Huch, der März ist fast vorbei, aber wir sind euch noch die Novitäten des Februars schuldig! Nun denn, in letzter Minute: Unser Rückblick auf die interessantesten und wichtigsten Comic-Neuheiten des Vormonats.
HIGHLIGHT DES MONATS
Der aus Detroit stammende David Small arbeitet hauptsächlich als Kinderbuchillustrator. 2009 erschien sein autobiographischer Comic Stitches, in dem er die Leidensgeschichte seiner Kindheit und Jugend in den Fünfziger Jahren erzählte. Small litt als Jugendlicher an Kehlkopfkrebs – was man ihm aber nicht sagte –, der auf ziemlich rabiate Weise behandelt wurde. In den USA erhielt das Buch viel Lob, wurde für diverse Preise nominiert und stand auf zahlreichen Bestenlisten. Die deutsche Ausgabe, Stiche, erschien nun beim Carlsen Verlag. Einen ausführlichen Auszug des Originals kann man hier lesen.
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EIGENPRODUKTIONEN
Es ist vielleicht der ungewöhnlichste deutschsprachige Webcomic, auf jeden Fall einer der skurrilsten und, wenn man absurden Humor mag, einer der witzigsten: Die Rede ist von Robin Vehrs‘ Enjambements. Mit MS Paint krakelig gezeichnete Episoden aus schrägen Alltagsbeobachtungen mit brillanten Dialogen. Einen Teil davon gibt es nun endlich gedruckt beim Zwerchfell Verlag unter dem Titel Western Touch. Wer mag, kann hier dem Autor beim Kaffeekochen und Meloneessen zusehen:
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Ebenfalls bei Zwerchfell erschien ein Comic des Schweizer Zeichners Walter Pfenninger, der auf historischen Ereignissen basiert: Feindgebiet erzählt als „Doku-Comic“ eine Geschichte aus dem Kalten Krieg – es geht um Francis Gary Powers, einen US-Piloten, der für die CIA Spionageflüge über der Sowjetunion machte, bis er 1960 von den Sowjets abgeschossen, und als Spion verurteilt wurde. Das Buch erschien passend zum 10. Jahrestag des Gefangenenaustauschs, bei dem Powers im Tausch gegen einen sowjetischen Spion freigelassen wurde. Ein paar Infos und Kostproben gibt’s auf agententausch.blogspot.de.
David Füleki gehört seit langem zu den umtriebigsten und originellsten Zeichnern im weiten Feld zwischen Manga und Comic. Vom Verlag Tokyopop wurde ihm im letzten Jahr die Webseite Manga Madness spendiert, der gleiche Name soll auch als Label für Fülekis künftige Print-Veröffentlichungen bei Tokyopop dienen. Den Auftakt dieser Reihe macht Blutrotkäppchen, eine sehr freie Adaption des berühmten Märchens, featuring Fülekis verrückte Eigenkreation Entoman. Der Comic erschien ursprünglich als Webcomic auf dem kurzlebigen Portal Comicstars, 2010 gab es dann eine erweiterte Druckversion beim Kleinverlag Delfinium Prints, die 2011 beim ICOM Independet Preis eine lobende Erwähnung bekam. Nun also die Volksausgabe von Tokyopop zum lächerlichen Preis von 5 Euro. Hier eine Leseprobe.
David Bollers Eigenverlag Zampano veröffentlichte im Februar Teil 1 der Printversion von Aïr, das zuvor schon als Webcomic und in Comix zu lesen war. Eine fiktive Geschichte vor realem Hintergrund, nämlich den Aufständen des Wüstenvolks der Tuareg im Niger. Ein Special bei Splashcomics bietet weitere Infos und ein Interview mit dem Autor und Zeichner.
