Hier kommt unser monatlicher Rückblick auf die interessantesten aktuellen Comic-Novitäten. Diesmal unter anderem mit einem Totentanz in Mexiko, einem Berliner Detektiv, Klassikern von Bilal und Hermann und dem neuesten Superhelden-Crossover.
HIGHLIGHT DES MONATS
In Troisdorf läuft seit einigen Wochen eine Ausstellung über Comic-Pionier Winsor McCay (Little Nemo), die später auch noch in anderen deutschen Städten (u.a. beim Comic-Salon Erlangen) zu sehen sein wird. Der Kurator der Ausstellung, Alexander Braun, ist gleichzeitig Autor des umfangreichen Katalogs Winsor McCay (1869-1934): Comics, Filme, Träume, der beim Bocola Verlag erschienen ist. Dass diese Publikation sein eigentliches Hauptanliegen ist, wird im folgenden Zitat aus einem Interview beim Comic-Report deutlich: „Die Ausstellung ist eher das Mittel zum Zweck. […] Das permanente Auf- und Abbauen von Kunstwerken finde ich nicht so attraktiv, als dass es für mich noch zusätzlicher Comic-Ausstellungen bedürfen würde. […] Wir können die Wahrnehmung und die ernsthafte Beschäftigung mit dem Medium nur langfristig verändern, wenn es substanziell Geschriebenes gibt, auf das an anderer Stelle, von anderen Fachleuten oder Kunsthistorikern aufgebaut werden kann. Es muss am Ende etwas Bleibendes geben, das die Anstrengungen der Jahre 2011/2012 hier dokumentiert und rechtfertigt. Wenn wir das nicht haben, bleibt es ein ums andere Mal nur bei einem Strohfeuer. Ohne eine adäquate Publikation, die die Bedeutung des McCayschen Oeuvres nachhaltig unterstreicht, hätte ich das alles nicht gemacht.“ (PDF-Leseprobe)
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EIGENPRODUKTIONEN
Neu im avant-verlag ist Der Staub der Ahnen, das Debut des in Berlin lebenden Zeichners Felix Pestemer (gleichzeitig erschien der Band auch in Frankreich und wurde mit einer Ausstellung in Angoulême vorgestellt). Die Geschichte dreht sich um den mexikanischen Festtag Dia de los muertos, den „Tag der Toten“, und eine Familie, die an diesem Tag ihrer verstorbenen Angehörigen gedenkt. Und gleichzeitig feiern auch die Toten. Auf Pestemers Website gibt es eine umfangreiche Leseprobe.
Die Geschichte vom Lone Racer hat Nicolas Mahler erstmals 1999 in seiner Edition Brunft veröffentlicht. 2006 zeichnete er sie noch einmal neu, diesmal zweifarbig statt schwarz-weiß für den US-Verlag Top Shelf. Nun bringt Reprodukt die deutsche Fassung dieser zweiten Version, eine tragikomische Erzählung über einen Rennfahrer, der die große Karriere längst hinter sich hat. Hier eine Leseprobe.
Im Eigenverlag veröffentlichte der Berliner Michael Schröter seinen Comic Ein Häring unter Haien, eine Detektivgeschichte im Berlin der späten Zwanziger Jahre. Andreas Platthaus schreibt: „Perspektiven und Bildverschachtelungen zeigen eine erfreuliche Experimentierlust, die man in Deutschland nicht so häufig trifft. Und mit den selbstbespiegelnden Comics, die zurzeit als Graphic Novels überall Furore machen sollen, hat das Ganze kaum etwas zu tun. Hier soll saftig erzählt werden.“ Und so sieht das dann aus.
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AUS FRANKREICH UND BELGIEN
Die Abenteuer von Herrn Hase sind seit längerer Zeit beendet, Donjon soll, so sagen es Gerüchte, langsam auf Eis gelegt werden. Umso mehr freut man sich darüber, dass Lewis Trondheim eine neue Albenserie gestartet hat. Ralph Azham, geschrieben und gezeichnet von Trondheim selbst, richtet sich an „alle Altersklassen“ (in Frankreich wird die Serie kapitelweise im Magazin Spirou abgedruckt) und ist im Fantasygenre angesiedelt, allerdings Trondheim-typisch in parodistisch-humoriger Form. Band 1 ist jetzt auf Deutsch bei Reprodukt erschienen, wo es auch eine Leseprobe gibt.
Den schweizerischen Zeichner Frederik Peeters kennt man durch seine autobiografische GraNo Blaue Pillen und das Polizei-Doku-Drama RG. Zwischen 2003 und 2008 produziert er zusammen mit dem Autor Pierre Wazem die Albenserie Koma, von der in Frankreich insgesamt sechs Ausgaben vorliegen. Die Heldin in diesem „Spagat zwischen einer poetischen Geschichte über die Freundschaft und atmosphärisch dichter Science-Fiction“ (Verlagsinfo) ist die kleine Tochter eines Schornsteinfegers, die immer wieder ins Koma fällt und dann eine Welt voller Monster erlebt. Reprodukt bringt diese Bände im schnellen Rhythmus (etwa alle drei Monate) auf den deutschen Markt (Leseprobe).
Beim Splitter Verlag gibt es in der „Books“-Reihe einen neuen Comic von Jim (Sonnenfinsternis), diesmal gezeichnet von Dominique Mermoux. Ebenso wie Sonnenfinsternis ist dieses Werk eher Splitter-untypisch: Es geht um reale Menschen um die 30 und das Hinterfragen ihrer Beziehungen und Freundschaften. Hier steht die Freundschaft zwischen einem ruhigen, zurückhaltenden jungen Mann und einem extrovertierten Draufgänger im Mittelpunkt. Eine Kostprobe gibt es auf splitter-verlag.eu.
