Unser monatlicher Rückblick auf die aktuellen Comic-Novitäten ist, nach ein paar Monaten Unterbrechung, wieder da: Diesmal unter anderem mit Vampiren und Piraten, Prinzen und Bären, Ballerinas und Schwertkämpferinnen.
HIGHLIGHT DES MONATS
Zugegeben, es ist ein bisschen verwegen, dieses Buch zum Highlight des Monats zu erklären, denn ich habe außer dem Cover noch keine Seite daraus gesehen (Hallo, Carlsen, wie sieht’s aus mit Leseproben?!?). Aber der Comic stammt von Émile Bravo und dessen großartiger Spirou Spezial und das preisgekrönte Meine Mutter ist in Amerika… sind Anlass genug für Vorschusslorbeeren. Das tapfere Prinzlein und die sieben Zwergbären ist der Auftakt einer Serie von kleinen, 32seitigen Büchlein, die Motive aus den verschiedensten Märchen fröhlich durcheinander würfeln. Das richtet sich ausdrücklich an eine junge Leserschaft, dürfte aber auch das ältere Publikum mit seinem Charme verzücken.
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EIGENPRODUKTIONEN
Im Wechsel mit Mawil, Flix und Arne Bellstorf bestückt Tim Dinter seit 2006 sonntags eine halbe Seite im Berliner Tagesspiegel. Seine Strips unter dem Titel Lästermaul & Wohlstandskind erzählen kurze Alltagsepisoden aus Berlin, die ersten 50 Folgen werden nun beim Avant Verlag erstmals in einem Buch gesammelt. Kostproben stehen auf Tim Dinters Website.
Ebenfalls bei Avant erschien Reigen, der erste Langcomic einer Künstlerin, von der Andreas Platthaus schon 2009 schrieb: „Auf Birgit Weyhe müssen wir achten“. Und Felix Giesa meint auf satt.org: „Ihre Geschichte einer transnationalen Wanderschaft einer goldenen Taufkette ist nicht weniger als genial und, ähnlich wie Das Jahrhundert einer Ratte, eine Genealogie des langen 20. Jahrhunderts, von den Schützengräben des Ersten Weltkrieges bis heute.“ Zwei Seiten daraus sind hier zu sehen.
Der Schwarze Turm erweitert seine Reihe „Turm offline“ um den Band Weimarer Flausen von Ulf Salzmann. Dieser sammelt Zeitungsstrips aus der Thüringischen Landeszeitung, kleine (mehr oder weniger autobiografische) Alltagsepisoden, die zwar in Salzmanns Heimat Weimar spielen, aber laut Eigenaussage „nicht nur für Weimarer“ sind. Auf flausen.net kann man sich einen Eindruck verschaffen.
Vermutlich eher nur im Raum Hannover interessant: Hanoman, eine Superheldenparodie von Michael Fredrich, die 2007/08 im Stadtmagazin Stadtkind erschien und nun gesammelt beim Verlag Phantastische Zeiten zu haben ist. Online sind die zwölf Episoden auf Fredrichs Homepage zu sehen.
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AUS GROSSBRITANNIEN
Literaturadaptionen als Comic sind nichts Neues, finden aber gerade wieder verstärkte Aufmerksamkeit sowohl bei einigen Verlagen als auch in der Presse, wie zum Beispiel dieser Artikel aus der Süddeutschen Zeitung zeigt. Bei Knesebeck erschien nun eine britische Comicversion des satirischen Klassikers Leben und Ansichten von Tristram Shandy, Gentleman von Laurence Sterne, ein Fortsetzungsroman aus den 1760er Jahren. Die Adaption stammt von Martin Rowson, der vor allem als Karikaturist für englische Zeitungen bekannt ist. Dieser fügt dem Original noch eine schöne Metaebene hinzu, indem er seinen Versuch, die ständig abschweifende Erzählung in den Griff zu bekommen, thematisiert und selbst in dem Comic auftritt. Bei Book2look gibt’s eine Leseprobe.
