Interviews

Interview mit Ralph Ruthe

Ralph Ruthe (Foto: Wolfgang Holm)Ralph Ruthe, Jahrgang 1972, wurde durch seine langjährigen Veröffentlichungen im MAD-Magazin und seine Cartoonreihe Shit Happens bei Carlsen bekannt, für die er 2005 und 2006 den Sondermann-Preis der Frankfurter Buchmesse in der Kategorie „Cartoon“ erhielt.
Dabei ist er schon viel länger im Geschäft: bereits im zarten Alter von 14 Jahren textete er für das Kundenheft MIKE, wodurch er auch den Zeichner Hansi Kiefersauer kennen lernte und sich später für dessen Honk-Studios Käpt'n Blaubär-Geschichten ausdachte.
Ralph Ruthe hat bis jetzt an weit mehr als 5.000 Cartoons und Comicseiten mitgearbeitet. Seine Cartoons erscheinen regelmäßig in diversen Tagesezeitungen und werden auch als Sammelbände herausgegeben. Frauke Pfeiffer unterhielt sich für unser 1. Printmagazin im April 2006 mit dem gelernten Schriftsetzer, der sich 2001 selbstständig machte. Nun könnt Ihr das Interview auch online lesen.

Comicgate: Hallo Ralph, wie ich gelesen habe, wohnst Du in der Stadt, die es nicht gibt. Mir gefällt die Bielefelder Gegend von den Leuten her ja sehr. Schöner trockener Humor.

Ralph Ruthe: Für mich ist es einfach Heimat. Ich bin ja glücklicherweise in der Situation, fast jederzeit immer überall hin zu können, wo ich sein möchte, also Freunde in anderen Städten wie Hamburg und Berlin besuchen zu können. Da ist es mir aber ein mal mehr wichtig an einem Ort zu leben, wo ich mich richtig zu Hause fühle. Und das ist Bielefeld. Hier habe ich einen über Jahre gewachsenen Freundeskreis und sehr tolle Kontakte zu den lokalen Medien und der Künstlerszene. Hier entwickeln sich viele Dinge etwas natürlicher und direkter als zum Beispiel einer Stadt wie Berlin. Und das macht mir viel Spaß!
In Bielefeld leben für die Größe der Stadt ja jetzt nicht gerade wenige Comiczeichner (Dirk Schulz, Detlef Henke). Die kenne ich auch. In den letzten Jahren haben sich meine Kontakte innerhalb der Künstlerszene aber eher in die Richtung Humor und Comedy entwickelt. Ich bin zwar zuallererst Comiczeichner, aber mein Antrieb ist es, Menschen mit meiner Arbeit zum Lachen zu bringen.

CG: Bei Carlsen werden Du, Joscha Sauer und Flix als eine Art Cartoon-Dreigestirn gehandelt. Dabei bist Du ja schon reichlich länger im Comicgeschäft als die beiden, oder?

RR: Richtig. Mein erstes Buch Schweinskram erschien vor mittlerweile zehn Jahren (unglaublich, wenn ich darüber nachdenke). Allerdings sind wir drei
1.) sehr gut befreundet und transportieren diese Tatsache mit gemeinsamen Aktionen auch gerne nach draußen und
2.) ist es ja auch für einen Verlag von Vorteil, wenn das Programm eine gewisse Dichtheit und einen Zusammenhalt widerspiegelt. Diese Dichte entsteht durch die Vernetzung von uns drei Cartoonisten und die merkt man unseren Arbeiten schon an. Viele Leute merken zum Beispiel allein anhand unserer Gags, dass Joscha und ich viel Austausch und Kontakt haben. Davon abgesehen schustern wir uns untereinander immer mal wieder Gags zu. Da kann man in der Tat schon von einem Cartoon-Dreigestirn sprechen.
Wobei Flix ja eigentlich viel mehr großartiger Erzähler und Zeichner ist. Ein-Bild-Gags waren nie seine (wie er sagen würde) „Kernkompetenz“.
Carlsen hat aber noch mehr neue Künstler in der Pipeline, die demnächst mit neuem Material in unserer Richtung loslegen werden, zum Beispiel Martin Zak und auch Adam. Mit den beiden sind wir übrigens auch befreundet.

