Interviews

Interview mit Felix Mertikat und Benjamin Schreuder


Cover von JakobDie Märchenfabel Jakob ist das Comicdebut des Zeichners Felix Mertikat (geb. 1983) und des Autors Benjamin Schreuder (geb. 1981). Der Band entstand als Diplomarbeit am Animationsinstitut der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg.

Der kleine Jakob versteht nicht, dass seine Mutter gestorben ist. Der Pfarrer versucht es ihm zu erklären, indem er ihren Tod mit „sie ist von uns gegangen“ umschreibt. Jakob nimmt diesen Satz wörtlich und hofft, dass er seine Mutter auf ihrer weiten Reise noch einholen kann. Er begibt sich auf eine lebenslange Suche, denn niemand außer den Raben und Füchsen kennt den Weg zu dem Ort, an dem Jakob seine Mutter zu finden hofft.

Comicgate: Wie seid Ihr bei Jakob zusammengekommen? Habt Ihr während des Studiums schon miteinander gearbeitet?

Benjamin Schreuder: Ich habe das Glück gehabt, Felix im Herbst 2008 sehr bald nach Beginn meines Studiums kennenlernen zu dürfen. Ich entwickelte mit einem Regie-Studenten das Drehbuch für einen Fantasy-Film, und Felix wurde mir gleich als zeichnerische Wunderwaffe des Projekts angekündigt. Seine Skizzen brachten faszinierende Details für Figuren und die Erzählwelt in die Geschichte ein. Felix und ich stellten fest, dass wir eine ähnliche Lust am Fabulieren haben und eine Faszination für groteske, düstere Märchenwelten teilen. Trotzdem war ich überrascht, als er mir beim Glühwein am Weihnachtsmarkt von dieser Geschichte mit dem kleinen Jungen „Jakob“ erzählte und mich frei heraus fragte, ob ich Lust hätte, einen Comic mit ihm zu schreiben.

CG: Felix, was bedeutet es Dir, dass Jakob als erstes Comicprojekt von der Filmakademie Baden-Württemberg als Abschlussarbeit anerkannt wurde? War es ein besonderer Ansporn für Dich, die Idee durchzusetzen?

Felix Mertikat: Auf jeden Fall kann man sagen, dass es eine Menge Eigeninitiative brauchte, um sich gegen eine vom Film dominierte Projektauswahl aufzulehnen. Zum Glück konnten das Konzept und die ersten Zeichnungen genug Vertrauen schaffen, dass der Jakob-Comic angenommen wurde. Für mich war es natürlich toll, dass ich als Zeichner in einem solchen Medium arbeiten durfte, obwohl das Profil der Schule natürlich ein gänzlich anderes ist.

CG: Wie kommen zwei Endzwanziger darauf, sich einer Geschichte über den Tod zuzuwenden?

Benjamin Schreuder: Ich denke, sich mit der Endlichkeit, Sterblichkeit und Verlust(ängsten) auseinanderzusetzen, ist nur scheinbar eine Sache für Menschen in ihrer Midlife Crisis oder auch alte, griechische Philosophen mit Bärten. Kinder fragen ja bereits, wo ihr Haustier hingeht oder eben ihre Oma, nachdem sie gestorben sind. Sie malen sich reich aus, was das heißt, „im Himmel“ zu sein. Für Kinder ist alles noch da, nur halt woanders oder in anderer Form. Felix und ich haben uns diesen spielerisch-intuitiven Umgang mit dem Thema „Tod“ bewahrt. Für uns ist es auch nicht damit getan, dass ein Gehirn aufhört zu funktionieren und der Körper in seine Bestandteile zerfällt. Bei uns bleiben da viele Fragen. Auf der anderen Seite ist es so, dass durch die Pressetexte und den Text auf dem Backcover des Jakob-Buchs („Tod durch Kinderaugen“ usw.) der Fokus stark auf dieses Thema gelenkt wird. Felix und ich haben in der Entwicklung der Geschichte nie großartig über Tod gesprochen. Was uns mehr interessierte, war die tragische Suche des Jungen, seine Sehnsucht nach der Mutter, sein Fragenstellen und die hilflosen und oft manipulativen Antworten der Erwachsenen. Jakob ist sicherlich ebenso eine Geschichte über Freundschaft, Liebe zur Mutter, über die Sinnsuche, über das Altwerden … letztlich mehr über das Leben als über den Tod.

