Frisch aus der Druckerei

Frisch aus der Druckerei: Juli 2011

Unser monatlicher Rückblick auf die aktuellen Comic-Novitäten: Diesmal mit einem zum Album gewordenenen Webcomic, mehreren deutschen Manga, Cartoons auf Schwäbisch und ausgegrabenen Perlen aus den USA.

HIGHLIGHT DES MONATS 

Deae ex machina 1Man kann das, wenn auch in dem bescheidenem Rahmen des kleinen Nischenmarkts namens Comic, als Erfolgsgeschichte bezeichnen: Der Grafiker Frank Weißmüller, der sich als Comiczeichner einfach nur Erik nennt, nimmt sich ein Sabbatjahr, um an einer eigenen, epischen Comicgeschichte zu arbeiten, die er sukzessive online veröffentlicht. Sein markanter, unverwechselbarer Stil und das originelle Szenario sorgen schnell für Aufmerksamkeit. Später wird Deae ex machina zu einer der Flaggschiffserien im neuen Magazin Comix und nun liegt bei Epsilon endlich das erste Album der auf insgesamt fünf Ausgaben angelegten Reihe vor. Deae verquickt sehr geschickt verschiedene Genres und diverse Zeitebenen von der Antike bis zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Zusammengehalten wird das Geflecht durch die drei Göttinnnen, die nicht nur als sexy Blickfang dienen, sondern auch für eine humorvoll-ironische Ebene sorgen. Sehr zu empfehlen. Eine Leseprobe der Albenausgabe steht bei myComics, außerdem steht die Webcomic-Version mit bisher 167 Seiten nach wie vor kostenlos zur Verfügung.

EIGENPRODUKTIONEN

Das könnte Ihnen gefallen, wenn Sie die Comics und Witzbildchen von Katz & Goldt mögen: Der Kasseler Zeichner Leonard Riegel veröffentlicht seit einer Weile ebenfalls in der Titanic. Sein erstes Buch heißt Die Jagd nach der zündenden Idee und erschien bei der Edition Moderne, die auch eine Leseprobe anbietet.

Der Grimms Manga Sonderband von Tokyopop enthält Kurzgeschichten diverser Mangaka, die als Tribut an die erfolgreiche Reihe von Kei Ishiyama eigene Umsetzungen von Märchen der Brüder Grimm (darunter Rumpelstizchen, Die Bremer Stadtmusikanten u.a.) beisteuern. Vertreten sind unter anderem Anike Hage und Nina Werner.

Royal Lip ServiceMit Royal Lip Service legt die Dresdnerin Marika Paul (Daftball) bei Carlsen ihren ersten Boys-Love-Manga vor. Romantik und Intrigen an der Dresdner Universität!

Die Hamburger Firma Twintime entwickelt zur Zeit das Action-Videospiel Odessa Twins. Noch bevor das Game auf den Markt kommt, gibt es bei Carlsen den begleitenden Manga, der die Vorgeschichte zur Spielehandlung erzählt. Das Skript stammt von Stefan Brönneke, der auch Autor und Regisseur des Spiels ist, die Zeichnungen von der Wuppertaler Künstlerin Tamasaburo.

Comicveteran Helmut Nickel, der auf dem Comicfestival München geehrt und von vielen Besuchern ganz neu entdeckt wurde, gestaltete in den späten Fünfziger Jahren die Serie Peters seltsame Reisen für die Zeitschrift Harry – Die bunte Jugendzeitung. In den jeweils nur eine Seite langen Episoden traf die Hauptfigur Peter, ein „ganz normaler Junge“, auf viele fiktive Gestalten der populären Literatur (z.B. Sindbad, Baron Münchhausen oder auch Nick, den Weltraumfahrer). Bei Salleck Publications erschien nun eine Gesamtausgabe dieser Geschichten in einem Hardcover-Band. Gerhard Schlegel (Laska Comix) betreute diesen liebevoll gestalteten Band, restaurierte das Material und kolorierte einige Episoden neu. Kostproben sind hier zu sehen.