CG: Na ja, Carlsen wird da sicher auch nichts gegen haben, dass Ihr Euch gerne gemeinsam präsentiert. Ist ‘ne gute PR und eine Art Sicherheit, dass nicht der ein oder andere spontan abwandert.
Ich habe es damals schon Flix gefragt: so etwas wie Konkurrenzdenken oder Angst vor einer Überflutung des Cartoon-Marktes gibt es also nicht? Ich denke da an Trends (z.B. in der Musik), die so lange ausgekostet werden, bis sie irgendwann niemand mehr sehen respektive hören will. Was man vielleicht durch ein behutsameres Vorgehen hätte retten können.

RR: Ich empfinde den beiden gegenüber kein Konkurrenzdenken. Zunächst mal ist unsere Freundschaft viel zu fruchtbar für uns alle, als dass man sich da was neiden könnte. Wir haben alle was davon, dass wir uns untereinander austauschen und können voneinander lernen. Natürlich haben wir mit unseren Sachen unterschiedlich großen Erfolg. Wir schätzen aber gegenseitig die jeweiligen Qualitäten der Arbeit des anderen. Ich finde keinen von uns besser oder schlechter als den anderen im eigentlichen Sinne. Unsere Arbeiten sind für sich jeweils auf einem hohen Niveau. Joschas trifft momentan halt am meisten den breiten Geschmack. Das gönn ich ihm aber sehr!
Was die Überflutung betrifft, hab ich absolut keine Angst. Menschen wollen immer gut unterhalten werden und lachen. Und so lange wir uns alle weiter so viel Mühe geben wie bisher und auch selbst weiter Spaß dabei haben, wird es immer ein Publikum für unsere Bücher geben.
Bestimmte Trends sterben ja auch nicht pauschal aus, nur weil sie gehyped werden, sondern weil in diesem Zusammenhang oft die Qualität nachlässt. Wenn jetzt zum Beispiel alle Filmstudios mit einem Mal 3D-Animation machen, ist das grundsätzlich nichts Schlimmes. Schlimm ist nur, wenn darunter die Inhalte der Stories und die Animation selber leiden. Die guten Filme werden sich trotzdem immer durchsetzen, egal, wie viel Dreck zusätzlich produziert wird. Für das Publikum wird es halt etwas schwieriger, die Perlen rauszufinden. Da mach ich mir aber nicht so viel Gedanken drum. Ich kann ja nicht mehr tun als so gut sein wie möglich. Den Rest entscheiden die Leser!
Allerdings sag ich bei Carlsen schon meine Meinung zu neuen Projekten. Wenn die einen Titel bringen wollen, den ich scheiße finde, dann sage ich das auch. Die machen letztendlich natürlich trotzdem, was sie wollen.

CG: Für Deine Carlsen-Reihe Shit Happens erhieltest Du letztes Jahr (aktualisierende Anmerkung für die Online-Version: 2005 und nun auch 2006 – d. Red.) auf der Frankfurter Buchmesse den Publikumspreis „Sondermann“ in der Kategorie „Cartoon“.
Hattest Du Dir Chancen ausgerechnet und was bedeutet Dir das für Deine Arbeit?

