Der Kri-Ticker

Der Kri-Ticker #55

Diesmal mit dabei: Schönheitsflecken – Drei Variationen über die Liebe, Y – The Last Man Vol. 5: Ring Of Truth, Dogwitch Vol.1: Direct To Video, Dogwitch Vol. 2: Twisted, Gravity: Big City Super Hero, D.V.D. – Depressiv, Verliebt, Durchgeknallt #1, Ex Machina – Vol. 2: Tag, Spider-Man and The Black Cat: The Evil That Men Do und Secret War.
Besprochen von Frauke Pfeiffer (fp), Björn Wederhake (bw) und Thomas Kögel (tk).

SCHÖNHEITSFLECKEN – DREI VARIATIONEN ÜBER DIE LIEBE

Carlsen Comics
In einem ungewöhnlich kleinen Format erzählt Jean-Philippe Peyraud von zwei Ex- Liebhabern, die sich zufällig wiederbegegnet und schlussendlich auch im Bett gelandet sind. Allerdings, und das ist das Besondere daran, direkt dreimal. Den Anfang jeder Geschichte macht das Nachzählen der Muttermale, hier etwas poetischer „Schönheitsflecken“ genannt, wobei einmal eines weniger da ist als früher, einmal die Anzahl stimmt und einmal eines hinzugekommen ist. Daraus entwickeln sich unterschiedliche Stimmungen und Gespräche über das Scheitern der Beziehung und über ihre neuen Partner; wobei man aber nicht unbedingt von einem „Lola rennt“-Effekt sprechen kann, denn auch die Lokalitäten sind von vornherein dreimal anders (bei ihr, bei ihm, im Hotel) und beeinflussen das Geschehen. Dabei erinnern die Figuren in ihrer Geschwätzigkeit schon mal an französische Problemfilme.
Mitunter wird das Gespräch auch tiefgründiger und die leisen Untertöne durch Mimik oder Gestik vergisst Peyraud auch nicht, aber irgendwie bleibt doch das Gefühl zurück, man hätte noch mehr aus der Idee herausholen können.
Die kolorierten Zeichnungen sind schön anzusehen und erinnern in ihrem reduzierten, leichten Stil ein wenig an Paul Hoppes Die Schlange. Sicherlich ein Büchlein, das sich als Mitbringsel auch für (weibliche) Nichtcomicleser eignet; man sollte es aber nicht als Seelentröster oder eine „Liebeserkärung an die Liebe“ verstehen, denn das ist es mit Sicherheit nicht – dazu sind die Protagonisten zu abgeklärt. fp

Y – THE LAST MAN VOL. 5: RING OF TRUTH (US-Ausgabe)
DC Comics/Vertigo
Ich mag Y – The Last Man wirklich, die Charaktere sind sympathisch und menschlich, die Dialoge sind humorvoll und glaubwürdig, Pia Guerras Zeichnungen sind etwas schlicht, können aber trotzdem extrem stimmungsvoll sein und die Art, wie sie Gesichter zeichnet, wirkt sehr realistisch. Und trotzdem muss ich jetzt ein Ultimatum stellen: Brian K. Vaughan! Entweder es passiert bald mal wirklich etwas, oder ich höre auf, der Serie zu folgen!
Sicher, es passieren Dinge, es ist nicht so, dass die Einzelhefte jemals langweilig wirken, es ist nur so, dass sich die Geschichte als Ganzes ein Tempo vorlegt, gegen dass Schneckentempo wie Lichtgeschwindigkeit wirkt. Mit diesem Sammelband erreicht Y – The Last Man die Mitte des zweiten Erscheinungsjahres… an dieser Stelle hätte ich gerne endlich das Gefühl, dass die Serie sich in eine definitive Richtung bewegt, dass Gefühl, dass wir uns auf ein klar abzusehendes Ende zubewegen, aber genau das bietet mir Y – The Last Man eben nicht. Zumindest scheint Vaughan hier das Rätsel zu lösen, wieso Yorick als einziger Mann nicht von der globalen Seuche erwischt wurde, aber auch das erweist sich nur als McGuffin: Wir erfahren zwar, was der Auslöser für Yoricks Überleben ist, das Warum, die Details dieser Angelegenheit, erfahren wir aber immer noch nicht. Wie gesagt: Y hat eigentlich alles, um den Comic einen richtigen Hit sein zu lassen, aber bei dieser lahmarschigen Ausführung, bei diesem Gefühl dass der Titel auf der Stelle tritt, dass man die letzten zweieinhalb Jahre auch locker in 10 bis 12 Heften zusammenfassen können, darf man sich nicht wundern, wenn die Leser irgendwann das Interesse verlieren. Und ich stehe kurz davor… bw
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DOGWITCH VOL.1: DIRECT TO VIDEO
DOGWITCH VOL. 2: TWISTED
(US-Ausgaben)