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AUS FRANKREICH UND BELGIEN
Quer durch alle Feuilletons und Comicseiten (auch bei uns) abgefeiert wurde der neue Comic von Bastien Vivès: Polina (Reprodukt) erzählt die Lebensgeschichte einer russischen Balletttänzerin (Leseprobe). Hier der Trailer zum Buch:
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Weit weniger Aufmerksamkeit bekamen bislang die anderen Dezember-Novitäten von Reprodukt, die beide aus dem flämischen Teil Belgiens stammen: Kafka für Afrikaner (Untertitel: Sofie und der schwarze Mann) heißt der erste lange Comic von Judith Vanistendael. Es geht, semi-autobiografisch, um eine junge Frau, die sich in einen illegalen Einwanderer aus Togo verliebt. 11 Seiten daraus sind hier zu sehen.
Der Mann, der seinen Bart wachsen ließ stammt aus der Feder von Olivier Schrauwen, dessen Bilder laut Deutschlandfunk aussehen, „als hätte ein Comiczeichner aus den 30er Jahren zu viel LSD genommen“. Der surreale Inhalt der Kurzgeschichtensammlung lässt sich wohl kaum in kurzen Worten zusammenfassen. Einen ersten Eindruck gibt die Leseprobe.
Schreiber & Leser bringt in seiner „noir“-Edition den Krimi Blutprinzessin, basierend auf einem Romanfragment von Jean-Patrick Manchette, das dieser vor seinem Tod im Jahr 1995 nicht mehr fertigstellen konnte. Die Story spielt in den Fünfziger Jahren in Florida und dreht sich um einen Fall von Kindesentführung (Leseprobe).
Gleich mehrere Verlage bringen neue kinderfreundliche Comics aus Frankreich zu uns: Tokyopop baut sein „Comics für Mädchen“-Programm mit der Serie Hey Schwester! von William und Cazenove aus, eine Art Sitcom um die Hassliebe zweier Schwestern. Hier eine französische Leseprobe, einen Trailer gibt’s auch:
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Irgendwo im Mittelfeld zwischen Bilderbuch und Comic, Humorbüchlein und Poesiealbum steckt Benjamin von Alberto Varanda, der sonst vor allem Fantasystoffe wie Die Legende der Drachenritter zeichnet. Die beiden bei Toonfish erschienen Bände „Benjamin angelt sich den Mond“ (Leseprobe) und „Benjamin fliegt zu den Sternen“ (Leseprobe) sammeln kleine Episoden, die auf Französisch zunächst als Blog veröffentlicht wurden.
Ebenfalls bei Toonfish erschien der erste Band von Gastoon. So hieß der Neffe von Franquins legendärer Figur Gaston (der seinerzeit vor allem in Werbecomics auftrat), ist also nicht Gaston als Kind, aber dennoch eine kindliche Version des chaotischen Antihelden. Das Prinzip ähnelt also Konzepten wie den Muppet Babies, Tiny Toons oder dem Kleinen Spirou. Die Zeichnungen (stilistisch sehr eng an Franquin angelehnt) stammen von Simon Léturgie, Autoren sind dessen Vater Jean und Yann (Spoon & White). Eine Kostprobe steht hier.
Das gleiche Prinzip (die Erweiterung eines bekannten Franchise durch kindliche Figuren) wendet Christophe Arleston in seinem Troy-Universum an, das durch immer weitere Nebenserien ausgebaut wird. Die Gnome von Troy ist nicht ganz so kindgerecht, weil eher mit Halbstarkenhumor à la Titeuf ausgestattet. Bei Splitter erschienen im Dezember gleich zwei Bände der von Tarquin in einem modernen Funny-Stil gezeichneten Comics (Leseproben zu Band 1 und Band 2).
Und noch ein Troy-Spin-Off, diesmal bei Carlsen: Lanfeust Odyssee, ein zweiteiliger Zyklus vom gleichen Kreativteam wie die Gnome.
Der Piredda Verlag bringt die neue Reihe der Macher von Ethan Ringler, Denis-Pierre Filippi und Gilles Mezzomo: Die neue Welt, ein Abenteuercomic, der 1755 auf dem neu entdeckten Kontinent Amerika spielt. Hier eine Leseprobe.