Den klassischen Genrestoff aus Frankreich bringt Splitter nach wie vor in Hülle und Fülle: Im Januar starteten zwei neue Dreiteiler: der Historiencomic Horacio d`Alba von Jérôme Le Gris und Nicolas Siner um einen Berufsduellanten im Italien des 17. Jahrhunderts (Leseprobe), sowie die Fantasyreihe Die Geißeln von Enharma von Sylvain Cordurié und Stéphane Créty. Hier geht es um eine tollpatschige Söldnertruppe, die einen Auftrag annimmt, der ein wenig zu goß für sie ist (Leseprobe).
Das Werk von Enki Bilal wird bei der Ehapa Comic Collection sorgsam gepflegt, regelmäßig erscheinen sowohl neue Comics als auch hochwertige Neuausgaben von Klassikern. Die Grundlage für Bilals Karriere legte in den Siebziger Jahren die Zusammenarbeit mit Autor Pierre Christin für die Serie Legenden der Gegenwart, die mittlerweile als Klassiker der sozialkritischen Science-Fiction gilt. Der gleichnamige Sammelband enthält, von Bilal mit einer neuen Kolorierung versehen, die Alben Die Kreuzfahrt der Vergessenen, Das steinerne Schiff und Die Stadt, die es nicht gab.
Unter dem Label „Kult Editionen Deluxe“ bekommt Hermanns Serie Jeremiah eine hochwertige Gesamtausgabe. Die Endzeit-Story, die Hermann Ende der Siebziger Jahre begonnen hat, erscheint bis heute und bringt es inwischen auf 31 Ausgaben. Jeder Band der Gesamtausgabe enthält drei Originalalben, die digital restauriert wurden, sowie Bonusmaterial. Hier eine Kostprobe aus der französischen Version.
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AUS DEN USA
Vor etwa einem Jahr gelang es Marvel, ein großes Presseecho mit dem Tod eines Mitglieds der Fantastischen Vier auszulösen. Dieser geschah in Ausgabe 587 der Heftreihe, und weil der Titel für ein dreiköpfiges Team nicht sehr sinnvoll ist, ging es wenig später mit Heft #1 der neuen Serie FF weiter. Das Kürzel steht für „Future Foundation“, eine Gruppe, in der Anführer Reed Richards mehr als ein Dutzend Helden (darunter auch Spider-Man) und Nachwuchswissenschaftler zusammensammelt. Auf Deutsch gibt es die Reihe von Jonathan Hickman und Steve Epting nun in Form von Sammelbänden, deren erster im Januar herauskam. Bei myComics gibt es Kapitel 1 als Leseprobe.
Der Band Marvel Exklusiv 96: Carnage – Familienfehde sammelt eine Miniserie von Zeb Wells, die einen alten Spider-Man-Gegner zurückbringt und wohl vor allem für Fans des digitalen Artworks von Clayton Craine zu empfehlen ist – hier eine Kostprobe.
Panini benennt seine Paperback-Reihe „Marvel Max“ ab Band 44 in „Marvel Maximum“ um, vermutlich mit der Absicht, dort künftig auch solche Comics zu veröffentlichen, die im amerikanischen Original nicht unter dem Label MAX (Marvels Imprint für den etwas härteren, „erwachsenen“ Superheldenstoff) erschienen sind. Das gilt z.B. für Wolverine – The Best There Is. Diese Miniserie bekam im Original keinen MAX-Stempel verpasst, wohl aber den Aufdruck „Parental Advisory – Not for Kids!“ Autor Charlie Huston und Zeichner Juan Jose Ryp dürfen den Gewaltpegel hier also etwas höher drehen als im regulären Marvel-Universum üblich, dafür darf in den Sprechblasen aber nicht geflucht werden. Siehe dazu auch den schönen Verris bei ComicsAlliance. Der deutschsprachige Band trägt in Gänze den eleganten Titel Maximum 44: Wolverine – Der Beste von allen: Contagion (Leseprobe bei myComics).
Bevor DC Comics letzten Herbst sein komplettes Universum neu startete, gab es mit Flashpoint noch einmal ein großes Crossover-Event, das sich durch zahlreiche Serien zog. Kern des Events war die Miniserie Flashpoint von Geoff Johns und Andy Kubert, mit dem roten Flitzer Flash im Mittelpunkt. Dieser erwacht eines Tages in einer Parallelwelt, in der alles ein bisschen anders ist als gewohnt. Die deutsche Ausgabe folgt dem Muster, das bei Panini inzwischen für alle Superheldenevents von Marvel und DC üblich ist: Eine mehrteilige Heftserie als Zentrum, und drumherum ein Bündel von Sonderbänden und Monster-Editionen. Hier eine Übersicht, und hier das erste Kapitel zum Probelesen.
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AUS ASIEN
Carlsen hat eine neue Mystery-Mangaserie im Programm: In AiON von Yuna Kagesaki (Cheeky Vampire) geht es um ein junges Mädchen, das von einem Geist besessen ist, der ihr im Kampf gegen dämonische Würmer hilft, und um einen jungen Millionenerben, der sich mit ihr anfreundet.
Außerdem erschien bei Carlsen eine „Deluxe“-Ausgabe von Blood Hound, einer Vampirstory von Kaori Yuki (Angel Sanctuary). Der Hardcoverband enthält neben dem bereits 2006 als Taschenbuch aufgelegten One-Shot eine Kurzgeschichte, die in Carlsens Miniformat „Chibi“ erschienen ist, sowie einen neuen Epilog.