Michael Meier (Die Menschenfabrik) hat ein knappes Jahr lang für die Frankfurter Rundschau den Fortsetzungsstrip Das Inferno gezeichnet, eine freie Adaption von Dantes Göttlicher Komödie „in wunderschönen, an modernistische Sixties-Poster erinnernden Bildern“ (Moritz Honert im Tagesspiegel). In dem von ihm mitbegründeten Kleinverlag Rotopolpress gibt es nun die gesammelte Ausgabe zum Am-Stück-Lesen. Eine hübsch gemachte Vorschau ist hier zu finden.
Yuko Ichimura, Illustratorin und Werbefilmerin aus Tokio, führte seit der Tsunami- und Erdbebenkatastrophe vom 11. März 2011 ein halbes Jahr lang ein illustriertes Tagebuch für die Website des Süddeutsche Zeitung Magazins. In einer Mischung aus Texten, Skizzen und kurzen Comicsequenzen berichtete sie vom Leben danach, vom japanischen Alltag nach einer historischen Zäsur. Der Carlsen Verlag hat 3/11 – Tagebuch nach Fukushima nun als Buch veröffentlicht. Hier ein Interview mit der Künstlerin.
Die Winnetou-Comics von Helmut Nickel dürfen spätestens seit der großen Ausstellung beim letzten Comicfestival in München als ein deutscher Comic-Klassiker gelten. Beim Verlag Comicplus+ erscheint jetzt ein Nachdruck dieser Comics aus den frühen Sechziger Jahren nun in einer angemessen edlen, aber streng limitierten zweibändigen Gesamtausgabe im Look der klassischen Karl-May-Romane. Mehr dazu hier.
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AUS ALLER WELT
Die Süddeutsche Zeitung Bibliothek – Graphic Novels geht in die zweite Runde: Weitere zehn Titel zu einem relativ günstigen Preis im Hardcover, die ersten fünf kamen im Februar in die Läden. Anders als die erste Staffel, in der fast nur dokumentarische und biografische Stoffe vertreten waren, sind diesmal mehr fiktive Comics dabei, u.a. auch ein Band aus Neil Gaimans Sandman-Reihe oder Gott höchstselbst von Marc-Antoine Mathieu. Einen Überblick über die gesamte Edition findet man hier.
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AUS TSCHECHIEN
Comics aus Tschechien dürften bislang auch eher eine Rarität auf dem hiesigen Markt sein. Alois Nebel war im Nachbarland ein erfolgreicher Bestseller, der auch als Theaterstück adaptiert und als Zeichentrickfilm verfilmt wurde. Im Original erschienen drei Alben zwischen 2003 und 2005, diese gibt es nun in einem Band auf Deutsch. Autor Jaroslav Rudiš ist vor allem als Romanschriftsteller bekannt, während Zeichner Jaromír 99 auch als Sänger einer Punkband aktiv ist. Die titelgebende Hauptfigur des Comics ist ein Bahnwärter mit deutschen und tschechischen Wurzeln, dem in seinen Albträumen die bewegte deutsch-tschechische Geschichte begegnet, als 1989 der Eiserne Vorhang fällt. Klingt erstmal sehr anstrengend, soll aber von einem schrulllig-kauzigen Humor getragen werden, der Nebel in Tschechien zur Kultfigur gemacht hat. Der (bislang nicht mit Comics auffällig gewordene) Verlag Voland & Quist hat diesem Buch auch eine schicke Website spendiert, und eine Leseprobe gibt es hier.
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AUS FRANKREICH UND BELGIEN
Das Zeichen des Mondes von Enrique Bonet ist eine Art düster-poetisches Märchen um ein Mädchen, das vom Mond fasziniert ist. Der spanische Zeichner José Luis Munuera, der zusammen mit Joann Sfar den Kindercomic Merlin gemacht hat, bringt die Geschichte in einem schwungvoll-modernen Strich in Schwarz-Weiß (das vereinzelt mit Rottönen ergänzt wird) zu Papier. Ein paar Seiten aus der französischen Ausgabe sind hier zu sehen.