Shit Happens! RR: Ich hatte mir sehr gewünscht, den „Sondermann“ zu bekommen. Ob ich eine ernsthafte Chance hatte war mir nicht klar, bis ich ihn dann in der Hand hielt! Die Auszeichnung bedeutet mir sehr sehr viel. Er ist ein Publikumspreis. Wer ihn bekommt, entscheidet somit keine elitäre Jury, sondern die Fans selber. Und zu wissen, dass sich mehrere tausend Leute dafür eingesetzt haben, dass man eine Auszeichnung bekommt, das ist schon toll! Außerdem zieht sowas natürlich immer Medieninteresse nach sich, was der Popularität der Serie gut tut.
Ich hab ja schon sehr viel im Cartoon- und Comicbereich ausprobiert in den letzten Jahren. Da waren auch Werke bei, die ich aus heutiger Sicht alles andere als brillant finde. Ich war definitiv immer mit ganzem Herzen dabei und es war bei jedem neuen Buch mein oberstes Ziel, viele Menschen mit meiner Arbeit zu erreichen und Comics zu einem Thema zu machen, das auch Leute außerhalb der Fanszene begeistern kann. Dafür habe ich mich auf einige Kompromisse eingelassen, gerade bei den Ruthe-Report-Bänden, die bei DINO erschienen sind. Wir haben da viel am Reißbrett geplant, weil wir dachten, es sei der richtige Weg . Aber ich bereue diese Phase nicht, sie hat viel Spaß gemacht und ich habe daraus massenhaft gelernt. Vor allem, dass man Erfolg nicht planen und konstruieren kann.
Mit Shit Happens bin ich visuell und inhaltlich so nah bei mir und mache jetzt absolut nur das, was ich persönlich 100%-ig gut finde, ohne Einflüsse von einer Redaktion. Wenn das dann nicht nur kommerziell erfolgreich ist, sondern auch noch durch einen Preis ausgezeichnet wird, das macht einen schon sehr glücklich! Danke nochmal an alle, die für mich gestimmt haben!

CG: Wie bist Du eigentlich auf diese verrückten Cover von Deinen Cartoonbänden gekommen? Wird es die jetzt als „Markenzeichen“ immer geben?

RR: Das verdanke ich Jo Kaps, dem damaligen Cheflektor bei Carlsen (heute TOKYOPOP).
Nachdem ich die Idee zu dem Hasenmann-Cover vom ersten Shit Happens-Band hatte, fragte er mich, ob ich mir einen Plüschdruck vorstellen könnte. Im Verlag waren alle von dem Buch begeistert und wollten ihm durch diese Besonderheit noch eine Zusatzchance darauf verschaffen, in der Buchhandlung aufzufallen. Das hat gut funktioniert! Von da an hab ich mir für jedes nachfolgende Cover was Neues einfallen lassen. Aktueller Höhepunkt ist bisher für mich der Flossen-Titel. Die Serie entstand bereits vor sieben Jahren und schon damals habe ich von einem Gelkissen-Aquarium auf dem Buch geträumt. Irre, dass man es jetzt genau so auch wirklich kaufen kann!
So lange, wie mir die Ideen da nicht ausgehen, wird es dieses Special weiterhin geben. Außer bei dem Frühreif-Band, der im Herbst kommt (aktualisierende Anmerkung für die Online-Version: gemeint ist Herbst 2006, der Band ist also mittlerweile erhältlich – d. Red.). Aber das ist ja auch ein richtiger Comic – andere Liga.

'Flossen' von Ralph RutheCG: Das Aquarium von Flossen ist wirklich eine witzige Sache. Die Cartoons fand ich manchmal etwas holzhammermäßig …

RR: Ja, mit den Flossen-Gags ist das natürlich wie bei allem: man kann unmöglich jeden Humor treffen. Ich sag immer, wenn du nur bei einem Drittel wirklich lachen musstest, bin ich schon echt zufrieden. So eine hohe Trefferquote erreichen bei mir die allerwenigsten Comedy-Sendungen.

CG: Hast Du eigentlich noch Kontakt zu Jo Kaps?

RR: Jo und ich sind nach wie vor befreundet. Wenn ich in Hamburg bin, treffen wir uns in der Regel auch, essen zusammen und quatschen ein paar Stunden. Viel mehr Kontakt ist auch schon fast nicht drin, weil dieser Mann einfach permanent arbeitet.


CG: Worum geht es in Frühreif, und wie unterscheidet es sich von Deinen sonstigen Arbeiten?

