant ist.
 
Da ich weiß, dass die Ausgaben früher oder später in Sammelbänden erscheinen, achte ich darauf, dass der Beginn jeder Ausgabe mit dem Ende der vorherigen zusammenpasst. Damit der Übergang von einem Heft zum nächsten nicht auffällt, wenn man sie am Stück liest.
 
Ich lege meine Geschichten aber nie so an, dass Sechsteiler dabei herauskommen [die Sammelbände von The Walking Dead beinhalten je sechs der ursprünglichen Einzelausgaben – Anm. d. Red.]. Hin und wieder versuche ich, am Ende jeder sechsten Ausgabe einen gewissen Schlusspunkt zu setzen, wenn das möglich ist. Aber das mache ich nur, wenn es die Geschichte gerade zulässt. Ich würde nie eine Geschichte verlängern oder verkürzen, nur damit sie in einen Sammelband passt. Deshalb endet der dritte Band auch mit einem Cliffhanger.
 

CG: Sind Sie mit dem Format der monatlichen Ausgaben glücklich?
 
twd_de_01RK: Absolut. In Europa hat man sich wohl weitgehend auf Alben eingestellt, und in den USA gibt’s in der Richtung auch einiges. Aber ich für meinen Teil mag die monatliche Veröffentlichungsweise. Ich stehe darauf, jeden Monat meine Comics zu kaufen und Fortsetzungsgeschichten zu bekommen. Das ist sicher nicht das perfekte Format für jedes Projekt, und ich höre immer wieder, dass The Walking Dead sich in den Sammelbänden besser lesen soll, aber ich mag die Einzelausgaben. Ich habe nicht vor, das Format jemals aufzugeben.
 

CG: Apropos Europa: Wie gut kennen Sie sich in der europäischen Comic-Szene aus? Zählen bestimmte europäische Autoren oder Werke zu ihren Einflüssen?
 
RK: Ich lebe in Kentucky, das wohl als einer der ländlicheren Staaten in Amerika betrachtet wird. Das heißt jetzt nicht, dass ich diese Sachen hier nicht bekomme. Aber ich muss vorher extra bestellen, was ich haben will, und ich kenne mich mit den europäischen Sachen einfach nicht so gut aus. Natürlich mag ich Moebius sehr gerne. Er ist wohl einer der wenigen, die mir namentlich ein Begriff sind. Ich sehe Zeug wie Dylan Dog und Blacksaad und Red Hand, das Projekt, an dem Kurt Busiek kürzlich beteiligt war. Das sieht alles großartig aus. Ich bin ein riesiger Fan dieser großformatigen, etwas dünneren Alben. Ich mag sie so gern, dass ich hoffe, in nicht all zu ferner Zukunft selbst mal eins zu machen. Generell kenne ich mich halt mit dieser Materie nicht besonders aus. Im Hinterkopf habe ich es aber schon.
 

CG: Dann kennen Sie wohl auch den neuen Asterix #33 nicht, der letzte Woche rauskam.
Besteht die Möglichkeit, dass The Walking Dead einmal den Sprung nach Europa oder in andere Teile der Welt schafft?
 
RK: Nein, den Asterix kenne ich nicht.
 
The Walking Dead wird bereits in einigen europäischen Ländern veröffentlicht. Ich bin da nicht wirklich auf dem laufenden, da solche Sachen alle von Image Comics geregelt werden.
 

CG: Ich meinte eigentlich die Handlung, aber das ist ebenfalls interessant.
Anders formuliert: Haben Sie vor, auch andere Länder und Kontinente in The Walking Dead zu zeigen, oder möchten sie sich weiterhin auf die Vereinigten Staaten konzentrieren?
 
RK: Nun, ich beabsichtige, den Figuren die ganze Serie über treu zu bleiben. Denjenigen, die überleben, natürlich. Es mag vorkommen, dass sie sich in verschiedene Gruppen aufteilen und ich dann an allen dranbleibe. Aber was in Europa los ist, würde ich nur zeigen, wenn die Charaktere in einem Boot rüberpaddeln würden, um zu sehen, was da los ist. In naher Zukunft wird die Serie sich nur in Amerika abspielen.
 

