Der Kri-Ticker

Der Kri-Ticker #60

Diesmal mit dabei: Der letzte Henker vor der Autobahn, Black Hole #6, Alter Ego, Queen & Country #4 – Operation: Blackwall, Pascin, Lin_c #2, Grimms Märchen, Baobab #2, Hyde, Extra Muros #1-3, Die kleine Welt des Golem, Sin City #6: Bräute, Bier & blaue Bohnen und Die Offenbarung.

Besprochen von Frauke Pfeiffer (fp), Benjamin Vogt (bv) und Thomas Kögel (tk).

DER LETZTE HENKER VOR DER AUTOBAHN
henkerAchterbahn
Als ich zum ersten Mal von diesem Buch hörte, traute ich meinen Augen kaum. Denn demnach sollte ein gewisser Timo Würz hauptverantwortlich für diesen querformatigen Hardcover-Band sein. Und nach kurzer Recherche war mir klar: Es handelt sich tatsächlich um den selben Timo Würz, der früher so malerische Comics wie Black Metal (Infinity) oder XCT (Carlsen) fabrizierte. Prinzipiell ist es einem Künstler ja hoch anzurechnen, wenn er seinen Stil zwischendurch ändert und neue Projekte in Angriff nimmt, im Falle von Würz und seiner neuen Cartoonsammlung Der letzte Henker vor der Autobahn ging die Rechnung letztlich nicht so auf, wie ich es mir vorgestellt hätte. Der letzte Henker, also der grimmig drein guckende Mann auf dem Cover, betätigt sich als Leitfigur der meist sehr knappen Strips oder Onepager. Schlechte Angewohnheiten, Dreistigkeit und die gnadenlos machohaften Züge dieses Charakters, sowie die ironische Grundtendenz der Texte zielen auf die Lachmuskeln der Leser ab. Leider zu oft mit den Vorschlaghammer und mit zu flachen Witzen, bei denen beim Betrachter zwischen „kenne Witzigeres“ und „witzig, ist aber uralt“ wohl nur selten wirklich ein Schmunzeln aufkommen dürfte. Natürlich entstammen manche Szenen auch einer tollen Idee und man sympathisiert am Ende doch ein wenig mit dem eigentlich extrem unsympathischen Henker, aber letztlich ist der Gesamteindruck neben aktuellen Cartoon-Publikation, etwa von Flix, Ruthe oder Sauer einfach als inhaltlich zu seicht zu bezeichnen. bv  

BLACK HOLE #6 blackhole
Reprodukt

Mit der sechsten deutschen Ausgabe ist die brillante Serie von Charles Burns endlich abgeschlossen. Die Geschichte um eine wachsende Epidemie, die Jugendliche befällt und teils gravierende Mutationen und Missbildungen nach sich zieht, steuert auf ein dramatisches Ende zu. Die Gemeinschaft der „Aussätzigen“, darunter die Hauptprotagonisten von Black Hole, Chris, Dave und Keith, wird von Burns noch einmal in erschreckender Manier in Szene gesetzt, wobei eine Liebesbeziehung und ein Mörder die finalen Knackpunkte darstellen. Schlussendlich ist Black Hole mehr als nur ein simples Jugenddrama, wahrscheinlich sogar weit mehr als die metaphorische Verdeutlichung der isolierten Gefühlsebene einer heranwachsenden Generation. Es scheint, als skizzierte Burns im Nachhinein gesehen ein psychologisches Abbild zwischenmenschlicher Probleme und Außenseitertum, eingebettet in die von ihm kreierte schwarz/weiß-Welt, in der es unmöglich ist, zwischen überzeichneter Realität und verspielter Fiktion zu unterscheiden. Am Ende steht ein Gesamtwerk, das man auf vielerlei Weise versuchen kann zu deuten. Und wer jetzt beschließt, sich dieses nun komplett vorliegende Comicerlebnis zu besorgen, der sollte auch schauen, dass er noch einen passenden, von Reprodukt eigens produzierten Schuber ergattern kann. bv