Ein Comic von Lewis Trondheim, der mal nicht bei seinem deutschen „Hausverlag“ Reprodukt, sondern bei Salleck Publications erscheint: Bei Omni-Visibilis stammt „nur“ das Szenario von Trondheim, gezeichnet hat ihn Matthieu Bonhomme (Der Marquis von Anaon). Eine Was-wäre-wenn-Geschichte um einen Mann, der eines Tages aufwacht und feststellt, dass alle Welt seine Empfindungen teilt: Jeder sieht, was er sieht, hört, was er hört, und spürt, was er spürt. Klingt nach einem grausamen Spaß (Französische Leseprobe bei Dupuis).
Mezek (ebenfalls bei Salleck) gehört zum Genre der Fliegercomics. Das Album von Zeichner André Juillard und Autor Yann handelt von jüdischen Piloten, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom neugegründeten Staat Israel als Söldner angeworben wurden, weil es zu wenig einheimische Flieger gab. Hier gibt’s Auszüge auf Französisch.
Bei der Ehapa Comic Collection gab’s wieder eine gesammelte Albenreihe im „All in One“-Format: Galfalek von Jean-Charles Gaudin (Marlysa) und Franck Biancarelli ist eine Fantasygeschichte um einen verbannten Söldner, der mit Hilfe eines magischen Handschuhs, der ihm besondere Kräfte verleiht, Rache an seinem Herrn nehmen will (PDF-Leseprobe).
Knesebeck macht weiter mit Comicadaptionen von literarischen Vorlagen: In der Strafkolonie basiert auf Franz Kafkas Erzählung von 1914, in der ein Mann auf eine Insel kommt, auf der Verurteilte hingerichtet und gefoltert werden. Düsterer Stoff, umgesetzt von Sylvain Ricard und Zeichner Maël (Leseprobe). Und dann gabs keines mehr ist nach Tod auf dem Nil die zweite Agatha-Christie-Adaption von François Rivière, diesmal sehr old-school gezeichnet von Frank Leclercq. Der Krimi, in dem eine Gesellschaft von 10 Personen auf einer einsamen Insel nach und nach dezimiert werden, war früher bekannt unter dem Titel Zehn kleine Negerlein und steht laut Wikipedia auf der Liste der meistverkauften Bücher der Welt (Leseprobe).
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AUS DEN USA
David Petersens von Mäusen bevölkerte Fantasywelt wird um eine Nebenreihe bereichert: Mouse Guard: Legenden der Wächter ist im Prinzip eine Kurzgeschichtenanthologie. Verschiedene, zum Teil sehr prominente Zeichner (u.a. Guy Davis, Ted Naifeh und Terry Moore) erzählen kleine Mäusemärchen, die durch eine Rahmenhandlung von Petersen zusammengehalten werden. Eine Kostprobe gibt’s beim Verlag, unsere Rezension steht hier.
Ein erfreuliches Comeback: Powers ist wieder da! Nach einem nicht sehr erfolgreichen Versuch (zusammen mit Savage Dragon in Hit Comics) vor einigen Jahren bringt Panini die Serie nun in der bewährten Form von Sammelbänden. Autor Brian Michael Bendis startete die Reihe im Jahr 2000, noch vor seinem Aufstieg als vielbeschäftigter Marvel-Schreiber. Zusammen mit Zeichner Michael Avon Oeming schuf er einen originellen, mal düsteren, mal humorvollen Mix aus Superhelden- und Krimicomic, in dem ein Polizistenduo Mordfälle aufklärt, die mit Superhelden zu tun haben. Bei myComics kann man reinlesen.