CG: The Walking Dead spricht – ohne den deutschen Lesern zu viel zu verraten – mehrere kontroverse soziale und politische Themen an, wie etwa den Waffenbesitz oder die Todesstrafe. Nun wird die Vorgehensweise der Vereinigten Staaten in diesen Fragen in Europa weitestgehend an den Pranger gestellt, und lautstarke Kritiker wie Michael Moore oder Noam Chomsky werden wie Popstars behandelt wegen ihrer Opposition gegen die US-Administration. Was halten sie von diesen Reaktionen in Europa, als Autor und als Amerikaner?
 
RK: Mir ist nicht ganz klar, inwiefern eine politische Frage im Rahmen dieses Interviews relevant ist. Ist es okay, wenn ich bei dieser Frage passe?
 
Ich meine, das ist ungefähr so, als würde man über Religion befragt. Man vergrault unweigerlich einen Teil seines Publikums, egal, welche Meinung man hat.
 

CG: Kein Problem – natürlich können Sie jederzeit eine Antwort verweigern.
Die Relevanz der Frage sehe ich darin, dass diese Themen in The Walking Dead sehr deutlich angesprochen werden. Da das in den Vereinigten Staaten und anderswo ziemlich aktuelle politische Streitpunkte sind, dachte ich, es wäre interessant, Einblick in ihre Ansichten dazu zu bekommen. 
Wäre es hilfreich, die Frage umzuformulieren, z.B. ohne den internationalen Aspekt?
 
RK: Ich will in dieser Richtung wirklich nicht Stellung beziehen in The Walking Dead. Diese Dinge kommen nur deshalb vor, weil es logisch ist, dass sie vorkommen, und nicht, weil ich in dieser Hinsicht was zu sagen hätte. Ich bin kein Autor, der seine Ansichten über Gott und die Welt der Öffentlichkeit aufzwingen will mit seinen Arbeiten.
 
Das könnte meine Antwort auf die umformulierte Frage sein.
 

CG: Okay, dann weiter im Text.
battle_pope8Am Anfang Ihrer Karriere schufen und veröffentlichten sie eine Serie namens Battle Pope, deren Titelheld eine eher ungewöhnliche Version des Papstes war, und die momentan durch Image neu veröffentlicht wird. Haben Sie durch den kürzlichen Tod Johannes Paul II. und der Neuwahl von Benedikt XVI., einem Deutschen (einem Bayer, noch dazu), neue Ideen für eine mögliche Fortsetzung der Serie bekommen?
 
RK: Battle Pope basierte niemals auch nur entfernt auf dem echten Papst. Battle Pope war praktisch ein Superheldencomic über eine Figur, die eben Papst war. Ich habe mich dabei weniger auf den Katholizismus oder so etwas bezogen. Daher: Nein, die Ernennung eines neuen Papstes würde keinerlei Einfluss haben auf etwaige neue Battle-Pope-Geschichten. Diese Serie ist viel zu albern, als dass sie auch nur entfernt auf irgendwas Echtem basieren könnte. Sofern die Neuauflage sich gut verkauft, würde ich Battle Pope gerne fortsetzen.
 

CG: Ihre Image-Comics-Serie Invincible wurde vor kurzem mit einer Spezialausgabe beworben, die nur 50 Cent kostete und der Reihe neue Leser bescheren sollte. Können Sie die wirtschaftlichen Hintergründe einer solchen Aktion beleuchten und verraten, ob sie erfolgreich war?
 
RK: Invincible #0 war unglaublich erfolgreich. Wir boten eine viel kürzere Geschichte – 12 Seiten – zu einem erheblich niedrigeren Preis an. Als Resultat des geringen Preises verkaufte sich Invincible #0 fast fünfmal so gut wie die regulären Ausgaben. Danach schossen die Absatzzahlen der Serie prompt um 20% nach oben, und sie klettern seither konstant weiter. Durch die erzielten Verkäufe kamen wir mit der Ausgabe immerhin bei Null heraus. Verdient haben wir an dem Heft also nichts, aber es hat sich positiv auf die Verkäufe der Serie ausgewirkt und hat uns dabei keinen Pfennig gekostet. Ich war sehr zufrieden mit dem Ergebnis.
 