Sirius Comics
Mit Dogwitch schafft es Daniel Schaffer, einen sympathisch unprätentiösen Comic vorzulegen (anders als diese Rezension, was die Verwendung des Wortes „unprätentiös“ erkennen lässt), der fest in der Tradition der allseits beliebten Horror-B-Movies steht. Also jener Filme, die mit einem kleinen Budget meist nicht den Weg in die Cineplexxe der Nation finden. Das machen schon die Aufmachung und der Titel des ersten Sammelbandes (“Direct to Video“) deutlich. Im Inneren bietet Schaffer dann das, was er außen andeutet. Eine selbstironische Horrorhommage voller mit Filmreferenzen gespickter Dialoge und einem angenehm verdrehten Setting (moderne Hexe dreht Pornostreifen, hat nebenbei gegen Dämonen und Killerclowns zu kämpfen und wird dabei immer von ihrer Filmcrew, bestehend aus einem Stoffhund, einem Teddybären und einer entstellten britischen Puppe begleitet). Dass die Geschichten dabei manchmal eher wenig Sinn ergeben oder Plotelemente nur kurz aufgegriffen und dann schnell wieder fallen gelassen werden, bin ich bereit zu akzeptieren, einfach weil das vorgelegte Tempo, die guten Dialoge und die absurden Ideen diese handwerklichen Schwächen geschickt übertünchen. Handwerklich sehen Schaffers düster-bizarre Zeichnungen sogar manchmal sogar nach A-Movie aus. Wer in Comicform nach gutem „Hirn aus, Spaß an“-Futter sucht, der sollte Dogwitch mal eine Chance geben. Der Comic spielt zwar nicht in der von The Goon oder Hellboy dominierten Oberliga, will das aber auch gar nicht. Spaßig, pulpig, sexy, dreckig, düster (wobei hier das Gothic-Element eher einen ordentlichen Schuß Monty Python als Johnen Vasquez beinhaltet), ohne tieferen Anspruch und vor allem unterhaltsam. Wie ein guter B-Movie eben. bw
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GRAVITY: BIG CITY SUPER HERO (US-Ausgabe)
Marvel Comics
Dem Autoren Sean McKeever wird nachgesagt, dass er ein Händchen dafür hat, Charaktere im Teenageralter glaubwürdig und mit guten Dialogen darzustellen. Nicht zuletzt deshalb bekommt er immer wieder Aufträge von Marvel, auch wenn McKeevers Marvel-Reihen (Sentinels, Mary Jane) meist gnadenlose kommerzielle Flops sind. Auch die Miniserie Gravity litt unter miesen Verkaufszahlen, wurde aber trotzdem auch in einem kleinen Sammelband (auch „Digest“ genannt) veröffentlicht.
Gemeinsam mit dem Zeichner Mike Norton, mit dem er seinen ersten kleinen Indie-Hit The Waiting Place produziert hatte, schuf McKeever für Gravity einen neuen Titelhelden: Greg Willis kommt vom Lande, ist grade mit der High School fertig, und geht nun mit großen Plänen nach New York. Erstens will er studieren und zweitens ein Superheld sein. Seit er einen Segelausflug hatte, kann er die Schwerkraft manipulieren, und diese Kraft will er nun als kostümierter Held einsetzen. Greg muss natürlich bald einsehen, dass es nicht so leicht ist, Heldentum, Studium und dann auch noch eine Freundin unter einen Hut zu bekommen.
Teenienöte mit Superkräften also, das kennt man seit den frühen Tagen von Spider-Man und wurde in verschiedenen Varianten (Ultimate Spider-Man, Invincible) immer wieder neu aufgewärmt. Und das ist auch das Problem bei Gravity: es gibt viele nette Dialoge, einige hübsche Spielereien mit gängigen Klischees, aber zu wenig eigene, kreative Einfälle, zu wenig Überraschungen, um die Geschichte zu etwas Besonderem zu machen. Professionell gemachte, ordentliche Unterhaltung, die nicht langweilt, aber auch nicht mitreißt oder begeistert. Das gleiche gilt für die Zeichnungen: solide, gefällig koloriert, okayer Durchschnitt.
Im Gegensatz zu vielen anderen aktuellen Marvel-Comics funktioniert Gravity als eigenständige Geschichte, unabhängig vom sonstigen Geschehen im Marvel-Universum. Da schaut zwar auch mal Spider-Man auf einen Sprung vorbei, aber der Leser braucht kein Studium an der Stan-Lee-Universität, um die Story zu verstehen. Somit ist der Band bestens für Einsteiger geeignet, die für wenig Geld mal (wieder) am Superheldengenre oder am Marvel-Universum schnuppern möchten. Alte Hasen wird die Geschichte dagegen nicht vom Hocker hauen. tk
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D.V.D.  – DEPRESSIV, VERLIEBT, DURCHGEKNALLT #1
Tokyopop
Ddam ist 18, grade mit der Schule fertig und büffelt für die Uni, als ihr Freund mit ihr Schluss macht. Das trifft sie so hart, dass sie sich umbringen will. Kurz vorher geht sie aber nochmal shoppen (logisch, oder?) und trifft dort die beiden schrägen Vögel DD und Venu. Der punkige DJ und der Schönling, nach dem sich alle Mädchen umdrehen, suchen gerade eine neue Mitbewohnerin für ihre WG, und da kommt Ddam gerade recht.
Der Auftaktband zu dieser neuen koreanischen Manhwa-Serie von Kye Young Chon macht nicht viel mehr, als die Grundlagen für den weiteren Verlauf auszulegen. Daher ist schwer zu sagen, in welche Richtung sich die Reihe entwickeln wird: zur irrwitzigen Screwball-Dreiecks-Comedy oder doch nur zu einer leicht angeschrägten Standard-Teenie-Seifenoper?
Band 1 bietet jedenfalls einige nette skurille Ideen und fällt auch zeichnerisch etwas aus dem üblichen Fernost-Rahmen, so dass man sich recht gut unterhalten fühlt. Der sehr unbekümmerte Umgang mit dem Thema Suizid und das zweifelhafte Frauenbild, das die beiden Jungs vertreten, hinterlassen allerdings einen unschönen Beigeschmack. tk