In der Ehapa Comic Collection erschien ein neuer „All-in-One“-Band: Das Schloss der stummen Schreie von David Munoz, Tirso und Javi Montes ist eine Fantasygeschichte, die in einem abgelegenen Waisenhaus spielt, wo sich – so der Ankündigungstext – „seltsame und schreckliche Szenen abspielen“ (PDF-Leseprobe).
Piraten und Vampire, geschrieben von Eric Corbeyran, gibt’s beim Splitter Verlag, allerdings sauber getrennt in zwei verschiedenen Serien: Der Dreiteiler Unter Schwarzer Flagge (gezeichnet von Brice Bingono) ist ein klassisches Freibeuter-Abenteuergarn mit Schatzsuche, Verwünschungen und geheimnisvollen Schönheiten (Leseprobe). Die dreiteilige Reihe Zwielicht (Zeichner: Tiho) ist laut Verlag ein „unkonventioneller Vampir-Thriller mit Steampunk-Einschlag“, dessen Hauptfigur Wölfel ein Mischwesen aus Mensch und Vampir ist. Hier gibt’s eine Kostprobe.
Bei Finix Comics ist wieder ein Einzelband in der „Edition Solitaire“ erschienen. Kleines Wunder von Valérie Mangin und Griffo spielt zur Zeit der Französischen Revolution und handelt von einem Mann, dessen Kopf vom Körper getrennt ist (Leseprobe hier, unsere Rezension dort).
Außerdem schließt Finix die mehrfach abgebrochene Serie Der rote Falke ab. Das Historienabenteuer von Patrick Cothias, André Juillard und Marco Venanzi lief Ende der 80er Jahre beim Feest Verlag (Teil 1 bis 3), später bei Kult Editionen (Teil 4 bis 7). Finix bringt sowohl die Bände 8 bis 10, die die Reihe vollenden, als auch die längst vergriffenen Nummern 1 bis 3. Band 1 und 8 sind seit Dezember im Handel.
Im BSE Verlag gibt es ein Comeback der Serie Robert & Nina von Malo Louarn. Diese Abenteuerreihe erschien in den 80er Jahren (auf Deutsch bei B&L). Nach knapp 20 Jahren Pause kehrte Louarn zu seinen Figuren zurück, so dass es nun den ersten Band von Die neuen Abenteuer von Robert & Nina gibt: Im ersten Album „Das Land, wo die Bäche Flüsse sind“ verschlägt es den Reporter Robert in die Bretagne.
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AUS DEN USA
Direkt mit zwei Bänden gleichzeitig startet Cross Cult seine Ausgabe der US-Serie Das Schwert, und auch die Folgebände werden in einem sehr schnellen Rhythmus veröffentlicht: Alle weiteren Ausgaben (es werden insgesamt vier) sollen im kurzen Abstand von 1 bis 2 Monaten erscheinen. The Sword, in den USA bereits abgeschlossen, war die dritte Serie des Bruderpaars Jonathan und Joshua Luna alias Luna Brothers (nach der Miniserie Ultra und der langen Mysteryserie Girls, die beide bislang nicht auf Deutsch erschienen sind). Der Comic, von den Brüdern als „modern-day fantasy“ beschrieben, ist eine epische Rachegeschichte mit übernatürlichen Elementen, das namensgebende Schwert verleiht der Protagonistin Dara übermenschliche Kräfte und sorgt für reichlich Blutvergießen.
Leseproben gibt’s auf der Verlagswebsite (Band 1, Band 2) und auf YouTube steht ein Trailer zur Serie:
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In der Regel importiert Splitter Comics aus dem frankobelgischen Raum, hatte aber neulich mit Last Days of American Crime schon mal einen Titel vom US-Verlag Radical Comics im Programm. Aus diesem Haus stammt auch FVZA – Federal Vampire and Zombie Agency. Die beiden Horror-Trendthemen der Stunde werden hier verquickt von Autor David Hine und Zeichner Roy Allan Martinez. Die Miniserie, bei Splitter im Buchformat veröffentlicht, spielt in einem alternativen Amerika, in dem es eine staatliche Behörde zur Abwehr von Zombies und Vampiren gibt. Hier eine Leseprobe.