Schwäbische Mundart gab es im Juli gleich doppelt: Beim Esslinger Verlag erschien ein Band mit neuen Cartoons und Kurzcomics rund um Äffle und Pferdle, die Trickfiguren aus der Fernsehwerbung, die im Südwesten Kultstatus haben (Fragen Sie einen beliebigen Baden-Württemberger, der in den 70er oder 80er Jahren groß wurde!). Hier ein Blick ins Buch. Und bei Carlsen erschien erstmals eine Dialekt-Ausgabe von Ralph-Ruthe-Cartoons: aus Shit happens! wurde Scheissdregg bassiert halt. Ruthe kreierte dieses Buch zusammen mit seinem Freund Dominik Kuhn, der mit zahlreichen „Schwaben-Synchros“ bei YouTube bekannt wurde. Hier der Clip zum Buch:

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AUS DEN USA

GazaEdition Moderne bringt mit Gaza von Joe Sacco den Nachfolgeband zu Palästina. Nachdem er in Neunziger Jahren Palästina bereist und in Comics darüber berichtet hatte, und später nach Ex-Jugoslawien ging, begab sich der Meister des Reportagecomics 2002/2003 erneut in den Nahen Osten. Er recherchierte zwei wenig bekannte historische Tatsachen, die zu den Wurzeln des Nahostkonflikts führen: zwei Erschießungsaktionen im Jahr 1956, bei der hunderte Palästinenser von israelischen Soldaten getötet wurden (Leseprobe).

Zwei kleine amerikanische Perlen hat Nona Arte ausgegraben: Fell ist der Versuch von Autor Warren Ellis und Zeichner Ben Templesmith, kleine, in sich abgeschlossene Kurzgeschichten von 16 Seiten zu erzählen, wobei sich aber im Hintergrund trotzdem ein „großes Ganzes“ entspinnt. Die Hauptfigur Richard Fell, ein desillusionierter Polizist, der in das verkommenste Viertel der Stadt Snowtown versetzt wird, ist eine typische Ellis-Figur, genau wie das dreckige Snowtown ein typischer Ellis-Schauplatz ist. Mit den Fell-Episoden, die durch strenge formale Vorgaben geprägt sind, kehrte der Autor, der zwischendurch viel mittelmäßige Selbst-Kopien abgeliefert hatte, zur erzählerischen Stärke von Transmetropolitan zurück. Leider blieb die Serie nach nur 9 Ausgaben mittendrin hängen und wartet seit dreineinhalb Jahren auf weitere Fortsetzungen. Immerhin die ersten acht Kapitel sind aber nun endlich auf Deutsch verfügbar. (US-Preview)

Supreme 1Eine noch unglücklichere Publikationsgeschichte hat Supreme erfahren: Entstanden war die Serie als Teil des großen Image-Spektakels der Neunziger Jahre, geschaffen vom damaligen Zeichner-Superstar Rob Liefeld als Superman-Kopie. Wie in jenen Tagen üblich, stand vor allem visuelles Spektakel im Vordergrund, die Story war zweitrangig. Bis im Jahr 1997 mit der Nummer 41 ein gewisser Alan Moore als Autor verpflichtet wurde und der Serie eine völlig neue Richtung gab. Fortan war Supreme ein Metacomic, eine Hommage an den klassischen Superman des Silver Age, ein Spiel mit dem Genre Superheldencomic und seiner Historie. Moores Supreme-Run endete nach zwei Dutzend Heften abrupt, weil Liefelds Verlag Awesome dicht machen musste (ein sehr ähnliches Konzept verfolgte er dann später in Tom Strong). Nona Arte sammelt die komplette Moore-Storyline „The Story of the Year“ in zwei Paperbacks, deren erster im Juli erschienen ist. Diese basieren auf den Sammelbänden von Checker Publishing, die vor allem wegen ihrer schlechten Bildqualität gerügt wurden (die Originalvorlagen aus den Neunzigern sind verschwunden, daher mussten die Seiten neu eingescannt werden), wobei man sich für die deutsche Ausgabe eigens bemüht hat, die Grafik so gut wie möglich zu restaurieren.