RR: Frühreif ist ja meine älteste Serie. Erste Seiten davon hab ich gemacht, als ich 16 war. Erste Strips sind in Zeitungen erscheinen vor elf Jahren. Seit mittlerweile sieben oder acht Jahren läuft die Serie in der WAZ. Inzwischen sind noch drei weitere Zeitungen dazu gekommen.
Frühreif ist meine Vorstellung von einem witzigen Jugendcomic. Sie handelt vom Alltag meines Alter Ego mit dem Namen Ralfi.
Die meisten Serien in diesem Genre handeln von Kindern, die ihren Eltern und Lehrern Streiche spielen, Fußball bolzen und einen hochintelligenten Professor in der Bande haben, der aberwitzige Erfindungen macht.
So war meine Kindheit absolut nicht. Mich haben als Kind vor allem Mädchen interessiert – und Abhängen mit Kumpels, wobei stundenlang sinnlos rumphilosophiert wurde. Und so gehts auch Ralfi. Der ist aber natürlich noch viel zu klein, um von irgendwas eine Ahnung zu haben. Außerdem wächst er mit Eltern auf, deren Rollenverteilung in der Ehe nicht den Standardklischees entspricht, tritt in Fettnäpfchen bei seinen Kontakten mit ausländischen Mitschülern, versagt beim Klavierunterricht und jammert beim Schulpsychologen.
Von meinen anderen Arbeiten unterscheidet die Serie sich vor allem durch den konsequenten Einsatz von festen Figuren und die Erzählform Comic. Frühreif gibt es als Drei-Panel-Strip und Vier-Panel-Onepager. Für mich eine schöne Abwechslung zu den Ein-Bild-Cartoons.
Das Buch wird sehr schön. Es enthält ein Best Of aus den bisher erschienen vier Alben, allerdings alles neu gezeichnet, neu koloriert und inhaltlich chronologisch geordnet. Das heißt, Figuren und ihre Charaktere erklären sich jetzt viel besser und werden nachvollziehbarer. Es wird Zeit, dass dieses Buch endlich kommt, denn die Frühreif-Alben lagen weit hinter dem, was die Serie sein könnte. Mit dem kommenden Buch setze ich meiner Meinung nach da eine neue Marke. Wird ein richtig schöner, sehr lustiger Comicband.


Ruthes Frühreif CG: Also geht das in Richtung Autobiographie? Wobei aber der Grundtenor wieder Humor ist, nehme ich an?

RR: Ja, es ist ein Gagstrip. Und er ist insoweit autobiografisch, als dass die Figur an meinen Charakter angelehnt ist, als ich noch Kind war. Das dient aber einfach nur als Stütze, weil ich die Figur dann in bestimmten Situationen besser einschätzen und agieren lassen kann. Ralfis komplettes Umfeld ist aber fiktiv und streift nur hier und da die Realität.

CG: Was gibt es von der geplanten Verfilmung zu berichten?

RR: Die Arbeiten an der Fernsehserie liegen seit etwa einem Jahr auf Eis. Es gibt einen etwa achtminütigen Piloten, den der WDR finanziert hat. Mit diesem Piloten waren eigentlich auch der Produzent (Hahn Film), der Sender und ich recht zufrieden. Allerdings waren dem WDR die Produktionskosten mit einem Mal zu hoch. Wir saßen zusammen in Köln um einen Tisch, als der Unterhaltungschef sagte: „Ja, schöne Sache. Aber Animation ist zu teuer. Lasst uns das Ganze doch mit Schauspielern machen.“ Da bin ich dann aufgestanden und gegangen.
Wie kurzfristig ist das denn bloß gedacht? Die Figuren müssten von Kindern gespielt werden. Und die werden älter! Die Serie wäre also in spätestens drei Jahren tot. Davon abgesehen hatte ich die Frühries niemals als Realverfilmung vor Augen. Viele Gags funktionieren nur als Trickfilm.
Also aktuell keine Fortschritte. Das macht mir aber nichts, weil mich meine anderen Projekte sehr ausfüllen. Außerdem fahre ich morgen nach Berlin, da ich von einer Produktionsfirma eingeladen worden bin, mit ihnen gemeinsam ein komplett neues TV-Animations-Konzept für Nickelodeon zu entwickeln. Das find ich interessant. Es geht also weiter, aber erst mal ohne Frühreif
(aktualisierende Anmerkung für die Online-Version: eine erste animierte Frühreif-Folge ist nun hier zu finden – d. Red.)

CG: Wie darf man sich eigentlich die Herstellung von so einer Animationsserie vorstellen?