Neal Adams gehört zu den wichtigsten Batman-Zeichnern der Siebziger Jahre und wird von den Fans nach wie vor sehr verehrt. Nach einer langen Pause kehrte er 2010 zu DC und zu Batman zurück und fungiert bei Batman: Odyssey als Autor und Zeichner. Panini sammelt die Maxiserie in zwei Bänden der Reihe DC Premium, deren erster im Dezember erschienen ist. Man sollte sich auf einiges gefasst machen, denn anscheinend durfte Adams hier seinen zum Teil eher kruden Ideen freien Lauf lassen. Für Comics Alliance war es „the most insane comic book we have ever read.“ Der lange Artikel, in dem zwei Redakteure gemeinsam versuchen, die ersten sechs Hefte zu kapieren, ist ziemlich unterhaltsam. Wer’s selbst versuchen will: Bei myComics steht das erste Kapitel.
In 100% Marvel 59: Spider-Man und die Fantastic Four blicken Christos N. Gage und Mario Alberti mit nostalgischem Blick zurück auf diverse Abenteuer, die Spidey mit den Fantastischen Vier erlebt hat. Das gleiche Prinzip hatten die beiden bereits in Spider-Man und die X-Men verfolgt. Hier das erste Kapitel.
Außerdem brachte Panini im Dezember zwei der unzähligen Nebenreihen, die Marvel zuletzt dem großmäuligen Söldner Deadpool gewidmet hat: In Deadpool Pulp verschmelzen Mike Benson und Adam Glass den Superhelden mit der Ära der Groschenromane und siedeln ihre Geschichte in der McCarthy-Ära an (Leseprobe). Unter dem Label Marvel Max durfte derweil der Sex- und Gewaltregler weiter aufgedreht werden. Das Kreativteam David Lapham (Stray Bullets) und Kyle Baker lässt aufhorchen, aber ein Meisterwerk sollte man von Max Comics 43: Deadpool: Lust & Hiebe eher nicht erwarten. Björn hat die US-Ausgabe neulich bei uns besprochen, eine Leseprobe gibt’s bei myComics.
Bei Ehapa durften sich Sammler mit großem Geldbeutel über den ersten von drei Schubern der Don Rosa Collection freuen, einer Edelausgabe der Duckgeschichten des inoffiziellen Carl-Barks-Nachfolgers. Alle Schuber zusammen kosten 525 Euro. In diesem Video (featuring Fliesentisch!) stellt Redakteur Jano Rohleder das Projekt vor:
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AUS ASIEN
Carlsen Manga will künftig verstärkt auch ältere Leser ansprechen (siehe dazu das Interview mit Programmleiter Kai-Steffen Schwarz beim Comic-Report). An diese Zielgruppe richtet sich auch die dreiteilige Horror-Miniserie Manhole von Tetsuya Tsutsui, in der es um eine mysteriöse Seuche geht, durch die immer mehr Menschen von tödlichen Parasiten befallen sind.
Dem Werk des chinesischen Künstlers Benjamin widmet sich Tokyopop mit großer Hingabe. Mittlerweile gibt es bereits das fünfte Buch von ihm: Savior enthält drei surreale Kurzgeschichten.
EMA startete die neue Serie Ninja 4 Life von Makoto Tateno, die vor allem für ihre Boys-Love-Geschichten bekannt ist. Hier wechselt sie das Genre und erzählt von (natürlich sehr hübschen) Ninjas, die tagsüber in zivilen Berufen arbeiten und nur nachts ninjieren.
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SEKUNDÄRLITERATUR
In der neuesten Ausgabe des monothematischen Magazins Reddition geht es diesmal um Fumetti, also um Comics aus Italien. Im Zentrum stehen Künstlerporträts, von Klassikern wie Guido Crepax bis zu aktuellen Vertretern wie Manuele Fior. Kostproben auf reddition.de.