ALTER EGO: ALLE COMICZEICHNER KOMMEN IN DEN HIMMEL alterego
Ein unscheinbares Heftchen im Querformat, mit einem Umschlag aus braunem Packpapier, in Mini-Auflage im Selbstverlag erschienen: Das ist Alter Ego von Alex Gellner (den einige sicher von seinen Arbeiten für INKplosion kennen, besonders für Versus, zusammen mit Mana). Ähnlich wie Versus hat Alter Ego eine ziemlich durchgeknallte Geschichte, die vollkommen „over the top“ daherkommt und sich nicht groß um Logik oder Sinnhaftigkeit schert. Das ist dem Autor und Zeichner aber vollkommen bewusst, und er weiß sehr schön damit zu spielen. In Alter Ego geht es um Zeitreisen: Alex steht nach seinem Tod als alter Mann vor dem Himmelstor und kommt nicht rein, weil Comiczeichner in die Hölle gehören. Also muss er zurück in die Zeit reisen und den jungen Alex daran hindern, Comiczeichner zu werden. Das führt zu einigen kurzweiligen Verstrickungen, bei denen man, wie gesagt, nicht allzu viel Logik erwarten sollte. Dafür eine Menge witziger Ideen, cooler Oneliner und hemmungsloser Spinnereien. Außerdem bietet Alter Ego einen der tollsten Sidekicks seit Langem: einen schwebenden Wombat, der Kung-Fu kann!
Zeichnerisch verwendet Gellner einen schwarz-weißen Stilmix mit Elementen aus Manga und Cartoon, ähnlich rasant wie das Erzähltempo des Heftes. Sicher kein Meilenstein der Comicliteratur, aber eine sehr unterhaltsame und flüssig erzählte Geschichte für kleines Geld, die sehr viel Spaß macht. Was für eine deutsche Eigenproduktion nicht selbstverständlich ist. tk
www.gellnerism.de

QUEEN & COUNTRY #4 – OPERATION: BLACKWALL queen
Modern Tales

Im vierten Band um Tara Chace wird die britische Geheimagentin diesmal in Wirtschaftskriminalität hineingezogen. Ein einflussreicher Geschäftsmann wird von einem französischen Unternehmen erpresst. Allerdings gestaltet sich die Sache schwieriger als gedacht, denn auf einmal spielen persönliche Belange von Tara eine Rolle…
Autor Greg Rucka will nicht einfach einen weiblichen 007-Verschnitt in Comicform präsentieren, sondern auch die Alltäglichkeiten in diesem Beruf ausloten. Dabei kommen, wie in diesem Band, mitunter eher stillere Geschichten heraus, die einem fast schon unheimlich sind, da sie sich echter anfühlen als das für das Spionagegenre übliche Rumgeballere, bei dem eine angenehme Distanz vorhanden ist. Dieser Band wurde übrigens 2004 für den Eisner-Award nominiert. Eine Leseprobe findet sich hier. fp

PASCIN
pascinAvant-Verlag
Joann Sfar erzählt nicht die Lebensgeschichte des expressionistischen Malers Julius Mordecai Pinkas, genannt Pascin, der von 1885 bis 1930 lebte. Dieses Buch besteht vielmehr aus einer losen Reihe von ausdrücklich fiktiven Episoden, die aus dem Leben von Pascin stammen könnten oder eben auch nicht. Die Szenen, in denen auch berühmtere Zeitgenossen wie Marc Chagall, Oskar Kokoschka oder Ernest Hemingway auftauchen, drehen sich um zwei Obsessionen: Malen und Sex. Sfar spielt mit dem Klischee des ausschweifenden Bohème-Lebens im Paris der 20er Jahre und übersteigert es bis zur Karikatur. Das Buch spart nicht mit expliziten Sexszenen — dass man es trotzdem nicht als pornographisch bezeichnen kann, dafür sorgt schon der Zeichenstil: skizzenhaft, krakelig, manchmal absichtlich schlampig und ziemlich uneinheitlich. Das passt zum Inhalt, der sich auch immer wieder mit dem Wesen der Schönheit auseinandersetzt: Wann ist ein Bild schön, wann ist ein Mensch schön, und wer definiert das? Überhaupt enthält Pascin eine Menge interessanter Gedanken zu Malerei und Zeichenkunst. Wer sich privat oder beruflich damit beschäftigt, findet hier eine spannende und ungewöhnliche, zum Teil auch witzige Lektüre. Wer dagegen gute Unterhaltung oder auch nur eine stringente Handlung sucht, ist mit anderen Titeln aus Sfars umfangreichem Werk wohl besser bedient. tk