RR: Bei Frühreif war es so, dass Character-Designs, Hintergründe und Drehbücher von mir waren. Teilweise auch die Storyboards. Anschließend wurde alles von CGI-Animatoren als 3D-Modelle nachgebaut und animiert.
Mir schweben neben Frühreif auch ein, zwei Inhalte vor, die sich für längere Erzählungen eignen und nicht per se reine Comedy sind. Ich weiß aber noch nicht, ob ich die als Comic umsetzen werde oder direkt zu Drehbüchern verfasse. Mal schauen …


CG: Genau das würde mich mal interessieren – ob Dir das ewige Gagschreiben nicht zu einseitig wird und Du kein Interesse daran hast, mal „ernstere“ Inhalte anzusprechen, eventuell dafür auch den Zeichenstil zu wechseln?

RR: Ich arbeite ja nicht im Humorgenre, weil ich es muss, sondern, weil mein Kopf voll ist mit Gags und ich einen Riesenspaß daran habe, mir absurde Situationen auszudenken und diese in Szene zu setzen. Ich hab mir das Gagschreiben also freiwillig ausgesucht und fühle mich damit sehr wohl.
Eine längere Erzählung mit mehr Tiefgang reizt mich trotzdem sehr! Und, ja: dafür würde ich meinen Zeichenstil wohl auch etwas modifizieren. Viel Spielraum gibt es nicht. Ich bin kein begnadeter Grafiker. Meine Stärken kenne ich aber sehr gut – Mimik, Gestik, plakative Inszenierung. Und die sind ja auch in einer längeren Story mit interessanten Hauptdarstellern von Vorteil.
Bevor ich ein solches Projekt in Angriff nehme, muss ich aber völlig von meiner Geschichte überzeugt sein. Und da hab ich noch sehr viel Arbeit vor mir. Die Zeit der Schnellschüsse ist bei mir vorbei.


CG: Neben Carlsen veröffentlichst Du schon seit acht Jahren Arbeiten im MAD-Magazin. Wo liegt da der Unterschied für Dich – kann man sich da Sachen erlauben, die bei Carlsen nicht möglich wären?

RR: Eher andersherum. Bei meinen Büchern und auf meiner Homepage bin ich völlig frei.
Die MAD-Jungs dagegen müssen schon sehr an ihre Zielgruppe denken, denn das Heft liegt jeden Monat am Kiosk und muss sich verkaufen.
Inzwischen bin ich aber recht frei und die Redaktion lässt mich dankenswerterweise soweit eigentlich machen, was ich möchte. Früher musste ich themenbezogener arbeiten: Promiverarschungen, TV-Show-Parodien etc. Das fand ich irgendwann furchtbar und habe darum gebeten, mein Ding machen zu können. Und das darf ich jetzt zum Glück. Mittlerweile mache ich bei MAD vor allem Onepager, die meist ohne Text funktionieren. Auch da kann ich schön meine Neigung zum Darstellerischen, Schauspielerischen ausleben. Das macht mir viel Spaß und kommt auch bei den Lesern an.

CG: MAD will ja bewusst mitunter derbe sein. Ich dachte halt, dass so etwas vielleicht nicht bei Carlsen möglich wäre.

RR: Mir geht es bei meinen Sachen nie um Provokation. Von daher ist der „was ist bei dem Verlag möglich“-Faktor für mich nicht so relevant. Bestimmt gibt es immer wieder Arbeiten von mir, an denen manche Menschen Anstoß nehmen. Aber das ist nicht mein Ziel, sondern liegt einfach an der unterschiedlichen subjektiven Wahrnehmung von Humor.
MAD ist grundsätzlich schon derbe, richtig. Vor allem, was Ekelgrenzen und bestimmte Gewaltdarstellungen betrifft. Vieles von dem, was im deutschen MAD veröffentlicht wird, ist absolut nicht mein Humor. Trotzdem ist es für mich immer noch eine gute Veröffentlichungsmöglichkeit, natürlich auch eine regelmäßige Einnahmequelle und definitiv ein Türöffner bei vielen beruflichen Kontakten. Als „MAD-Zeichner“ hat man bei vielen Redaktionen, Produktionsfirmen und Fernsehsendern oft sofort einen gewissen Status.
Ich möchte bei aller inhaltlicher Kritik von meiner Seite aber noch betonen, dass ich mit der MAD-Redaktion privat gut befreundet bin. Ich mag die Bande menschlich unheimlich gerne und das ist natürlich auch immer ein wichtiger Faktor für Zusammenarbeit. Wir ham reichlich Spaß!