CG: Wieso begibt sich ausgerechnet ein Kind auf den letzten Weg?

Felix Mertikat: Tolkien hatte dazu bereits geschrieben, dass es „das unwahrscheinlichste Wesen“ sein würde, welche die Reise unternimmt. Einen alten Mann auf den letzten Weg zu senden ist glaubwürdig, einen Erwachsenen spannend und wenn ein Kind diese Reise antritt, kann eine besonders erzählenswerte Geschichte rauskommen. Die Fallhöhe ist schlicht größer!

Seite aus JakobCG: Habt Ihr die Idee, ein Märchen zu erzählen, als Wagnis empfunden, weil es als etwas Altbackenes wahrgenommen werden könnte? War das vielleicht sogar eine Herausforderung für Euch oder war es einfach einer gemeinsamen Vorliebe für Märchen geschuldet?

Benjamin Schreuder: Ähnlich wie den Themenkomplex „Tod“ haben wir den Märchencharakter unserer Geschichte nie besonders reflektiert. In Jakob kommt wohl zunächst mal unsere Vorliebe für die Bereiche Märchen, Mythen, Surrealismus und Fantasy/Science Fiction zum Ausdruck. Auch arbeiten Felix und ich viel mit Ideen aus unseren Träumen und Tagträumen, die ja oft märchenhaft sind – und schließlich sind ja Märchen und Mythen nichts anderes als kollektive Träume. Jakob ist aber sicherlich eher eine persönliche, moderne Interpretation der Märchengattung: Es gibt nicht den guten König, die schöne Prinzessin oder das immergute Helfertier. Es kann also kein Happy End geben. Umgekehrt gibt es in „Jakob“ aber auch nicht den bösen Zauberer oder die Hexe, denn auch daran glauben wir nicht. Wir wollten ein Märchen schreiben, das nichts vorgaukelt, nichts verkitscht und keine sedative Wirkung hat – im Gegenteil.

CG: Gab es literarische oder grafische Vorbilder, die ganz besonderen Einfluss auf Jakob genommen haben?

Felix Mertikat: Die Gebrüder Grimm, Hans Christian Andersen, Michael Ende, Saint-Exupéry, Murakami und Kafka hatten einen unterschwelligen literarischen Einfluss auf unsere Ideen. Zeichnerisch fällt es da schwerer, einzelne Personen oder Produkte zu nennen. Mike Mignola, Alfons Mucha, die Optik der Studio-Ghibli-Filme und einige Bilder, deren Urheber ich gar nicht kenne (die aber sicher auf meinem Rechner liegen), haben mich sicherlich inspiriert.


CG: Was beim Lesen sofort ins Auge springt, ist die experimentierfreudige Anordnung der Panels. Habt Ihr Euch darüber verständigt oder blieb das vor allem eine Sache des Zeichners? War das von Beginn an geplant oder ergab es sich im Verlauf der Arbeit?

Benjamin Schreuder: Da ich zeichne wie ein Siebenjähriger, ist alles Visuelle zunächst mal Felix‘ Bereich. Er hat mich aber immer an seinen Vorstellungen und Entwürfen teilhaben lassen. Wie schon beim gemeinsamen Entwickeln der Geschichte entstand die Paneleinteilung völlig intuitiv. Uns war wichtig, dass das Buch „ein Herz“ hat und das ist eben wichtiger als technische „Sauberkeit“ und Perfektion. Ein gewisses Chaos, gewisse Redundanzen machen die Bilder und die in ihnen vermittelte Welt erst lebendig und persönlich.