CG: Haben Sie sich Sorgen gemacht, dass das Heft potentielle Leser davon abschrecken könnte, die ersten paar Sammelbände zu kaufen? Immerhin erzählt Invincible #0 praktisch die Handlung der ersten 22 Ausgaben nach und verrät dabei einige ziemlich entscheidende Wendungen.
 
RK: Nein, die Nullnummer war für Leute gedacht, die die Sammelbände sehr wahrscheinlich nicht kaufen würden und daher einen kleinen Ruck benötigten. Sie verrät einiges, das stimmt. Aber wenn es den Lesern gefällt, haben sie die Möglichkeit, die Geschichten in den Sammelbänden nachzulesen oder direkt in die monatliche Serie einzusteigen.
 
Ich bereue die Aktion nicht.
 

marvel_zombiesCG: Von The Walking Dead abgesehen sind all ihre momentanen Arbeiten Superheldentitel, und Marvel Zombies, eine Miniserie, die im Dezember startet, scheint die logische Konsequenz dieser Zweiteilung zu sein, da sie Marvels Superhelden als Zombies darstellt. Sind sie besorgt, auf die Rolle des „Superheldentypen“ oder des „Zombietypen“ festgelegt zu werden?
 
RK: Überhaupt nicht. Ich denke, zwischen meinen Superheldentiteln gibt es genug Abwechslung, um die Sache interessant zu halten. Die Zombieserie ist auch bloß eine Charakterstudie – sie könnte schon fast ein klassisches Drama sein. Die Gefahr, in eine der beiden Schubladen gesteckt zu werden, sehe ich also wirklich nicht.
 

CG: In ihren Marvel-Titeln und in ihrer Online-Kolumne („Buy My Books,“ bei Comic Book Resources) machen Sie keinen Hehl aus ihrem Faible für einige der Erzähltechniken (z.B. die Michelinie/McFarlane/Larsen-Methode, Geschichten zu strukturieren) und Figuren (wie Sleepwalker, Darkhawk oder Terror, Inc.), die sich in den frühen Neunzigern enormer Beliebtheit erfreuten, seither aber weitgehend in Ungnade gefallen zu sein scheinen. Worin liegt für sie der Reiz dieser Herangehensweisen und Charaktere?
 
RK: Das ist für mich die Zeit, in der Comics Spaß gemacht haben … und ich glaube, dass der einzige Grund dafür darin besteht, dass ich damals gerade in einem bestimmten Alter war, als ich die Dinger las. Jeder, der Comics liest, hat eine Schwäche für die Titel, mit denen er angefangen hat, und die für ihn der Einstieg waren. Sie mögen nicht die besten Comics sein, das gebe ich gerne zu … aber als ich 12 oder 14 oder so war, war es eben das, was ich mochte. Sie sind für mich was besonderes, mit all ihren Mäkeln.
 

CG: Diese Serien und Figuren haben die Leser damals offensichtlich beeindruckt, wenn man bedenkt, dass dies die wirtschaftlich erfolgreichste Periode amerikanischer Comics in der jüngeren Vergangenheit war. Können Sie näher erläutern, worin Sie die Stärken dieses Materials sehen? Speziell die Art, wie Sie in Marvel Team-Up zwischen Peter Parkers Privatleben und seinen Eskapaden als Superheld hin und her schalten, erinnert an die Herangehensweise, die beispielsweise David Michelinie und Erik Larsen vor fünfzehn Jahren sehr gut beherrschten. Würden Sie sagen, das ist ein legitimer Vergleich?
 