EX MACHINA VOL. 2: TAG(US-Ausgabe)
DC Comics/Wildstorm
Ein Comic, in dem im selben Paperback ein Menschen in den Wahnsinn treibendes, vermutlich außerirdisches Symbol, schwerbewaffnete BND-Agenten und eine Person mit einer Maschinenhand vorkommen, während über die Vor- und Nachteile von Privatschulen und die Homoehe diskutiert wird? Das klingt nach einer Kombination, die so gar nicht funktionieren kann, die Brian K. Vaughan in Ex Machina: Tag aber trotzdem funktionieren lässt.
Mein Hauptkritikpunkt am ersten Paperback (Ex Machina: First Hundred Days) war, dass mich der politische Aspekt zwar gefesselt hat, ich mir aber bei der Superheldengeschichte nicht so sicher war. Nun, in Band 2 muss
ich zugeben, dass mich beide Elemente dieses Mal wirklich gefesselt haben und überraschend gut miteinander harmonieren. Auch weil die Superheldengeschichte eigentlich eher verkleidete Science Fiction ist. Das Mysterium, das Vaughan hier über den Ursprung von Bürgermeister Hundreds Superkräften aufbaut, weckt in mir wirklich den Wunsch mehr zu erfahren.
Die Dialoge sind, wie man das auch aus Vaughans Y – The Last Man kennt, gestochen scharf. Wenn sich der Bürgermeister und sein Stellvertreter über Schulpolitik unterhalten oder in der Debatte um die Schwulenehe alte Präzedenzfälle aus den Achtzigern zitiert werden, dann erreicht Ex Machina manchmal sogar West Wing-Niveau, was für jede unterhaltsame und intelligente Politserie ein Lob sein sollte. Auch wenn man natürlich einwenden kann, dass beide Politthemen zu schnell und zu simpel abgehandelt werden und Vaughan vieles nicht berücksichtigt. Aber da das hier in erster Linie eine spannende Geschichte und nicht die Kommentarseite der New York Times ist, geht das durchaus in Ordnung.
Mitchell Hundred ist ein interessanter, intelligenter und ansprechender Protagonist, dessen Charakter Vaughan hier dunklere Töne hinzufügt, die in den nächsten Ausgaben sicher noch von Belang sein werden. Schade ist nur, dass das bisher nicht für die Nebencharaktere gilt, die sich nur selten von ihrem Dasein als eher zweidimensionale Stereotypen lösen können.
Dennoch, nach den ersten zwei Arcs halte ich Ex Machina derzeit für eine bessere Serie als Y – The Last Man. Wo man bei Y in den ersten fünf Paperbacks das Gefühl bekommt, dass die Serie irgendwie auf der Stelle tritt (siehe oben), da bewegt sich Ex Machina mit gutem Tempo voran. Die wirklich elegant und stilvoll aussehenden Zeichnungen von Tony Harris sind da nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Essentieller Lesestoff. bw
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SPIDER-MAN AND THE BLACK CAT: THE EVIL THAT MEN DO (US-Ausgabe)
Marvel Comics