LIN_C #2 linc
Mit der rot durchsetzten Silhouette einer Helnwein-Fotografie von Marilyn Manson auf dem Cover geht das österreichische „Heft für Comics und Bildliteratur“ ins zweite Jahr. Wie das Frontbild bereits andeutet, legt Initiator Gottfried Gusenbauer die Begrifflichkeiten, die das Konzept charakterisieren, großzügig aus. Lin_c ist eine Zusammentragung diverser Medien, die sich bebilderter Elemente bzw. Stilmittel bedienen. Dabei ist die nunmehr zweite Ausgabe sogar noch vielfältiger als die erste , sind die Kategorien doch in ihrer Zahl kaum überschaubar: Zu den Comic- bzw. die dem Comic ähnelnden Themen (Manga, Karikatur) gesellen sich Artikel zu Theater, Musik, Streetart, Trickfilm, Musik usw. Gusenbauers Projekt beweist mithilfe großer Bandbreite eindrucksvoll den aktuellen Stellenwert wie auch die Möglichkeiten der österreichischen Szene. Wobei man sich fragen muss, wo diese anfängt, wenn sich zwischen einem Haderer, Helnwein und Mahler newcomerisches Gekritzel beäugen lässt. Aber gerade dies ist Teil des Reizes. Die auf der einen Seite vorherrschende Nichtfestlegung auf eine bestimmte inhaltliche Richtung, damit einhergehend der freie Überblick über künstlerisches Potential, Publikationen und Vielfalt, auf der anderen Seite der Versuch als Schnittstelle variabler Medien zu fungieren, gepaart mit einem internationalen Part (langes Interview mit der türkischen Künstlergruppe „Nomad“ aus Istanbul) lässt das Projekt Lin_c nicht nur zu einer wichtigen Plattform der vorrangig österreichischen Szene erscheinen, sondern macht es auch zum Bestandteil eben dieser. bv
www.lin-c.net

GRIMMS MÄRCHEN grimm
Ehapa Comic Collection

Eigentlich hat sich der Ehapa-Verlag ja von frankobelgischem Material weitestgehend verabschiedet, trotzdem veröffentlicht er immer mal wieder kleine Leckerbissen wie diesen, von französischen Künstlern gestalteten Sammelband mit Grimms Märchen. Philip Petit, Mazan, und Cecile Chicault überzeugen in ihren vier Geschichten, obwohl es etwas komisch ist, neben den bekannten „Hänsel und Gretel“ und „Das tapfere Schneiderlein“ mit „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ und „Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen“ zwei Adaptionen weniger geläufiger Märchen präsentiert zu bekommen. Die drei Künstler passen sich der Thematik perfekt an, zeichnen nicht zu kindlich und interpretieren die Handlung ein Stück weit nach ihrer eigenen Vorstellung.  Da ich persönlich nie ein großer Fan von Märchen war, überwältigt mich auch dieser Band nicht, bzw. ganz große Überraschungen bleiben aus. Die Aufmachung im kleinformatigen Hardcover, sowie die ungezwungene und frische Herangehensweise bei gleichzeitig respektvollem Umgang mit dem klassischen Stoff ist dennoch als gelungen zu betrachten. Es lohnt sich also mal reinzuschauen.  bv

BAOBAB #2
baobab2Avant-Verlag
Igorts Handlung macht im zweiten Abschnitt seiner Erzählung (Besprechung des ersten Bandes hier) den erwarteten Sprung und verlegt das Szenario somit von Japan nach Südamerika. Dabei erläutert uns der Italiener die Geschichte von Celestino Vilarosa, dem angehenden Comiczeichner aus Papassinas noch mal genauer. Celestino, fasziniert von den Möglichkeiten des Mediums Comic, ist zwischen einer möglichen Karriere in den USA und Heimatbezogenheit und der Liebe zu seiner Schwester hin- und hergerissen. Igort schildert Celestinos Begeisterungsfähigkeit und die respektvolle Anlehnung an ihm bekannte Comicerzähler, vor allem an Little-Nemo-Erfinder Winsor McKay, die sich in seiner eigenen Arbeit als Comiczeichner widerspiegelt. Außerdem berichtet Celestinos Geschichte auch von der Schwierigkeit, um das Jahr 1910 eine Veröffentlichungsform für seine Zeichnungen zu finden und mit ernsten Comics abseits von Karikaturen und Strips wahrgenommen zu werden. Als Celestino erkrankt, bricht die Handlung schließlich, der Protagonist begegnet in fiebrigen Visionen seinen eigenen Comicschöpfungen, versucht die Bilder zu interpretieren und entschlüsselt am Ende sogar deren Kernbotschaft. Baobab führt ist eine gezeichnete Charakterstudie, die Hauptperson leidet unter den eigenen Zweifeln, der fehlenden künstlerischen Ausdrucksmöglichkeit, schließlich unter der von Träumen begleiteten Krankheit, in der er sein Leben aufarbeitet. Igort führt damit eine Erzählung fort, die erst im weiteren Verlauf alle Zusammenhänge herstellen wird. Bis dahin ist es auch weiterhin bemerkenswert, wie uns zwei Künstler hier fesseln: Celestino mit seiner interessanten Lebensgeschichte, Igort mit der ruhigen und klugen Darstellung eben jener. bv

