Der Kri-Ticker

Der Kri-Ticker #64

Diesmal mit dabei: Filmriss, Astro City: Der gefallene Engel, Valentine 2, Findrella, Der erste Frühling, Nylon Road, Torpedo 2, Die Hure H wirft den Handschuh und Vampire Boy 3.

Besprochen von Benjamin Vogt (bv) und Christopher Bünte (cb).


FILMRISS
 Edition Moderne
Sonntagmorgen, an drei verschiedenen Schauplätzen, beginnen mehrere miteinander verknüpfte Geschichten: Da wäre natürlich die Hauptfigur, die blonde Dame vom Buchcover, die sich nicht mehr an den vorherigen Abend erinnern kann und für die der Knutschfleck auf ihrer Schulter ein Mysterium darstellt. Da wäre Nina, ihre Freundin, die abends zuvor mit ihr zusammen auf der Party war und mit deren Beziehung zu ihrem Freund Johannes es nicht zum Besten bestellt ist. Und da ist ein in einem Café stattfindendes Gespräch, bei dem ein Psychologe von der Geschichte eines aufgeregten jungen Mannes gepackt wird. Zwischen Partygeschehen, unerwiderter Liebe und geistiger Verwirrtheit erzählt die Schweizer Künstlerin Kati Rickenbach drei allmählich zusammenlaufende Episoden. Es handelt sich um kleine urbane Begebenheiten, deren zwischenmenschliche Komponenten durch eine sehr direkte und lesernahe Art von Rickenbach hervorgehoben werden. Die Figuren reden, denken, träumen und interagieren letztlich, wie es junge Leute auch in der Realität tun. Sie sind wütend, verzweifelt, melancholisch, lassen sich also ihre Emotionen durchaus anmerken. Emotionen einer Generation, die Rickenbach in Wort und Bild zwar leicht ironisiert, aber locker und leicht in Comicform wiedergeben will. Und in vielen Szenen gelingt ihr die Gratwanderung zwischen beidem eindrucksvoll. bv

 

ASTRO CITY 1: DER GEFALLENE ENGEL
 Panini Comics/Wildstorm
Eine goldene Regel aus dem Universum der Superhelden lautet: Keine Superhelden ohne Superschurken. Diese Regel gilt auch für Astro City, Kurt Busieks Comic-Spielwiese bei Wildstorm/DC. Die gefeierte Serie, früher bei Speed, wird heutzutage bei Panini fortgesetzt. Im Mai erschien „Der gefallene Engel“, eine Geschichte über einen Superschurken der etwas anderen Sorte. Alles beginnt damit, dass der Häftling Carl Donewicz aus dem Gefängnis entlassen wird. Nach Jahren des Eingesperrtseins tauscht er seine orangefarbene Sträflingskluft gegen einen Anzug und ist wieder ein freier Mann. Allerdings ist Donewicz kein gewöhnlicher Knacki, sondern ein Superschurke. Seine Haut glänzt, sie ist aus kugelsicherem Stahl und macht ihn nahezu unverwundbar. Früher nannte man ihn Steel-Jacketed Man, oder nur kurz: Steeljack. Nun macht er sich auf den Weg zum Kiefer Square, einem heruntergekommenen Viertel von Astro City, wohin sich redliche Bürger in der Nacht besser nicht verirren. Donewicz ist hier aufgewachsen. Man kennt ihn, einen kleinen Verbrecher, der bis ganz nach oben wollte und doch irgendwo auf dem Weg dorthin abgestürzt ist. Solche wie Donewicz gibt es in Kiefer Square viele. Aber der entlassene Häftling, der früher Steeljack war, hat etwas gelernt. Er möchte um jeden Preis gut sein, so wie die Superhelden, die engelsgleich am Himmel ihre Kreise ziehen. Doch das ist leichter gesagt als getan. Als Ex-Knacki legale Arbeit zu finden, ist schwierig, die Vergangenheit lastet schwer auf Donewicz, Selbstzweifel und Schuldgefühle plagen ihn. Im Kern ist „Der gefallene Engel“ weniger Handlung als Portrait. Sicher, einen Plot gibt es auch, er ist solide und macht Spaß, doch wirklich stark machen diese Geschichte die herzlichen Momentaufnahmen eines Gefallenen, der wieder auf die Beine kommen möchte. Wer hätte gedacht, dass man auf einer Superhelden-Story auch solch sensible Töne spielen kann? cb