Etwa drei Jahre hat es gedauert, bis Kultregisseur Kevin Smith seine Spider-Man-Miniserie, die im Jahr 2002 begann, endlich abschließen konnte. Solche Wartezeiten sind ärgerlich und unprofessionell, sollten aber bei der Beurteilung der Geschichte, in der die beiden Titelhelden gegen einen Drogenbaron kämpfen, in den Hintergrund treten. Schließlich liegt sie nun vollständig vor und kann am Stück gelesen werden. Trotzdem spürt man in der Mitte der Story einen deutlichen Bruch. In der ersten Hälfte liefern Smith und sein Zeichner Terry Dodson einen temporeichen Superheldencocktail ab, mit witzigen Hollywood-Anspielungen und bissigem Dialog-Ping-Pong zwischen Spidey und der Black Cat. Bis dahin macht der Comic richtig Spaß. In der zweiten Hälfte wird die Stimmung jedoch deutlich düsterer: es geht plötzlich nicht nur um Drogentote, sondern auch um  Vergewaltigung und sexuellen Missbrauch. Auch erzähltechisch gerät The Evil That Men Do in ein Ungleichgewicht, wenn die letzten Hefte fast nur noch aus Rückblenden bestehen. Zusätzliches Ärgernis für deutsche Leser der US-Ausgabe: grauenhaft falsche deutsche Wortfetzen in einem Gastauftritt des Nightcrawlers . Da wird die „Night of broken lives“ zur „Lebengebrochennacht“ und die „little time travelers“ zu „wenig Taktreisenders“. Äh, wie bitte?
„A Book Three Years in the Making (and hardly worth the wait)“ steht selbstironisch in einem der Hefte. Dem ist nichts hinzuzufügen. tk
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SECRET WAR
Panini/Marvel Deutschland
Noch so ein Marvel-Projekt mit unglaublichen Verspätungen: Im Fall dieser Crossover-Miniserie liegen sie wohl eher beim Zeichner als beim Autor. Zugegeben, die aufwendig gemalten Bilder von Gabriele Dell'Otto sind ein Augenschmaus und wirken wesentlich lebendiger und dynamischer als bei Kollegen wie Alex Ross, die einen ähnlichen Stil pflegen. Aber auch hier kann die Geschichte kaum die großen Erwartungen einlösen, die von Marvels Hypemaschine und der langen Wartezeit geschürt wurden. Es geht um eine illegale Operation, die S.H.I.E.L.D.-Chef Nick Fury mit ein paar Superhelden in Zivil durchgeführt hatte, und deren Nachwirkungen, die zu einem üblen Terroranschlag in New York führen.
Autor Brian Michael Bendis hat weiß Gott schon originellere und bessere Geschichten abgeliefert. Hier gibt es zwar eine nette Grundidee (Wie kommen die ganzen Superschurken eigentlich an ihre tollen teuren Spezialrüstungen und -waffen?), der Plot bleibt aber überraschungsarm und wirkt unnötig in die Länge gezogen. Am auffälligsten ist dieses „Padding“ in den Secret War-Tie-Ins, die in der Serie The Pulse erschienen und von Panini in einem dicken Sonderheft gebracht wurden: eine Geschichte, die über fast 100 Seiten auf der Stelle tritt.Immerhin war der Secret War noch einmal eine Gelegenheit für Marvel-Fans, ein übersichtliches Crossover-Event zu genießen, das von Panini auch in angenehm kompakter und preisgünstiger Form veröffentlicht wurde. Bei den folgenden Events House of M und Civil War mit dutzenden von Tie-Ins und Spin-Offs dürfte das erheblich schwieriger werden. tk