CG: Werden Deine Sachen dann auch in fremdsprachigen MAD-Magazinen aufgenommen? Oder sind die sehr auf Deutschland zugeschnitten?

RR: Die Sachen, die ich fürs deutsche MAD mache, erscheinen nicht im Ausland. Allerdings gibt es Sachen von mir im ausländischen MAD!
Denn sowohl Flossen als auch Shit Happens erscheinen in ausländischen MAD-Versionen. Ich glaube, in Polen, Schweden und noch irgendwo. Das läuft aber alles über meine Lizenzagentur Bulls, daher weiß ich es leider gerade nicht so exakt.

CG: Bekommst Du eigentlich Leserresonanz, merkst also, was besser ankommt und was schlechter?

RR: Leserresonanz bekomme ich viel per E-Mail, ja! Eigentlich vergeht kein Tag ohne elektronische Leserpost oder Gästebucheintrag. Ich find das super, wenn ich weiß, was wie ankommt!

CG: Schaffst Du es , auf die Leserbriefe zu antworten?

RR: Ja, ich beantworte jede E-Mail!


CG: Sehr beliebt sind ja auch Deine Anzeigenverarschen „Ruthe reklamiert“. Ich habe gelesen, dass die sogar bei den verulkten Firmen meist gut ankommen. Aber trotzdem: begibt man sich da nicht in Gefahr von Urheberrechtsverletzungen? Oder lasst Ihr es drauf ankommen?

RR: Was wir in MAD machen läuft alles unter Satire. Dieser Bereich ist im als so oft humorlos gescholtenen Deutschland ziemlich gut abgesichert. Ich kann also parodieren was ich möchte, kein Problem!
Wenn die Firmen wollten, könnten sie mit Sicherheit klagen. Nur bringen würd‘s nix.

CG: Reden wir noch ein bisschen allgemeiner über Dich. Welcher war der letzte gute Comic, den Du gelesen hast?

RR: Ich bin im Abo vom Reprodukt-Verlag. Dadurch bekomme ich nicht gerade selten gute Comics direkt ins Haus (sehr zu empfehlen). Ich mochte sehr gerne den zweiten Teil von Manu Larcenets Der alltägliche Kampf. Sehr gut gefallen hat mir auch der aktuelle Monsieur Jean von Dupuy/Berberian und beim letzten Herr Hase von Trondheim hatte ich einen Kloß im Hals. Klasse war wie immer der neue ZITS, um auch was aus dem Humorbereich zu nennen. Und The Black Beach von Robert Labs hat mir ebenfalls gefallen. Robs Zeug ist schon ein bisschen wirr, aber er ist ein geiler Zeichner und hat teilweise sehr schöne, bekloppte Ideen.
Ach, ich sollte ja nur einen nennen. Tschuldigung.
Blankets (Speed Comics) habe ich übrigens auch noch verschlungen. Wunderschön!

Shit Happens!
CG: Welcher ist Dein persönlicher Lieblingscartoon (von Deinen eigenen und von anderen)?

RR: Oh, schwierig! In meiner Cartoon-Top-10 der Cartoons von Kollegen ist Perscheid mit seinen „Frauenparkplätzen“ sehr weit oben. Gary Larson hat reichlich tolle Sachen abgeliefert und Joscha hatte außerdem mal das wunderbare Ding mit dem Jungen, der Axt und der kleinen Katze gemacht, wo die Mutter den Raum verlässt und sagt: „Mach keine Dummheiten“, oder so ähnlich. Super, weil alles Weitere dem Betrachter überlassen wird.
Einer meiner persönlichen Besten dürfte der mit der Kissenschlacht und dem Fakir in der Jugendherberge sein. Aber ich muss gestehen, dass ich von mir fast alle mag. Sonst hätte ich sie nicht gezeichnet!

CG: Wie siehst Du momentan die deutsche Comicszene, soweit Du das mitbekommst? In der letzten Zeit hat sich ja doch einiges getan (zum Beispiel Zurückfahren der Frankobelgier bei den großen Verlagen).