 

VALENTINE 2
 Ehapa Comic Collection
Der zweite Streich der französischen Comiczeichnerin Anne Guillard, die damit den Inhalt einschlägiger Frauenzeitschriften weiterhin ad absurdum führt. Guillard persifliert vom Outfit bis hin zu den Rubriken, zieht also von Frauen präferierte Themen wie Haarentfernung, Mode, Horoskope oder Persönlichkeitstests bewusst ins Lächerliche. Das macht sie so perfekt, dass man prompt die Werbeseiten kaum von echter Reklame unterscheiden kann. Da kommt es der Künstlerin natürlich sehr entgegen, dass Horoskope, kitschig und verallgemeinernd wie sie sind, oder Handyklingeltonwerbung im reizüberflutender Optik von Grund auf bereits so bizarr sind, dass deren Abänderung als Parodie von marginalem Unterschied ist. Guillards Protagonistin Valentine ist eine an sich selbst zweifelnde junge Frau, die sich zwischen Beziehungsproblemen, Epilierung und Therapie zuoberst um ihr Äußeres Sorgen macht. Sie stellt sich überzeichnet dar, mit spindeldürren Armen und ausufernder Hüfte. Demnach lassen sich auch die mal kurzen, mal längeren Comicgeschichten im zweiten Band als sehr abgedreht bezeichnen. Und nicht nur die machen das Projekt letztlich zum perfekten parodistischen Gesamtkonzept, an dem nicht nur die weibliche Bevölkerung ihren Gefallen finden dürfte. bv


 

FINDRELLA
Edition 52
Findrella lebt in einer beschaulichen Unterwasserwelt und besucht dort das Nixengymnasium. Nach der Schule schaut sie zusammen mit ihrer Freundin den Jungs beim Fußball zu. Im daraus resultierenden, trübsalblasenden Zustand lädt sie ein freundlicher Fisch ein, die Meeresoberfläche zu erkunden. Prompt findet die süße Nixe ein Modemagazin der an Land lebenden Menschen und erkundet daraufhin ihre eigene äußere Wirkung und lernt letztendlich die innere Schönheit zu verstehen.
Calle Claus erschuf mit Findrella ein über 140 Seiten langes Unterwasser-Märchen, das zwar völlig ohne Worte auskommt, aber auf keinen Fall als stummer Comic zu begreifen ist. Der Künstler bedient sich nämlich einer munteren Bildsprache, die durch untrügerische Symbole in den vorhandenen Sprechblasen dargestellt werden und mit deren Hilfe Quallen, Fische, Krabben und eben Nixen munter miteinander in Kommunikation treten können. Das verlangt dem Leser trotz lockerer und feinfühliger Geschichte ein gewisses Maß an Konzentration ab, weil man an diversen Panels einfach hängen bleiben muss, um jedes Detail zu erhaschen, statt einfach drüber weg lesen zu können. Dies gelingt Calle Claus vorzüglich, der mit kindlich-naivem Strich ein simples, aber eben anrührendes und verspieltes Werk vorzulegen weiß. Was mich bei diesem Band am Meisten (bzw. als Einziges) verwirrte, ist das eine der acht Kapitel, das man auf dem Kopf lesen muss (ein bildhafter Ausdruck für Findrellas Oberflächenbesuch). Lustig zu lesen, aber so ganz hat sich mir die die angedachte Lesereihenfolge der Seiten noch nicht erschlossen. Trotzdem ein liebevolles Kleinkunstwerk. bv


 