The Unwritten 1Panini brachte im Juli den ersten Band einer bemerkenswerten Vertigo-Serie auf den Markt: The Unwritten von Mike Carey und Peter Gross erzählt von dem Sohn eines berühmten Autors, der eine sehr erfolgreiche Buchreihe á la Harry Potter geschaffen hat, aber nun verschwunden ist. Es geht „um die Literatur als Ganzes, um ihr Verhältnis zu und ihre Auswirkungen auf unsere Realität“, schreibt Björn Wederhake im Comicgate-Magazin 5, und weiter: „Ein intelligenter Comic, der kein Interesse daran hat, sich freiwillig dumm zu stellen und der sich besonders an Menschen richtet, die Bücher und Literatur lieben.“ Kapitel 1 gibt’s bei myComics.

Außerdem holte Panini ein paar ältere Werke aus dem Dachboden von DC Comics: Sandman präsentiert 4: Destiny von Alisa Kwitney und diversen Zeichnern ist ein weiterer Sandman-Spin-Off, der in den USA 1996 erschien (Leseprobe). Camelot 3000 stammt aus den frühen 80er Jahren, der Zwölfteiler war laut Wikipedia DCs erste Maxiserie. Autor Mike W. Barr und Zeichner Brian Bolland lassen darin König Arthur und seine Ritter der Tafelrunde im Jahr 3000 gegen Außerirdische antreten. Die deutsche Ausgabe sammelt die komplette Reihe in einem Hardcover-Band. Hier das erste Kapitel. Batman: Dark Victory schließlich kam 1999/2000 als 14-teilige Maxiserie auf den Markt (und erschien vor einigen Jahren schonmal in Einzelausgaben bei Panini). Das Kreativteam Jeph Loeb und Tim Sale knüpft darin an seine erfolgreiche Batman-Storyline The Long Halloween an. Es geht um Batmans frühe Jahre, den Kampf gegen Two-Face und wie er zu seinem jugendlichen Partner Robin kommt (Leseprobe).

In der Marvel-Abteilung stand im Juli das Crossover-Event Shadowland im Mittelpunkt, das sich rund um die Serie Daredevil drehte. Daredevil ist darin zum Anführer der einst von ihm bekämpften Organisation „Die Hand“ geworden und ist ein noch düstererer Geselle geworden als er ohnehin schon war. Die Shadowland-Hauptserie von Andy Diggle und die diversen Specials und Tie-Ins sammelt Panini in zwei Ausgaben der Daredevil-Reihe (Nr. 9 und 10), sowie einem Shadowland Special und einer Marvel Monster Edition.

Zum Filmstart von Captain America erschien als Marvel Exklusiv 93 die Miniserie Captain America: Der Auserwählte aus dem Jahr 2007, geschrieben von David Morrell, dem Autor jener Romane, aus denen später die Rambo-Filme wurden. Kapitel 1 gibt’s bei myComics.

Ordentlich zur Sache geht es in Deathlok der Zerstörer (Band 41 in Paninis „Marvel Max“-Reihe): Charlie Huston und Lan Medina erzählen ein Zukunftsszenario, in dem Kriege als Actionsport in Arenen stattfinden. Hier die Leseprobe.

Wenn Popkultur sich im Kreis dreht, entsteht ein Comic zum Videospiel zum Comic: Der Konzern Sony betreibt seit Anfang dieses Jahres das Online-Rollenspiel (MMORPG) DC Universe Online, basierend auf den Superhelden aus dem DC-Universum. Bei DC Comics erscheint dazu ein Jahr lang die 14-tägliche Serie DC Universe Online Legends von Marv Wolfman und Tony Bedard, die bei Panini in Form von sechs Sammelbänden herauskommt. Heft 1 kann man bei myComics lesen.

Tokyopop ergänzt seine Edition von Jeff Smiths Fantasy-Klassiker Bone mit dem Sonderband Rose, gezeichnet von Charles Vess. In dem Prequel (das 2002 schon mal bei Carlsen auf Deutsch erschien) wird die Vorgeschichte von Gran’ma Ben erzählt, die sich als junge Prinzessin Rose mit einem Drachen auseinandersetzen muss (US-Leseprobe bei Amazon).