RK: Absolut. So macht man halt Comics, was mich anbelangt: Jede Episode hat eine Haupthandlung, die unterhaltsam und ziemlich bedeutsam ist … und Nebenhandlungen, die sich zu künftigen Haupthandlungen entwickeln. Ich mag es einfach nicht, wenn eine Geschichte ganz für sich alleine steht und danach ein weiterer in sich geschlossener Zyklus folgt. Ich möchte, dass meine Geschichten aufeinander aufbauen … dass es sich am Ende für die Leute auszahlt, wenn sie eine Serie über längere Zeit verfolgen, und dass sie dafür belohnt werden. Das ist es, was ich als Fan an diesen speziellen Comics mochte, und das ist es auch, was ich an den Comics mag, die ich selber schreibe. Es hält mich bei der Stange.
 

CG: Eine der ersten Spider-Man-Geschichten, die ich las, war der Zweiteiler mit dem Punisher von Michelinie und Larsen, gefolgt von einem Zweiteiler mit Venom, und dann dem Sechsteiler, in dem die Sinister Six zurückkamen, und so weiter. Wie Sie sagten, mochte ich es, wie diese Geschichten aufeinander aufbauten und einen als Leser nie vom Haken ließen. Irgendwann scheint man diese Art des Erzählens, die schrille „Schurken des Monats“ mit fortlaufenden, Seifenoper-artigen Nebenhandlungen kombinierte, aber aufgegeben zu haben, sodass sie heute so etwas wie eine „vergessene Kunst“ ist, von wenigen Ausnahmen wie Marvel Team-Up oder Gødland abgesehen. Warum, glauben Sie, ist das der Fall?
 
RK: Die Dinge verändern sich ständig. Ich glaube, wenn erst einmal jemand Erfolg damit hat, etwas anders zu machen, dann fängt seine Herangehensweise an, sich in der Branche zu verbreiten. Ich weiß nicht, wo der momentane Trend voneinander unabhängiger Zyklen herkommt, aber ich glaube, dass es ein wenig mit der steigenden Beliebtheit von Sammelbänden zusammenhängt. Es hat wahrscheinlich auch ein wenig damit zu tun, dass man neue Leser erreichen und sie nicht mit zu viel Stoff aus früheren Ausgaben überfordern will, damit auch ja jeder auf Anhieb in die Serie einsteigen kann. Ich persönlich bevorzuge aber die andere Herangehensweise. Ich glaube, dass es Leser motiviert, sich ältere Ausgaben zu besorgen, wenn man Sachen verwendet, die auf frühere Geschichten zurückgehen. Also packe ich es auf diese Art an – die Art, die mir lieber ist. Mehr kann ich echt nicht tun. Ich schreibe dieses Zeug den ganzen Tag, jeden Tag. Ich bin derjenige, der damit zufrieden sein muss.
 

CG: Wie persönlich sind Ihre Geschichten? Gibt es – speziell in Ihren eigenen, länger angelegten Arbeiten The Walking Dead und Invincible – Figuren oder Situationen, mit denen Sie sich besonders identifizieren?
 
RK: So ziemlich alle. Ich meine, achtzig Prozent der Zeit versuche ich einfach nur, mir auszumalen, wie ich unter bestimmten Umständen reagieren würde, und schreibe das. Ich versuche auch oft, Figuren so reagieren zu lassen, wie es, glaube ich, niemand tun würde, einfach um etwas Würze ins Spiel zu bringen. Aber meistens bin ich das da drin. Die Umstände und die Interaktionen mit anderen Figuren andererseits sind alle frei erfunden. Einige Leute glauben, dass Autoren nur Zeug schreiben, das auf ihrem eigenen Leben basiert, und dass alle Geschichten nur spärlich getarnte Nacherzählungen von Dingen darstellen, die ihnen selbst widerfahren sind. Ich nicht. Wenn es so wäre, wäre mein Leben viel zu doof.
 

CG: Also, um das noch mal klarzustellen: Sie sagen, dass es in Kentucky wirklich keine Zombies gibt?
 
RK: Stimmt. Na ja, meistens jedenfalls.
 