HYDE hyde
Infinity

In diesem One-Shot variiert Autor Steve Niles ein Thema, das in der Popkultur schon unzählige Male durchdekliniert wurde: die Geschichte von Doktor Jekyll und Mister Hyde. Hier gibt es den Dr. Jekyll gleich doppelt: als Paar von Zwillingsbrüdern, die bei einer Pharmafirma an der Entwicklung einer Lifestyledroge arbeiten und sich selbst als Versuchskaninchen gebrauchen. Ob zwei Jekylls auch zwei Hydes bedeuten, soll hier nicht verraten werden…
Niles erzählt routiniert seine Geschichte, die zwar recht spannend ist, aber dem Mythos Jekyll/Hyde kaum interessante oder überraschende neue Facetten hinzufügt. Besonders wird Hyde erst durch das Artwork von Nick Stakal. Dessen Stil erinnert an Vorbilder wie Ted McKeever oder Bill Sienkiewicz und schafft mit seinen schroffen Strichen und der schmutzigen Farbgebung eine düstere, fesselnde Atmosphäre. Gleichzeitig hält dieser Stil den Betrachter auf Distanz: Die Figuren bleiben dem Leser seltsam fremd, und die teilweise recht exzessiven Gewaltdarstellungen haben kaum schockierende Wirkung.
Insgesamt kein Muss, aber eine solide Sache für Thriller-Fans. Leider hat die deutsche Fassung ein schweres Manko, die das Lesevergnügen erheblich einschränkt: Für Mister Hydes Dialoge wählte man eine rote Outline-Schrift auf schwarzem Grund, die je nach Lichteinfall nur sehr schwer oder überhaupt nicht zu entziffern ist. Und das ist dann wirklich gruselig. tk

EXTRA MUROS #1-3 extramuros
Ehapa Comic Collection

Jetzt liegt die neue Albenreihe von Daniel Hulet also komplett bei Ehapa vor. Hulet, dessen zuletzt auf deutsch veröffentlichtes Werk Immondys man noch als gigantisches Fantasiegebilde erklären konnte, schuf mit Extra Muros eine Geschichte, die den Leser mit extrem unklaren Verwicklungen und Handlungsschichten schlicht und einfach überfordern dürfte. Leider wirkt sich das so aus, dass das zu Beginn vorherrschende Grübeln über die mysteriösen Vorgänge recht schnell in eine gelangweilte Betrachtungsweise umschlägt, einfach weil man vor der überladenen Story kapituliert. 
Es dreht sich alles um das kleine französische Dorf Mordange, in dem seltsame Dinge vor sich gehen und Menschen mit unterschiedlichen Zielen den jeweils anderen in die Quere kommen wollen: Eine Gruppe jugendlicher Rollenspieler, der Freak mit der Affinität zur Knochenfiguren-Bastelei, Geschäftsleute, die einen Freizeitpark bauen wollen, ein Zauberlehrling, ein Auftragskiller, Außerirdische und Tempelritter, in deren Zeitebene die Protagonisten auch hin und wieder abzutauchen scheinen. 
Hört sich verrückt an, ist auch so. Und wahrscheinlich wird sich auch nach dem zweiten oder dritten Lesen noch nicht die komplette Handlung erklären lassen, zu abgehackt und spontan sind dafür die einzelnen Szenen. Die Serie ist zwar Hulet-typisch gestaltet und bekannt konfus, aber in diesem Fall hätte der Künstler doch lieber etwas weniger Verwirrung einbauen sollen, wenn er die Story schon vor historischen Hintergrund anlegt. bv