DER ERSTE FRÜHLING
Carlsen Comics
Als der Zweite Weltkrieg im Frühjahr 1945 in den letzten Zügen liegt, lebt Änne bei ihren Großeltern. Ihre Eltern wurden verhaftet und ins KZ gesteckt. Während alliierte Bomber die letzten Angriffe fliegen und die Russische Armee in Berlin einmarschiert, durchwandert das kleine Mädchen die Trümmer der Stadt und trifft einige Bekannte ihrer Großeltern, befreundete Kinder oder Leute, deren Geschichten sie lauscht.
Die Idee von Klaus Kordon, auf dessen Roman dieser Comic beruht, ist eigentlich brillant: Er erzählt die Schrecken des ausklingenden Krieges aus der Sicht eines unschuldigen Kindes und verursacht damit beim Leser eine deutlich stärker ausgeprägte Konfrontation mit der Materie. Änne werden im Verlauf die Haare kurz geschoren, um sie als Junge auszugeben, ihr heimgekehrter Vater erzählt von seinem KZ-Aufenthalt, ein Sowjet-Soldat vom Grauem an der Kriegsfront und der Unbarmherzigkeit der Deutschen. Aber dennoch ist der große Sturm am Ende des Bandes vorbei, in den Trümmern symbolisieren Kinder wie Änne die Hoffnung auf einen ruhigeres Leben in der Zivilbevölkerung. Umgesetzt haben Kordons Idee Christoph Heuer und Gerlinde Althoff. Manche Szenen in dieser schwarz-weißen, nüchternen Erzählung wissen zu beeindrucken, ebenso alles was im Hintergrund abläuft, die Hektik, die Ungewissheit der Menschen, während wir Ännes Alltag mitverfolgen. Außerdem fallen die vielen Details, die in Dialogen und Bildern eingebaut wurden, positiv auf. Einzig den Zusammenhang zwischen vielen starken Momenten und der Emotionalität der Figuren vermisste ich. So bleiben Beziehungen zwischen den handelnden Menschen wenig tiefschürfend und der Comic an und für sich historisch interessant, aber ansonsten nur nett. bv


 

NYLON ROAD
Kein & Aber
Parsua Bashi emigrierte 2004 aus ihrer Heimatstadt Teheran in die Schweiz, ihre Erlebnisse rund um diese Reise schildert sie in der grafischen Novelle „Nylon Road“. Natürlich bleiben dabei Parallelen zu Marjane Satrapi, die ihre Flucht aus dem Iran ebenfalls in einer autobiografischen Comicerzählung (“Persepolis“) thematisierte, nicht aus. Aber Parsua Bashis Werk besitzt fernab von der Themenverwandtschaft durchaus eigene Qualitäten. Der Comic behandelt kulturelle Unterschiede, Integration, Unterdrückung, gesellschaftliche Moralvorstellungen, Politik und Religion auf subjektive, manchmal auch humoristische Weise, ohne dabei aber das Feingefühl, das die Fokussierung auf diese Punkte erforderlich macht, zu verlieren. „Nylon Road“, das ist auch eine Leidensgeschichte: Die Autorin berichtet von Erniedrigung, der Farce vor den Gerichten des Mullah-Regimes, einer schrecklichen Ehe und Schuldgefühlen gegenüber der zurückgelassen Tochter. Der größte Clou dürfte dabei Bashis Kunstgriff sein, die Ich-Erzählung unkonventionell in ihrem Stil zu brechen, um sich selbst als Protagonistin ihren früheren Ichs begegnen zu lassen. So steht etwa in ihrem Badezimmer plötzlich ein kleines Mädchen (Bashi selbst im Alter von sechs Jahren), das sie an ihre Unbekümmertheit erinnert und ihr jugendliches Ich tritt mit ihr in eine lebhafte Diskussion über den Islam. Letztlich ist dieser interessante Einfall für den Comic ein gutes und ausdrucksstarkes Werkzeug, um die Emotionen und die Erfahrung, die die Autorin transportieren will, zu vermitteln. bv


 

TORPEDO 2
Cross Cult
Wer dachte, das Crime-Epos Torpedo von Enrique Sanchez Abuli und Jordi Bernet kann nach dem ersten Band nicht noch mehr begeistern, darf sich jetzt freudig die Hände reiben: Band 2 führt den pragmatischen Kleinkriminellen und Auftragskiller Luca Torelli wieder in bitterböse Abenteuer, die dermaßen unverhohlen Gewalt und amoralisches Verhalten an den Tag legen, wie man sie in einem Comic mit solch realistischem Hintergrund (Mafia, 30er Jahre, New York) nur selten zu sehen bekommt. Torelli mordet, weil es sein Job ist, und auch wenn die Art und Weise, wie Abuli seine Stories mit einem berstenden schwarzen Humor auszustatten vermag, nur schlicht als grandios bezeichnet werden kann: Bei diesen Geschichten mit ihrem reduzierten Erzählrhythmus, ihrer Simplifizierung des morbiden Grundthemas, muss wohl zwangsläufig der Abscheu gegenüber der Hauptperson der Faszination eben jener weichen. Torelli schlüpft wieder in diverse Rollen, nimmt Rache, macht Jagd auf einen Glückspilz, und wir bekommen die erste Begegnung zwischen ihm und Rascal, seinem Verbündeten, erzählt. Wer markige Verbrecher, für die Moral ein Fremdwort ist, mag, sollte Torpedo nicht verpassen. Wer brillante s/w-Zeichnungen und knackige Situationskomik im Zusammenhang mit Gewaltszenen liebt, der muss sich zum Kauf des zweiten Bandes erst Recht verpflichtet fühlen. bv