AUS GROSSBRITANNIEN

Ein Klassiker des britischen Zeitungscomics ist Andy Capp von Reg Smythe, dessen Strips seit 1957 im Daily Mirror erscheinen. Bei uns heißt der Arbeitslose mit der ins Gesicht gerutschten Mütze Willi Wacker. In den vergangenen Jahrzehnten erschienen Strips in diversen deutschen Zeitungen und immer wieder auch mal Sammelbände. Beim BSE Verlag gibt es jetzt neue Buchausgaben, Band 1 heißt „Das Leben ist hart… hicks!“

AUS FRANKREICH UND BELGIEN

Der Mörder weinteZwei neue Einzelbände bei Schreiber & Leser: Der Mörder weinte von Thierry Murat ist die Adaption eines Romans von Anne-Laure Bondoux. Er erzählt von einem Jungen, der in Patagonien recht einsam mit seinen Eltern lebt, bis eines Tages ein Fremder kommt, seine Eltern tötet und bei dem Jungen bleibt (Leseprobe). Sarane vom Zeichner Lax, in Frankreich schon 1994 erschienen, spielt in den 20er Jahren in der Sahara und hat wohl Ähnlichkeiten mit Der Englische Patient (Leseprobe).

Die Ehapa Comic Collection bringt einen neuen Comic von Enki Bilal: Julia & Roem, eine Fortsetzung des Vorgängerwerks Animal’z, das in einer postapokalyptischen Welt spielt. Diesmal mischt er noch eine ordentliche Portion Shakespeare bei.

Nero (ebenfalls bei Ehapa) ist ein All-in-One-Band, der eine Albenreihe des italienischen Kreativteams Alex Crippa, Andrea Mutti und Angelo Bussacchini enthält. Die Titelfigur Nero ist ein Privatdetektiv, der es mit einem Serienmörder zu tun bekommt. Eine PDF-Leseprobe gibt es hier.

Zur erfolgreichen Serie Das dritte Testament von Xavier Dorison und Alex Alice startet bei Carlsen die Prequel-Serie Das dritte Testament: Julius. Diese spielt im alten Rom der Antike und erzählt die Ursprünge der im Mittelalter angesiedelten Hauptstory. Es gibt eine französische Leseprobe sowie diesen Trailer:

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Das ausschweifende Leben des NylonmannsBeim Splitter Verlag gibt’s einen Einzelband mit dem seltsamen Titel  . Der Titel ist aber bei weitem nicht das ungewöhnlichste an diesem Comic des belgischen Zeichnerstars Hermann. Autor ist der Deutsche Hans-Michael Kirstein, der über viele Jahre vom Fanboy zum Freund von Hermann wurde und ihm schließlich ein Szenario schreiben durfte, das man als surreale, sehr absurde, überdrehte Science-Fiction-Parodie bezeichnen könnte. Die Kostprobe auf splitter.de enthält auch den ersten Teil eines aufschlussreichen Interviews mit dem Autor.

Klassischer geht es da in den übrigen neuen Splitter-Serien zu: Black Jack von Steve Cuzor (O’Boys) erzählt die Geschichte von Al Capone und anderen Mafiagrößen aus der Sicht von Kindern (Leseprobe). Mit Lancelot gibt’s neuen Stoff für Ritterfans: Jean-Luc Istin (Die Druiden) versucht sich an einer Neuinterpretation der Artus-Sage (Leseprobe). Und mit dem Zweiteiler Die Geister von Troy erscheint ein weiterer Spin-Off aus Christophe Arlestons erfolgreichem Troy-Universum (Leseprobe).

Bei dem für Humor zuständigen Splitter-Label Toonfish wird das Schlümpfe-Programm um die Reihe Schlumpfereien ergänzt. Die Bände im kleinen quadratischen Format enthalten kurze Gagstrips, One-Pager und Cartoons. Auch hier gibt’s eine Leseprobe.

AUS ASIEN

Tokyopop startet eine neue Serie von Kauro Mori (Emma): Young Bride’s Story spielt im 19. Jahrhundert und handelt von einer jungen Frau, die nach einer arrangierten Hochzeit mit einem viel jüngeren Jungen in ein anderes Dorf geht, aber später von ihrer Familie wieder zurückbeordert wird. Laut Verlag „ein berührendes Märchen in opulenten Bildern“.

Fußball, Fantasy und Teenageromanze vermischt EMAs neue Mangaserie Love Chains von Mayu Shinjo: hier die Leseprobe (PDF).