John Arcudi kennt man bisher vor allem als Co-Autor von Mike Mignola bei B.U.A.P. – 2010 erschien bei DCs Wildstorm-Label seine Graphic Novel A God Somewhere, gezeichnet von Peter Snejbjerg, die nun bei Panini auch auf Deutsch herauskam. Es geht um Superkräfte, aber etwas anders als üblich: Hauptfigur Eric bekommt eines Tages übermenschliche Kräfte, die er zunächst auch für gute Werke einsetzt – aber dann in einen üblen, finsteren Albtraum abgleitet (Leseprobe)
Die Preacher-Gesamtausgabe von Panini ist abgeschlossen, aber wir werden weiter mit guten, klassischen Comics von Garth Ennis versorgt. Sein langer Run an Hellblazer aus den frühen Neunziger Jahren legte den Grundstein zu Ennis‘ Karriere und gehört nicht nur zu den besten Comics der langlebigen Vertigo-Serie, sondern auch zum Besten, was der Ire je geschrieben hat. Auch hier arbeitete er schon mit Zeichner Steve Dillon zusammen. Band 1 der Hardcover-Reihe Hellblazer: Garth Ennis Collection enthält die ersten neun US-Hefte aus Ennis‘ Feder (Leseprobe bei myComics).
Der US-Verlag Zenescope Entertainment ist seit Jahren erstaunlich erfolgreich mit seiner Reihe Grimm Fairy Tales, in der auf ziemlich uninspirierte Art und Weise klassische Märchen als Horrorstories neu erzählt werden. Das simple Schema „viel Blut, viel Gewalt und viele sexy Pin-Up-Figuren“ (siehe auch Wonderland) kann nun auch auf Deutsch bestaunt werden. Panini beginnt mit dem Band Grimm Fairy Tales: Mythen & Legenden, dessen Story lose auf Rotkäppchen basiert. Bei amazon.com kann man etliche Seiten aus der US-Ausgabe ansehen.
Ein uralter, immer wieder gerne betriebener Sport in amerikanischen Superheldencomics: Das Neuerzählen der Herkunftsgeschichte eines Helden. 2009 war es für Superman mal wieder soweit, Geoff Johns und Gary Frank zäumten in Superman: Secret Origin noch einmal die Historie des Ur-Superhelden auf, erzählt aus der Perspektive von Supermans Alter Ego Clark Kent. Bei uns erhältlich im Sammelband DC Premium 77, Kapitel 1 steht bei myComics online.
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AUS ASIEN
Gate 7 heißt die neue Serie vom erfolgreichen Künstlerkollektiv CLAMP, die bei EMA erscheint. Die Story spielt in der Welt der Träume, wo die Traumwesen versuchen, die Wünsche der träumenden Menschen zu kontrollieren. Die Hauptfigur ist eine Schülerin, der es gelingt, in ihre eigene Traumwelt hinüberzuwechseln.
Während die Serie Ga-Rei – Monster in Ketten von Hajime Segawa bei Tokyopop noch läuft, bringt der Verlag parallel auch gleich die Nachfolgeserie Tokyo ESP und rückt damit näher an den Veröffentlichungstermin des Originals in Japan heran (ein Trend, der sich voraussichtlich in nächster Zeit noch verstärken wird). Wie Ga-Rei erscheint auch Tokyo ESP in dicken „2 in 1“-Doppelbänden. Die Mystery-Story dreht sich um eine Schülerin, die sich eines Tages plötzlich durch festes Material bewegen kann. Hier kann man probelesen.
Planet Manga startete im Februar gleich vier neue Manga-Serien, alle mit mehr oder weniger erotischem Inhalt: der Boys-Love-Zweiteiler Liebe braucht keine Worte von Nase Yamato, Talisman Himari von Matra Milan, eine „Fantasy-Sex-Komödie“ (hier eine Leseprobe), sowie gleich zwei Reihen von Ryuta Amazume (Nana & Kaoru – Fesselnde Liebe): Die Traumfrau, laut Verlag eine „Mysterious Love Comedy“ und Ryuta Amazume präsentiert, eine Serie von Einzelgeschichten. Der erste Band, den man hier anlesen kann, heißt „Liebe ohne Deadline“. Genau mein Motto für diese Kolumne. Bis zum nächsten Monat!