RR: Das kann ich so gar nicht sagen. Ich lese und kaufe nach wie vor gerne Comics und für mich sind auch immer wieder tolle Sachen dabei. Mich persönlich lässt es kalt, wenn Blaue Boys oder ähnliche staubigen Serien nicht oder nur noch bei kleinen Verlagen weiter laufen.
Entwicklungen sind normal, gehören zu jedem Medium dazu. Und wenn heute keiner mehr die klassischen frankobelgischen Sachen und Superhelden lesen will, dann ist das eben so. Stattdessen tut sich in der deutschen Szene ja recht viel. Neue Stile, neue Erzählweisen und neue Veröffentlichungsformen (Internet). Ich bin sehr optimistisch, aber ich war und bin ja mit meinem Cartoon- und Strip-Material sowieso immer der Funny-Mainstream-Bereich. Und der hat ja in Deutschland eigentlich noch nie einen sonderlich schweren Stand gehabt.


CG: Macht Dir das Schreiben genauso viel Spaß wie das Zeichnen? Schließlich musst Du Dir ja viele Lügengeschichten für Käpt‘n Blaubär ausdenken … Werden die eigentlich von Walter Moers abgesegnet?

RR: Ja, sowohl das Schreiben als auch das Zeichnen hasse/liebe ich gleichermaßen. Je nach Tagesverfassung und Laune das eine mehr und das andere weniger. Soweit ich weiß hat Moers bei Blaubär fast nichts mehr zu sagen.


CG: Wenn Du Dir jemand aussuchen könntest, dem Du eine Frage stellen dürftest (ob tot oder lebendig), wer wäre das und was würdest Du fragen?

RR: Fragen habe ich keine, an niemanden!

CG: Kein Vorbilder, keine Personen, die Du bewunderst?

RR: Doch, absolut! Große Vorbilder waren/sind für mich Franquin, Marcel Gotlib, Matt Groening, Goscinny und Jerry Seinfeld.
Ich würde mit jedem von denen auch gerne ein langes Gespräch führen. Trotzdem gibt es nicht die eine Frage, die ich ihnen stellen möchte. Sie kennen zu lernen, erleben zu dürfen – das wäre aber natürlich ohne Zweifel großartig!

Ruthes Hasenmann im Comicgate-LookCG: Du bist auch ein sehr musikbegeisterter Mensch. Welche CD befindet sich gerade in Deinem CD-Player, und welche sind die drei peinlichsten Lieder in Deiner MP3-Sammlung?

RR: In diesem Augenblick läuft das Album von David Kitt. Ich höre sehr gerne Singer/Songwriter-Sachen, aber auch viel Elektronisches. Am liebsten noch Gruppen, bei denen sich diese Genres überschneiden, zum Beispiel Bran Van 3000 – sensationell.
Die drei peinlichsten Lieder auf meinem MP3-Player sind übrigens:
– „Du trägst keine Liebe in dir“ von Echt
– „L‘amour toujours“ von Gigi D‘Agostino
– „I believe“ von BroSis
Mein Gott, die gehen echt ganich!!!


CG: Zum Abschluss: was gibst Du interessierten Zeichenanfängern mit auf den Weg? Irgendwelche Tipps für Einsteiger ins Comicgeschäft?

RR: Üben, üben, üben! Wenn Ihr wirklich Comiczeichner werden wollt, dann werdet Ihr es auch!

CG: Vielen Dank, dass Du Dir die Zeit für uns genommen (und unser Printmagazin sehr unterstützt) hast, Ralph!

Links zum Thema

www.ruthe.de
www.ruthe-reklamiert.de (Ruthes Werbeparodien für das MAD-Magazin)
www.die-fruehreifen.de (Website zu Frühreif mit momentan über 150 Comicstrips)
www.carlsen.de
www.madmag.de

Shit Happens-Bände bestellen bei ComicCombo oder amazon.de
Flossen bestellen bei ComicCombo oder amazon.de
Frühreif bestellen bei ComicCombo oder amazon.de

Foto Ralph Ruthe: Copyright Wolfgang Holm
Zeichnungen: Copyright Ralph Ruthe