DIE KLEINE WELT DES GOLEM golem
Avant-Verlag

Joann Sfar spielt in diesem Comic mit seinen selbst erschaffenen Figuren, er lässt sie miteinander in Kontakt treten und kleinere Abenteuer bestehen. Ursprünglich auf mehrere Ausgaben des französischen Magazins Lapin verteilt, verlegt der Avant-Verlag die kurzen Episoden versammelt in einem Band. Und was man darin finden kann, liest sich wie ein früher Testballon des Joann Sfar. Durch die durchgängig schwarz-weißen Zeichnungen und die auf die Charaktere reduzierten Geschichten entsteht beim Leser der Eindruck, beim Entwicklungsprozess des Sfar'schen Figuren-Kosmos teilzuhaben. Inspektor Mazock, Desmodus der Vampir und andere nehmen hier ihren Anfang, die Stories, in die sie hier verwickelt werden, reichen aber nicht an die Hintergründigkeit und ausgeprägte Erzählintelligenz bereits auf deutsch bekannter Comics von Joann Sfar. Allerdings müssen sie das auch nicht zwingend, denn Die kleine Welt des Golem macht vor allem Spaß und ist von Seite zu Seite inhaltlich unberechenbar. Außerdem kann man damit Sfars Ideenreichtum und damit einhergehend den Grundstein späterer Meisterwerke ein Stück weit besser nachvollziehen. Auch deshalb ist Die kleine Welt des Golem eher für Anhänger des Künstlers eine Investition wert. Aber das auf jeden Fall.  bv

SIN CITY 6: BRÄUTE, BIER & BLAUE BOHNEN
sincityCrossCult
Elf Kurzgeschichten erzählen von Basin Citys verborgenen Sünden. Frank Miller inszeniert dabei geschickt die Rückführung bekannter und beliebter Charaktere wie Marv, Dwight oder Goldie in neue Situationen, die auf den ersten Blick recht überflüssig erscheinen, aber letztlich viele kleine Puzzlestücke der Handlungen vorheriger Storylines ergänzen. Miller experimentiert bei den einzelnen Episoden deutlich: Marvs fast stumme Wintergeschichte erzählt er in groß angelegten Splashpages und auffälligen Nahaufnahmen des Charakters, die Damen bekommen farbige Nuancen und ein paar der Geschichten stellen bisherige Nebenpersonen in den Vordergrund oder kommen gar gänzlich ohne altbekannte Gesichter aus. Dabei wird die Intensität der Serie und die Ausdrucksstärke der Protagonisten zwar erfolgreich aufrechterhalten, allerdings merkt man auch, dass eine durchgehende Handlung, wie in den Bänden 1 bis 5 zu finden, genau das letzte Fünkchen bietet, das Bräute, Bier und blaue Bohnen zuweilen vermissen lässt. Der Schwachpunkt ist dabei nicht die Qualität der einzelnen Beiträge, sondern das Konzept der Kurzgeschichten, welches Sin City für zwischendurch zwar auch nicht schlecht zu Gesicht steht, aber einfach nicht so mitreißend wirkt wie gewohnt. So bleibt für diese Ausgabe letztlich die Wertung „ganz nett“, Frank Millers künstlerische Höchstleistung der vorhergehenden Erzählungen erreicht sie jedoch nicht.  bv

DIE OFFENBARUNG
offenbarungCarlsen Comics
Für alle Fans von Der Da-Vinci-Code oder Das Geheime Dreieck (Ehapa) ist dieses Buch ein Muss. Zwar ist die thematisierte konspirative Verwicklung im Vatikan (es geht um das mysteriöse Ableben eines hochrangigen Kardinals), die man aus der Sicht des ermittelnden Charlie Northern erzählt bekommt, nicht sonderlich innovativ, trotzdem ist der Band von Autor Paul Jenkins und Zeichner Humberto Ramos wunderbar gelungen. Zu allererst ist dieser Umstand Jenkins' handwerklich einwandfreiem und äußerst spannendem Handlungsbogen zuzuschreiben, sowie der gelungen Inszenierung der Hauptperson. Charlie Northern ist zwar ziemlich archetypisch für einen Ermittler und wandelt deshalb auch immer zwischen Coolness, detektivischem Gespür und einem Schuss Sarkasmus, dennoch sind gerade seine Monologe und sein Charme perfekt gelungen. Das letzte Stückchen zum Must-Read liefert dann neben einer der besten Arbeiten von Jenkins, Humberto Ramos' Artwork. Obwohl er in seinen Zeichnungen ja stets einen Touch Manga mit einbringt, was für manche auch gewöhnungsbedürftig ist, zeigen sie sich hier von ihrer realistischsten Seite. Sie passen hervorragend zur religiösen Mordaufklärung mit unbedingtem Drang zur mutmaßlich großen Verschwörung. So bleibt bei einem tollen Band lediglich das Ende, von dem man mehr hätte erwarten können, als etwas enttäuschend festzuhalten. bv

Bildquellen:comiccombo.de, sammlerecke.de, avant-verlag.de, infinity-verlag.de