 

DIE HURE H WIRFT DEN HANDSCHUH
Reprodukt
Katrin de Vries' und Anke Feuchtenbergers Huren-Trilogie findet ihren Abschluss. Nach den Bänden „Die Hure H“ und „Die Hure H zieht ihre Bahnen“ lassen die beiden ihre Kunstfigur im jetzt veröffentlichten dritten Band also endlich den Handschuh werfen. Auch die drei vorliegenden Episoden in diesem Album begreifen die Titelfigur nicht wirklich als Prostituierte an und für sich, und wenn, dann lassen de Vries und Feuchtenberger diese Tatsache zur Nebensächlichkeit verkommen. Vielmehr lässt sich die Hure H mit der Verletzbarkeit und Findungssuche der Frau im Allgemeinen assoziieren. Sie wandert umher, bis sie schließlich ihren großen, mächtigen, den modernen Mann gefunden zu haben glaubt. Doch mit ihm oder ohne ihn, gibt es Freiheit denn überhaupt? Die Hure H lässt sich den Hof machen, im wahrsten Sinne des Wortes wie auch auf übertragener Ebene, aber auch das befriedigt sie nicht. Nur als sie auf ihren Ball geht, sich im Animalischen ihrer Persönlichkeit ergeht, kann der Leser das mögliche Ende ihres Weges durch voyeuristische Betrachtungswinkel mitverfolgen.
Die Hure H ist Heldin und Tragikfigur, das obszöne Spiegelbild der Allerweltsfrau und Sinnbild naiver Erzählungen. Der Vordergrund ihrer Comics bleibt märchenhaft und verspielt, die tiefere Bedeutung verschleiert. Als Mysterium der Moderne und Stil prägendes Vorzeigebeispiel des Kunstcomics, wenn man diesen Genrebegriff benutzen möchte, verbinden sich die knappen, rhetorisch schwungvollen und geistreichen Begleitsätze von Texterin de Vries mit den imposanten, schraffierten Zeichnungen Anke Feuchtenbergers, deren leicht anrüchig wirkende Bebilderung wie immer eine Augenfreude darstellt. Ein wunderschönes Werk, der Abschied von einer Hure. bv


 

VAMPIRE BOY 3
Cross Cult
Das scheinbar unendlich fortwährende Duell zwischen Ahmasi und dem kleinen Vampirjungen neigt sich dem Ende zu. Bisher blieben alle Versuche, den jeweils anderen für immer von der Erde zu tilgen, erfolglos, weswegen der Junge für das Ableben der immer radikaler agierenden und höchst erzürnten Ahmasi nur noch die Chance sieht, den Hinweisen zu einer uralten Überlieferung zu folgen. Es handelt sich um das Geheimnis, wie man unsterbliche Wesen töten kann. Für beide Kontrahenten erwachsen aus diesem Wissen aber zugleich Chance wie Gefahr.
Band 3 der vampirischen Story von Carlos Trillo und Eduardo Risso nimmt noch einmal ordentlich Fahrt auf und treibt die Erzählung hin auf ein dramatisches Ende. Es scheint für den Leser schon lange klar, dass einer der beiden wohl endlich definitiv das Zeitliche segnen würde, trotzdem erhält sich Vampire Boy die Spannung bis zur letzten Seite. Viele überraschende Wendungen begleiten den Abschluss dieses Dreiteilers, wobei sich insbesondere die stetig ansteigende Brutalität und die sich anstauende Gnadenlosigkeit als antreibendes Motiv im Verhalten der beiden Hauptpersonen konstatieren lässt.
Als besonderes Schmankerl lässt sich auch endlich das nun vollendete Rückenmotiv der wie immer schicken Hardcover-Ausgaben von Cross Cult in voller Pracht bewundern. Ein kleines ästhetisches Detail, das dieser tollen Serie auch von außen einen fertigen und runden Schliff verleiht.
bv


 

Bildquellen: comiccombo.de und die jeweiligen Verlage