CG: Wie stehen Sie zu dem Trend, Comics legal oder illegal in digitalen Formaten zu verbreiten, etwa als DVDs, CDs, als einfache Downloads oder für Plattformen wie die PSP, Ipods, Handys oder tragbare PCs?
 
RK: Ich bin sicher kein Befürworter davon. Aber ich rege mich auch nicht auf, wenn jemand, der meine Hefte eh nie kaufen würde, sie kostenlos zu lesen bekommt. Ich glaube, es ist durchaus möglich, dass dadurch mehr Verkäufe entstehen. Aber es kann auch sehr leicht zu viel, viel weniger Verkäufen führen. Ich denke, es ist noch zu früh, mich in der Sache festzulegen.  Abwarten und Tee trinken.
 

CG: In der US-Comicbranche scheint es eine weitverbreitete negative Haltung gegenüber Manga zu geben, die japanische Comics als Bedrohung oder – bestenfalls – als „Einstiegsdroge“ für amerikanische Comics betrachtet. Haben Sie eine Meinung zu dieser Debatte?
 
RK: Ich mag Manga. Ich sehe sie überhaupt nicht als Bedrohung an. Wenn Kinder Comics lesen, in welcher Form auch immer, dann halte ich das für eine gute Sache.
 

CG: Welche Comics lesen Sie selbst gerne, und auf welche freuen Sie sich besonders?
 
RK: Ultimate Spider-Man, Doc Frankenstein, Planetary, Savage Dragon, Shaolin Cowboy, Runaways, Captain America und zahllose weitere.
 

CG: Letzte Frage. In einem alten Interview sagten Sie: „Ich glaube nicht, dass ich je einen Comic schreiben werde, der nicht von mir selbst gelettert wird. Das Ergebnis wäre nicht gut genug, glaube ich. Ich bin so ein Freak, was das Lettering anbelangt, dass ich das wohl niemand anderem anvertrauen könnte.“ Sie haben seitdem ihre Meinung geändert, stimmt’s?
 
RK: Nun, die Zeiten ändern sich. Damals habe ich bloß ein oder zwei Titel pro Monat geschrieben, wenn ich mich recht erinnere. Das Lettern hat mir echt Spaß gemacht zu der Zeit. Das Problem bei der Sache war nur, dass ich so pingelig bezüglich der Platzierung der Sprechblasen und so weiter war, dass nie wirklich besonders fix darin wurde. Es dauerte fast eine Stunde, ein paar Seiten zu lettern und beinahe einen ganzen Tag oder noch länger für eine Ausgabe. Von Zeit zu Zeit, wenn es einfach ist oder wenn ich gerade keine Lust habe, Rus Wooton (dem Letterer meiner Wahl) genau zu erklären, wie ich etwas haben will, lettere ich immer noch die eine oder andere Seite selbst. Vor kurzem habe ich beispielsweise eine Seite in Invincible #23 und ein paar Seiten in The Walking Dead #24 gelettert.
 
Der Grund, warum ich das damals in dem Interview so gesagt habe, ist, dass ich oft ganze Seiten umschrieb, während ich letterte. Ich fügte Zeilen hinzu, nahm Zeilen weg und machte alle möglichen Änderungen. Das tue ich zwar immer noch, aber ich mache es nun, während ich die Platzierungen der Sprechblasen für den Letterer festlege, und nicht mehr während des eigentlichen Letterings. Außerdem habe ich eine genaue Vorstellung davon, wie das Lettering aussehen soll, und Rus Wooton hat sich meinem eigenen Stil fast perfekt angepasst. Rus ist ein großartiger Letterer, und es ist zu einem großen Teil sein Verdienst, dass es mir nichts ausmacht, diese Arbeit jemand anderem zu überlassen. Rus war so eine Art Zweitbesetzung für Chris Eliopoulos, und Chris‘ Stil – zusammen mit John Workmans – ist mehr oder weniger der, auf dem mein eigener basiert … Rus war also die perfekte Wahl.
 
CG: Robert Kirkman, danke, dass Sie sich die Zeit genommen haben, unsere Fragen zu beantworten!

Bildquellen: Robert Kirkman, Cross Cult


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