Seite aus JakobCG: Felix, war es für Dich schwierig, sich nach der Arbeit als Illustrator auf die Gesetze der Comicerzählung einzulassen?

Felix Mertikat: Jein. Hätte ich einen typischen Comic gemacht, wäre das auf jeden Fall so gewesen. Aber die Art, wie ich bei Jakob vorgegangen bin, passt natürlich sehr zu meiner Arbeitsweise und der Routine, die ich über Jahre entwickelt habe. Die großen Illustrationen mit den kleinen Inserts zum Beispiel machten den Schritt zu der für mich neuen Erzählform Comic kleiner. Meine langjährige Erfahrung als Illustrator hat mir zudem geholfen, präzise in einem Bild eine Aussage zu treffen, während ich in der Arbeit als Storyboarder ein Gefühl dafür entwickelt habe, wie man eine Geschichte ohne Text erzählen kann. Die Arbeit am Comic aber hat etwas Drittes in mir eröffnet, eben die Verschmelzung beider „Fähigkeiten“.

CG: Ihr arbeitet gerade an einem Animationskurzfilm, der Jakobs Geschichte erzählt. War Jakob schon als gleichzeitiges Film- und Comicprojekt angelegt?

Benjamin Schreuder: Die Idee, die Comicbilder in Filmform zu bringen, kam erst später. Eine Freundin hat für die Pflichtpräsentation an der Filmakademie den inzwischen im Internet verbreiteten Trailer für uns gemacht. Wir fanden, dass die Erzählweise mit „virtuellen“ Schwenks, Zoom, Überblendungen und Schnitten ganz gut zu den Bildern passt und einen traumartigen Sog erzeugt. So kam es zu der „Stills-Animated-Fassung“, die wir während des Comic-Salons in Erlangen präsentiert haben. So wie’s aussieht, werden wir den Film noch mit Musik und Stimmen vertonen. Eine Festival-Auswertung ist denkbar.

CG: Was sind die Gründe dafür, dass Ihr gemeinsam mit Beren Baumgartner eine Crossmedia-Studio aufbaut? Welche Projekte stehen dafür bei Euch auf dem Plan?

Felix Martikat: Hauptgrund war sicherlich die Vereinigung unterschiedlicher Fähigkeiten und Talente, die wir drei zusammen in das Zeitland-Studio einbringen: von Benjamin beim Text, von mir bei der Grafik und von Beren beim Game-Design, der interaktiven Medien-Auswertung und dem wirtschaftlichen Management. Ich würde sagen, dass wir der Synergie Vorschub geleistet haben. Als Studio sind wir auch einfach schlagkräftiger und können unseren eigenen Ideen und Projekte anders auf dem Markt durchsetzen.
Wir entwickeln fürs nächste Jahr einen neuen Comic für Cross Cult: eine Kriminalgeschichte in einem Steampunk-Universum voller übernatürlicher Phänomene und bizarrer Maschinen. Parallel arbeiten wir am Browsergame Rust Raiders, das uns den digitalen Markt erschließen soll. Für beide Welten ist eine crossmediale Auswertung geplant, es soll zum Beispiel auch ein Hörspiel geben und andere sinnvolle Medienderivate, die neue Aspekte der jeweiligen Welt erfahrbar machen, womöglich Brettspiele, interaktive Internetseiten oder Romane.

CG: Danke für das Gespräch!

NACHTRAG 30.08.2010
Wie soeben bekannt gegeben wurde, erhalten Felix Mertikat und Benjamin Schreuder den diesjährigen Sondermann-Preises im Bereich „Newcomer“ auf der Frankfurter Buchmesse (Comic-Zentrum) Anfang Oktober.


Bei Cross Cult gibt es eine zwölfseitige Leseprobe. Die Künstler haben ein Blog über Jakob eingerichtet.

Jakob
Cross Cult, Juni 2010
Text: Benjamin Schreuder
Zeichnungen: Felix Martikat
Hardcover, 64 Seiten, farbig; 16,80 Euro
ISBN
: 978-3941248823

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 Abbildungen © Felix Martikat